Bertha Stein, Gastautorin / 11.10.2019 / 06:00 / Foto: Pixabay / 48 / Seite ausdrucken

Journalismus: „Gala“-Berichterstattung für Intellektuelle

Der deutschen Medien Lieblingsthema sind wohl die Klima-Girls Greta, Luisa und Carola. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht nicht über Greta Thunberg, ihre deutsche Abklatschversion, Luisa Neubauer und – seit Kurzem – über die ans Festland gestrandete Ex-Kapitänin Carola Rackete, euphorisierend berichtet wird.

Ein Mädchen mit Asperger-Syndrom, eine Grünen-Aktivistin und eine Frau mit Dreadlocks. Sie bringen Deutschlands Redaktionen in emotionale Wallung und schwärmerische Idiolatrie. Was sagt diese Wahl der neuen medialen „Superhelden“ über die psychologische Struktur ihrer Bewunderer aus? So einiges. Und genau hier liegt das Problem.

Dass sich ein guter Journalist nicht mit einer Sache gemein macht, gilt seit Hanns Joachim Friedrichs Bonmot als Qualitätssignum. Dass es hierzu bestimmter Eigenschaften bedarf, wie etwa Analysefähigkeit, Urteilsfähigkeit und Kritikfähigkeit, muss auch nicht besonders betont werden. Sie sind essenziell, nicht nur für die Profession des Journalisten an sich, sondern des Intellektuellen par excellence.

Bekenntnis zum Anti-Intellektualismus

Und gerade diese Trias der intellektuellen Fähigkeiten ist es, die das Feuerwerk der Leidenschaften lenkt. Doch gerade diese Verve hält in der gewöhnlich-medialen Berichterstattung die Zügel. Und gerade hier zeigt sich die mediale Antinomie, die Unvereinbarkeit von Heldentum und Intellektualismus. Weil dem Bewunderer stets die Flamme des Juvenilen, der unreifen Glut anhaftet, ist er nicht imstande, zugleich vernunftgeleitet zu urteilen und eine eigene Position zu beziehen. Stattdessen heißt es: Carola hier, Carola dort. Nicht der Journalist leitet, sondern er lässt sich navigieren.

Was folgt aus all dem für einen großen Teil der deutschen Journalistenzunft? Spricht es für die Unfähigkeit oder die Inkompetenz, für die Karrierebesessenheit oder die Gemütlichkeit, für die Leidenschaft oder den Unwillen? Alles und nichts. Denn wie man es wendet und dreht, dringend folgt hieraus ein Bekenntnis, namentlich dasjenige zum Anti-Intellektualismus. Oder im hiesigen Journalistenjargon formuliert: die Entscheidung zur „Gala“-Berichterstattung für Intellektuelle.

Nicht die Ambition, zu den Besten gehören zu wollen, vielmehr die breite Masse zu erreichen, der Klatsch und der Tratsch, spornen sie an. Sie wollen nicht „bravouieren“, sondern Anerkennung und Sensation. Sie wollen nicht denken, sondern fühlen und brennen. Die deutsche Berichterstattung um das Klima-Dream-Team Greta, Luisa und Carola spricht hier Bände. Nicht um die Sache des Klimawandels geht es, sondern um einen Personenkult.

Die intellektuelle Schweigespirale

Bereits der streitbare österreichische Journalist und Pionier der Medienkritik Karl Kraus (1874-1936) behauptete, dass es die Mission der Presse sei, Geist zu verbreiten und die Aufnahmefähigkeit zu zerstören. Greta, Luisa und Carola zeigen, dass es sogar noch weiter gekommen ist. Letztendlich befindet sich nun die Aufnahmefähigkeit vieler Medienschaffender im Zerstörungsmodus. Wie das?

Analog zur Schweigespirale der Medienwissenschaftlerin und Gründerin des Instituts für Demoskopie in Allensbach Elisabeth Noelle-Neumann kann von einer intellektuellen Schweigespirale gesprochen werden. Statt kritisch zu reflektieren und zu berichten, verfällt der journalistische Wortakrobateur seinen niederen Instinkten. Weil es nicht zum Lifestyle vieler Edelfedern gehört, intellektuell zu sein, verstummen die wenigen, sich im Medienbetrieb tummelnden, intellektuellen Stimmen.

