Es stimmt, die Windradindustrie schafft Jobs. Ganz neuartige, gut dotierte Jobs. Hoch kreative Künstler werden gesucht, die in der Lage sind, Landschaften, welche durch die Rotorenwälder der Windindustrie weiträumig verschandelt wurden, für das Fernsehen aufzuhübschen. Optisch zu Plätzen rückzubauen, die liebens- und lebenswert wirken. Wo der Wattwurm der Nordseekrabbe Moin-Moin sagt und die treue Kuh Sieglinde dem knorrigen Bauer Piepenbrink aus der Hand frisst.
Einen besonders gelungenen Fake wiederholte das dritte Programm des NDR-Fernsehens am Wochenende unter dem Titel „Ostfriesland – sieben Inseln und ein Meer“. Die Sendung brachte es fertig, 45 Minuten lang ein Ostfriesland der malerischen Bauernhöfe, satten Marschen, wogenden Wiesen, mäandernden Deiche, niedlichen Vögel, putzigen Robben und raschelnden Igel zu zeichnen, ohne dass die Kameras auch nur ein einziges Mal eines der tausenden von Windrädern streiften, mit denen die Landschaft zugestellt ist. Ohne im Text ein Wörtchen darüber zu verlieren.
45 Minuten! Das waren mindestens hundert Einstellungen, die sorgfältig von Realität freigehalten werden mussten. Wer das Gebiet zwischen Ems- und Wesermündung kennt, auch aus der Luft, weiß diese Spitzenleistung der Manipulation zu würdigen.
Kaum eine Region der Republik – vielleicht mit Ausnahme von Dithmarschen – wurde ja von der Windindustrie derart brachial verunstaltet. Wie eine solche Landschaftsruine ausschaut, war schon auf dem „Spiegel“-Titel „Der Windmühlen-Wahn“ von 2004 zu besichtigen. Inzwischen ist Ostfriesland noch viel schlimmer verspargelt worden. Man muss da als Kameramann höllisch aufpassen, um die Rotorendickichte nicht bei jedem Schwenk ins Bild zu bekommen. Muss geschickt mit haarscharf kalkulierten Bildwinkeln und abgeschnittenen Horizonten arbeiten und später, bei der Post-Produktion, beherzte Schnitte vornehmen. Ferner empfiehlt es sich bei einem Bericht über Ostfriesland, diesen hauptsächlich auf den Inseln und im Wattenmeer zu drehen, wo es noch kaum Windräder gibt. Die ersten Off-shore-Anlagen sind inzwischen allerdings schon vom Strandkorb aus zu erkennen.
Zum Glück lässt sich viel machen mit einer guten Kamera und einem langen Tele. Will man zum Beispiel auf ein elegisches Motiv - einen Vogelschwarm etwa oder einen im Abendlicht heimkehrenden Fischkutter - nicht verzichten, obwohl im Hintergrund wie wild die Rotoren daddeln, so kann man mit dem Schärfebereich der Objektive prima tricksen. Anderenfalls erkennt der Zuschauer womöglich denn doch, wie kaputt sie den Norden an vielen Stellen gemacht haben.
Halt, natürlich führte die NDR-Doku auch Windmühlen vor! Und zwar die alten, urgemütlichen Kornmühlen, die jeder liebt. Die ehrwürdigen Veteranen, eine schöner als die andere, zogen sich wie ein Leitmotiv durch den Film. Dafür mussten die Fernsehleute eine Menge Kilometer fressen, denn von den denkmalgeschützten Galerieholländern gibt es auch in Ostfriesland nicht mehr viele. Der Film schuf die perfekte Illusion, sie seien es, die in Ostfriesland zuhauf stünden, und nicht die im Norden allgegenwärtigen Riesenspargel aus Beton, Stahl und Kohlefaser.
Natürlich fliegt der ganze Schwindel ruckartig auf, wenn man sich ins Auto setzt und nach Ostfriesland fährt. Dann kapiert man, wie Fernsehen funktioniert. Und warum der Claim des Senders lautet: „Der NDR – das Beste am Norden.“