„Jogification“ – die neue Sekundärtugend

Von Bertha Stein.

Der Klassenstreber hatte es schwer bei uns. Denn welcher bei normalen Verstand seiende junge Mensch wollte gute Noten schreiben, um dem Lehrer, dem Klassenfeind Nummer 1, zu gefallen? Schließlich war er es, der uns von den wichtigen Dingen im Leben fernhielt und uns versuchte, mit dem geistigen Rohrstock einzutrichtern, wie toll es sei, strategiebesessen und unterhaltungsaversiv durch die Gegend zu laufen, also ein Abbild seines spießbürgerlichen Selbst zu werden.

Was an einer konturlosen Gestalt wie ihm so attraktiv sein soll, ist mir noch heute ein Rätsel. Aber irgendwie gab es immer irgendwelche nach Anerkennung trachtenden, überambitionierten Kameradenschweine, die, sobald der Lehrer ihnen ein Leckerli in Form seiner Zustimmung zuwarf, Männchen machten, und die, sobald ein Klassenkamerad einen Fehltritt zeigte, mit dem Knochen im Maul dem Lehrer schwanzwedelnd Bericht erstatteten.

Aber immerhin hatten diese Lehrerwedler den Mumm, sich zu outen und sich somit zu einer Splittergruppe der Outlaws zu positionieren. Wesentlich schlimmer waren da die kameradschaftlichen Maulwürfe, also die, die so dachten wie die Streber, sich aber nicht trauten, so zu sein, weil die Angst, abseits der Gruppe zu stehen und somit eins auf den Deckel zu bekommen, größer war als ihr Drang, der fleischlichen Aktentasche zu gefallen.

Marionetten-Jogi

Vor diesem Hintergrund wird klar, warum so viele Jogi Löw zum Helden der Nation hochstilisieren. Er ist es, der die zwei Seiten – die der Unterwürfigkeit und der politisch korrekten Aufmüpfigkeit – in seiner Person vereint: das zu machen, was sich der Deutsche nicht traut zu machen, aber er gerne machen würde, was er aber ungern macht, da er sich nicht traut.

Sie bewundern ihn für etwas, was nicht bewundernswert ist, nämlich für das Zusammenbasteln einer lenkbaren, konturlosen Marionettentruppe, wo „högschde“ Disziplin als oberste Tugend sowie weitere langweilige preußische Tugenden, wie taktisches und strategisches Denken, gepredigt werden. Marionetten-Jogi wird hierbei von einem kopfballstarken Stürmer – ein weniger getroffener Kopf hätte sich längst vom Feld gemacht –, nämlich Oliver Bierhoff, unterstützt.

Dieses Marionetten-Gespann transformierte das Fußballteam mit seiner Kuschelpädagogik, bestehend aus Familienabenden und Fahrradausflügen, in ein weichgespültes Eventteam – betreutes Spielen, raffiniert verpackt als spaßige Rundumbetreuung. Deswegen haben die jungen Wilden genau zwei Möglichkeiten. Entweder lassen sie sich vom schwäbischen Dompteur Löw zum dribbelnden Dressurbären zähmen oder sie werfen das Handtuchle.

Der DFB hat es mit Nivea-Jogi nun tatsächlich geschafft, den Fußball, des Deutschen liebsten Volkssport, zu „jogifizieren“ und als strategiereinen Fußballschach zu vermarkten. Einen aseptischen Raum, frei von Überraschung und Spontaneität, auf dem sich 22 unterwürfige, aber dafür modisch und frisch frisierte Schachfiguren gegenseitig den Ball passen und elegant-kultiviert für den nötigen Überraschungseffekt bei den Fußballfans sorgen.

Brauseköpfige Gestalten mit Ecken und Kanten

Fußball ist aber alles andere als kultivierte Galanterie. Es rührt an unseren tiefsten Instinkten, es ist ein Exzess purer Emotion. Ein wirres Hin-und-Her über dem Spielfeld mit Mann-zu-Mann-Körperkontakt. Eine geballte Ladung von Testosteron. Etwas, dass uns unerwartet und plötzlich wie aus dem Nichts ergreift.

So wie die Helden meiner Kindheit, die alles andere als diese glattgeaalten, strategisch denkenden Konzeptionisten waren. Brauseköpfige Gestalten mit Ecken und Kanten. Geächtete mit ihren phasisch auftretenden Exzessen mussten es sein: Captain James T. Kirk, Sherlock Holmes oder Howling Mad vom A-Team. Sie waren es würdig, bewundert zu werden. Geächtete und Unangepasste, Geliebte und Gehasste. Solche, denen es um die Sache selbst ging und nicht darum, unter allen Umständen der Beste zu sein und einen bunten Sticker vom Lehrer unter den Aufsatz geklebt zu bekommen. Weg mit diesem Mal der Schande!

„Jogification“ zeigt uns aber, dass in jedem Deutschen ein kleiner strategischer Denker steckt, dem es nur darum geht, den Ball möglichst effizient ins Tor zu bekommen. Der erfüllende Weg mit seinen ganzen Höhen und Tiefen wird hierbei vergessen, genauso wie die Tatsache, dass Streber niemand mochte. Trotzdem wird der langweilige, strategiefixierte Held salonfähig. Jogi Löw fungiert hierbei als Projektionsfläche der Deutschen, als Raffinement der deutschen Spießbürgerlichkeit.

Wer sein Jogi-Statement öffentlich machen möchte, für den hat REWE einen wahren Volltreffer: Den Bambi-Preisträger 2016 in der Kategorie Integration gibt es „exklusiv“ auf einer Baumwolltasche. So hat man seinen Helden immer dabei, der mit dem Spruch wirbt: „Deutschland steht drauf, Vielfalt steckt drin“. Im normalsterblichen Jargon heißt das Mogelpackung.

Aber vielleicht ist auch das nur Jogi-Taktik. Schließlich ist WM in Russland – wo Demokratie drauf steht, Diktatur aber drin steckt; schließlich wollen wir als Klassenstreber wieder Erster werden.

Bertha Stein ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und lebt in der Nähe von Frankfurt.

Foto: Кирилл Венедиктов CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Hartmut Laun / 16.06.2018

“Bertha Stein:  Vor diesem Hintergrund wird klar, warum so viele Jogi Löw zum Helden der Nation hochstilisieren. “Das ist falsch. Nur weil der Käse-Paul auf dem Wochenmarkt noch hundert Meter weiter zu hören ist, deswegen sind noch lange nicht alle die ihn hören Käsefreunde. Die Marktschreier der Medien die den Löw mit ihrem Lobpreisungen begleiten die, sind nicht die Sprecher der vielen, die sind die Verbreiter von Propaganda. “Bertha Stein: „Jogification“ zeigt uns aber, dass in jedem Deutschen ein kleiner strategischer Denker steckt, dem ...” Schon wieder falsch Frau Bertha Stein. Wenn Sie selber Deutsche sind, dann meine sie mit JEDEN Deutschen sich selber? Die Pfiffe im Stadion gegen die beiden Türken beweisen das Gegenteil von dem was die Medien als Volkserzieher uns mit ihrem Rohstock gegen Rassisten, und Nazis einreden wollen . Also nicht Jeder Deutsche. Besser sie suchen, finden und benennen die Deutsche unter den Deutschen die sie wirklich meinen, Als Deutsche von DEN Deutschen zu schreiben das ist typisch deutsch.

Heinrich Moser / 16.06.2018

Dieser Artikel ist ein Beweis für die Inkompatibilität von Frauen und Fußball.

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