Jetzt wird durchdigitalisiert!

Digitaler Euro, Grenzscanner und Energie-Kampagnen mit Moralstempel – die EU regelt alles, außer ihre eigenen Widersprüche. Fragen unerwünscht, Mitdenken zwecklos.

Erinnern Sie sich noch an die Kinderserie „Neues aus Uhlenbusch“? Die 40 Episoden über das Leben in einem norddeutschen Bauerndorf wurden zwischen 1977 und 1982 vom ZDF ausgestrahlt. Das Titel-Lied zeichnet sich durch den eingängigen Refrain aus: „Auweia, auweia, der Hahn legt keine Eier!“ Heute würde er mit Sicherheit gegen den Digital Services Act der EU verstoßen und als Fake News oder Hassrede gemeldet werden, weil schließlich ein Huhn, das sich als Hahn liest, sehr wohl Eier legen kann. Vor rund fünf Jahrzehnten war das noch kein Thema. Mir als süddeutsch sozialisiertem Kind kam die Serie allerdings äußerst exotisch vor. Alles so platt, so verregnet, so leer und so ruhig. Bis auf den überdrehten Briefträger Onkel Heini natürlich. Und mittlerweile wirkt die Serie erst recht wie von einem anderen Planeten.

Dass es kaum mehr Uhlenbuschs gibt, die weitgehend unbeeindruckt von der Außenwelt vor sich hin schlafen, ist nicht zuletzt das Ergebnis der EU-Politik der letzten Jahrzehnte. Vor allem die EU-Kommission denkt sich unermüdlich Verordnungen und Richtlinien für jeden Lebensbereich aus, die auch noch im letzten Winkel Europas gelten sollen. Zeit also für eine aktuelle Folge von „Neues aus EUhlenbusch“! Im Rahmen der „digitalen Dekade“, in der die Kommission den digitalen Wandel der EU bis 2030 beschleunigen will, nimmt zum Beispiel gerade der digitale Euro Fahrt auf. 

Wie die Europäische Zentralbank (EZB) in einer Pressemitteilung vom 5. Mai bekannt gab, hat sie eine „Innovationsplattform“ mit rund 70 Marktteilnehmern eingerichtet, die das geplante „Ökosystem des digitalen Euro“ simulieren soll. Die Teilnehmer der Plattform – Händler, Fintech-Unternehmen, Start-ups, Banken und andere Zahlungsdienstleister – sollen als Vorreiter digitale Euro-Zahlungsfunktionen testen und innovative Anwendungsfälle untersuchen. Dabei gibt es zwei „Arbeitsstränge“, nämlich die „Pioniere“ und die „Visionäre“. 

Die „Pioniere“ prüfen, wie bedingte Zahlungen (also Transaktionen, die automatisch ausgeführt werden, wenn vordefinierte Bedingungen erfüllt sind, wie zum Beispiel die Lieferung eines online gekauften Pakets) mit dem digitalen Euro in technischer Hinsicht umgesetzt werden können. Unter anderem testen die Unternehmen, wie sie Schnittstellen des digitalen Euro in ihre Plattformen integrieren können. Die EZB stellt den Teilnehmern dafür technische Unterstützung zur Verfügung. Die „Pioniere“ fassen dann im Gegenzug ihre Ergebnisse in einem Bericht zusammen, den die EZB wiederum sorgfältig prüfen will, um ihr Projekt „Digitaler Euro“ voranzutreiben.

Der manuelle Passstempel soll abgeschafft werden

Die „Visionäre“ hingegen untersuchen, wie neue Anwendungsfälle für den digitalen Euro dazu beitragen könnten, gesellschaftliche Herausforderungen wie etwa die „digitale finanzielle  Inklusion“ zu bewältigen. So könnte beispielsweise die Möglichkeit, im Postamt eine digitale Euro-Geldbörse zu eröffnen, auch Menschen ohne Bankkonto oder digitale Geräte den Zugang zu digitalen Euro-Diensten gewährleisten. Die „Visionäre“ wollen ihre Vorschläge in Workshops mit der EZB diskutieren. Insgesamt soll das „Zahlungserlebnis“ der Europäer verbessert werden, beteuert die EZB. Zu den Teilnehmern der „Innovationsplattform“ gehören unter anderem der deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV), die Diebold Nixdorf Holding Germany, die Erste Group Bank AG, die euro Wallet GmbH, das Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik FIT und die Hermes Software GmbH.

