Susanne Baumstark / 02.08.2018 / 17:00 / Foto: Infrogmation / 4 / Seite ausdrucken

John Locke: “Prahlen mit Lauten”

Nicht zuletzt angesichts des Missbrauchs von Begriffen, zum Beispiel der Instrumentalisierung von „Rassismus“ als politisches Sturmgewehr, vermittelt John Lockes „Versuch über den menschlichen Verstand“ eine erfrischende Klarheit. Der einflussreiche Philosoph und liberale Vordenker der Aufklärung (1632 - 1704) hat sich im Dritten Buch seines Essays mit der Sprache auseinandergesetzt. Diese ist nämlich „das große Band, was die menschliche Gesellschaft zusammenhält“. Und deshalb verdient „die Aufsuchung der Mittel gegen diese Mängel das ernsteste Nachdenken“.

Die meisten Zweifel und Streitfälle entstehen aus dem „zweideutigen und schwankenden Gebrauch der Worte oder (was dasselbe ist) aus unbestimmten Vorstellungen“, wofür sie gebraucht werden, erklärt der Autor diesen Umstand sowohl als Grundlage fragwürdiger Erziehung seitens Autoritätspersonen als auch des absichtlichen Missbrauchs – gefördert durch stetiges Wiederholen von Begriffen: 

„Man würde nur schwer jemand überzeugen können, dass die Worte, welche sein Vater oder Schulmeister oder der Pfarrer des Ortes oder sonst ein ehrwürdiger Herr gebraucht haben, nichts in der Natur wirklich Bestehendes bezeichnen; deshalb lassen die Menschen so schwer von ihren Irrthümern … Sie haben die Worte zu lange gebraucht, sie haften fest in ihrer Seele, und deshalb kann es nicht auffallen, wenn die damit verbundenen falschen Begriffe so schwer zu beseitigen sind.“

Zur Folge der Akademisierung der Neigung zum Täuschen meint Locke: Diese

„ist sehr gewachsen, seitdem die Beredsamkeit, dieses mächtige Werkzeug des Irrthums und Betrugs, seine festen Professoren erhalten hat, öffentlich gelehrt wird und überall in großem Ansehen steht. Man wird mich sicherlich für dreist, wo nicht unvernünftig halten, dass ich mich so dagegen geäußert habe; denn die Beredsamkeit hat, gleich dem schönen Geschlecht, eine so verführerische Schönheit an sich, dass sie keinen Widerspruch verträgt, und es ist vergeblich, dass man in diesen Künsten die Täuschung, die Fehler aufdeckt, da Jedermann gern sich selber täuschen lässt.“

Der Missbrauch der Worte ist aber zugleich die Hauptursache des Irrtums:

„Denn wenn man die Irrthümer und Dunkelheiten, die Missverständnisse und Verwirrungen erwägt, die durch Missbrauch der Worte in der Welt ausgestreut werden, so kann man billig zweifeln, ob nicht die Sprache nach ihrer bisherigen Benutzung mehr zur Hemmung als zur Steigerung der Wissenschaften beigetragen habe. Wie Viele, die auf die Dinge selbst ihr Denken richten wollen, bleiben an den Worten hängen, namentlich wenn sie auf Fragen der Moral kommen. Wie kann man sich da wundern, wenn solche Betrachtungen und Ausführungen, die kaum über die Laute hinausgehen, und bei denen die erforderlichen Vorstellungen nur verworren und schwankend oder gar nicht vorhanden sind, in Dunkelheiten und Missverständnissen enden, ohne das Urtheil und die Erkenntniss zu klären.“

„Wenn man das Lästige des steten Erklärens vermeiden will und Definitionen der Worte nicht zu haben sind“, soll man doch wenigstens verlangen, „dass bei allen Reden, womit man Andere belehren oder überführen will, jedes Wort immer in demselben Sinne gebraucht werde. Hätte man dies gethan ..., so hätte man viele Bücher ersparen können; viele Streitfragen würden verschwinden; dicke Bände voll zweideutiger Worte, die bald in diesem, bald in jenem Sinne gebraucht werden, würden zu kleinen Büchern zusammenschrumpfen“, und viele Werke „würde man in eine Nussschale stecken können“.

Eines der Mittel gegen die Missbräuche der Sprache besteht darin, zu erwägen, „wie viel er den Streitenden und Andern nützt, und ob es sich nicht bloß um ein Prahlen mit Lauten handelt, nämlich bei Denen, die ihr Leben in solchem Streit und Disputieren hinbringen“. 

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Susanne Baumstarks Luftwurzel

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Werner Arning / 02.08.2018

Schön ist es, wenn Sprache im Sinne der Wahrheitsfindung eingesetzt wird und nicht um ihrer selbst willen. Sprache kann zur Manipulation missbraucht werden, zur Machtausübung. Es ist schön, wenn Sprache zur Beschreibung des Wahren dient, oder zumindest das Bestreben danach vorhanden ist. Sprache ist vergleichbar mit der Hindugöttin Kali. Sie kann den Tod bringen, aber auch Leben schenken, zerstören, aber auch erneuern.

