Henryk M. Broder / 12.04.2017 / 22:22 / 17 / Seite ausdrucken

Junge, komm bald wieder!

Heute nachmittag in brisant, dem Nachrichtenmagazin der ARD: Gauck verteilt Essen an Obdachlose. Der Alt-Bundespräsident habe zusammen mit seiner Lebensgefährtin die Bahnhofsmission am Bahnhof Zoo besucht. "Dort halfen beide bei der Essensausgsbe."  

Es war kein spontaner "Besuch" nach einem Bummel über den Kurfürstendamm. Das Event wurde sorgfältig vorbereitet. Die gesamte Berliner Medienwelt schaute den Obdachlosen beim Essenfassen zu. Fotografen und Kameraleute hielten jeden Augenblick fest. Der Leiter der Einrichtung, vor kurzem mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet, erzählte, dass er Schlafsäcke an Obdachlose verteilt, damit diese nachts im Tiergarten nicht frieren müssen. Die Frage, warum die Stadt nicht eines der in die Jahre gekommen Hotels anmietet, damit niemand im Freien übernachten muss, wurde weder gestellt noch beantwortet, auch nicht vom Alt-Bundespräsidenten. Ungesagt blieb auch, warum man nicht wenigstens einen Flügel des geräumigen Schlosses Bellevue den Obdachlosen zur Verfügung stellt, damit der Bundespräsident das Haus nicht verlassen muss, wenn er bei der Essensausgabe helfen möchte.

Das wäre bestimmt im Sinne des Alt-Bundespräsidenten. "Sie merken es an meinem Gesicht oder an meiner Betriebstemperatur, dass es mir gut tut, hier im Verein mit anderen Leuten... zu helfen." 

Was unsereiner schon lange geahnt hat: Die Helfer helfen nicht, um zu helfen, sondern weil es ihnen "gut tut". Das ist zumindest ehrlich. Nach einer Stunde hatte Gauck genug Gutes getan. Bevor seine Betriebstemperatur den Siedepunkt erreicht hatte, verließ er die Bahnhofsmission und drohte den Obdachlosen, er werde vielleicht wieder kommen, wolle sich aber nicht festlegen.

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Leserpost

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Joachim Nowak / 13.04.2017

Da ja die ach so ehrenwerte Aktion “Netz gegen Nazis” dann u.a. auch festgelegt hat, daß Aktivismus für Obdachlose dann mindestens “Rechts-Verdächtig” ist und man “solche Leute” doch besser aus seiner Freundesliste von Facebook entfernen solle, ist es ja mittlerweile ein zweischneidiges Schwert überhaupt noch für irgendwas zu sein, was dann eventuelle Kritik an den selbsternannten Anständigen beinhalten könnte. Aber dennoch muß ich dann schlichtweg weiter machen. Da mich die Zustände hier im Lande echt anwidern. Ich war lange Zeit ein heimlicher Fan von Frank Zander und seiner jährlichen Weihnachtsgans-Aktion, die er auf die Beine gestellt hat. Bis ich mich regelmässig damit befasste und das jährlich beobachtete und festellen mußte, da es lediglich zu einem Schaulauf für irgendwelche “Promis” geworden ist, die sich im Blitzlichtgewitter sonnen. Denn irgendwie muß ich etwas verpasst haben. Da kommen diese “Promis” aus ganz Deutschland nach Berlin, um zu servieren und loben diese tolle Aktion und Frank Zander über den Klee, daß man es schon nicht einmal mehr glauben kann. Natürlich ist es Spitze, was sich der Frank Zander da ausgedacht hat und was er mittlerweile dort auf die Beine gestellt hat, als vergleichsweise “kleines Licht unseres Showbusiness” (bezogen auf seine Plattenverkäufe). Aber ich muß ja mal wirklich die Frage stellen: Taugt das denn wahrlich niemals als Musterbeispiel für die gesamte Promi-Schar, damit sie genau DAS auch in ihrer Heimatstadt auf die Beine stellen…? Da geben sich Promis die Klinke in die Hand, die dann nicht nur “aktueller”, sondern auch “besser verdienend”, als Frank Zander sind und die bekommen dann mit all ihren ach so tollen Kontakten zu Polit- & Institutionsprominenz nicht eine mindestens gleichwertige Aktion wenigstens einmal im Jahr auf die Beine gestellt? Aber ich war auch entsetzt, was dann 2016 passiert ist. Der regierende Bürgermeister Berlins hat dann mit serviert. Alles war entzückt, was das doch für ein netter Kerl ist. Dabei ist es dann genau der Bürgermeister, der dann für Berlin zu verantworten hat, daß es in der gesamten Stadt im vergangenen Winter lediglich 800 “Kälteschlafplätze” gab bei absolutem Minimum von 3.000 Obdachlosen. (Die Obdachlosenverbände sind sich nicht einig, wieviele Obdachlose es tatsächlich gibt - die 3.000 sind die kleinste gemeldete Zahl aller Verbände Berlins UND….das zuständige Sozialamt kann überhaupt keine Angaben zur tatsächlichen Anzahl der Obdachlosen machen) Das ist doch ein mieser, oder gar zynischer Scherz von dem Bürgermeister? ^^