Auch bei der Einführung biometrischer Grenzkontrollen an den EU-Außengrenzen hat die EU einen Zahn zugelegt: Voraussichtlich im Oktober soll das biometrische Einreise- und Ausreisesystem (EES) starten. Das Europäische Parlament und der Rat haben sich am 19. Mai auf dessen schrittweise Einführung geeinigt. Die Verordnung muss nun noch förmlich angenommen werden und tritt dann 20 Tage nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der EU in Kraft. Letztlich entscheidet jedoch die Kommission über den Zeitpunkt der Inbetriebnahme des EES, das innerhalb von sechs Monaten voll einsatzbereit sein soll. Sobald das System in Betrieb ist, werden biometrische Daten von Drittstaatsangehörigen erfasst, die mit einem Kurzzeitvisum in den Schengen-Raum ein- oder ausreisen. 

Der manuelle Passstempel soll abgeschafft und durch ein vollständig digitales System ersetzt werden, das die Grenzsicherheit erhöhen, Betrugsversuche reduzieren und Grenzübertritte beschleunigen soll. Es soll in 29 europäischen Ländern zum Einsatz kommen: in 25 der 27 EU-Mitgliedstaaten sowie in Island, Liechtenstein, Norwegen und der Schweiz. Ausgenommen sind derzeit Zypern und Irland, wo Reisepässe weiterhin manuell abgestempelt werden. Wörtlich heißt es auf der Webseite des EU-Parlaments: „Das System speichert persönliche Informationen und Reisebewegungen, was eine effizientere Kontrolle ermöglicht.“ 

Sie würden dem internationalen Ansehen Deutschlands schaden?

Diese „effizientere Kontrolle“ ließe sich früher oder später vermutlich nicht nur gegenüber Drittstaatenangehörigen ausüben. Falls Reisedokumente und Ausweise künftig allgemein digitalisiert werden, worauf die geplante EU-Brieftasche für die Digitale Identität (eID) hindeutet, wäre zum Beispiel auch eine „Gefahrenabwehr“ leichter möglich, wie sie kürzlich in München vollzogen wurde: Am 15. Mai  hinderte die Bundespolizei acht Mitglieder der Identitären Bewegung am Flughafen daran, zu einem europaweiten Remigration Summit (Remigrationsgipfel) nach Mailand zu fliegen. 

Begründet wurde die Maßnahme damit, dass die sechs Männer und zwei Frauen davon abgehalten werden sollten, dem internationalen Ansehen Deutschlands zu schaden. In Zukunft reicht dann vielleicht einfach die Sperrung des mit Ihrer Identität verknüpften digitalen Flugtickets, wenn Sie irgendetwas Unbotmäßiges in den Social Media gepostet haben. Entwickelt wurde das EES übrigens von einer Einrichtung, die den geschmeidigen Namen trägt: „Europäische Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ (European Union Agency for the Operational Management of Large-Scale IT Systems in the Area of Freedom, Security and Justice, kurz: eu-LISA).

Digitalisierung kostet Strom. Doch die EU-Kommission hat natürlich auch auf dem Gebiet der Energieversorgung Großes vor. Zunächst will sie ihre Abhängigkeit von russischer Energie vollständig beenden. Die Energiepreise sollen aber in der gesamten Union stabil bleiben, verspricht die Kommission. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen betonte zudem, dass Energieimporte nicht einen Angriffskrieg gegen die Ukraine finanzieren dürften, und sie erklärte weiter: „Das sind wir unseren Bürgern, unseren Unternehmen und unseren tapferen ukrainischen Freunden schuldig.“ Am 6. Mai legte die EU-Kommission daher einen „REPowerEU-Fahrplan“ vor, durch den russisches Öl und Gas schrittweise von den EU-Märkten genommen werden sollen.

