John Denver: 50 Jahre „Poems, Prayers And Promises“

Von Hans Scheuerlein.

„Henry John Deutschendorf“ genannt John Denver – so prangt es auf dem Front Cover einer Doppel-LP, die ich seit gefühlten Äonen mein Eigen nenne. Als er am Silvestertag des Jahres 1943 in Roswell, New Mexico das Licht der Welt erblickte, hatte sein deutschstämmiger Vater ihn kurzum nach sich selbst benannt. Später ließ er den Henry weg, übernahm den Namen der Hauptstadt des US-Bundesstaates Colorado und wurde John Denver. Wenn ich früher meinen Freunden von meiner Begeisterung für den Folk- und Countrysänger erzählen wollte, kam immer gleich: „Ach, du meinst den Heino aus Amerika.“ Das war stets für einen Schenkelklopfer gut. Har har har! Auch wenn ich nie verstanden habe, wie man von John Denver auf Heino kommt. Wegen der Brille oder was? Okay, er hatte hie und da auch mal etwas gejodelt. Das tun amerikanische Countrysänger übrigens ganz gerne mal. Es gab da sogar einmal einen, für den das Jodeln regelrecht zum Markenzeichen geworden war. Er hieß Jimmie Rodgers und trug den Beinamen „The Blue Yodeler“.

Denver stand da also in einer gewissen Tradition. Aber ansonsten stellten sich bei mir eher Assoziationen zu James Taylor oder den späten Beatles ein. Tatsächlich sang Denver sogar einige Nummern der Fab-Four, wie zum Beispiel „Eleanor Rigby“, „Mother Nature's Son“, „When I'm Sixty-Four“ oder „Let It Be“, das auch auf seinem im April 1971 erschienenen Album „Poems, Prayers And Promises“ enthalten ist. Außerdem coverte er darauf auch James Taylors „Fire and Rain“ und den Song „Junk“ von Paul McCartneys erstem Solo-Album, das erst im Vorjahr, nachdem sich die Beatles getrennt hatten, herausgekommen war. Überhaupt klang Denvers Stimme für mich immer so, als wenn John Lennon und Paul McCartney geheiratet und ein Kind gekriegt hätten. In ihr vereint sich, für mein Dafürhalten, Lennons Timbre mit McCartneys gesanglichen Fähigkeiten. Und bei McCartney war es auch, wo ich den Namen John Denver das erste Mal hörte. Nämlich auf der Dreifach-Live-LP „Wings Over America“, wo bei der Coverversion von Simon & Garfunkels „Richard Cory“ an einer Stelle „Oh, I wish that I could be – John Denver“ gesungen wird.

„Heino aus Amerika“ – das gehört wohl auch zu diesen Dingen, die von vielen einfach nur papageienhaft und völlig unreflektiert nachgeplappert werden. Wie so vieles, was mit Amerika zu tun hat. Aber, weiß Gott, nicht nur mit Amerika! Damit fange ich jetzt besser nicht an, sonst finde ich kein Ende mehr. Lieber wieder zurück zu John Denver und seinem bereits vierten Studioalbum, welches heuer sein fünfzigjähriges Jubiläum feiert. Das erste Stück, das gleichzeitig auch der Titelsong ist, beginnt mit einer gezupften Gitarre, wo jeder, der etwas vom Gitarrespielen versteht, sofort hört, was da für ein feiner Fingerpicker am Werk ist. „Poems, Prayers And Promises“ ist ein nachdenklicher Song über Freundschaft, Verbundenheit und gute Gespräche. Im Refrain heißt es: „Lie there by the fire and watch the evening tire while all my friends and my old lady sit and pass the pipe around.“ Äh, wie bitte? Am Lagerfeuer rumflacken und die Pfeife herumgehen lassen? O-kay! Es gibt da noch so eine Stelle in seinem Song „Rocky Mountain High“ vom gleichnamigen Album aus dem darauffolgenden Jahr, wo er singt: „I've seen it rainin' fire in the sky. Friends around the campfire and everybody's high.“ Aha, krasse Optik schieben, schon wieder am Lagerfeuer rumflacken und alle sind high? Also, nach „Caramba, Caracho, ein Whisky“ klingt das nicht!

