Als Kind hatte ich Angst vor ihr. Für weibliche Reize noch nicht empfänglich, sah ich nur ihre Augen, schwarz umrandet wie die der Panzerknacker. Dazu schwarze Kleidung und eine Stimme, die zwar nicht schwarz, aber sehr dunkel war. Gründe genug, um freiwillig ins Bett zu gehen, wenn sie in den 60er Jahren auch im deutschen Fernsehen auftrat, in den großen Samstagabend-Unterhaltungssendungen mit Kuli und Co.
Um den Grusel vollständig zu machen, spielte sie in der französischen TV-Serie „Belphégor oder das Geheimnis des Louvre“ mit, die 1967 auch in Deutschland gezeigt wurde. Ich war da allerdings schon 14 und konnte mit Horror und Frauen besser umgehen, also tat ich mir die 13 Folgen mit allerlei spukigem Mumpitz begeistert an. Natürlich gab es ein gutes Ende, das Phantom entleibt sich verdient.
Juliette Gréco stammte aus dem südfranzösischen Montpellier, dort wurde sie 1927 geboren. Mit 16 Jahren geriet sie zusammen mit ihrer Mutter, einer aktiven Widerstandskämpferin, und ihrer Schwester in die Hände der Gestapo. Während Juliette nach ein paar Wochen entlassen wurde, brachte man Mutter und Schwester in das KZ Ravensbrück. Juliette ging nach Paris, wo sie nach dem Krieg als Sängerin zu einer zentralen Figur der Existenzialistenszene um Jean Paul Sartre wurde. Poeten wie Philosophen schrieben ihr Chanson-Texte, mit denen sie auf hohem musikalischen und textlichen Niveau auftrat, Anfang der 50er Jahre begann sie auch als Schauspielerin tätig zu sein, auf der Theaterbühne wie im Film, darunter auch in einer Reihe hochkarätiger Hollywoodproduktionen.
Die Liebe ist nunmal ein seltsames Spiel
Mitte der 50er Jahre förderte die Gréco Serge Gainsbourg, der für sie in der Folgezeit zahlreiche Lieder schrieb. Darunter „La Javanaise“, über dessen Entstehung Juliette – die zu der Zeit schon ein Star war, während Gainsbourg nur ein kleiner, unbekannter Maler und Gelegenheitskomponist – später erzählte:
„Er kam ins Haus. Wir haben Champagner getrunken. Wir waren beide alleine. Wir hörten Musik, und dann fing ich an zu tanzen. Serges Augen wurden immer größer und runder. Am nächsten Tag erhalte ich einen Anruf von Serge: 'Kann ich noch einmal kommen?' - „Komm schon, komm schon.“ Er kommt mit seinem kleinen Stück Papier an. Er geht zum Klavier und singt La Javanaise. Ich fragte ihn: „Wann hast du das geschrieben?“ Er antwortete mir:] 'Letzte Nacht'. Er hatte nicht schlafen können nach seinem Besuch bei mir ...“
Wenig früher waren sich Juliette Gréco und Miles Davis in Paris begegnet. Miles erzählt davon in seiner Autobiografie. „Als sie bei den Proben auftauchte, winkte ich ihr mit dem Zeigefinger, und sie kam zu mir“, (damals funktionierte so etwas noch, Anm. des Setzers). „Als wir miteinander redeten, sagte sie, dass sie eigentlich keine Männer mag, aber dass ich ihr gefiel. Danach waren wir unzertrennlich.“ Später hat Davis sie in New York wie Dreck behandelt: „Als ich zur Tür rausging, fragte sie: 'Miles, kommst du wirklich wieder?' 'Ah, Schlampe, halt's Maul, ich hab gesagt, dass ich später anrufe.'“ Davis, wie er leibte und lebte. Juliette verzieh ihm später. Hat man die stolze, selbstbewusste Frau vor Augen, kann man sich derartige Demut nicht vorstellen, aber die Liebe ist nun mal ein seltsames Spiel.
Eine Göttin in schwarz!
Volkstümlich wie die in der ganzen Welt, vor allem in Frankreich natürlich, geliebten Edith Piaf ist die Gréco nie gewesen, dennoch blieb sie über viele Jahrzehnte eine Kultfigur des Chansons. Während die Piaf von den seelischen und finanziellen Nöten der kleinen Leute sang, verkörperte die Gréco mit ihrer Erscheinung und den anspruchsvollen Texten die Muse der Philosophen aus den Kellern von Saint-Germain-des-Prés, die, wenn sie sich denn mal ans Tageslicht wagte, auf der Terrasse des Deux Magots Hof hielt.
In Deutschland trat sie, nach anfänglicher Distanz zum Land infolge der persönlichen Erlebnisse als Kind, ab den 60er Jahren immer wieder auf, stets vor ausverkauften Häusern. Jeder TV-Quizmaster und Abendunterhalter wollte sie in seiner Show haben, und sie wurde angekündigt wie ein Wesen aus einer anderen Welt. Mireille Matthieu, France Gall, Francoise Hardy – ja ok, nette Mädel aus dem Westen. Aber die Gréco! Eine Göttin in schwarz!
Ihre Abschiedstournee 2017 konnte sie nicht beenden, die Gesundheit machte die Strapazen der Auftritte nicht mehr mit. Zuletzt lebte sie im sonnigen Ramatuelle oberhalb von Saint Tropez. Dort ist Juliette Gréco gestern gestorben. Wein, Champagner, Pastis, Zigaretten, durchgemachte Nächte in verrauchten Kellern und ein durchaus munteres Leben haben ihr offenbar nicht viel anhaben können. Juliette Gréco wurde 93 Jahre alt.
Accordeon – Juliette Gréco
Ibrahim Maalouf & Juliette Gréco – La Javanaise (Live à l’Olympia, 2014)
Juliette Greco – les feuilles mortes