Hehre Pläne

Gleichzeitig wird erwartet, dass die Kapazitäten an Flüssigerdgas (LNG) bis 2028 um rund 200 Kubikmeter (bcm) steigen werden. Das wäre fünfmal mehr als die derzeitigen EU-Importe von russischem Gas. Mit der vollständigen Umsetzung der Energiewende werde die EU bis 2030 voraussichtlich bis zu 100 Milliarden bcm Erdgas ersetzen, heißt es im „REPowerEU-Fahrplan“. Dies sei gleichbedeutend mit einem Rückgang der Nachfrage um 40 bis 50 bcm bis 2027.

Auf den Fahrplan sollen im Juni Legislativvorschläge der Kommission folgen. Diese sollen auch Maßnahmen gegen russische Einfuhren von angereichertem Uran sowie Beschränkungen für neue Lieferverträge umfassen, die von der Euratom-Versorgungsagentur (ESA) für aus Russland stammendes Kernmaterial mitunterzeichnet wurden. Stattdessen soll das Exzellenzzentrum für Radioisotope (European Radioisotopes Valley Initiative, ERVI) durch eine verstärkte Eigenproduktion die Versorgung der EU mit medizinischen Radioisotopen sicherstellen.

Hehre Pläne. Allerdings ist der Import von LNG aus Ländern wie den USA oder Katar nicht nur weitaus teurer, sondern aufgrund der energieintensiven Verflüssigung und des weiten Transports faktisch auch umweltschädlicher. Wie das mit der angestrebten Klimaneutralität der EU zusammenpassen soll, erklärte von der Leyen nicht. Außerdem wird der Industriestrompreis für deutsche Unternehmen weiter steigen mit entsprechend fatalen Folgen. Auch die Bürger werden sich wohl auf weitere Einsparungen gefasst machen müssen.

Die EU-Bürger dürfen sich wieder auf einen Krisenmodus freuen!

Das Selbstbild der EU-Kommission ist freilich ein ungebrochen positives. In einem im März veröffentlichten Überblick über die ersten 100 Tage ihrer Amtszeit lobt sich die Kommission selbst dafür, dass sie zahlreiche Initiativen eingeleitet habe, mit denen sie die Wettbewerbsfähigkeit der EU steigern und ihre Verteidigungsfähigkeit stärken will. Wörtlich teilt sie mit: „In den kommenden Monaten und Jahren werden wir wieder in den Krisenmodus wechseln müssen.Die Kommission ist bereit, sich diesen neuen Herausforderungen mit außergewöhnlichen Maßnahmen in beispiellosem Ausmaß, Umfang und Tempo zu stellen.“ 

Die EU-Bürger dürfen sich also wieder einmal auf einen Krisenmodus freuen! Daran sind sie immerhin in den Corona-Jahren schon ein wenig gewöhnt worden. Ebenfalls bereits im März hat die Kommission ihre Strategie für eine Spar- und Investitionsunion vorgestellt, die Anreize für Risikokapital schaffen und einen Investitionsfluss in der EU sicherstellen soll. Die Kommission erwartet von ihren Untertanen...pardon...von den EU-Bürgern unverblümt, dass sie ihre Ersparnisse für „Investitionen in den ökologischen und digitalen Wandel, die Verteidigung und andere wichtige Wachstumssektoren“ nutzen sollen. Auch für ihre Altersvorsorge sollen die Bürger mehr in Kapitalmarktinstrumenten anlegen. Außerdem will die Kommission die Bankenunion ausbauen und „daran arbeiten, den Rahmen für das Krisenmanagement fertigzustellen und ein europäisches Einlagensicherungssystem einzurichten.“

