Fragte man Journalisten von den öffentlichen oder privaten Leitmedien, ob sie sich für aufgeklärt, tolerant und weltoffen halten und ob sie über common sense (was man früher Gemeinsinn oder sensus communis nannte) verfügen, würden sie dies sofort bejahen. Viele sehen in der Erfüllung genau dieser Eigenschaften sogar ihre Individuation, den Kern ihrer Identität. Wie sieht es damit wirklich aus?
Der mit Abstand wichtigste und tiefsinnigste Aufklärungsphilosoph, Immanuel Kant, hat vor 229 Jahren in einem seiner drei Hauptwerke, der Kritik der Urteilskraft, einen Test für Gemeinsinn entwickelt, der bis heute nichts von seiner Gültigkeit verloren hat. Er definiert Gemeinsinn anhand von drei Maximen:
1. Selbstdenken
2. An der Stelle jedes anderen denken
3. Jederzeit mit sich selbst einstimmig denken
Wer diese Maximen erfüllt, verfügt über common sense, ist aufgeklärt, tolerant und weltoffen. Was meint Kant genau? Gehen wir durch die drei Maximen und schauen einmal, wie die Journalisten im Kant-Test abschneiden.
Selbstdenken bedeutet nach Kant die Vermeidung einer passiven Vernunft, dem Gegenteil von Selbstdenken. Passive Vernunft führt zum Vorurteil. Das schlimmste Vorurteil nennt Kant den Aberglauben, der eintritt, wenn man sich Prozesse der Natur als nicht durch physikalische Gesetze gegeben vorstellt, also versucht, sich Naturereignisse anders als durch die Anwendung des naturwissenschaftlichen Verstandes zu erklären. Aufklärung ist für Kant in diesem Zusammenhang der Ausgang aus dem Aberglauben, an anderer Stelle spricht er bekanntlich vom „Ausgang aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit”. Um zu überprüfen, ob das Gros der Journalisten den ersten Teil des Kant-Tests bestehen, betrachten wir kurz, was sie in erdrückender Mehrheit zu den Themen Klimawandel und Kernenergie schreiben und sagen, denn beide drehen sich um den Bereich der Naturgesetze, für deren Verarbeitung Kant die erste Maxime definiert hat.
Zum Klima lesen und sehen wir von der ARD bis zur (N)ZZ, dass das Spurengas Kohlendioxid die mit Abstand wichtigste Ursache des Klimawandels sei und wir – so viele, aber nicht alle Texte – aufgrund des anthropogenen Klimawandels alsbald mit einer apokalyptischen Klimakatastrophe zu rechnen hätten. Die erste Aussage postuliert eine Kausalität im Naturgeschehen, die so monokausal mit Sicherheit nicht zutrifft, da zahlreiche andere Faktoren als CO2 den Klimawandel prominent bestimmen. Selbst wenn wir den gesamten vom Menschen verursachten CO2-Ausstoss abstellen könnten, würde das Klima nicht in einen immerwährenden Gleichgewichtszustand verfallen, denn sein Wandel ist eine geophysikalische und -historische Notwendigkeit. Es wird entweder kälter oder wärmer – gleich bleiben will es einfach nicht.
Des weiteren können wir die Bedeutung des CO2 dafür gar nicht kennen, weil unsere Modelle deterministisches Chaos und hyperkomplexe Systeme abzubilden versuchen, bei denen man mit Hilfe der Modelle eine hypothetische Kausalbeziehung per se nicht beweisen oder negieren kann. Daher entspricht eine Reduktion der Verursachung des Klimawandels auf das Spurengas logisch dem Glauben an nicht durch Gesetze gegebene Naturereignisse. Somit ist sie nach Kant Aberglaube. Das gleiche gilt für die Behauptung, die Klimakatastrophe sei schon so gut wie sicher – in Wirklichkeit zeugt diese These davon, dass ihre Vertreter die mathematischen Eigenschaften der Klimamodelle nicht verstanden haben und deren Ergebnisse vollkommen verstandeswidrig bewerten: ebenfalls Aberglaube nach Kant.
Zur Kernenergie lesen wir in zahlreichen Medien immer wieder, sie tauge nicht zur CO2-armen Energieproduktion, da der Müll viel zu lange strahle und nicht sicher gelagert werden könne. Dieses Argument wird von Politikern und anderen Meinungstransporteuern landauf, landab ständig wiederholt. Damit negieren die Kollegen technisch neuere, auf den Naturgesetzen beruhende Brutverfahren, mit denen langstrahlender Atommüll so verarbeitet werden kann, dass der resultierende hochradiokative Müll nur noch 300 Jahre lang strahlt. Auch hier werden Naturgesetze nicht beachtet. Kants Diagnose: Aberglaube. Weitere Unmündigkeit steckt beispielsweise in der modernen Gender-Ideologie, wonach die biologischen Geschlechter eine rein soziale Konvention sind. Oder auch in dem Aberglauben, die Energieversorgung hochverdichteter Industriegesellschaften allein mit Hilfe neotoxischer (sogenannter „erneuerbarer”, aber auf andere Weise toxischer) Formen der Energiegewinnung sicherstellen zu können.
