Christian Osthold, Gastautor / 02.01.2023 / 10:00 / 74 / Seite ausdrucken

Jewgenij Prigoschin – Der Schattenmann

Russlands Krieg in der Ukraine hat das Profil so mancher Akteure geschärft. Während sich der zuvor als liberal geltende Dmitrij Medwedew als Hardliner entpuppt hat, sind vormalige Randpersonen in den Fokus gerückt. Einer von ihnen ist Jewgenij Prigoschin, Chef der Gruppe Wagner.

Das Jahr 2014 ist für Russland in verschiedener Hinsicht wegweisend gewesen. Nicht nur annektierte es die Krim, sondern spaltete es auch das Donbass von der Ukraine ab. Wie man heute weiß, schuf Moskau damit die Voraussetzungen für seine spätere Invasion des Nachbarlandes. Ein weiteres Ereignis aus 2014, das in der westlichen Wahrnehmung allerdings weit weniger Beachtung fand, besteht in der Gründung der Gruppe Wagner – einer privaten Söldnermiliz, die Moskau seither in verschiedenen Brennpunkten operierte und die für grausame Kriegsverbrechen bekannt ist. 

Bis heute hat der Kreml seine Schattenarmee in wenigstens zehn Staaten eingesetzt, darunter in Syrien, Libyen, Mali und weiteren afrikanischen Ländern. Praktisch überall, wo Söldner der Gruppe Wagner aufgetaucht sind, ist es zu schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen gekommen. Für Syrien etwa ist die gemeinschaftliche Folterung und Hinrichtung eines Gefangenen belegt. Videoaufnahmen von 2017 zeigen das grausame Verbrechen. Das Opfer wurde zunächst mit einem Spaten geköpft und ihm daraufhin die Arme abgetrennt. 

Aber auch in der Ukraine ist die Gruppe Wagner aktiv. Seit 2014 kam sie vor allem im Donbass zum Einsatz. In den ersten Jahren nach ihrer Gründung war es nahezu unmöglich, genaue Angaben über die Tätigkeit der Miliz zu machen, da Moskau ihre Aktivität geheimzuhalten bemüht war. Das war kein Zufall. Bis 2017 war es in Russland gesetzlich verboten, Privatunternehmen im Militärbereich zu betreiben.

Ferner wurden Staatsbürger, die sich im Ausland an bewaffneten Konflikten beteiligten, grundsätzlich mit mehrjährigen Haftstrafen sanktioniert. Für die Finanzierung und Bewerbung betreffender Aktivitäten konnten bis zu 15 Jahre Freiheitsstrafe verhängt werden. Diese Gesetzgebung fand vor allem bei aus der Russischen Föderation stammenden IS-Terroristen Anwendung. Im Juni 2017 hatten sich bereits mehr als 4.000 russische Staatsbürger dem Islamischen Staat angeschlossen.  

Hoher Anteil von Strafgefangenen

Die äußerst repressive Strafverfolgung durch russische Behörden änderte sich erst durch eine Novellierung des föderalen Gesetzes 53 vom 6. März 1998, das die Wehrpflicht und den Militärdienst regelt. Am 10. Januar 2017 wurde es auf Initiative Putins dahingehend erweitert, dass jeder russländische Staatsbürger als Angehöriger der Streitkräfte gilt, sofern er im Ausland an der Vereitelung internationaler Terroranschläge mitwirkt. Voraussetzung ist, dass die betreffende Person den Grundwehrdienst absolviert hat. 

Auf die Aktivität der Gruppe Wagner bezogen, hat dies eine vollständige Legalisierung zur Folge, da sie aus Sicht des Kremls grundsätzlich nur im Auftrag ausländischer Regierungen agiert. In Syrien beispielsweise haben ihre Söldner die Regierung aktiv beim Kampf gegen den IS unterstützt. In der Zentralafrikanischen Republik wiederum hat sich Wagner an der Ausbildung von Regierungstruppen beteiligt. Und in der Ukraine agiert die Miliz seit 2014 im Auftrag der auf Geheiß Moskaus proklamierten Volksrepubliken von Donezk und Lugansk.