Am 20. Mai veröffentlichte die EU-Kommission dann immerhin eine Pressemitteilung, in der sie ankündigte, das Konzept der sicheren Drittstaaten überarbeiten zu wollen. Dieses Konzept ermöglicht es den EU-Mitgliedstaaten, einen Asylantrag als unzulässig zu betrachten, wenn der Antragsteller in einem Drittstaat, der als sicher für ihn gilt, wirksamen Schutz erhalten könnte. Nach derzeitigem EU-Recht müssen die Asylbehörden allerdings eine Verbindung zwischen dem Antragsteller und dem betreffenden sicheren Drittstaat nachweisen. Künftig soll dies nicht mehr obligatorisch sein. Dadurch sollen Asylanträge effizienter bearbeitet werden können. Auch der Transit durch ein sicheres Drittland vor Erreichen der EU kann nun als ausreichende Verbindung für die Anwendung des Konzepts betrachtet werden. Darüber hinaus kann das Konzept angewendet werden, wenn ein Abkommen oder eine Vereinbarung mit einem sicheren Drittstaat besteht. 

Mit Blick auf den nächsten mehrjährigen EU-Finanzrahmen

Künftig wäre also die Einrichtung von Abschiebezentren in Drittstaaten möglich. Diese Option würde jedoch nicht für unbegleitete Minderjährige gelten. Um Verfahrensverzögerungen zu verringern und Missbrauch zu verhindern, schlägt die Kommission außerdem vor, dass Rechtsmittel gegen Unzulässigkeitsentscheidungen, die sich auf das Konzept des sicheren Drittstaates stützen, nicht mehr automatisch aufschiebende Wirkung haben. Zuerst müssen sich aber noch das Europäische Parlament und der Rat auf den Kommissionsvorschlag einigen.

Ebenfalls am 20. Mai informierte die EU-Kommission über ihren langfristigen Haushalt. Mit Blick auf den nächsten mehrjährigen EU-Finanzrahmen (MFR), der ab 2028 gilt, sagte Kommissionspräsidentin von der Leyen bei der alljährlichen EU-Haushaltskonferenz in Brüssel:

 „Über die Jahre habe ich gelernt, dass unser Haushalt viel mehr ist als Finanzen und Regeln. Weil ich gesehen habe, wie er das Leben und die Lebensgrundlagen verändert. Er hat überschwemmtes Ackerland wieder nutzbar gemacht. Er hat auf dem Höhepunkt der Pandemie dazu beigetragen, 40 Millionen Arbeitsplätze zu erhalten. Und er ermöglichte es einem kleinen Start-up, den revolutionären Impfstoff zu entwickeln, der Millionen von Menschen vor Corona rettete. Das ist der Unterschied, den unser Haushalt ausmacht. Er ist der Motor, der unsere Prioritäten in die Tat umsetzt, und er ist das Rückgrat unserer Union.

Schwachstellen bei Leistung, Rechenschaftspflicht und Transparenz

Der Haushalt müsse flexibler und auch wie eine Notfalltruppe eingesetzt werden können: Er müsse da, wo es darauf ankommt, schnell, effizient und wirkungsvoll Ergebnisse liefernDerzeit gebe es noch zu wenig Abstimmung der verschiedenen Ebenen, dem Privatsektor und der Institutionen. Es sei eine „starke Steuerung auf europäischer Ebene“ sowie ein vereinfachter Zugang zu europäischen Fonds nötig. Das sei der spezielle Mehrwert eines Haushalts auf kontinentaler Ebene. Daher werde es im nächsten Haushalt einen einzigen Europäischen Fonds für Wettbewerbsfähigkeit mit einfachen Regeln und transparenten Verfahren geben. Außerdem müssten neue Finanzierungsquellen erschlossen werden, da die Darlehen für den Corona-Wiederaufbaufonds (NextGenerationEU) zurückgezahlt werden müssten, was die nationalen Haushalte allein nicht stemmen könnten. 

