Seine Gegner sind zuerst da. Eine Hand voll älterer Damen und Herren hat vor der Paulskirche Position bezogen. Gleich wird der Journalist Henryk M. Broder hier den Ludwig-Börne-Preis erhalten, für „herausragende Leistungen“ als Essayist, Kritiker und Reporter. Die Demonstranten erbost das. Einige betonen, dass sie Juden sind. So als sei das ein Kompetenzbeweis für Menschen, die den Juden Broder auf einem Pappschild und in Flugblättern als „publizistischen Wegelagerer“ und Rassisten bezeichnen.
Broder beachtet die kleine Demo nicht. Der Publizist, der fürs Austeilen berühmt ist, ist auch das Einstecken gewöhnt. Seit Juror Helmut Markwort, Chefredakteur des „Focus“, den Reporter des Konkurrenzblatts „Spiegel“ als Börne-Preisträger 2007 auswählte, gibt es neben viel Lob auch Widerspruch. Der Publizist Alfred Grosser findet, sie spreche dem Namensgeber des Preises Hohn. Markwort zitiert diese Kritik kurz in seiner Laudatio in der vollen, heißen Paulskirche. Und er widerspricht. Ludwig Börne (1786-1837), deutscher Jude und demokratischer Patriot, der erste große Journalist des Landes, als Polemiker umjubelt und verhasst, habe in Broder einen würdigen Nachfolger. „Ist denn nur ein toter Polemiker ein guter Polemiker?“, fragt er rhetorisch.
Als Markwort Broders publizistischen Kampf gegen den Islamismus lobt, steht ein Mann auf. Er sei Holocaust-Überlebender und könne nicht schweigen, wenn eine Religion dämonisiert werde, brüllt er. Empörte Gäste widersprechen ihm. Es ist der einzige Moment, in dem etwas von dem erahnbar wird, für das Broder ausdrücklich geehrt wird: seine Fähigkeit, zu provozieren, lähmende politische Korrektheit aufzuwühlen.
Für Broder, den Polarisierer, ist es ansonsten ein Tag unter Freunden.
Er lächelt, als er das Podium betritt. „Ich finde, für einen polnischen Juden habe ich es weit gebracht.“ Hinter der Pointe steckt die Geschichte eines „Glückskinds“, wie sich Broder selbst nennt. Eines Jungen, der mit elf Jahren aus Kattowitz über Wien nach Köln kam, kein Wort Deutsch sprach, verbissen las und lernte und schrieb und das Abitur schaffte - mit einer Eins in Deutsch. Der Journalist wurde und 1981 mit einem offenen Brief in der „Zeit“ seinen Austritt aus der Linken verkündete. Antisemitismus von links warf er den Ex-Genossen vor, versteckt hinter Israel-Kritik.
Broder ging nach Jerusalem, kehrte 1990 zurück ins vereinigte Berlin, das er längst liebt, obwohl er die meiste Zeit des Jahres unterwegs ist. Er hat mehr als 20 Bücher veröffentlicht, tummelt sich im Internet, lebt gut als Meister witziger Polemik - und muss damit leben, dass seine feinfühligen Reportagen darüber oft vergessen werden. Jetzt steht er in der Paulskirche, er trägt ein etwas zu weites schwarzes Sakko und eine Krawatte mit US-Fahnen-Muster und spricht über „seine“ Themen. Islamismus, Judenhass, Aufklärung. „Bin ich verrückt, oder sind es die anderen?“, diese Frage beschäftige ihn täglich. Bis auf weiteres müsse die Antwort offen bleiben sagt Broder und grinst.
Er sei ein jüdischer Pausenclown, der in der großen deutschen Manege seine Kunststücke zeigen darf, solange sie unterhaltsam sind, sagt er. Die Rolle mache ihm Spaß aber manchmal wäre er sie gerne los. Am Ende zitiert Broder ein Gedicht von Hanns Dieter Hüsch: „Ich sing für die Verrückten.“ Dann guckt er in Richtung Himmel, dahin, wo wohl niemand so gut hinpasst wie der verstorbene Kabarettist. Die Gäste stehen auf und klatschen Broder zu. Seine fünf Gegner im Saal bleiben entschlossen sitzen.
Kölner Stadt-Anzeiger, 25.6.07