Rainer Bonhorst / 15.08.2020 / 16:00 / Foto: United States Senate / 16 / Seite ausdrucken

Joe, der Weiße und Kamala, die Schwarze

Joe Biden hat sich wenig überraschend für eine schwarze Frau als running mate entschieden. Ein schöner Anlass, ein paar Bemerkungen über das Thema Hautfarbe loszuwerden. Denn Kamala Harris ist, wie so viele andere „Schwarze“ Amerikas, so wenig schwarz, wie der gemeine Mitteleuropäer weiß ist. Dieser Mangel an farblicher Akkuratesse bei der Betrachtung von Hautfarben zeigt beispielhaft die Verschrobenheit der aktuellen Rassen-Debatten. Und zwar verschroben in alle Richtungen.

Am einen Ende befinden sich die Leute, die den Begriff Rasse überhaupt nicht wahrhaben und aus unserem Grundgesetz streichen wollen. Nach Kinderart: Augen zu, Problem weg. Am anderen Ende haben wir diejenigen Amerikaner, die an der alten One-Drop-Regel festhalten, nach der jeder „schwarz“ ist, durch dessen Ader auch nur ein Tropfen afrikanischen Bluts fließt. Früher war diese Regel ausschließlich ein Mittel der Diskriminierung, das „Weiße“ gegenüber weniger Weißen einsetzten. Heute ist es auch ein Mittel, mit dem sich ziemlich gemischte Menschen mit ihren dunkelhäutigeren Landsleuten solidarisieren. Man bekennt sich zur Schwärze, auch wenn man bestenfalls lichter ocker ist wie Kamala Harris.

Die simple Wahrheit ist: Der Mensch existiert in vielen Schattierungen, die Übergänge zwischen dem, was man durchaus Rasse nennen kann, sind fließend. Wir vermischen uns fröhlich trotz beträchtlicher Widerstände aus dem Lager derer, die einem fiktiven Reinheitsgebot anhängen. Aber wo gemischt wird, da kann man auch nicht so tun, als gäbe es keine Unterschiede. Mischen kann man nur Verschiedenes. Kamala Harris mag vom sonnengebräunten Teint mitteleuropäischer Fuerte-Urlauber farblich nicht sehr weit entfernt sein, aber es ist offensichtlich, dass sie keine Norwegerin aus Hammerfest ist. 

Rasse als politisches Kampfmittel, im Bösen wie im Guten

An ihrem Beispiel zeigt sich, dass Rasse zwar real existiert, inzwischen aber vor allem ein politisches Kampfmittel ist, im Bösen wie im Guten. Gängiger ist immer noch das Böse: nämlich der Hochmut vieler Hellhäutiger gegenüber dunkler Pigmentierten und die damit einhergehende Diskriminierung. Aber es gibt auch das Gegenteil. In diesen Zusammenhang gehört durchaus die Beschwerde einiger Euro- und Asien-Amerikaner darüber, dass Afroamerikaner an Universitäten bevorzugt würden. Sie sehen – keineswegs zu unrecht – den diskriminierenden Nebeneffekt einer Antidiskriminierungspolitik.

Politisch aktueller und spannender ist die Tatsache, dass die als schwarz firmierende Kamala Harris als Joker in Joe Bidens Kampf ums Weiße Haus geradezu bejubelt wird. Sie gilt als farbige Retterin eines als allzu weiß empfundenen und darum problematischen Präsidentschaftskandidaten. Diejenigen, die sich für Kamala Harris nicht begeistern können, befinden sich mehrheitlich bei der republikanischen Konkurrenz. Bei den Demokraten sticht sie als Joker umso sicherer, als ihrem Chef Joe Biden selbst der winzigste Tropfen wünschenswerten schwarzen Blutes fehlt. Biden könnte direkt aus dem norwegischen Hammerfest eingewandert sein. Das mag im Alltag von Vorteil sein, im Wahlkampf der Demokraten, die auf den melting pot Amerikas setzen, ist es ein ins Auge fallendes Handicap.

Wie schwarz ist die Vize-Kandidatin? Naja. Ihre Eltern kommen aus Jamaika, einem ganz eigenen, unterschiedlich afrikanischen Schmelztiegel, und aus Indien, das so wenig zu Afrika gehört wie – bleiben wir dabei – Norwegen. Hier könnte man eine Diskussion über die Frage anschließen, wozu eigentlich Inder in der ethnischen und politischen Farbskala gehören. Europaweiß sind sie nicht, aber afrikaschwarz sind sie auch nicht. Beides wollen sie auch nicht sein. Was will man machen. Die Menschheit ist nicht schwarzweiß, sondern folgt farblich dem Chaosprinzip, auch wenn es lästig für Rassisten und Antirassisten ist, die lieber schwarzweiß denken. Zum farblichen Chaos gehört, nebenbei bemerkt, auch, dass manche Asiaten aus den nördlicheren Regionen weißer sind als manche europäische, also offizielle Träger dieses Farbtons.  

Rassismus ist ihr geringstes Problem

Zurück zu Kamala Harris. Ihr messbarer Afrika-Anteil, so wertvoll er in Bidens Wahlkampf ist, dürfte geringer sein als der von Barack Obama, der immerhin fifty-fifty für sich beanspruchen kann. Wegen seiner weißen Mutter hatte er am Anfang seiner Karriere Probleme, von den klassischen Schwarzen Amerikas als einer der ihren durchzugehen. Sie haben in diesem Sonderfall ihre eigene adoptierte One-Drop-Regel einfach mal ignoriert. Kein Einzelfall: Hellerhäutige „Schwarze“ haben es in Amerika oft nicht leicht, von ihrer dunkleren Umgebung als gleichwertig akzeptiert zu werden. Dafür tun sie sich in der „weißen“ Umgebung leichter, ob sie wollen oder nicht. Dem aufstrebenden Barack Obama war aber auch sein kenianischer Vater keine Hilfe. Gerade weil er ein echter Afrikaner war, war sein Sohn aus der Geschichte der Sklaverei ausgeschlossen, die für das schwarze Bewusstsein der Afroamerikaner so wichtig ist. Erst als Obama ganz oben ankam, wurde ihm die volle Schwärze als Ehrenmerkmal zuerkannt.