Das ist auch gut so. Für den gemeinen Journalisten und seine Leserschaft. Für ihre Unterhaltung. Doch für den Intellektuellen ist es ein Desaster. Statt seine Stimme wiederholt zu erheben, eine letzte Bastion der Vernunft zu erheben, muss er sich in sein stilles Kämmerlein verkriechen. Nicht gedruckt, nicht gelesen, nicht gehört, muss er notgedrungen seinen tratschenden Kollegen den Vorzug überlassen. Dass viele Verleger, Chefredakteure und Ressortleiter diese desaströse Lage tolerieren und unterstützen, sagt einiges.

So oder so. Es ist die Geburtsstunde eines anti-intellektualistischen Personenkults, der das Durchschnittliche, Normale, Uninteressante im Intellektuellen fördert. Vom Klatsch über Gretas Atlantiküberquerung bis hin zum Funkflur über Boris Johnsons nächtliche Auseinandersetzung mit seiner Lebensgefährtin. Wechselte man Greta mit Angela Merkel oder den britischen Premierminister mit Rezo aus, an der Berichterstattung würde sich nicht viel ändern. Und offen gesagt: Wer nun über Kim Kardashian oder Greta Thunberg gleichermaßen berichtet, unterscheidet sich nicht wirklich hinsichtlich seiner intellektuellen Schwere, oder?

Foto: Pixabay

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Andreas Rühl / 11.10.2019

Hinzu kommt, dass die Unterscheidung zwischen Nachricht und Kommentar endgültig abgeschafft wurde. Nur Meinungen wecken Emotionen und kreieren Klicks. Die fatale Folge ist, dass ein Sack in China nicht mehr einfach umfällt. Da muss pov rein. Kraus hat in der tat das Problem schon klar erkannt. Erdbeben in Wien ist so ein schoener Beitrag der Fackel, der das Phänomen gut beschreibt.

Werner Arning / 11.10.2019

Es geht ja nicht um niveaureiche Debatte, sondern um Beeinflussung. Ob der deutsche „Intellektuelle“ zu dieser überhaupt in der Lage wäre, steht auf einem anderen Fragebogen. Man packt den Kunden an seiner empfindlichen Stelle und die liegt eher am Hintern als im Hirn. Außerdem ist die intellektuelle Debatte der Deutschen Sache nie gewesen. Sie haben es eher mit Handfestem, im Gegensatz beispielsweise zum Franzos‘. Der liebt die Debatte. Da geht‘s von rechts nach links. Rauf und runter. Den Deutschen würde so etwas verwirren. Er müsste ja bei jedem ausgesprochenen Gedanken zunächst überlegen, ob man das denn überhaupt sagen darf. Oder ob er damit gegen die mittlerweile tausend ungeschriebenen Gesetze der Political Correctness verstößt. Aber soweit ich gehört habe, ist dieses in Frankreich mittlerweile nicht so viel anders. Immer auf der Hut sein. Bloß nicht in Verdacht geraten. Niemandem, oder besser ganz Bestimmten, nicht auf die Füße treten, ihnen auf keinen Fall zu nahe treten. Da gibt es eindeutige No Gos. Verminte Regionen. Fettnäpfchen so tief wie ein Eimer Farbe. Schade, der Diskurs verkommt. An die Stelle tritt Scheinheiligkeit. Verbiesterte Moral. Verlogene Schein-Religiosität. Hatten wir doch schon alles. „Das tut man nicht“ , „das sagt man nicht“, „das denkt man nicht“. Alles alte Kamellen. Nur das Motto hat sich leicht verändert. Und die Intellektuellen? Versagen auf kompletter Linie. Wieder einmal. Was viel über ihre Bedeutung aussagt.

Bernhard Maxara / 11.10.2019

Bei beiden heutigen Achgut-Morgenartikeln fallen mir die “Ketzer” des Mittelalters ein, denen man unter vielem anderen zur Last legte, auf die “Hostie”, also den “Leib des Herrn”, gespuckt zu haben, was ich bisher immer für abstruse, leere Anschuldigungen gehalten habe. Aber eigentlich scheint es mir immer vorstellbarer, daß den einen oder anderen nicht vom christlichen Köhlerglauben korrumpierten Geist mitunter eine namenlose, hilflose Wut über die epidemische Selbstentmündigung der menschlichen Vernunft durch das christliche Dogma überkam und ihn zu solchen hilflosen Gebärden hinriss.

Ilona G. Grimm / 11.10.2019

Weil das so ist, wie Sie es schildern, Frau Stein, habe ich soben meine dritte Patenschaft in diesem Jahr für die Achse des Guten einbezahlt und auch an Sciencefiles einen weiteren Obulus entrichtet. Irgendwo muss das Futter für’s Hirn ja herkommen.