Jürgen Streeb / 13.04.2017

Vielleicht bin ich ob des Verhaltens unserer Prominenz und Elite auch schon ein wenig zynisch geworden, aber ich kann diese Selbstdarstellung nur noch als hochgradig bigott bezeichnen.

Rüdiger Fetthauer / 13.04.2017

Definition für Gutmensch(en) Mensch(en), die Gutes für sich oder Ihre Reputation tun - insofern ist der “ehemalige Widerstandskämpfer” Gauck ein wirkliches Vorbild! Danke Herr Broder für die nochmalige Demaskierung des uneitlen Ex-Präsidenten!

Bertram Scharpf / 13.04.2017

Spannend ist nicht, daß es Hilfsbedürftige erster und zweiter Klasse gibt. Spannend ist, durch wen diese Einteilung zustande kommt: Bei den Nichthilfsbedürftigen gibt es einige wenige, die gleicher sind, die per Selbsternennung hilfsbereiter sind. Somit haben sie nicht nur das Recht, den Anderen ein schlechtes Gewissen einzureden oder sie gleich über Steuern und Abgaben zur Hilfsbereitschaft zu zwingen. Vor allem haben sie, da sie selbst einer besseren Klasse angehören, die Weisheit, zu entscheiden, wer Hilfsbedürftiger erster Klasse ist.

Christian Gerst / 13.04.2017

Hat Guck auch ein paar Autogrammkarten verteilt,  ein paar gehortete Rotweinflaschen Hausmarke “Bellevue”, einen Ölschinken oder zumindest Lübecker Marzipan? Vermutlich gibt’s das nur für den ausländischen verarmten Adel wie für die Windsors auf Besuch.

Anna Barbara Zahn / 13.04.2017

Da passt dann ganz gut dazu, dass Fr. Merkel den Ex-Friedensnobelpreisträger Obama zum Kirchentag der evang. Christen eingeladen hat. Als Wahlkampfhilfe ein wenig erfolgreicher Ex-Präsident und die evang. Christen zahlen mit ihrer Kirchensteuer noch den Wahlkampf von Merkel. Das muss man erst mal hinkriegen.

Frank Holdergrün / 13.04.2017

So kann heute jeder guttuende Therapiesitzungen buchen, um das Schuldkonto zu erleichtern, während er die Realität weiter ausblendet. Danke, Herr Broder, es sind oft nur kleine, unscheinbare Worte, mit denen Sie die Nacktheit der Könige erhellen. Das Verb “guttun” wird mir so in Erinnerung bleiben, es umspannt die deutsche Verirrung der Jetztzeit in einfacher Weise: moralisierende, egoistische Tyrannen, geblendet von ihrem eigenen Gutsein, mit Medaillen der Gutseinsindustrie überhäuft, ziehen ihre blendenden Kreise, während das Denken rundum erstarrt.

Thomas Bode / 13.04.2017

Lustig. Andererseits wäre man froh, weder hier noch sonst wo, von diesem Herren je wieder etwas hören oder sehen zu müssen. Der auch mal tapfer sagte dass er “soziale Unterschiede gut aushalten könne”. Da diese es ihm erlauben ein oder zweimal im Jahr sich beim Gutes tun in Medienaufmerksamkeit zu sonnen ist das verständlich. So kann er sich rundum wohl fühlen als Elitenmensch.

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