Erik Lommatzsch, Gastautor / 21.04.2020 / 15:00 / 49 / Seite ausdrucken

Jetzt als Staatspetze bewerben

„Der größte Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant.“ Ob der Ausspruch wirklich von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben stammt, ist nicht so ganz klar. Über absolute Lumpengröße ließe sich auch diskutieren, neben dem Denunzianten gibt es noch weitere menschliche Charaktere, die in dieser Kategorie Spitzenplätze beanspruchen dürfen.

Ungeachtet dessen wird die einprägsame Formulierung oft und gern zitiert. Einige lernen es als Kinder – man petzt nicht. Es soll sogar Lehrer geben, die sich darauf verstehen, ihren Schülern zu vermitteln, dass es einerseits ein zu akzeptierendes Regelwerk gibt, andererseits Verhaltensweisen, die zwar de jure zähneknirschendes Lob zur Folge haben, aber künftig den Blick in den Spiegel und einen ruhigen Nachtschlaf deutlich erschweren.

Wie tief verwurzelt die Ansicht ist, dass es sich beim Denunzianten um einen zumindest sehr großen Lumpen handelt, ist jedoch unklar und wird es wohl auch immer bleiben. Eine Art Restscham (die wiederum für den Wahrheitsgehalt des Dichter-Satzes spricht) hält den infrage stehenden Menschentyp meist davon ab, sich offen zu seinem Tun zu bekennen, zudem ist die Geheimhaltung ja auch eine wesentliche Arbeitsgrundlage der Petze. Menschen, die die Dinge zumindest semiprofessionell betreiben, versuchen ihr neben der Restscham verbliebenes Restgewissen gern mit der Wortwahl zu sedieren, sie würden „ja nur Informationen weitergeben“.

Dem Vernehmen nach hat während der „Corona-Krise“ eine nicht unerhebliche Anzahl von Staatsbürgern ihre Fähigkeit zur Wachsamkeit unter Beweis gestellt und der Polizei mit Anrufen hilfreich zur Seite gestanden. Beispielsweise, wenn Mitmenschen gesichtet wurden, die die „Verordnungen“ der Regierenden nicht ganz bis zum Schluss durchgelesen und entsprechend widerborstig langsam durch den Stadtpark oder rüsselfrei durch einen sächsischen Supermarkt getrödelt waren.

„Spannende Tätigkeit mit gesellschaftlichem Mehrwert“

Aber warum ehrenamtlich hinter der Gardine lauern, wenn eine „unbefristete Einstellung bis in die Entgeltgruppe 8 TV EngtO Bund sowie Möglichkeit zur späteren Verbeamtung“ geboten wird?

Noch bis zum 9. Mai kann man sich beim Bundesamt für Verfassungsschutz als Staatspetze bewerben (Ausschreibung hier). Nicht nur m/w, auch „diversen“ Petzen wird eine Perspektive geboten. Das Ganze steht – wie weitere Karriereangebote beim deutschen Inlandsgeheimdienst – unter dem Leitspruch „Im Verborgenen Gutes tun!“ (Wäre der Satz Gegenstand eines Ratespiels gewesen – man hätte ihn wohl eher der Diakonie oder der Caritas zugeordnet.)

Natürlich hat der „Beruf“ beim Bundesamt auch einen schönen und gewichtigen Namen. Die entsprechenden Mitarbeiter sind „Sonder-Observationskräfte für die mobile Observation“. Der Einsatz erfolgt „beim Schutz von Personen und Veranstaltungen“. Zudem bestehen die Aufgaben darin, „Personen, Objekte und Ereignisse – insbesondere im Bereich Extremismus und Terrorismus“ zu observieren. Nun wird kein vernünftiger Mensch etwas gegen eine Tätigkeit einzuwenden haben, die Gewaltakte verhindert. Aber ist das wirklich der Schwerpunkt der Arbeit der „Sonder-Observationskräfte“? Geht es auch oder sogar vor allem um weitere Überwachungsfelder? Für den „Frieden“ – und damit ein unhinterfragbares „Gutes“ – wurde auch schon durch andere Organisationen und Staatssysteme „gekundschaftet“. Zumindest haben sie es selbst so gesehen.

Der Verfassungsschutz bietet laut Ausschreibung – wörtlich – „Sinnhaftigkeit“, und zwar eine „spannende Tätigkeit mit gesellschaftlichem Mehrwert und aktuellem politischen Bezug“. Wer also bislang über den „gesellschaftlichen Mehrwert“ seines Daseins im Zweifel war – hier findet sich die Antwort, möglicherweise sogar mit Pensionsanspruch. Und man kann es allen mal so richtig zeigen, die einen bisher immer so maßlos unterschätzt haben.