Just Anfang Mai hatte der Europäische Rechnungshof (EuRH) allerdings darauf hingewiesen, dass das Herzstück dieses Fonds, nämlich die sogenannte Aufbau- und Resilienzfazilität (ARF), Schwachstellen bei Leistung, Rechenschaftspflicht und Transparenz hat. Auch wenn die ARF eine entscheidende Rolle bei der Erholung der EU nach der Pandemie gespielt habe, lägen kaum Informationen über die Ergebnisse und gar keine über die tatsächlichen Kosten vor. Daher sei nicht klar, was die Bürger konkret für ihr Geld erhielten. Aus dem 650 Milliarden Euro schweren Topf der ARF wurden ab 2021 Reformen und Investitionen in Bereichen wie dem ökologischen oder dem digitalen Wandel finanziert. Um Geld zu erhalten, müssen die EU-Länder die in ihren nationalen Plänen vorab festgelegten Etappenziele und Zielwerte erreichen. 

Der Rechnungshof fordert nun, dass in Zukunft kein ähnliches Instrument zugelassen werden dürfe, ohne über Informationen zu den tatsächlichen Kosten und den Endempfängern zu verfügen. Bei künftigen leistungsbasierten Haushalten müsse die Finanzierung stärker an Ergebnisse geknüpft sein und auf klar definierten Regeln beruhen. Andernfalls solle ein solches System nicht genutzt werden. Derzeit verlasse sich die Kommission beispielsweise weitgehend darauf, dass die EU-Länder schwerwiegende Regelverstöße selbst aufdecken und beheben und die Einhaltung europäischer und nationaler Vorschriften sicherstellen. Zudem könne die EU-Kommission keine Finanzkorrekturen verhängen. 

Scharfe Kritik seitens des Rechnungshofes

Darüber hinaus könne sie bei konkreten Verstößen gegen die Vergabevorschriften generell kein Geld zurückfordern. Dies bedeute, dass die EU-Kommission bei der Vergabe öffentlicher Aufträge selbst im Falle von Unregelmäßigkeiten Zahlungen in voller Höhe leiste, noch bevor die Projekte abgeschlossen seien. Dies stelle ein Risiko für die finanziellen Interessen der EU dar, da die Mitgliedstaaten die Gelder letztlich behalten könnten, auch ohne die Projekte zu vollenden. 

Die ARF wird fast vollständig durch Kredite finanziert. Der Kommission sei es zwar gelungen, so der Rechnungshof weiter, rasch und erfolgreich Geld für die ARF zu beschaffen. Die Zinssätze seien jedoch immens gestiegen, und die ursprünglich geschätzten Finanzierungskosten könnten sich bis 2026 mehr als verdoppeln. Zusätzlich zu den Tilgungszahlungen werde dies künftige EU-Haushalte erheblich unter Druck setzen. Bei  künftigen Kreditaufnahmen müsse die EU unbedingt im Voraus einen Kredittilgungsplan aufstellen, in dem angegeben ist, woher die Mittel kommen sollen. Dies sei bei der ARF nicht der Fall gewesen. Die Schulden aus der ARF müssen bis 2058 von der EU-Kommission (für Zuschüsse) und von den Mitgliedstaaten (für Darlehen) zurückgezahlt werden. 

Scharfe Kritik seitens des Rechnungshofes also. Doch ob die Kommission sie ernst nimmt? Sie ist offenbar mehr damit beschäftigt, die Ergebnisse eines Bürgerforums auszuwerten, die ebenfalls auf der Haushaltssitzung vorgestellt wurden: 150 nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Bürger aus den 27 EU-Mitgliedstaaten hatten über ihre Vorstellungen und Vorschläge diskutiert, welche Prioritäten und Maßnahmen die EU künftig finanzieren sollte. Fragt sich, warum es dann überhaupt noch gewählte Politiker in Parlamenten geben muss, wenn solch ein zufälliger Rat es doch auch tut. 

Kritik der Bürger ist nicht erwünscht

Zumal, wenn er auch noch die selben politischen Prioritäten setzt wie die EU-Kommission. Denn das Bürgerforum, das der Kommission ein Paket mit 22 Empfehlungen übergeben hat, ermutigt dazu, sich beim neuen EU-Haushalt insbesondere auf erneuerbarer Energien, die Inklusion von Migranten und Geflüchteten, einengleichberechtigten Zugang zu grenzüberschreitender Gesundheitsversorgung, eine unabhängigere EU im Verteidigungsbereich, nachhaltigere Lebensmittelsysteme,  Souveränität der EU im Bereich der digitalen Technologien (einschließlich KI) und eine gemeinsame europäische Identität zu konzentrieren. Also exakt auf die Prioritäten der derzeitigen EU-Kommission.