Klaus-Dieter Zeidler / 11.10.2019

Unsere Medien ähneln immer mehr denen in der DDR. Damals gab es die SED, die Partei der fleißigen Werktätigen, aber auch befreundete sozialistische Bruderländer auf der einen Seite. Die anderen waren die bösen Imperialisten, Revanchisten und ewig Gestrigen aus der BRD und Westberlin, Drogensüchtige und Arbeitslose. Dazwischen gab es nichts. Wenn man das jeden Tag hört, glaubt man es irgendwann. Das Westfernsehen entschärfte diese Sicht etwas. Heute gibt es fast nur noch Gutmenschen in einer harmonischen, sozialen und bunten Republik, deren Namen Deutschland immer mehr zur Last wird. Ein vereintes Europa ohne Grenzen ist angesagt. Dieses Glück wollen nun die Nazis von der AfD zerstören. Das läuft in allen TV-Kanälen und ist ebenso in den Zeitungen nachzulesen. Zum Glück gibt es Alternativen im Internet. Dort kann sich jeder seine eigene Traumrepublik basteln. Deshalb haben wir doch so viele Parteien, oder?

Rolf Mainz / 11.10.2019

Es mangelt - pardon - schlichtweg grundsätzlich an der Qualität der aktuellen Journalistenschar. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, ist es leider faktisch so, dass sich inzwischen offenbar insbesondere jene zum Journalistenberuf hingezogen fühlen, denen es an sonstigen Fähigkeiten mangelt. Und das rächt sich selbstverständlich, weniger an den dadurch vermeintlich “journalistisch” Tätigen, sondern vielmehr an den Empfängern deren Botschaften. Insbesondere die intellektuelle Basis zur Differenzierung zwischen Fakten und Meinung, zwischen Objektivität und Ideologie muss oft vermisst werden. An deren Stellen treten “Haltung” (sprich: Konformität) und geradezu missionarischer Eifer, eigene Ansichten zu verbreiten, notfalls auch im Wege des Verschweigens tatsächlicher Zusammenhänge und der Beschönigung unliebsamer Wahrheiten - der Zweck soll halt die Mittel heiligen. Dazu tritt, dass offenbar auf fachliche Expertise immer weniger Wert gelegt wird. Klassischer Fall ist inzwischen der freie Journalist (gerne auch weiblich), der soeben noch zum jüngsten Klatsch um Kleiderordnungen anlässlich von Preisverleihungen beitrug, bevor er sich (mit mehr oder weniger bescheidenem Erfolg) in der Berichterstattung ökonomischer Themen versucht, um den Arbeitstag dann mit dem üblichen Bashing (gegen Trump, Putin, Johnson, Orban, etc. etc.) zu beschliessen.

Horst Jungsbluth / 11.10.2019

Der deutsche Journalismus missbraucht die Pressefreiheit in geradezu perverser Weise, versteht sich wie in einer Diktatur als “Volkserzieher”, moralisiert, “erfindet”, bauscht auf, wiegelt ab und verschweigt schier unglaubliche Vorkommnisse, anstatt sich demütig daran zu erinnern, dass man in den beiden Diktaturen stramm und fest auf der Seite des Unrecht stand und jeweils danach alles tat, um die Täter zu schützen. Stattdessen werden die Opfer diffamiert und heute sollen mit den Verbrechen der Nationalsozialisten jene der Kommunisten verdeckt werden. Ein mehr als trauriges Kapitel in unserer jüngeren Geschichte ist die Tatsache, dass sich ein Heer von gut bezahlten Journalisten als Einflussagenten von Geheimdiensten diktatorischer Staaten einspannen ließ, um den demokratischen Rechtsstaat den Garaus zu bereiten. Wenn man daran denkt, dass die SED Westberlin einnehmen wollte, um sich das dortige Vermögen anzueignen und mit den Bürgern als Geiseln Kasse zu machen, weil die DDR restlos pleite und viele Journalisten forderten ernsthaft, dass die Bundesrepublik diese widerwärtige und ineffiziente SED-Diktatur mit Geldspritzen am Leben erhält, dann fragt man sich schon, wo man eigentlich lebt.

Wolfgang Kaufmann / 11.10.2019

Im Falle der Medien bilden das Problem die Kartelle, die dort Redaktionsnetzwerke heißen. Das ist wie der heutige Milchskandal: Alle Billigmarken kommen vom gleichen Hersteller, und wenn eine Milch verseucht ist, ist sie es gleich bei allen Discountern. – Aber solange Geiz geil ist, wird es so bleiben. Der Kunde wünscht das so.

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