Gunnar Heinsohn / 09.07.2014 / 14:37 / 2 / Seite ausdrucken

„Juden müssen zehnfach bestraft werden“

„Was können Sie es wagen, uns mit denen zu vergleichen? Wenn Juden das Gesetz brechen, müssen sie zehnfach bestraft werden. Sie haben die Heiligkeit des Lebens unter die Menschen gebracht. Wie sollen andere Völker sie respektieren, wenn wir unsere Missetaten nicht entschlossen ahnden?“

Eine Jüdin aus Ägypten, die dort 1948 aller Habe beraubt und nur mit den Kleidern auf dem Leib nach Israel gejagt wird, bringt mich Ende 1976 bei einem Gespräch in Jerusalem mit diesen Worten zum Schweigen. 1948 kommt sie in ein Land, dessen 660000 Juden gerade den Ausrottungsversuch durch fünf arabische Armeen überstanden und bei der Gegenoffensive bessere Grenzen für das Überstehen der nächsten Attacke erreicht hatten, wobei es zur Vertreibung der meisten darin lebenden Araber kommt. Jetzt sind wir mehrere Kriege weiter. Die israelische Presse meldet eine unangemessene Behandlung ägyptischer Gefangener aus dem Jom Kippur Krieg von 1973. Ich wage den Hinweis, dass gefangene Israelis zumeist gleich ermordet würden, was doch einen Unterschied ausmache. Diese Relativierung provoziert den Zorn der einstigen Ägypterin.

Diese nahezu selbstmörderische Eigenkritik sogar eingekeilt zwischen Nachbarn, von denen etliche ein höheres politisches Ziel als die Vernichtung des jüdischen Landes nicht kennen,  bleibt die eigentliche Verwegenheit Israels. Dass Selbstgerechte überall auf der Welt den Juden in Nahost daraus lächelnd einen Strick drehen - „sie geben es doch selber zu“ – kann sie davon nicht abbringen.

Während die arabischen Nachbarn über die drei im Juni 2014 ermordeten jüdischen Jungen jubilieren, ihre Medien höhnische Karikaturen veröffentlichen und nach mehr verlangen, gibt es auf jüdischer Seite für den aus Rache verbrannten arabischen Jungen Scham und Entsetzen. Selbst der Siedlerminister Bennett geißelt den Mord als allem Jüdischen widersprechende Tat. Der Premierminister Netanyahu verspricht der Familie die eiserne Verfolgung der Täter. Der Präsident Peres will zu einem Kondolenzbesuch, den die Eltern verwehren. Dass arabische Genossen die Mörder der jüdischen Jungen weiterhin verstecken, verzögert keine Sekunde die Jagd auf die israelischen Täter - Halbwüchsige, die schnell gefasst werden.

Dass die Medien der Welt zehnmal mehr auf das Verbrechen von jüdischen Täter fokussieren, hätte die längst verstorbene Freundin für ganz und gar angemessen gehalten. Den Judenhass in eurer Selbstgerechtigkeit verstehe ich allerdings auch, hätte sie hinzugefügt,  aber wenn unschuldiges Blut vergossen wird, schlägt nun einmal die Stunde des Du sollst nicht morden aus dem 5. Gebot. An seiner Befolgung, da ist sie sicher, hängt das Heil der Welt.

Wenn unsere Medien ihr Recht auf Israelkritik verteidigen, hätten sie die alte Dame auf ihrer Seite gehabt. Wie ungewollt schelmisch die Ermahnungen jedoch vor Ort meist ankommen, wusste sie natürlich auch. Denn so gut wie alles, was wir empört nach Jerusalem herüberrufen, ist dort bereits von gestern. Schließlich beziehen wir unser Wissen über israelische Missetaten von israelischen Reportern und israelischen Ermittlern. Die Einheimischen hören das alles zuerst. Wenn es dann ein paar Tage später noch einmal aus dem Ausland als „berechtigte Kritik“ hereinschallt, hält man das schon aus. Die ureigene Erstkritik noch einmal als vermeintlich eigenständige Zweitkritik serviert zu bekommen, kann schließlich nicht schaden. Allenfalls verwundert, warum die vielen Milliarden Kritikberechtigten so viel Energie und Geld für Wiederholungen längst bekannter Anklagen gegen Israelis durch andere Israelis aufwenden. Immerhin wären zahllose Länder, in denen Kritik das Leben kostet, über jede Minute Aufmerksamkeit für ihre Zustände zutiefst dankbar. Eine dorthin gerichtete Kritik wäre nicht allein berechtigt, sondern obendrein auch noch neu. Warum beim Fremdkritisieren so wenig Originalität zum Zuge kommt, verwundert deshalb in Israel schon. 