Warum diese merkwürdige Farb-Spielerei? Weil sie die Verdrehtheit einer Betrachtungsweise zeigt, die sich auf Rasse und Hautfarbe kapriziert. Das gilt, finde ich, auch für unsere deutschen Kämpfer gegen alles, was nach Rassismus aussieht. Wie die Rassen selber ist auch der Rassismus kein Schwarz-Weiß-Phänomen. Nicht alles, was unterschiedliche Rassen als Realität wahrnimmt, ist rassistisch. Nicht jeder, der dies tut, ist ein Rassist. Im Gegenteil, ich meine: Wer überall Rassismus wittert, sollte sich die Frage stellen, ob er oder sie damit nicht vor allem einen eigenen inneren Schweinehund bekämpft.

Kamala Harris ist stolze Amerikanerin, stolze black American und aussichtsreiche Kandidatin auf die Vizepräsidentschaft. Wird sie auf dem Biden-Ticket gewählt, ist sie vier Jahre lang nur einen Herzschlag vom Weißen Haus entfernt. Tritt sie nach den vier Jahren an, hat sie beste Aussichten, als erste Frau die amerikanische Präsidentschaft zu erringen. Rassismus ist ihr geringstes Problem.

Foto: United States Senate via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Dietrich Herrmann / 15.08.2020

Die Harris ist doch keine Schwarzin, das sieht ein jeder. Die muss sich immer ein schwarzes Kostümchen anziehen und dann noch ne schwarze Coronamaske tragen, dann kann es hinkommen. Mein Gott, was ist aus der Menschenwelt geworden - nur noch primitivste Anschauungen werden schonungslos ideologisch propagiert.

Ilona Grimm / 15.08.2020

Die wichtigsten Ethnien Indiens sind: Indoarier (aus Persien stammend), Draviden (Urbevölkerung Südindiens), Exiltibeter, Mongolen, Ladakhis (aus dem Hochgebirge Ladakh) und Assamesen (Nordost-Indien). Keine Afrikaner. Quelle: indien.de -//- Jamaika: Der größte Teil der Einwohner des Landes sind Nachfahren afrikanischer Sklaven. So sind etwa 76% Schwarze und etwa 15% Mulatten. Darüber hinaus gibt es kleine Minderheiten von etwa 1,3% Indern sowie Einwohner europäischer oder chinesischer Herkunft. Quelle: goruma.de. -//- Es fließt also ziemlich wenig afrikanisches Blut in den Adern der POC-Person Kamala Harris. Sie ist keine Schwarze, hat aber offenbar eine schwarze Seele (laut Beitrag von Stefan Frank). Frau @Karla Kuhn hat recht: Die Augen der Frau sind EISKALT. -//- Wer profitiert eigentlich übergeordnet davon, Hautfarben-Nuancen gegeneinander auszuspielen? Dass Schwarze und Braune momentan Oberwasser haben und die Situation weidlich nutzen, ist klar. Aber woher rührt der Selbsthass der linken Weißen? Wozu soll das gut sein? Das Thema widert mich an. Immer mehr Menschen sagen: Ich war nie Rassist, aber allmählich werde ich einer… Mir geht’s genauso. Ist das beabsichtigt?

Geert Aufderhaydn / 15.08.2020

Norwegen gefällt mir gut als “böser weißer alter Nazi”. Stimmt zwar nicht, aber warum sollen die beim bashing leer ausgehen? . . .

J.G.R. Benthien / 15.08.2020

Wenn die Tussi schwarz ist, was ist dann mein Freund Neil? Vantablack? Die meisten Weissen sind auch nicht weiss, sondern im Vergleich zu den Limeys schon Farbige. Aber vielleicht zählt ja der Eine oder Andere zu den Schwarzen, weil er eine breite Nase oder kleine Curls hat? Das ist ein Fass ohne Boden, aber keine Sorge, es werden in Deutschland mindestens 300 Professoren-Stellen für die Erforschung der Skala eingerichtet werden.

Frank Stricker / 15.08.2020

Lieber Herr Bonhorst, bei aller Diskussion um Rassen und Hautfarben, am Ende ist die Qualität ausschlaggebend ! Es werden speziell für die Demokraten noch verdammt lange 3 Monate werden, der Vorsprung schmilzt bereits und die derzeitig wieder stark sinkende Arbeitslosigkeit und ein eventuell kurzfristig zur Verfügung stehender Impfstoff werden klar Donald Trump begünstigen. Trump und Mike Pence sind ein eingespieltes Team, was bei Biden und Harris zudem noch völlig offen ist.

Karl Dreher / 15.08.2020

Der ganz hervorragende, auch tatsächlich detaillierte, Bericht hier über ihre mit konkreten Beispielen unterlegte - fragwürdige - Amtsführung als (hochrangige) Staatsanwältin ist viel aussagekräftiger als die Frage nach der Hautfarbe. Die Hautfarbe sollte ebenso wie andere Merkmale (sexuelle Ausrichtung, Herkunft etc. etc) völlig unerheblich sein.

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