Durch die generelle Missachtung naturwissenschaftlicher Gesetze fallen die meisten Journalisten leider durch Teil 1 des Kant-Tests.
Laut Kant bedeutet die zweite Maxime des Gemeinsinns („an der Stelle jedes anderen denken”), dass ein Mensch sich „über die subjektiven Privatbedingungen des Urteils (…) wegsetzen kann und aus einem allgemeinen Standpunkte über sein eigenes Urteil reflektiert.” Diese zweite Maxime definiert im Kern die politische Urteilskraft, die uns ein friedliches Zusammenleben mit anderen Menschen bei Vergemeinschaftungs- und Vergesellschaftungsvorgängen erlaubt. Testen wir auch sie mit Hilfe wichtiger Beispiele.
Viele Journalisten der Leitmedien leben in gut situierten Wohnvierteln und haben sichere und gut bezahlte, protegierte Arbeitsplätze, zu denen der Zugang schwierig ist. Sie haben schöne Wohnungen und kaufen in teureren Gegenden ein. Ihr Weg zur Arbeit kann in vielen Fällen gut ohne Auto bewältigt werden. Die Schulen, auf die ihre Kinder gehen, haben sehr geringe Quoten an Kindern aus problematischen Kultur- und Bildungsschichten.
Viele von ihnen fordern offene Grenzen und verstärkte Migration von Menschen aus Afrika und dem Nahen und Mittleren Osten. Sie preisen dies als humanistische Haltung und verurteilen Menschen, die sich dagegen aussprechen, als unmenschlich, ja als rechtsextremistisch – Vorwürfe zur politischen Gesinnung, die in Deutschland in ihrer Härte kaum steigerungsfähig sind.
Ähnlich setzen sie sich massiv für eine drastische Einschränkung des Individualverkehrs ein und verurteilen Menschen, die dem nicht zustimmen, als „Autofetischisten” oder „Modernisierungsverweigerer”. Doch haben die Kollegen die zweite Maxime Kants angewendet?
2017 verdienten 32 Prozent aller Arbeitnehmer unter 2.000 Euro brutto im Monat (laut Bundesagentur für Arbeit). Diese Menschen wohnen nicht in den Innenstädten, weil der Wohnraum dort zu teuer ist, sind oftmals auf das Auto angewiesen, um einzukaufen oder zur Arbeit zu fahren. Diejenigen, die gar zu den unteren 15 Prozent der Einkommensverteilung (weniger als 1.200 Euro brutto) gehören, sind sie bei der Wohnungssuche, am Arbeitsplatz, oder bei der Armenspeisung einer massiven Konkurrenz durch die neu zugewanderte Unterschicht aus arabischen und afrikanischen Regionen, die den größten Teil der Migranten ausmacht, ausgesetzt.
Sie werden oftmals auch zuerst Opfer der stark ansteigenden Gewaltkriminalität, die von dieser sehr heterogenen Gruppe ausgeht, wie beispielsweise in der englischen Provinz. Leben sie in Ballungsräumen, müssen ihre Kinder in Schulen gehen, bei denen in vielen Fällen mehr als die Hälfte der Kinder im Grundschulalter Migranten oder deren Kinder sind und kein Deutsch sprechen. Wie sollen die Kinder des Prekariats und der unteren Mittelschicht unter diesen Umständen jemals eine Chance erhalten, der sozialen Schicht ihrer Eltern zu entkommen?
Und wie sieht die Welt eigentlich aus Sicht eines Migranten aus, der sein Leben riskiert, um nach Deutschland zu kommen, hier dann aber nie eine ernsthafte Chance hat, wirtschaftlich Fuß zu fassen, weil der Arbeitsmarkt hohe Qualifikationen und erstklassige Deutsch- und Kulturkenntnisse verlangt, die er nicht bieten kann? Der dann als einzigen Ausweg den Weg in die Kriminalität gehen muss? Diese Menschen aus pseudo-moralischen Gründen nach Europa zu locken, ist fahrlässig, weil es Herkunfts- und Zielländern schadet.
Offensichtlich haben sich viele unserer wohlmeinenden Kollegen niemals in die Lebenswelt dieser Menschen versetzt, wie Kant es verlangt. Ihre politische Urteilskraft versagt vollständig, sie denken nur aus einem abstrakten, sterilen Gesinnungskanon heraus, der mit der Lebensrealität anderer Menschen, insbesondere der deutschen Unterschicht und dem unteren Kleinbürgertum oder eben der Migranten, keine Berührung hat. Sie wollen sich auch nicht vorstellen, was die Motive von Intellektuellen sein könnten, die aus guten Gründen anders denken als sie. Vielmehr diffamieren sie diese bestenfalls als „rechtsradikal" und verweilen vollständig in den subjektiven Privatbedingungen ihres eigenen Urteils. Auch durch Teil 2 des Kant-Tests fallen sie durch.