Der nette Hippie mit Nickelbrille und Holzfällerhemd

War Denver am Ende doch cooler, als alle dachten? Kann gut sein. Aber der große Outlaw war er sicherlich auch nicht. Vielmehr verkörperte er perfekt den neuen Typus des amerikanischen „Everybody's Darling“-Showstars in den politisch beruhigten 70er Jahren. Den netten Hippie mit Nickelbrille und Holzfällerhemd, der seiner Freundin Gedichte schreibt und die schöne Natur besingt. Ja klar, das klingt alles ein bisschen nach Teestube und Räucherstäbchen, muss aber deswegen ja noch lange nicht schlecht sein. Im Gegenteil. Mit seiner vierten Scheibe ist Denver ein überwiegend ruhiges und angenehm spärlich instrumentiertes, aber dennoch abwechslungsreiches Folk-Album gelungen, das neben einigen Highlights auch seinen bekanntesten Song „Take Me Home, Country Roads“ zu bieten hat. Der ist für viele längst zu so etwas wie der inoffiziellen Nationalhymne der Vereinigten Staaten geworden. Besonders schlaue PR-Fuzzis in seiner Plattenfirma hatten sich für ihn wahrscheinlich schon den Titel „King of Country“ ausgedacht, was aber nicht zu dem natürlichen Image des bescheidenen Farmboy von der Ranch nebenan passte.

Stattdessen wurde ihm das Siegel „Voice of America“ aufgedrückt, welches wenigstens auf seine außergewöhnliche Stimme, diesen hellen, glockenklaren Tenor, Bezug nahm. Veritable Kostproben hiervon erhält man etwa bei dem einzigen schnellen Stück des Albums „Wooden Indian“ oder bei „Sunshine On My Shoulders“, das bei seiner Wiederveröffentlichung im Jahr 1974 Denvers erster Nummer-1-Hit werden sollte („Take Me Home, Country Roads“ schaffte es „nur“ auf Nummer 2. John Denver, dessen erster großer Erfolg es gewesen war, dass Peter, Paul und Mary mit dem von ihm geschriebenen „Leaving On A Jet Plane“ auf dem ersten Platz der Billboard Hot 100 landeten, wurde als „Voice of America“ zum Aushängeschild der amerikanischen Musik schlechthin hochstilisiert. In gewisser Hinsicht hat er sogar den alten Elvis beerbt. Zum einen repräsentierte er den veränderten Zeitgeist mit seinem Countryboy-Image viel treffender als der zum mopsigen Show-Freak mutierte Ex-“King of Rock'n'Roll“. Zum anderen übernahm Denver nach Elvis' Tod praktisch dessen gesamte TCB-Band.

Aber seine Popularität und das ruhmreiche Leben bekamen ihm auf Dauer nicht gut. Er begann zu trinken, und die Ehe mit seiner geliebten Annie, die er 1974 in dem wundervollen „Annie's Song“ verewigt hatte, ging in die Brüche. Was ihm blieb, war seine Leidenschaft für die Fliegerei. Wiederholte Autounfälle unter Alkoholeinfluss kosteten ihn jedoch sowohl die Fahrerlaubnis als auch die Fluglizenz. Das hielt ihn aber nicht davon ab, sich trotzdem ins Cockpit seiner neu erstandenen Rutan Long-EZ zu setzen. Ironie des Schicksals: Von einem Ausflug am 12. Oktober 1997 sollte er nicht mehr lebend zurückkehren. „Leaving On A Jet Plane“... Henry John Deutschendorf, genannt John Denver, wurde 53 Jahre alt.

P.S.: „Take Me Home, Country Roads“ wurde im Jahr 2014 zur offiziellen Hymne des US-Bundesstaates West-Virginia ernannt.

YouTube-Link zum Titelsong „Poems, Prayers and Promises“ in einer hinreißenden Live-Aufnahme mit Orchester unter der Leitung von Lee Holdridge von 1974:

YouTube-Link zum tollen Folk-Spiritual „Gospel Changes“:

Und weil's immer wieder so schön ist ... YouTube-Link zu Denvers unsterblichem „Take Me Home, Contry Roads“ bei einem TV-Auftritt aus dem Jahr 1971:

Foto: White House Photographic Officevia Wikimedia Commons

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Manni Meier / 10.04.2021

p.s. Hatte noch ein Wort zu John Denver vergessen. Als ich beschloss, meinen Wohnsitz aus dem multikulturellen Ruhrgebiet ins nicht ganz so multikulturelle Schleswig-Holstein zu verlegte, musste ich gezwungermaßen mehrfach die 600 Km Strecke per Automobil (pfui pfui, ich weiß) zurücklegen. Dabei auch immer eine Denver CD. Und auf dem Weg gen Norden grölte ich lauthals immer sein “Country Roads” mit.