Was den aktiven Personalbestand der Gruppe Wagner betrifft, gehen die Angaben weit auseinander. Während der ukrainische Militärgeheimdienst von 8.000 Kämpfern auf dem Staatsgebiet der Ukraine ausgeht, gab Washington vor kurzem 50.000 Mitglieder an. Dieser Wert ergibt laut der US-Regierung aus dem hohen Anteil von Strafgefangenen, die seit September 2022 in russischen Gefängnissen und Straflagern rekrutiert und mittlerweile vielfach in den Kampfgebieten eingesetzt werden. Da es sich bei ihnen um Personen ohne militärische Ausbildung handelt, sei die Sterberate unter ihnen besonders hoch. Nur ein Fünftel aller Wagner-Söldner seien professionell geschulte Kämpfer. 

Die hohe Fluktuation neuer Mitglieder ist jedoch nicht das wesentliche Merkmal der Gruppe Wagner. Im Kern steht stattdessen eine starke Ausrichtung am Neonazismus. Was zunächst paradox anmutet, ist bittere Realität. Obwohl die Miliz von dem bekennenden Neonazi Dmitrij Utkin gegründet wurde und Moskau die Invasion der Ukraine als Kampf gegen den Faschismus deklariert, kämpfen Wagner-Söldner heute offen an der Seite russischer Soldaten. Der Kampfname der Organisation indes bezieht sich auf Richard Wagner, dessen Werk Adolf Hitler zutiefst verehrte. Bis heute wird Hitler der Satz zugeschrieben: „Wer Wagner nicht versteht, kann auch den Nationalsozialismus nicht verstehen.“ 

In der russischen Öffentlichkeit erheblich an Popularität gewonnen

Die neonazistische Ausrichtung der Gruppe Wagner setzte sich dann in der sogenannten „Aufklärungsgruppe für Ablenkungsmanöver und Sturmangriffe – Rusitsch“ fort. Im Jahr 2014 von dem berüchtigten Neonazi und Reserveoffizier Alexej Miltschakow ins Leben gerufen, untersteht Rusitsch heute dem Verteidigungsministerium. Miltschakow war ein notorischer Sadist und fiel mehrfach durch die Schändung von Leichen ukrainischer Soldaten auf, denen er Hakenkreuze in die Stirn ritzte. Laut Angaben des Bundesnachrichtendienstes lässt sich eine aktive Teilnahme von Rusitsch an den Kampfhandlungen in der Ukraine sei dem 22. Mai 2022 nachweisen. 2014 war die Einheit unter dem Kommando von Alexander „Batman“ Bendow an den Kämpfen um den Flughafen von Lugansk beteiligt. 

Heute ist die Gruppe Wagner untrennbar mit dem Namen ihres gegenwärtigen Kommandeurs Jewgenij Prigoschin verbunden. Seit Kriegsbeginn hat Prigoschin in der russischen Öffentlichkeit erheblich an Popularität gewonnen, wo er als Mann mit harter Hand gilt. In westlichen Sicherheitskreisen wiederum wurde er zeitweise als möglicher Konkurrent Wladimir Putins gehandelt. Dieses Bild hat sich zuletzt jedoch als stark überzeichnet erwiesen. So ist Prigoschin eher eine Figur, die vom Kreml gezielt für ihre Zwecke eingesetzt wird, nicht aber unabhängig agieren kann. Nicht zuletzt wegen seiner kompromisslosen Haltung in Fragen der Kriegführung ist Prigoschin zu einem einflussreichen Werbeträger des Kremls geworden. 

In diesem Zusammenhang ist auch seine Rolle als Rekrutierer von Häftlingen zu sehen. Wie erwähnt, tauchte im September 2022 ein Video im Netz auf, das Prigoschin bei der Anwerbung von Strafgefangenen zeigte. Jenen, die sich als Söldner für die Gruppe Wagner verpflichteten, stellte er Hafterlass in Aussicht. Dass Prigoschin in russischen Gefängnissen um neue Rekruten wirbt und derartige Zusagen geben kann, ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. 