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Leserpost

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Markus Weber / 10.07.2014

Sehr geehrter Herr Professor, aus Ihrer Feder habe ich schon sehr Gehaltvolles gelesen, vor allem zur Korrelation aus Überschuss an jungen Männern in einer Gesellschaft und deren kriegerischer Rauflust. Gestatten Sie mir, dass ich Ihre Schilderung zur Neigung, sich zehnfach zu kasteien, kommentiere. 1) Das ist das Wesen eines gesellschaftlichen Ideals: Es wird formuliert und hochgehalten ohne Rücksicht auf eigene Nachteile. Es beweist sich erst darin. Ob es die zehnfache Strafe sein muss, bleibt fraglich. Was Sie schildern, untermauert einfach die starke humanistische Komponente und Tradition in der jüdischen Kultur. 2) Bitte korrigieren Sie mich, wenn folgendes fktives Interview mit Ihnen anders verlaufen würde: F: Herr Professor, wir bitten Sie, sich für eine Viertelstunde Ihres Lebens auf den Gedanken einzulassen, dass Leute wie Dov Zakheim, Benjamin Netanjahu usw. an den Anschlägen vom 11. September 2001 wesentlich mitgeplant und mitgewirkt haben. A: Das ist doch alles lächerlich und eindeutig antiamerikanisch, bzw. antisemisch motiviert; warum sollte ich? Aber gut, wenn’s nichts als ein Gedankenexperiment ist. F: Hätten die Mittäter dann für ihre Mitschuld auch eine Strafe verdient? Würden Sie sich für ihre zehnfache oder wenigstens einfache Strafe starkmachen? A: Einfache Strafe würde reichen, wird aber in der Realität null sein, weil es ja keine Schuld gibt. Wenn es sie dennoch geben sollte, klar: Strafe muss sein für Beteiligung an Hochverrat und dreitausendfachem Mord (der ja eigentlich ein etwa zwanzigtausendfacher Mord war). F: Schliessen Sie sich der Ansicht an, dass eine Aufklärung dieser Anschläge nach forensischen Massstäben hochgradig angezeigt und längst überfällig ist? A: Ja und nein; ohne Untersuchungsergebnisse kann man nicht gezielt handeln. Aber a) hat es diese Untersuchung bereits gegeben, gipfelnd in einem knapp 600 seitigen Bericht (der allerdigs kommentiert ist mit der Verwahrung der Autoren dagegen, Schuldige zu benennen), an ihr und ihm gibt’s nichts zu mäkeln, weil b) für einen Akt des Terrorismus oder noch mehr für einen kriegerischen Überfall die Massstäbe des Strafgesetzbuches und der Kriminalistik ausser Kraft gesetzt sind. Die wahren Täter sind doch längst bestraft - wenn auch noch nicht zu völkischer Gänze. F: Wir danken Ihnen für das Gespräch. Wir bleiben anderer Auffassung. Insbesondere erkennen wir hier in der Wortklauberei mit den künstlichen und ex ante zugewiesenen Kategorien von Gewaltverbrechen ein breitangelegtes Muster, eine unangenehme Wahrheit von allem Anfang an zu verdecken - um sich ihr eben auch selber nicht stellen zu müssen. Wahrscheinlich würde auch jener Ägypterin angesichts der Wahrheit der Mund offen stehen bleiben. Als Mann der Wissenschaft weichen Sie gezielt aus. Das verheisst nichts Gutes.

Dr.Karl Landscheidt / 10.07.2014

Bitte schaffen Sie doch endlich eine Möglichkeit, die Artikel weiterzuleiten, zu versenden etc. (Oder bin ich zu blöd?) Dr Karl Landscheidt

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