Unangenehm ist nur, dass dann möglicherweise wieder irgendein Dichter dichtet und die solcherart Tätigen als „größte Lumpen“ bezeichnet. Auch der heute etwas ungebräuchliche Begriff „Spitzel“, der allerdings weniger auf die Profi-Ebene verweist („Entgeltgruppe 8 TV EngtO Bund“), könnte einem in den Sinn kommen. Der weniger antiquierte und weniger poetische Volksmund ordnet die besagten Personen gern in die Rubrik „Arschgeigen“ ein – aber was weiß das gemeine Volk schon darüber, wie schwer es ist, „Gutes“ im „Verborgenen“ zu tun?

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Leserpost

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Dr. Mircea Barnaure / 21.04.2020

Hab Sie grade auf der Gollwitzerbrücke begrüßt, Sie trugen keine Maske (ich schon), ich habe Sie nicht denunziert, und ich werde es auch in der Zukunft nicht tun. Seien Sie mir nicht böse deswegen. Gruß.

Marie Bergner / 21.04.2020

Stasigall, ick hör Dir trapsen. Na Dankeschön.

Jörg Themlitz / 21.04.2020

Herr Lommatzsch schauen Sie mal. Das haben Sie sich durch die Lappen gehen lassen? “Wir haben uns die berufliche Förderung von Frauen nach Maßgabe des BGleiG zum Ziel gesetzt und sind deshalb besonders an Bewerbungen von Frauen interessiert.”  und “...familienfreundliches Arbeitsumfeld…”, Tätigkeit “...insbesondere im Bereich Extremismus und Terrorismus…” , Vom Dorfbrunnen direkt in die IS-Familie?  Na bitte, familienfreundliches Arbeitsumfeld und alle hacken auf dem IS rum.

Dr. Joachim Lucas / 21.04.2020

Einen ordentlichen Hochverrat GEGEN den Staat lass ich mir noch gefallen. Dazu gehört Mut. Aber dieses kriechende Denunziantentum FÜR die “Obrigkeit” bei Kleinstverstößen ist die unterste Schublade. Aber da holt sich dieser Menschentyp wahrscheinlich geistig einen runter. Denn sonst hat er nichts im Leben zu melden, ist nichts als ein kleiner Spießer. Nach dem Motto: “Herr Lehrer, ich weiß was”. Wirft auch ein bezeichnendes Licht auf diesen Staat, dass er auf solche Typen setzt.

Frank Volkmar / 21.04.2020

Blockwarte und “Staatspetzen” neben Politikdarstellern.

Karsten Dörre / 21.04.2020

BND und Verfassungsschutz suchen immer Mitarbeiter. Was glaubt der Verfasser des Artikels, wie BND- und Verfassungsschutz seine Mitarbeiter rekrutiert? Im Verborgenen, in dunklen Hinterhöfen oder konspirativ in einer Hafenspelunke? Mein Sohn hatte im Jahr 2019 ganz offiziell sich beim BND für den Standort Berlin oder als Angestellter in der öffentlichen Verwaltung und Polizei unseres Bundeslandes beworben. Letztendlich entschied er sich für eine Ausbildung und Job im Heimatort, bei einer staatlichen Versicherung. Er hatte sowas von Auswahl, alle wollten ihn haben. Man sucht seit einigen Jahren vergeblich nach Nachwuchs, weil die Deutschen zu alt und berentet werden und junge Leute durch den Bildungsnotstand zu nichts taugen.

Dov Nesher / 21.04.2020

Also bisher waren es die Linksextremisten, die am meisten über den Verfassungsschutz gejammert haben. Auch die brauchen Mitarbeiter das ist ganz normal und wäre nochbim Januar keine Meldung bei Achgut wert gewesen. Höchstens vielleicht die unangemessenen Reaktionen der Antifa.

Thomas Schmied / 21.04.2020

“Im Verborgenen Gutes tun” - so werben sie. Was “gut” ist, das ist immer auch stark vom Zeitgeist und von den Herrschenden abhängig, die den Zeitgeist vorgeben oder sich ihm andienen. Diese Herrschenden prägen und erzeugen auch das, was “öffentliche Meinung” genannt wird. Das beschrieben Wolf Schmidt und Gretl Pilz bereits in dem im Jahr 1947 aufgezeichneten Couplet des Kabaretts “Die Zeitgenossen” sehr treffend, das bei Youtube zu finden ist.

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