Sie ist einerseits der Beweis für die Unterstützung, welche die Gruppe Wagner auf höchster Regierungsebene erhält. Andererseits aber belegt sie, dass der Kreml Schwerverbrecher als Hilfstruppen für den Krieg in der Ukraine mobilisiert. Darunter sind nicht selten auch zu lebenslangen Haftstrafen verurteilte Straftäter wie Mörder und Vergewaltiger. 

Bereits zu Sowjetzeiten in Konflikt mit dem Gesetz

Wegen seiner mannigfaltigen Verflechtungen in die Finanzierung der Gruppe Wagner wurde Prigoschin am 15. Oktober 2022 von der Europäischen Union sanktioniert. Seither ist ihm nicht nur die Einreise verboten, sondern hat man auch sein gesamtes in der EU geparktes Vermögen beschlagnahmt. Wer aber ist Jewgenij Prigoschin, um den sich heute zahlreiche Legenden ranken und der sich unter dem Spitznamen „der Koch“ bis in den Dunstkreis des russischen Präsidenten hocharbeitete? 

Jewgenij Prigoschin wurde 1961 in Leningrad geboren. Damit kommt er aus der Heimatstadt Wladimir Putins sowie der engsten Weggefährten des russischen Präsidenten. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde Prigoschin rasch als Unternehmer aktiv. Im Zeitraum von 1992 bis 1997 rief er eine Kette von Lebensmittelgeschäften ins Leben. 1995 wechselte er dann in die Gastronomie. Auf der bekannten St. Petersburger Wassiljewski-Insel eröffnete er zunächst eine Bar namens „Nine Wine Club“. Im Jahr 1996 folgte dann die Einweihung des Restaurants „Old Customs House“, das unter der Leitung des Briten Tony Geer in kurzer Zeit zum gastronomischen Zentrum von St. Petersburg avancierte. Nachdem sich Prigoschin 1997 vor allem auf die Entwicklung des Catering-Service konzentriert hatte, eröffnete er in der Folgezeit eine Reihe weiterer Restaurants – 1998 auf dem in St. Petersburg vor Anker liegenden Motorschiff New Island sowie das auf dem Moskauer Restaurant-Schiff gelegene „River Palace“ und das „Cheval Blanc“. 

Seit 2009 betreibt Prigoschin ein Restaurant in der Straße Ochotnyj Rjad 1. Dabei handelt es sich um die Adresse des Regierungsgebäudes, das die Staatsduma beherbergt. Als einziger Wirt in solch exponierter Position ist Prigoschin seit Jahren unmittelbar Teil des politischen Moskaus, wo er beste Kontakte in höchste Regierungskreise knüpfen konnte. Dabei handelt es sich um einen Trumpf, der seinen Aufstieg zum Chef der Gruppe Wagner ebnete.  

Prigoschins Erfolge als Gastronom täuschen leicht darüber hinweg, dass er bereits zu Sowjetzeiten in Konflikt mit dem Gesetz geriet. 1979 wurde er wegen Diebstahls erstmals zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Zwei Jahre später folgte dann eine Freiheitsstrafe, die er wegen mehrerer Gewaltdelikte verbüßte. 1988 wurde Prigoschin im Rahmen einer Amnestie begnadigt und 1990 aus der Strafkolonie entlassen. Kurze Zeit später stieg er ins Gastronomiegeschäft ein, wobei ihm später vor allem sein gut laufender Catering-Service ein Vermögen einbrachte.