Günter Fuchs / 10.04.2021

Von dem John Denver Song „Take Me Home, Country Roads“ ist für mich immer noch die Cover-Version von “Ray Charles” das “non plus ultra”! Da geht richtig die Post ab! Im Gegensatz zu Herrn @Wolf Hagen finde ich die Musik-Rezensionen von Herrn Scheuerlein sehr lesenswert (bitte keine Rezensionen über Böhse Onkelz oder Nirvana, konnten die auch Musik machen? In punkto Pop-Musik waren die 1990-ziger Jahre nichts im Vergleich zu den 1960-ziger Jahren! Interessant wären Rezensionen über den US-amerikanischen Rhythm & Blues mit all seinen Ursprungs- und Subgenres wie Gospel, Soul oder Doo-Wop!

Sabine Schönfelder / 10.04.2021

Vielen Dank an den Autor für einen „Blick“ über den politischen Tellerrand. Perhaps love, sunshine on my shoulders, Annieˋs Song, spätestens hier wird es überwältigend schön…..“Überhaupt klang Denvers Stimme für mich immer so, als wenn John Lennon und Paul McCartney geheiratet und ein Kind gekriegt hätten.“ Alter Freund, das ist ein absurder Vergleich, der nicht nur hinkt, dem fehlen glatt zwei Beine! Lennons und Pauls Stimmchen können Johns glasklarem Tremolo nicht das Wasser reichen. Ihre Erinnerung an Denver verdeutlicht uns, daß Glück auch bei bekannten Menschen, Promis, eine Momentaufnahme ist. Wenigen ist es dauerhaft vergönnt. Vielleicht nur Lebenskünstlern. Wolf@Hagen Ihr Beitrag ist auch so ˋne Art „Musik-Rezession“. Ein echt abtörnender Beitrag. Was wollen SIE dem potenziellen Leser eigentlich berichten? Einerseits wissen Sie nicht, was Ihnen Gedanken über Musiker sagen sollen, anderseits stellen Sie folgende Frage:“...... warum schreiben die Achse Autoren nie über Musiker und Bands…...Heute ein bißchen indifferent….übrigens, es gibt eben nur EINEN Bechlenberg und nur einen Herrn Scheuerlein. Jeder rezensiert so gut er kann.

Manni Meier / 10.04.2021

@Wolf Hagen Na gut, dann breche ich jetzt mal die Lanze für Heino, den - iiihhh - blonden deutschen Barden. Jede Musik hat schließlich ihre Berechtigung. Wie oft haben wir, Mikesch, der Lange Lehnert, Skippy und ich, damals, hackevoll, auf dem Rückweg aus der Dorfkneipe zu unserem Zeltplatz, die schlafenden Bewohner Ostfriesischer Küstenorte mit seinem „Caramba, Caracho, ein Whisky“-Song erfreut. Auch wenn’s nicht pc ist, wir denken da ganz gerne dran zurück, wir sind nämlich musikpolitisch nicht ganz so elitär wie Sie oder der Herr Bechlen berg.

RMPetersen / 10.04.2021

Mittlerweile finde ich Heino nicht mehr so schlecht, wie ich es mit 20 sah. Ein Mensch, der Volksmusik mag und macht, erweckt bei mir Sympthie. Dabei ist es zuächst einmal egal, ob das Hannes Wader oder Zupfgeigenhansel ist. Oder eben Heino. (Ich meine nicht Heinos Schlager, sondern wirkliche Volksmusik.)

Paul Siemons / 10.04.2021

Gerade heute habe ich irgendwo gelesen (die Quelle aber schon wieder vergessen), dass die weißen Countrymusiker eigentlich nichts anderes als Diebe waren, die haben nämlich den Schwarzen ihre Musik geklaut. Denver sah doch schon so aus wie ein typischer weißer Notendieb. Vermutlich hat er den Schwarzen sogar das Saufen abgeguckt.

Claudius Pappe / 10.04.2021

Hätte mir einen Artikel über die Machenschaften des Gesundheitsministers gewünscht, der Prinz und der Denver gehen mir auf den Keks…..................

A. Werner / 10.04.2021

schön, dass mit diesem Artikel an John Denver erinnert wird. Er hat wunderschöne Stücke gschrieben und diese Hommage auf jeden Fall vrdient.

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