Kritik der Bürger ist offenbar nicht erwünscht. Kritik des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) auch nicht. Am 14. Mai hatte das höchste europäische Gericht entschieden, dass die EU-Kommission ihre per SMS getätigten und bislang geheim gehaltenen Impfstoffdeals offenlegen muss (achgut berichtete). Die Reaktion der Kommission fiel äußerst schmallippig aus. Sie erklärte lediglich, dass sie die Entscheidung des Gerichts über einen Antrag auf Zugang zu Dokumenten (Rechtssache T-36/23) zur Kenntnis nehme, diese genau prüfen und über die nächsten Schritte entscheiden werde.

Zu diesem Zweck werde die Kommission einen neuen Beschluss mit einer detaillierteren Erläuterung erlassen. Außerdem hob sie hervor, dass das Gericht die Registrierungspolitik der Kommission in Bezug auf den Zugang zu Dokumenten nicht in Frage gestellt habe. Das Gericht habe nur festgestellt, dass die Kommission in ihrer Entscheidung genauer hätte erläutern müssen, dass sie keine Dokumente der beantragten Art besitzt. Scheinheiliger geht es kaum. Geradezu wie blanker Hohn wirkt auch die in der Stellungnahme getätigte Aussage: „Transparenz war für die Kommission und Präsidentin Ursula von der Leyen schon immer von größter Bedeutung.“ 

Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter

Kritik von Journalisten mag die EU-Kommission ebenfalls nicht. In diesem Sinne könnte jedenfalls die Ankündigung verstanden werden, dass die Kommission „unabhängige Berichterstattung über EU-Themen durch paneuropäische Medien“ mit 13,5 Millionen Euro unterstützen will. Ziel sei es, „die Quantität, Qualität und Wirkung der Berichterstattung über EU-Angelegenheiten in möglichst vielen Sprachen und Mitgliedstaaten zu verbessern“. Einer der Schwerpunkte liegt dabei „auf der Einrichtung oder Aufrechterhaltung eines Nachrichtendienstes auf Ungarisch“. Klingt fast so, als wollte die Kommission die störrischen Ungarn erziehen. 

Dazu passt noch eine weitere Mitteilung der Kommission, in der sie darüber informiert, dass sie „die Resilienz gegen Desinformation und die Sichtbarkeit von faktengeprüften Inhalten in der EU stärken“ will. Dazu hat sie zwei Aufforderungen zur Einreichung von Vorschlägen mit einem Gesamtbudget von fast 5 Millionen Euro veröffentlicht. Bis zum 16. Juni können sich unter anderem „Akteure aus der Zivilgesellschaft, Hochschulen und Forschungszentren“ bewerben. Die Gewinner werden mit der Europäischen Beobachtungsstelle für digitale Medien (EDMO) zusammenarbeiten.

Derweil beschäftigen sich die einzelnen EU-Kommissare mit weiteren wichtigen Dingen. So rief  Roxana Mînzatu, Exekutiv-Vizepräsidentin für soziale Rechte und Kompetenzen, hochwertige Arbeitsplätze und Vorsorge, am 19. Mai dazu auf, Meinungen zur anstehenden Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter 2026-2030 mitzuteilen. Sie stellte klar: „Gleichstellung kommt nicht zufällig vor. Es braucht Visionen – und Maßnahmen. Deshalb fordern wir alle Europäerinnen und Europäer auf, die nächste Strategie für die Gender-Gleichstellung mit ihren Ideen und Erfahrungen zu gestalten. Wenn wir gemeinsam vorankommen, können wir echte Fortschritte verzeichnen.“ Und  Hadja Lahbib, EU-Kommissarin für Gleichheit, Vorsorge und Krisenmanagement, ergänzte: „Die Gender-Gleichstellung ist nicht verhandelbar.“ Beiträge können bis zum 19. August eingereicht werden