Ein langjähriger Weggefährte des russischen Präsidenten

Weitgehend unbekannt ist, dass Prigoschin seinen Aufstieg in den Kasinos von St. Petersburg begann. Hier war er Geschäftsführer der Firma „Spektr“, die Igor Gorbenko und Boris Spektor, den Gründern des ersten St. Petersburger Casinos Conti, zusammen mit dem angesehenen Geschäftsmann Michail Mirilaschwili gehörte. Zusammen mit ihnen gründete Prigoschin auch ein Unternehmen namens „Contrast Consulting LLC“. Ferner waren alle drei auch im Vorstand der geschlossenen Aktiengesellschaft „Viking“. Prigoschins Bekanntschaft zu Wladimir Putin lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auf seine Zeit in der Glücksspielbranche zurückführen. Putin war nämlich 1991 zum Vorsitzenden der in St. Petersburg eingerichteten Aufsichtsbehörde für Kasino- und Glücksspielbetriebe ernannt worden. Damit ist Prigoschin ein langjähriger Weggefährte des russischen Präsidenten und stammt aus dessen Petersburger Netzwerk.

In den 1990er Jahren erteilte die von Putin geleitete Behörde Glücksspiellizenzen und hatte damit eine große Bedeutung für die Unternehmer der Branche. Außerdem wurde eine kommunale Struktur zur Kontrolle des Glücksspiels eingerichtet, die insgeheim Anteile an den Glücksspieleinrichtungen von St. Petersburg erhielt. Zu diesem Zweck gründeten das von Putin geleitete Komitee für Außenbeziehungen und der staatliche Ausschuss für Vermögensverwaltung die Firma „Newa Chance“. Gorbenko wurde stellvertretender Direktor des Unternehmens, blieb aber gleichzeitig Anteilseigner des Konti-Casinos. De facto gab es damals keine Kontrolle über die Geldflüsse. Putin erinnerte sich später daran, dass „das gesamte Geld von den Tischen in schwarzer Kasse ausgegeben wurde.“

Seine wenig bekannte Phase in der Glücksspielbranche war für Prigoschin von herausragender Bedeutung. Von einem Gastronomen entwickelte er sich zu einem einflussreichen Geschäftsmann, musste dafür aber Schmiergelder an seine früheren Partner zahlen. Mirilaschwili verlangte bald, ihm das bekannte „Zollhaus-Restaurant“ zu überlassen; schließlich einigte man sich auf das bekannte „Seven Forty“.

Ein anderer Partner namens Ziminow erklärte sich bereit, seinen Anteil an der gemeinsamen Lebensmittelkette für eine Million Dollar an Prigoschin abzutreten, der ihm jedoch nur einen Teil des Geldes bezahlte. Der hohe Rang Prigoschins zeigte sich in der Folgezeit unter anderem daran, dass Wladimir Putin dessen Restaurants „New Island“, „Russian Fishing“ und „Na zdorovye“ oft mit hochrangigen Gästen besuchte. Im Jahr 2012 gewann Prigoschins Unternehmen einen Wettbewerb für die Ausrichtung eines Empfangs anlässlich der Amtseinführung Putins für seine dritte Amtszeit. Damit war Prigoschin endgültig an der Spitze der politischen Elite Russlands angekommen.

Bespitzelung von politischen Gegnern und  Produktion von Propagandafilmen

Dabei galt: Je näher Prigoschin an das Umfeld Wladimir Putins heranrückte, desto stärker stellte er sich in den Dienst des Kremls. Ab 2013 unterhielt Prigoschin ein Unternehmen, das für Bot-Attacken, die Bespitzelung von politischen Gegnern sowie für die Produktion von Propagandafilmen zuständig war. Es stellte sich heraus, dass der bekannte dreiteilige NTW-Film „Anatomie eines Protests“, der die Protestbewegung in Russland (2011–2012) beleuchtete, auf Geheiß der Regierung produziert worden war. Geleitet wurden die Dreharbeiten von Dmitrij Koschara, dem Entwicklungsdirektor von Prigoschins Firma „Concord“, der seinem Chef über alles minutiös Bericht erstattete. 

