Archi W. Bechlenberg / 24.09.2020 / 13:00 / Foto: Ron Kroon/Anefo / 19 / Seite ausdrucken

Juliette Gréco: Ein Leben aus Liebe und Liedern

Als Kind hatte ich Angst vor ihr. Für weibliche Reize noch nicht empfänglich, sah ich nur ihre Augen, schwarz umrandet wie die der Panzerknacker. Dazu schwarze Kleidung und eine Stimme, die zwar nicht schwarz, aber sehr dunkel war. Gründe genug, um freiwillig ins Bett zu gehen, wenn sie in den 60er Jahren auch im deutschen Fernsehen auftrat, in den großen Samstagabend-Unterhaltungssendungen mit Kuli und Co.

Um den Grusel vollständig zu machen, spielte sie in der französischen TV-Serie  „Belphégor oder das Geheimnis des Louvre“ mit, die 1967 auch in Deutschland gezeigt wurde. Ich war da allerdings schon 14 und konnte mit Horror und Frauen besser umgehen, also tat ich mir die 13 Folgen mit allerlei spukigem Mumpitz begeistert an. Natürlich gab es ein gutes Ende, das Phantom entleibt sich verdient.

Juliette Gréco stammte aus dem südfranzösischen Montpellier, dort wurde sie 1927 geboren. Mit 16 Jahren geriet sie zusammen mit ihrer Mutter, einer aktiven Widerstandskämpferin, und ihrer Schwester in die Hände der Gestapo. Während Juliette nach ein paar Wochen entlassen wurde, brachte man Mutter und Schwester in das KZ Ravensbrück. Juliette ging nach Paris, wo sie nach dem Krieg als Sängerin zu einer zentralen Figur der Existenzialistenszene um Jean Paul Sartre wurde. Poeten wie Philosophen schrieben ihr Chanson-Texte, mit denen sie auf hohem musikalischen und textlichen Niveau auftrat, Anfang der 50er Jahre begann sie auch als Schauspielerin tätig zu sein, auf der Theaterbühne wie im Film, darunter auch in einer Reihe hochkarätiger Hollywoodproduktionen.

Die Liebe ist nunmal ein seltsames Spiel

Mitte der 50er Jahre förderte die Gréco Serge Gainsbourg, der für sie in der Folgezeit zahlreiche Lieder schrieb. Darunter „La Javanaise“, über dessen Entstehung Juliette – die zu der Zeit schon ein Star war, während Gainsbourg nur ein kleiner, unbekannter Maler und Gelegenheitskomponist – später erzählte:

„Er kam ins Haus. Wir haben Champagner getrunken. Wir waren beide alleine. Wir hörten Musik, und dann fing ich an zu tanzen. Serges Augen wurden immer größer und runder. Am nächsten Tag erhalte ich einen Anruf von Serge: 'Kann ich noch einmal kommen?' - „Komm schon, komm schon.“ Er kommt mit seinem kleinen Stück Papier an. Er geht zum Klavier und singt La Javanaise. Ich fragte ihn: „Wann hast du das geschrieben?“ Er antwortete mir:] 'Letzte Nacht'. Er hatte nicht schlafen können nach seinem Besuch bei mir ...“

Wenig früher waren sich Juliette Gréco und Miles Davis in Paris begegnet. Miles erzählt davon in seiner Autobiografie. „Als sie bei den Proben auftauchte, winkte ich ihr mit dem Zeigefinger, und sie kam zu mir“, (damals funktionierte so etwas noch, Anm. des Setzers). „Als wir miteinander redeten, sagte sie, dass sie eigentlich keine Männer mag, aber dass ich ihr gefiel. Danach waren wir unzertrennlich.“ Später hat Davis sie in New York wie Dreck behandelt: „Als ich zur Tür rausging, fragte sie: 'Miles, kommst du wirklich wieder?' 'Ah, Schlampe, halt's Maul, ich hab gesagt, dass ich später anrufe.'“ Davis, wie er leibte und lebte. Juliette verzieh ihm später. Hat man die stolze, selbstbewusste Frau vor Augen, kann man sich derartige Demut nicht vorstellen, aber die Liebe ist nun mal ein seltsames Spiel.

Eine Göttin in schwarz!