„Wir brauchen ein Preisschild für die Wiederherstellung der Natur“

Die Exekutivvizepräsidentin der Europäischen Kommission für einen sauberen, fairen und wettbewerbsfähigen Wandel, Teresa Ribera, sagte bei ihrem Antrittsbesuch in Berlin unter anderem, es gehe jetzt darum, gemeinsam zu entscheiden, wie die Dekarbonisierung der Industrie am besten vorangebracht werden können. Darauf, dass diese Dekarbonisierung vielleicht doch nicht die allerbeste Idee ist, könnte Ribera allerdings kommen, wenn sie sich die Wachstumsprognose für die Eurozone anschaut, die die EU-Kommission selbst veröffentlicht hat: Sie wurde für für 2025 auf 0,9 % und für 2026 auf 1,4 % korrigiert. Insbesondere die Prognose für Deutschland ist wenig erfreulich: Nach einem leichten Rückgang über zwei Jahre in Folge dürfte die Wirtschaftstätigkeit 2025 weitgehend stagnieren.

Im „Europe Sustainable Development Report 2025“ der Vereinten Nationen, in dem die Prioritäten beschrieben werden, die die EU-Kommission setzen muss, um die Nachhaltigkeitsziele (Sustainable DevelopmentGoals, kurz: SDG) der Agenda 2020 zu erreichen, steht Deutschland hingegen auf Platz 6 des sogenannten SDG-Index. Das ist doch ein stolzes Ergebnis! Was kümmert da das ausbleibende Wirtschaftswachstum? Der Bericht wurde übrigens von der Heinrich-Böll-Stiftung unterstützt.

Jessika Roswall, EU-Kommissarin für Umwelt, resiliente Wasserversorgung und wettbewerbsfähige Kreislaufwirtschaft, rief in einer Grundsatzrede auf dem Global Solutions Summit in Berlin denn auch dazu auf, die Beziehung zwischen Wirtschaft und Natur grundlegend neu zu denken. Die Zerstörung der Natur zu stoppen sei eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Um diese zu bewältigen, können Naturgutschriften – sogenannte nature credits – eine wichtige Rolle spielen. O-Ton Roswall: „Wir brauchen ein Preisschild für die Wiederherstellung der Natur.“ Wiederherstellung bedeutet jedoch beispielsweise auch die Renaturierung von Mooren, sprich: die Flutung von Ackerflächen. Was die europäischen Landwirte mit Sorge erfüllt.

Im digitalisierten Tante Emma-Laden

Die deutschen Landwirte treiben auch noch ganz andere Probleme um. So warnt FREIE-BAUERN-Vorstand Ulf Simon in einer Pressemitteilung vom 16. Mai davor, betriebliche Daten an die Saatgut-Treuhand weiterzugeben. Die Verwendung von Getreide aus der letzten Ernte für die nächste Aussaat sei jahrhundertelang frei gewesen. Seit einer Änderung des Sortenschutzrechts versuche jedoch ein Kartell der Pflanzenzucht-Konzerne, Gebühren darauf zu erheben.

Dazu ist die Treuhand allerdings auf die betrieblichen Daten der Landwirte angewiesen, die sich aber vor allem an der digitalen Erntegut-Bescheinigung stören. Denn hier müssten sämtliche Einkaufsbelege sowie ein vollständiges Anbauverzeichnis zur Verfügung gestellt werden. Die Freien Bauern befürchten nun, dass durch diese Datenfalle ihre Saat und Ernte vollständig kontrolliert werden sollen.

Gäbe es eine Neuauflage der Uhlenbusch-Serie, würde es darin nun wohl weniger um Ferkel als um Datenkraken gehen. Und im digitalisierten Tante Emma-Laden von Frau Piepenbrink könnte die kleine Lisa nicht mehr mal eben etwas anschreiben lassen.

 

Martina Binnig lebt in Köln und arbeitet u.a. als Musikwissenschaftlerin (Historische Musikwissenschaft). Außerdem ist sie als freie Journalistin tätig.