Dieses Beispiel illustriert, wie gerissen die Regierung gegen oppositionelle Strömungen in Russland vorging. Indem sie ihren wohl bedeutsamsten Dokumentarfilm selbst inszenierte, schuf sie die Grundlage, um dessen Unterstützer später juristisch aus dem Verkehr zu ziehen. Im Jahr 2013 wurden die zuvor von der Moskauer Staatsanwaltschaft eingeleiteten Ermittlungen gegen die Produzenten des zweiten Films für rechtmäßig erklärt. Die mit Prigoschins Hilfe gelegte Falle hatte damit zugeschnappt.  

Auf Prigoschins Befehl hin unterwanderte Koschara später auch das Netzwerk der Organisatoren der Kundgebung „Für faire Wahlen“ und organisierte Provokationen auf den betreffenden Veranstaltungen. Massenhafte Verhaftungen waren die Folge. 

Ende 2012 begann das vom Verteidigungsministerium gegründete Unternehmen „Voentorg“, Vermögenswerte der militärischen Lebensmittelversorgung auf Concorde zu übertragen. Der Plan war, auf der Grundlage der ehemaligen Läden und Lagerhäuser ein gigantisches Einzelhandelsunternehmen zu schaffen. Dadurch sollten dem Staat Einnahmen in Höhe von mindestens einer Milliarde Dollar verschafft werden. Prigoschin versah nun gleich zwei Funktionen für den Kreml – er unterwanderte die Opposition und verschaffte dem Staat Gelder. In der Zwischenzeit war Concord das größte Catering-Unternehmen in Osteuropa geworden.

Mittlerweile zum Milliardär geworden

Im Sommer 2014 schlug Verteidigungsminister Sergej Schoigu vor, das skandalumwitterte Rüstungsunternehmen „Oboronservis“ umzustrukturieren, nachdem dort in großem Umfang Veruntreuungen aufgedeckt worden waren. Die Aufgaben der Unternehmen „Slawjanka“, Oboronstroj und „REU“, die für den Wiederaufbau und die Instandhaltung von Militärlagern zuständig waren, wurden jetzt auf ein Privatunternehmen übertragen, das damit sehr viel Geld verdiente. Die Firma „Megaline LLC“, deren Gründer Prigoschins „Concord Management and Consulting“ ist, behauptete, dadurch Gelder und Vermögenswerte erhalten zu haben. Wie auch immer die Zusammenhänge ausgesehen haben mögen, war Prigoschin mittlerweile zum Milliardär geworden.

Dass sich Prigoschin in St. Petersburg schon bald als unnahbar empfand, zeigt folgender Vorfall. Am 25. Mai 2016 stoppten Polizisten und FSB-Beamte eine Autokolonne Prigoschins. An diesem Tag war eine kombinierte Gruppe von FSB-Wirtschaftssicherheitsdienstmitarbeitern in den Fahrzeugen eines Spezialbataillons der Verkehrspolizei im Einsatz. Als eine mit überhöhter Geschwindigkeit fahrende Fahrzeugkolonne an den Ordnungskräften vorbeiraste, gab die Polizei ein Zeichen zum Anhalten. Als daraufhin keine Reaktion erfolgte, kam es zu einer Verfolgungsjagd, die schließlich vor einer von Prigoschins Villen endete. Hier kam es nun zu einem Handgemenge, wobei FSB-Agenten tätlich angegriffen wurden. Obwohl die Begebenheit gefilmt und daraufhin nach Artikel 318 Teil 1 des Strafgesetzbuchs „Gewaltanwendung gegen einen Vertreter der Behörden“ eingeleitet wurde, blieb der Vorfall für Prigoschin folgenlos.

Im selben Jahr wurde bekannt, dass Prigoschin gute Verbindungen zu dem bereits erwähnten Leiter der Gruppe Wagner, dem Neonazi Dmitrij Utkin, unterhielt. In diesem Zusammenhang konnte nachgewiesen werden, dass die Miliz mit Geldern finanziert wurde, die aus den Geschäften von Prigoschins Firmen mit staatlichen Institutionen stammten. Damit war klar, dass die Regierung die Gruppe Wagner faktisch selbst finanzierte. Die Bereitstellung dieser Mittel hatte eine sukzessive Ausweitung der Aktivitäten von Wagner zur Folge – 2014/2015 im Donbass und seit dem Herbst 2015 auch in Syrien, wo sie vor allem im Raum Palmyra eingesetzt wurde. Dieses Engagement sowie die dabei verübten Kriegsverbrechen hatten zur Folge, dass die Gruppe Wagner im Juni 2017 erstmals von den USA sanktioniert wurde.