Volkstümlich wie die in der ganzen Welt, vor allem in Frankreich natürlich, geliebten Edith Piaf ist die Gréco nie gewesen, dennoch blieb sie über viele Jahrzehnte eine Kultfigur des Chansons. Während die Piaf von den seelischen und finanziellen Nöten der kleinen Leute sang, verkörperte die Gréco mit ihrer Erscheinung und den anspruchsvollen Texten die Muse der Philosophen aus den Kellern von Saint-Germain-des-Prés, die, wenn sie sich denn mal ans Tageslicht wagte, auf der Terrasse des Deux Magots Hof hielt.

In Deutschland trat sie, nach anfänglicher Distanz zum Land infolge der persönlichen Erlebnisse als Kind, ab den 60er Jahren immer wieder auf, stets vor ausverkauften Häusern. Jeder TV-Quizmaster und Abendunterhalter wollte sie in seiner Show haben, und sie wurde angekündigt wie ein Wesen aus einer anderen Welt. Mireille Matthieu, France Gall, Francoise Hardy – ja ok, nette Mädel aus dem Westen. Aber die Gréco! Eine Göttin in schwarz!

Ihre Abschiedstournee 2017 konnte sie nicht beenden, die Gesundheit machte die Strapazen der Auftritte nicht mehr mit. Zuletzt lebte sie im sonnigen Ramatuelle oberhalb von Saint Tropez. Dort ist Juliette Gréco gestern gestorben. Wein, Champagner, Pastis, Zigaretten, durchgemachte Nächte in verrauchten Kellern und ein durchaus munteres Leben haben ihr offenbar nicht viel anhaben können. Juliette Gréco wurde 93 Jahre alt.

Accordeon – Juliette Gréco 

Ibrahim Maalouf & Juliette Gréco – La Javanaise (Live à l’Olympia, 2014) 

Juliette Greco – les feuilles mortes 

Foto: Ron Kroon/Anefo CC0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Robert Jankowski / 24.09.2020

Danke Archi! Eine weitere musikalische Ikone ist gegangen. Auf jeden Fall ein Grund um sich einige alte Videos anzusehen. Nicht ohne Grund hieß der Eurovision Song Contest einmal “grand prix eurovision de la chanson”. Ein Vergleich mit dem dumpfen Blabla, was da auf der Bühne zelebriert wird, ist diese Frau ein absolutes Juwel.

Wolfgang Nirada / 24.09.2020

Schwarze wissen was Frauen wünschen… Hört man immer wieder… Auch wenn so einer Miles Davis heisst und ein genialer Musiker ist… So ein Verhalten ist einfach widerlich…

Fritz kolb / 24.09.2020

Eine einzigartige, mystische, faszinierende Frau. Ich habe sie erleben dürfen, am plage de pampelonne im Club55, wo wir sie alle mit großem Applaus begrüßt hatten. Eine wahrhaft beeindruckende Erscheinung. Wenn nicht die vermaledeite Virus-Hysterie auch in der Provinz wüten würde, wäre ich jetzt auch dort. Ramatuelle ist übrigens wirklich ein traumhaft schönes Städtchen, kann ich jedem hier empfehlen.

Carlos Redder / 24.09.2020

Es wäre in der Neuen Welt zunehmend kein Platz mehr für Frauen ihres Kalibers. Sie ist nun gestorben, hochbetagt. Sie muss diese ganze epochale Merde nicht mehr erleben. Nach SO einem Leben: was für ein Glück…noch rechtzeitig die Koffer gepackt zu haben.

Sabine Schönfelder / 24.09.2020

Thomas @Taterka, unverschämt! Männer mit Glatze, Bauch, Brille , Gebiß und Sandalen mit Socken machen auf mich auch einen sehr „verblühten“ Eindruck. Gerade DIE Gréco repräsentierte das krasse Gegenteil ihrer dahin geschluderten Bemerkung. Bis ins hohe Alter eine zeitlose interessante Ikone, immer attraktiv.  Sie folgte Piccoli auf dem Fuß. Zwei große Künstler, wieder beisammen.

giesemann gerhard / 24.09.2020

Eine wunderbare Frau, Dieu avec elle.

Thomas Taterka / 24.09.2020

Seneca hat gesagt : ” Selbst das Glück trägt seinen Sturz in sich. ” - Darum sollte man leben , wie man will, wenn man weiß, wie das geht. Solange man kann. - Für Frauen gilt das natürlich doppelt, weil sie schneller verblühen.

Angela Seegers / 24.09.2020

Danke Herr Bechlenberg. Eine Ära geht zu Ende. Idole unserer Jugend sterben. Hingeschmachtet vorm Radio, wenn ihre Stimme erklang - die der dunklen, mysteriöse Französin. Juliette Greco.

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