Foto: Elle Is Oneirataxic CC BY 2.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

netiquette:

Gert Lange / 23.05.2025

Ich sehe indem was da von Seiten der EU kommt nur noch Ein- beschränkungen, Lebenserschwernisse sowie Knechtungen in allen Lebensbereichen, China einholen ohne zu überholen, oder?

D. Brauner / 23.05.2025

AMLA und HERA wären auch noch als Kontrollinstrumente zu nennen, von “Freiheit” und “Sicherheit” in “unserer” Demokratie. Bürgervieh mit digitaler Ohrmarke, das ist das, was aus uns wird. Aber in Deutschland ist dann bestimmt gerade kein Papier mehr da, für die Fahrkarten, die wir Deutschen ja dann zuerst kaufen würden, bevor wir auf dem Bahnsteig demonstrieren gingen ... oder?

Lutz Leibezeit / 23.05.2025

“Der Haushalt müsse flexibler und auch wie eine Notfalltruppe eingesetzt werden können: Er müsse da, wo es darauf ankommt, schnell, effizient und wirkungsvoll Ergebnisse liefern.” - “Mit einer Stimme sprechen” - heißt genau das! Diktaturen sind effizient. Da muß nicht lange über den richtigen Weg debattiert werden, da heißt das “alternativlos” und “Basta”! Rationalisierung, effektiv, leistungsfähig, wirtschaftlich, schnelles Internet - das mußte ja herauskommen. Merkel wollte für die EU eine Wirtschaftsregierung. Das müffelte für die alternative Presse nach Braunau. Die Zeit wohl noch nicht gekommen? Die EU mit ihrer Hyrarchie bietet sich für die eine Stimme an. Was ich nicht verstehe, wie jemand freiwillig von Von der Leyen geführt werden will? Frauen haben dieses Despotengen, das weiß jeder, der eine Frau zu Hause hat. Durch die Vordertür geht der Hausdrache raus, durch die Hintertür kommt er rein.  @ Harald Hotz - Estland war Opfer einer russischen Cyberattacke und das gesamte System, Wasserversorung, Bankautomaten - nichts ging mehr. Dann nützt einem auch das Smartphone nichts. Am nächsten Tag war die Revolution auf der Straße. “M” hat James Bond, als er widerspenstig wurde, seine Kreditkarten gesperrt. @L.Luhmann Sehe ich ganz ähnlich, das läuft auf den Feudalismus raus. Bill Gates ist einer der größten privaten Landbesitzer in den USA.

Steffen Huebner / 23.05.2025

Ausreiseverbot, um “Schaden von der Bundesrepublik” abzuwenden - das klingt ja wie DDR 2.0.

L. Luhmann / 23.05.2025

@Michael Hinz / 23.05.2025 - “#Zahlungserlebnis# - der war gut. Hab ich jetzt täglich und in jeder Pommesbude…...”—- Eine Vergewaltigte war ja auch eine Erlebende!

Lutz Herrmann / 23.05.2025

“Was das Ausreiseverbot angeht, um Schaden von der Bundesrepublik abzuwenden, würde mich interessieren, auf welcher rechtlicher Grundlage dies beruht?” Das sind die Paragraphen sieben und zehn des Passgesetzes. Das läuft unter “erhebliche Belange der Bundesrepublik”. Und das wiederum ist in der Passverwaltungsvorschrift geregelt. Also das Ansehen der BRD als Weltsozialamt ist gefährdet.

Horst Teltschick / 23.05.2025

Bei der ganzen zwangsverordneten Digitalisierung muß ich stets an den Film „Das Netz“ mit Julia Roberts oder Sandra Bullock (kann mir Schauspieler nicht merken) aus den 90ern denken, in dem per Knopfdruck die Identität der Protagonistin gelöscht wurde, und diese mühsam sich selbige wieder zurückerkämpft. Ich befürchte, daß das dann auch unliebsamen Zeitgenossen in der EUdSSR droht! Nur mit dem klitzekleinen Unterschied, kämpfen lohnt sich bei der Krake nicht mehr. Hätte was von Erwin Schrödingers Katze: man lebt noch, obwohl man (digital) bereits tot ist.

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