Seit dem Jahr 2018 wurden Unternehmen von Prigoschin in mehreren afrikanischen Ländern aktiv. Dies scheint Algerien, Libyen, Kongo, Nigeria, Kenia, die Zentralafrikanische Republik, Sudan, Angola und Äthiopien zu betreffen. Die Gruppe Wagner ist eine der damit verbundenen Strukturen. Diese werden auch mit der Ausbildung von Spezialeinheiten der syrischen Armee, den sog. „ISIS-Jägern“ in Verbindung gebracht, deren Operationen gegen IS-Terroristen äußerst brutal sind. 

Kritische Nachfragen zur Gruppe Wagner nicht erwünscht

Im Juli 2022 verlangte das Internetjournal „Meduza“, Prigoschin solle sich zur Verwicklung von Wagner in den Ukraine-Krieg äußern. Daraufhin wurde der Vorsitzende des staatlichen Ermittlungsausschusses von höchster Stelle angewiesen, eine Untersuchung gegen Meduza durchzuführen und ein Strafverfahren gegen die Redaktionsleiterin Tatjana Erschowa sowie die Sonderkorrespondentin Lilija Japparowa zu prüfen. Im Raum stand der Vorwurf, Fake News über die russische Armee verbreitet (Artikel 207 Absatz 3 Strafgesetzbuch) und Landesverrat (Artikel 275 Strafgesetzbuch) begangen zu haben. Damit machte der Kreml unmissverständlich klar, dass kritische Nachfragen zur Tätigkeit der Gruppe Wagner nicht erwünscht waren.

Im Zuge von Prigoschins Werbung in russischen Straflagern veröffentliche der Pressedienst von Concord am 26. September 2022 ein Schreiben, in dem Prigoschin bestätigte, dass er der Gründer der Gruppe Wagner sei. In diesem Zusammenhang gab Prigoschin den 1. Mai 2014 als Gründungsdatum an und erklärte, die Gruppe Wagner habe sich ursprünglich aus russischen Freiwilligen zusammengesetzt, die für Russland im Donbass kämpfen wollten. Prigoschin erklärte ferner, seine Verbindung zu Wagner nicht öffentlich gemacht zu machen, um dessen Mitglieder nicht zu verleumden. 

Es wird deutlich, dass Jewgenij Prigoschin ein einflussreicher Geschäftsmann aus dem Umfeld Wladimir Putins ist, dessen weitverzweigtes Firmennetzwerk der Kreml seit vielen Jahren in verschiedener Hinsicht für seine Zwecke nutzt. Nach der Infiltration der Opposition hat sich Prigoschins Tätigkeit seit 2014 zunehmend in den militärischen Bereich verlagert, woraus schließlich die Gruppe Wagner hervorging. Auch wenn Prigoschins Rolle als ihr Urheber mittlerweile kein Geheimnis mehr ist, ändert das nichts an der von ihr ausgehenden Gefahr.

Gleiches gilt für Prigoschin selbst. Als langjähriger Weggefährte Wladimir Putins verfügt er über beste Kontakte in höchste Regierungs- und Wirtschaftskreise. Damit ist er einer jener Männer in zweiter Reihe, die den Willen des Kremls exekutieren und dessen Macht in Russland festigen. Solange der Kreml auf Statthalter dieses Typs zurückgreifen kann, wird seine Stellung unangefochten bleiben. Daran vermögen auch westliche Sanktionen nichts zu ändern. 

