Die frühherbstliche Septembersonne scheint gülden auf das etwas siffige Pflaster der Fußgängerzone unseres kleinen sympathischen Provinznestes und weil ich etwas Zeit habe, gedenke ich, mir ein Getränk basierend auf den Steinkernen der weiland von den Türken vor Wien bei ihrer überhasteten Flucht zurückgelassenen Vorräte zu gönnen. Auf Deutsch: Ich gehe einen Kaffee trinken. Dachte ich. Ich kleingläubiger Naivling. Aber nicht im Jahr 2020.
Das Kaffeehaus „Leopold´s“ auf der Fußgängerzone ist recht neu und ich habe es noch nicht ausprobiert. Auch, wenn ich normalerweise Etablissements mit Deppenapostroph meide, ist dies also meine Gelegenheit, dem Alltagsstress, den Alternativen, den Linken, den Grünen, den Liberalen und den Zeugen Merkels zu entfleuchen und einfach nur bei einer Tasse jenes Heißgetränks über mein Alter zu sinnieren. In der Sonne sitzen, rauchen und trinken. Das war der Plan.
Flink krame ich den verpappten Lappen namens „Mund-Nasen-Bedeckung“ aus der Sakkotasche, gehe die zwei Meter zum Tischchen, nehme den Lappen wieder ab und einen Zigarillo in den jetzt wieder freien Mund. Wenn ich schon aerosole, soll es sich für die Nachbartische wenigstens lohnen. Eine junge Kellnerin mit jenem Gesichtstüchlein taucht kurz darauf auf, zückt einen Block und einen Stift und fragt: „Verstehst Du das? Ich nicht. 13.000 Menschen haben kein Zuhause, während mehr als 170 Städte Menschen aufnehmen wollen. Warum passiert nichts?“ Dann hashtagt sie ein „#leavenoonebehind!“ hintendran.
„AfD“, höre ich die Frau leise und verschwörerisch wispern
Tja. Keine Ahnung. Obwohl … Doch … Schon … Aber das will ich jetzt eigentlich nicht ausdiskutieren, ich will ja nur einen Kaffee trinken.
„Keine Ahnung“, sage ich. „Ich hätte gerne einen Kaffee, schwarz, mittlere Portion“, füge ich ergänzend an. Meine noch-nicht-Bedienung zieht die Stirne in Falten. „Hast Du je darüber nachgedacht, wie ungerecht das ist?“, will sie wissen. „Offen gesagt: ja“, gebe ich bereitwillig Auskunft, „aber ich hätte gerne einen Kaffee.“ Ihr Blick geht in die Ferne. Sie seufzt. „Ist das alles, was Dir dazu einfällt?“ Ich merke, wie sich meine Nackenhärchen zu stellen beginnen und fühle dieses leichte Prickeln am Hinterkopf, das ich immer bekomme, wenn ich Adrenalin ziehe.
„Nein, das ist nicht alles, was mir dazu einfällt. Mir fällt dazu eine ganze Menge ein!“, sage ich etwas lauter. Am Tisch schräg gegenüber drehen sich zwei Köpfe um. Ein Mann mit einer John-Lennon-Gedächtnisbrille, Vollbart und einem Dutt und eine Frau mit grauen langen Haaren und einem ebensolchen Gesichtsausdruck, die die Gelegenheit genutzt hat, ihren 60er-Jahre-Flowerpower-Fummel heute spazieren zu führen. Offensichtlich eine Mutter mit ihrem Mutterkind. „AfD“, höre ich die Frau leise und verschwörerisch wispern.
„Nix AfD. EffDePe. Sie können mich nicht so einfach des Ladens verweisen“, sage ich zu meiner Nichtdienstleisterin genauso laut, dass mich Janis Joplin hören kann. „Ist das nicht schrecklich?“, will die junge Dame mit dem Stift wissen. „Ja, ist es. Kann ich bitte einen Kaffee bekommen?“, ändere ich die Taktik. „Was kannst Du, was können wir als Tagescafé dagegen tun?“, fragt die Gazelle weiter.
Kaufe gezielt sämtliche Produkte von Nestlé, die ich finden kann
„Sie (!) könnten mir meine Bestellung bringen. Einen Kaffee, schwarz, mittlere Portion“, wiederhole ich mein Begehr, „denn dann bin ich sehr entspannt, gehe anschließend wieder meines Wegs in mein Büro, um die Unsummen an Steuergeldern zu erwirtschaften, die es braucht, damit sich Saskia Esken und Annalena Bockhorst (oder wie die heißt) als gute Menschen gerieren können. Ihr macht Euren Umsatz und hoffentlich Euren Gewinn und zahlt dann ebenfalls Steuern, damit wir alle gemeinsam helfen können. Wie wäre das?“ Anscheinend habe ich die junge Frau von der Redlichkeit meines Ansinnens und der Reinheit meiner politischen Einstellung überzeugt. Sie nickt zufrieden und sagt „Kommt sofort“ und trollt sich nach drinnen zu ihrem Barista. Mutter und Muttersohn vertiefen sich wieder in ihr eigenes Gespräch.
Meine Servicekraft kommt nach kurzer Zeit mit einer sympathisch dampfenden Tasse Kaffee zurück und stellt sie vor mich hin. Ein kleines Kaffeeböhnchen in einem Schokoladenmantel, der an einer Seite etwas geschmolzen ist, liegt meinem Heißgetränk bei.
„Sagen Sie … Seit wann kann ich eigentlich nicht einfach nur einen Kaffee bestellen?“, will ich wissen. „Seit mein Chef gesagt hat, dass wir unseren Fair-Trade-Kaffee nur an faire Menschen verkaufen wollen“, gibt sie ungerührt zurück. „Wichtig ist nämlich nicht das Produkt, sondern die Botschaft, für die es steht“, erklärt sie emotionslos und wie auswendig gelernt weiter. Ich bezahle Drei Euro Fünfzig für die Botschaft mit Kaffee und lege noch 50 Cent für die Kaffeebotschafterin drauf, damit alle zufrieden sind. Dann trinke ich ruhig meinen Kaffee, setze meinen Mundnasenaugenohrenschutz auf und gehe in den Edeka und kaufe gezielt sämtliche Produkte von Nestlé, die ich finden kann.
Und falls Sie, liebe Leser, nun glauben, die Geschichte sei frei erfunden – hier ist das „grano salis“, das mich zu dieser Geschichte inspiriert hat. Ben und Jerry, die beiden Trottel von Unilever, können sich ihre Eiscreme künftig in die Kimme schmieren. Da flutscht es am Besten.
(Weitere Botschaften des Autors auch unter www.politticker.de)