Die dritte Maxime beschreibt die „konsequente Denkungsart” – die Fähigkeit zum widerspruchsfreien Denken, nach Kant die Maxime der Vernunft. Wie ist es damit bestellt? Führen wir den dritten Teil des Tests anhand des Themas Währung durch. Viele Journalisten, auch der Wirtschaftsredaktionen, befürworten die Euro-Rettung, indem sie sie mit Vorstellungen von Solidarität und gar der Wahrung von Wohlstand und Frieden in der EU rechtfertigen.
Diese Worte klingen gut, positiv und irgendwie plausibel. Doch in Wirklichkeit werden für den Euro jedes Jahr hunderte von Milliarden von den europäischen Unter- und Mittelschichten zu den steinreichen Eigentümern exportorientierter Unternehmen und den Wirtschaftsakteuren transferiert, die in teure Realgüter investieren können. Gleichzeitig vernichtet der Euro die Ersparnisse von hunderten Millionen Kleinsparern auf Sparbüchern und in Lebens- oder Rentenversicherungen, erzeugt im Süden eine eisenharte strukturelle Massenarbeitslosigkeit und trägt mittelfristig wesentlich zur Zerstörung der Sozialsysteme durch explodierende Staatsschulden bei.
Sein notwendiger Zusammenbruch wird, wie üblich, die Armen treffen, je weniger man hat, desto härter. Der Euro bringt Dichotomie, Wirtschaftskrise, Leid, Armut und Völkerhass statt Solidarität, Wohlstand und Frieden. Zumindest jeder Wirtschaftsjournalist, der den Zusammenhang von internationalen Handelsbilanzungleichgewichten und Kapitalflüssen im VWL-Grundstudium verstanden hat, kann diese Zusammenhänge leicht einsehen – wenn er den dritten Teil des Kant-Tests bestehen will, indem er versucht, widerspruchsfrei zu denken. Auch in dieser Hinsicht fallen die meisten Kollegen leider durch.
Das Testergebnis zusammengefasst
Insgesamt besteht ein großer Teil der Journalisten der Leitmedien den Kant-Test nicht, noch nicht einmal in einem Teilbereich. Schaut man genau hin, erkennt man, dass die wenigen Beiträge in diesen Medien, die ihn ansatzweise bestehen, oft Gastbeiträge sind. Wer hingegen fest etwa bei ARD und ZDF, dem Spiegel, bei der Zeit, der SZ oder der FAZ – um nur einige Beispiele zu nennen – arbeitet, zeigt oftmals keinen oder sehr wenig sensus communis.
Das ist ein hartes Urteil. Denn es bedeutet, dass die Betroffenen eben am Kern der selbst behaupteten und wahrgenommenen aufgeklärten Individuation vorbei leben. Sie schreiben nach den Kriterien des großen Chef-Aufklärers Immanuel Kant eben gerade nicht aufgeklärt, tolerant und weltoffen. Sondern ihre Texte stecken voller Aberglauben, wenn es um Vorgänge in der Natur geht. Ihr öffentlich geäußertes Denken ist heteronom und unmündig. Sie verweigern es, als wesentliche Konstituenten der demokratischen Öffentlichkeit selbstständig zu denken und sind in dieser Funktion vollkommen unfähig, sich in die Lebenswelt anderer Menschen hineinzuversetzen. Ihr Denken ist voller Widersprüche und Inkonsistenzen. Dabei wäre es eigentlich ihre Aufgabe, Missstände aufzudecken, indem sie systematisch Gemeinsinn nutzen, damit das Gemeinwesen gedeihen kann. Stattdessen legitimieren sie Massenaberglauben, Unrecht und Gewaltmissbrauch und preisen sich dabei als die Anständigen, die Haltung zeigen.
Zur Verteidigung der Kollegen möchte ich anmerken, dass viele sicherlich über Gemeinsinn verfügen, sich aber nicht mehr trauen, den Kant-Test öffentlich zu bestehen. Denn dann würden sie auch in die „Klimaleugner”, „Nazis” oder „Autofetischisten” eingereiht. Viele mögen also insgeheim Gemeinsinn haben, aber es fehlt ihnen offenkundig die moralische Kraft, diesen auch zu zeigen.
Welche Hoffnung bleibt uns also? Zeiten wie die unsrige, in denen gebildete, intelligente Menschen kollektiv ohne massiven Gewaltdruck ihren Gemeinsinn aufgeben, sind historisch eher kurz, fast nie währen sie eine ganze Generation.