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Talman Rahmenschneider / 02.01.2023

Gut, besonders der letzte Satz. Wir schießen uns selbst ins Bein. Bringen Sie doch auch mal ein Stück über “The Devil on Putin’s Shoulder”, Nikolaj Patrushev. Ein weiteres Stück über illusorische Träume von “Regime Change”, die in Chile nach der Ermordung von Allende zu Pinochet geführt haben und im Iran nach Mossadegh zu den Mullahs, wäre auch interessant, falls Sie das fertigbringen.

Emmanuel Precht / 02.01.2023

Die Ukraine hat mithilfe des Westens seit 2014 hinter der Waffenstillstandslinie im Donezk-Gebiet ein gigantisches Netzwerk von meist unterirdischen, ineinandergreifenden Verteidigungsanlagen gebaut, samt Munitionslagern und Lebensmittelvorräten etc. Von diesen Anlagen aus hat die ukrainische Armee in den vergangenen acht Jahren jeden Tag mal mehr, mal weniger Artilleriegranaten wahllos in die Donbass-Dörfchen und Städte geschossen, um die dort lebende Bevölkerung zu terrorisieren und nicht zur Ruhe kommen zu lassen. Dabei war das nur wenige Kilometer entfernte Stadtzentrum von Donezk, das den gleichen Namen wie die Provinz trägt, das beliebteste Ziel. Wohlan…

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Christian Osthold, Gastautor / 15.04.2024 / 10:00 / 55

Hat die Ukraine noch genug Soldaten?

25 Monate nach Kriegsbeginn steckt die Ukraine in der Krise. Neben den stockenden Waffenlieferungen aus dem Westen benötigt sie dringend neue Soldaten. Doch wie groß…/ mehr

Christian Osthold, Gastautor / 08.04.2024 / 10:00 / 68

Ukraine in der NATO?

Zum 75. Jubiläum der NATO hat US-Außenminister Blinken die Möglichkeit einer Aufnahme der Ukraine in Aussicht gestellt. Doch steht das im Einklang mit den Grundsätzen…/ mehr

Christian Osthold, Gastautor / 04.03.2024 / 16:00 / 34

Putins nächster Kriegsschauplatz

In der Ukraine ist Russland auf dem Vormarsch, während sich deutsche Offiziere abhören lassen, Putin wieder eine kämpferische Rede hält und das beinahe vergessene Transnistrien…/ mehr

Christian Osthold, Gastautor / 26.02.2024 / 12:00 / 61

Zwei Jahre Ukraine-Krieg

Vor zwei Jahren befahl Putin den Einmarsch in die Ukraine und begann damit den größten Krieg in Europa seit 1945. Diese Analyse beleuchtet die vergangenen…/ mehr

Christian Osthold, Gastautor / 19.02.2024 / 10:00 / 78

Die Schwäche der Schwarzmeerflotte

An Land sieht es nicht gut für die Ukraine aus, aber im Schwarzen Meer konnte sie Russland einen schweren Schlag versetzen. Marinedrohnen versenkten die „Caesar…/ mehr

Christian Osthold, Gastautor / 29.01.2024 / 10:00 / 49

Ein mysteriöser Flug und ein mysteriöser Abschuss

Am 24. Januar 2024 stürzte ein Militärtransportflugzeug bei Belgorod ab. Moskau behauptet, dass dabei 66 ukrainische Kriegsgefangene ums Leben kamen. Kiew bezweifelt das. Eine Spurensuche.…/ mehr

Christian Osthold, Gastautor / 22.01.2024 / 11:00 / 75

Das ukrainische Dilemma

Um den Krieg fortzusetzen, muss Kiew dringend neue Rekruten mobilisieren. Neben der Beschaffung neuer Waffen bildet dies 2024 die zentrale Herausforderung. Über ein Dilemma, das…/ mehr

Christian Osthold, Gastautor / 15.01.2024 / 10:00 / 100

Was droht jetzt aus Russland?

Nach der gescheiterten Gegenoffensive steckt die Ukraine in der Krise. Trotz hoher Verluste gewinnt Russland allmählich die Oberhand. Ein Blick auf Moskaus Militär-Industriekomplex zeigt, was…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com