Hans-Peter Dollhopf / 02.08.2018

Mit dem Beginn der Neuzeit startete die erste westliche Globalisierungswelle mit einem Fieber, der eigenen Nation möglichst viele nutzbringende Länder auf der ganzen Welt zu erobern und zu kolonialisieren, also sichern, bevor eine der anderen christlichen europäischen Seemächte es tat. Und als Bartolome de Las Casas die Ausnutzung der körperlichen Eigenschaften afrikanischer Sklaven zu denen von Indios effiziender einschätzte, war der ursprüngliche Rassismus zusammen mit der Völkerkunde geboren. Beide dulden keine Vorurteile, der Ur-Rassismus darüber hinaus aber nur das tatsächlich Verwertbare. Nicht Verwertbares stört oder schadet der eigenen Sache. Rassismus im Original will und muss wissen, was mit dem neu entdeckten Volk machbar ist, was es den eigenen Kaufleuten einbringt. Das Vorurteil ist dann eine sekundäre Erscheinung, eine moralische Absicherung des Gewissens gegen die mit der skruppellosen Nutzung verbundenen Geschehnisse. Die werkzeugartige Verwendung des sekundären Rassismus-Vorwurfs in unseren Tagen hat seinen Sinn nur noch in dem beachtlichen Bedeutungserfolg, den die ansonsten “semantisch” entkernte und ins politische Tagsgeschäft vollkommen integrierte Linke, besonders auch als Grüne, einfährt. Diese von ihrem ursprünglichen Auftrag durch die gesellschaftliche Entwicklung seit Früh-Kapitalismus und Kolonialismus befreite politische Richtung wird darum eher unsere Kultur, Zivilisation und Gesellschaft verrecken lassen, als davon abzusehen, mit der letzten erfolgreichen “Keule”, die ihr noch Bedeutung gibt, drein zu schlagen .

Karla Kuhn / 02.08.2018

“Eines der Mittel gegen die Missbräuche der Sprache besteht darin, zu erwägen, „wie viel er den Streitenden und Andern nützt, und ob es sich nicht bloß um ein Prahlen mit Lauten handelt, nämlich bei Denen, die ihr Leben in solchem Streit und Disputieren hinbringen“.  Kurz, präzise und SUPER !!

Dr. Wolfgang Monninger / 02.08.2018

Schon den “Alten” war bekannt, dass die Redekunst eine Teufelsgabe ist, die man nur mit Disziplin, trennscharfem Denken und Aufrichtigkeit unter Kontrolle halten kann. Je mehr einer davon hat - und das gilt typischerweise für die “Intellektuellen” - desto wahrscheinlich fällt er dieser Gabe zum Opfer.

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Susanne Baumstark / 11.07.2020 / 16:00 / 6

Die Maskerade der Tagesschau

Zur Rede der Bundeskanzlerin im EU-Parlament am 8. Juli anlässlich des Beginns der deutschen EU-Ratspräsidentschaft hat die Tagesschau wieder einen derart schmierigen Hofbericht abgeliefert, dass die hinterlassene Schleimspur sogar…/ mehr

Susanne Baumstark / 29.06.2020 / 06:00 / 82

„Helfer sind tabu”? Die gemanagte Missachtung

Das war schon ein ungewohnt gepfefferter Kommentar von Thomas Berbner in den Tagesthemen am 22. Juni: „Schon vor Stuttgart haben mir Beamte immer wieder berichtet, bei jungen Einwanderern verbreitet…/ mehr

Susanne Baumstark / 25.06.2020 / 10:00 / 14

Yanis Varoufakis und die „Progressive Internationale“

Weitgehend unbemerkt hat sich die post-kapitalistische „Progressive Internationale“ (P.I.) gegründet. „Wir organisieren, mobilisieren und vereinen progressive Kräfte aus der ganzen Welt“, tönt es dort. Themen…/ mehr

Susanne Baumstark / 15.06.2020 / 14:45 / 10

Die Krise als Studium

In akademischen Netzwerken wird der englischsprachige Master-Studiengang „International Organisations and Crisis Management“ beworben. Er startet im Wintersemester 2020/21 in Jena „Das passende Studium zur Corona-Krise“, meint…/ mehr

Susanne Baumstark / 30.05.2020 / 12:00 / 14

Corona-Arbeitsplatzvernichtung: Von Not und Zynismus

Aus psychologischer Sicht nehmen die Folgen des Lockdowns inzwischen dramatische Ausmaße an. Wie aus einer Anhörung des Tourismusauschusses im Bundestag am Mittwoch hervorgeht, habe man „bereits Suizide…/ mehr

Susanne Baumstark / 23.05.2020 / 10:30 / 14

Mein Briefwechsel mit der Antidiskriminierungsstelle

Meine E-Mail an die Anti-Diskriminierungsstelle: Sehr geehrter Herr Franke,  ich bin seit längerem einigermaßen entsetzt über die regelrechte Stigmatisierungswut, die insbesondere von den etablierten Medien…/ mehr

Susanne Baumstark / 18.05.2020 / 11:30 / 9

Fortschreitend obskur: Die Finanzierung der Parteienstiftungen

Endlich mal eine gute Idee: Der Kandidat für den CDU-Vorsitz, Friedrich Merz, will wegen der Corona-Krise die Ausgaben des Staates überdenken. "Wir sollten nach der…/ mehr

Susanne Baumstark / 06.05.2020 / 11:00 / 12

Corona-App höchst problematisch

Das „Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung“ hat eine Datenschutz-Folgenabschätzung (DSFA) für die geplante Corona-App veröffentlicht. „Wir haben es angesichts der geplanten Corona-Tracing-Systeme mit…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com