Thomas Rietzschel / 02.09.2018 / 13:30 / Foto: EPP / 24 / Seite ausdrucken

Juncker geht mit der Zeit

Was immer man von dem alten Schluckspecht halten mag, ein begnadeter Geschichtenerzähler ist Jean-Claude Juncker allemal, nie um eine Schnurre verlegen. Ohne eine Miene zu verziehen, verkündete er am vergangenen Freitag die Lösung eines Problems, das den Europäern wahrlich unter den Nägeln brennt. Demnächst, sagte er, werde man den Willen der Völker vollstrecken und die Sommerzeit abschaffen.

Vorausgegangen war dem eine online-Umfrage der EU-Kommission, bei der Frau, Mann und Kind über die Beibehaltung oder Abschaffung der zweimaligen Zeitumstellung pro Jahr abstimmen sollten. 4,6 von 511 Millionen EU-Bürger haben sich an dem Plebiszit beteiligt, nach Adam Ries eine Wahlbeteiligung von weniger als einem Prozent. Davon wiederum votierten 84 Prozent gegen die halbjährliche Sommerzeit, allen voran die Deutschen.

Das Ergebnis ließ keine Fragen offen. „Die Menschen wollen das, wir machen das“, versprach Jean-Claude Juncker in einem Gespräch mit dem ZDF. Der Kommissionspräsident gab sich entschlossen. Wie es sich für eine Brüssler Chefsache gehört, soll das Gesetz in Kürze vorliegen.

Jedes Land tickt, wie es will

Die Bürger dürfen versichert sein, dass die Europäische Union handlungsfähig ist, vorausgesetzt, sie glauben den Geschichten, die sich ihr Chef ausdenkt. Denn tatsächlich hat er in der Sache rein gar nichts zu bestellen. Jedes Land entscheidet für sich, wie die Uhren innerhalb seiner Grenzen fortan ticken sollen, ob sie im Frühjahr eine Stunde vor und im Herbst wieder zurückgestellt werden. Auch die ganzjährige Gültigkeit der alten Winter- oder der neuen Sommerzeit ist national zu beschließen. Kein Staat, der dabei nicht nach seiner Fasson selig werden dürfte, selbst wenn wir nachher bei jedem Grenzübertritt kurz anhalten müssten, um die Uhren auf die gültige Landeszeit umzustellen.

Der Brüssler Theaterdonner muss keinen der 28 Mitgliedsstaaten kümmern. Juncker schießt mit Platzpatronen. So schön seine Geschichte manchen klingen mag, sie ist ein Hirngespinst, die populistisch aufgemachte Story eines EU-Phantasten, der nach dem Strohhalm greift. Wer auf die Mär hereinfällt, könnte sich ebenso den Eiffelturm von irgendjemand aufschwatzen lassen. Oder den Kölner Dom.

Nur wenn der Blender auf den Treudoofen trifft, kommen solche Geschäfte zustande. Der Schwindler ginge leer aus, gäbe es nicht jemanden, der ihm den Schwindel abkauft. Bei Junckers neuestem Deal, Abschaffung der Sommerzeit gegen Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der EU, waren das immerhin 3,86 Millionen Europäer, alle, die sich gegen die Umstellung der Uhren ausgesprochen haben. Darauf einen Dujardin, es muss ja nicht der letzte sein, Jean Claude, Du alter Münchhausen!

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Leserpost

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H. Störk / 02.09.2018

Jean-Claude “will das machen” - na gut, warten wir’s ab, ob nächstes Jahr im März die Uhren weiterlaufen dürfen, oder ob uns mal wieder eine Stunde geklaut wird. Wenn ich nochmal im Frühling im Dunkel aufstehen muß, weiß ich zumindest, Jean-Claude ist schuld!

B.Klingemann / 02.09.2018

Ab dem 1. September beugt sich Juncker auch Osrams Stimme: Halogenlampen werden verboten. Dank LED bleibt es nun 1 Std. länger hell. Fiat Lux!

Martin Wessner / 02.09.2018

Die EU hätte bsw. Allenbach oder Emnit eine representative(Sic!) Meinungsumfrage in allen europäischen Ländern machen lassen und DANN entscheiden sollen, ob man die Sommerzeit ersatzlos streicht oder nicht. Dieses Online-Dingsbums ist daher nur ein Demokratie-Plazebo und sonst nichts.

Bernhard Maxara / 02.09.2018

Komisch, das war mein erster Gedanke, als ich von dem weltbewegenden Frageforum hörte: Seht mal wie demokratisch wir sind, Ihr dürft selber entscheiden, wann Ihr morgens auf’s Klo geht. Dümmer geht’s nimmer…

Frank Box / 02.09.2018

Ewige Sommerzeit? - Da werden sich einige aber umgucken! Und zwar die, die auch in der dunklen Jahreszeit morgens draußen Arbeiten zu erledigen haben, und auf Tageslicht angewiesen sind. Da wird man viele lange Gesichter sehen, wenn es erst um 9 (!) Uhr anfängt hell zu werden.

Wolfgang Richter / 02.09.2018

Nächstes Jahr ist Europawahl, und deshalb versucht sich Juncker in Demokratie, dürfte aber wohl zu spät sein, denn die wachsende Zahl der Kritiker der Eurokratur dürften durch sein fröhlich-lockeres Statement bezüblich Uhrumstellung kaum mehr zu beeindrucken sein. Der Zug ist abgefahren.

Stephan Jankowiak / 02.09.2018

Es geht ja nicht nur darum, die Umstellung zu streichen. Die völlig sinnentleerte Klientel möchte, daß die MESZ ganzjährig gilt. Schon ‘mal drüber nachgedacht? Im Dezember/Januar dann Sonnenaufgang/Hellwerden so gegen 9:20 Uhr. Die tiefsten Temperaturen der Nacht dann immer noch gegen 8:30 inkl. Frost und Glatteis auf den Straßen. Was soll der Quatsch? Dafür, daß es gegen 17 Uhr statt gegen 16 Uhr es dämmert? Zwangseintausch gegen hohe Risiken aufgrund einer Möchtegern- bzw. Pseudo-demokratischen Abstimmung und eines Typen wie Juncker?

Michael Jansen / 02.09.2018

Aha, wieder was gelernt zur Bürgernähe der EU-Funtionäre. “Die Menschen wollen das, wir machen das!” Ja nee, is’ klar, kennen wir ja nicht anders von den Musterdemokraten in Brüssel. Es ist doch schön und wir sollten uns alle freuen, dass man sich dort für die dringenden Probleme der Menschen interessiert und auf Anhieb eine von allen Bürgern mitgetragene Lösung findet. Wäre aber wohl zu schön. Könnte es nicht vielleicht doch sein, dass die Wahlsprüche in Brüssel eher lauten: “Die Menschen wollen das nicht, wir machen es trotzdem!” oder aber “Die Menschen wollen das, wir wissen es aber besser und tun es nicht!”. Es fallen einem reichlich Beispiele ein, wie die EU Reglementierungen, Verordnungen, Verbote u.ä. durchsetzt, die vielleicht bürokratischer Regulierungswut, Profilneurosen der EU-Funktionäre oder undurchsichtiger Lobbyarbeit entspringen, ganz sicher aber nicht von den Bürgern gewollt oder auch nur befürwortet werden. Ich bin bestimmt nicht der Einzige, der bei einer Meldung, die mit den Worten “EU-Kommissar XY fordert…” beginnt, zusammenzuckt und wieder mir mehr Bürokratie, höheren Kosten oder irgendwelchen Verboten, jedenfalls mit nichts zum Nutzen der Bevölkerung rechnet.

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