Jesko Matthes / 28.07.2018 / 06:07 / Foto: Aatu Itkonen / 38 / Seite ausdrucken

Jens Spahns neue Zeitrechnung für Hausärzte

Auf Anregung des Bundesgesundheitsministers soll aus den Arztpraxen mit einer simplen Maßnahme der Termindruck genommen werden: längere Sprechzeiten. Bisher sollen Kassenärzte mindestens zwanzig Stunden pro Woche ihre Regelsprechstunde in der Praxis anbieten, klingt doch nicht nach viel, und nun werden es gesetzliche fünfundzwanzig. Jawoll, sollen die Mediziner mal arbeiten!

Denn Arzt muss ja ein cooler Job sein: zwanzig Wochenstunden, und ab in die soziale Hängematte, die viele Freizeit genießen. Fragen Sie mal meine Frau, das verhinderte Milchmädchen...

Für alle, die das interessiert: Montags, dienstags und donnerstags habe ich je sechs Stunden Regelsprechzeit, mittwochs und freitags je dreikommafünf, macht Summa summarum fünfundzwanzig, ich bin also schon einmal auf Jens-Spahn-Niveau. Damit könnte ich die Sache ad acta legen, sie betrifft mich nicht. Oder doch?

Rechnen wir mal weiter: Bei den Regelsprechzeiten handelt es sich um jene Zeiten, in denen die Tür der Praxis offen steht. Etwa neunzig bis einhundertzwanzig Minuten länger zu arbeiten, weil es schlicht krachend voll ist, stellt den auch auf Patientenseite bemängelten Normalzustand jedes einzelnen Arbeitstages dar, denn natürlich entstehen so tagesgleiche Wartezeiten in beträchtlichem Ausmaß gerade für diejenigen, die nicht per Termin gekommen sind, sondern als Notfall.

Dann wären da noch die Hausbesuche in der „Mittagspause“ und nach „Feierabend“, die Visiten in drei Altenheimen und eine kleine chirurgische Sprechstunde mit Operationen sowie der „Bürokratietag“ für Reha-, Renten- und Sozialanträge, jeweils an ein bis zwei Sonnabenden pro Monat, zu je weiteren sechs Stunden, zuzüglich jener „Mittagspausen“ und „Feierabende“ natürlich, die ich mit weiterer Bürokratie verbringe, beispielsweise dem Ausfüllen von Berichten für die Sozialbehörden und Sozialgerichte, für die Rentenversicherungsträger und den Medizinischen Dienst der Krankenkassen, der meine sozial so freundliche und volkswirtschaftlich so gefährliche Tätigkeit als Onkel Doktor kontrolliert.

Und dann hätten wir da noch die durchschnittlich zwei dringlichen Notfälle pro Woche, die die Sprechstunden unterbrechen, wenn es sein muss, auch per Hausbesuch. Wie heißt es doch? Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will!

Kassensturz für den Minister

Erst jetzt wird die Rechnung mit dem Wirt gemacht, und der heißt in meinem Etablissement, dem Himmel sei es gedankt, nicht Jens Spahn: Ich setze locker und bescheiden täglich zwei Überstunden für die Sprechstunde, zwei Überstunden für die Hausbesuche und eine Überstunde für Bürokratie an, die ein bis zwei Sonnabende verteile ich auf zwei Stunden wöchentlich. Kassensturz: zweiundfünfzig Wochenstunden. Unter uns: Dieser kleine Laden mit fünf Angestellten muss auch noch unwesentlich verwaltet werden, es gibt da noch ein paar kleine Störfaktoren wie Gehaltsabrechnungen, Rechnungen, Management und Controlling und meinen mit den Hufen scharrenden Steuerberater. Schwupps, weitere sechs Wochenstunden. Hurra, die sechzig ist erreicht! Gesundheits-Jens stellt mir daher „mehr Geld“ in Aussicht, wenn ich als Landarzt neue, zusätzliche Patienten annehme – und mich damit in aller Ruhe und ganz gemütlich der Siebzigstundenwoche genauso nähere wie dem Regress. Ja, nee, is klar!

Ich habe da nämlich auch noch so ein paar lustige Budgets, für Ihr Medikament und Ihre Krankengymnastik zum Beispiel, aber auch für die Gesamtzahl der von mir behandelten Kranken und für meine maximale tägliche Arbeitszeit, und ich sage dann immer zu mir selbst, also nicht zu Ihnen natürlich, die Politik möge dann auch die Müllabfuhr zur Mehrarbeit zwingen und danach für die Menge des von ihr abtransportierten Mülls bestrafen, das wäre genauso sinnstiftend. Ist übrigens auch eine echt coole Maßnahme der Nachwuchsförderung für Landärzte!

Machen wir noch ganz kurz weiter: Hätte ich nur zwanzig Stunden Regelsprechzeit pro Woche, wie Jens Spahn es bemängelt, dann käme ich jetzt immer noch auf fünfundfünfzig Wochenstunden. Jede halbwegs spaßorientierte Gewerkschaft bekäme schon ab achtunddreißigkommafünf Zulauf und reichlich rein verbalen Rückenwind von SPD oder Linkspartei für regelmäßige, sozial gerechte Demos vor irgendwelchen Behörden und Arbeitgeberpalästen.

Einer meiner Kollegen illustriert im Niedersächsischen Ärzteblatt die komplette Sinnfreiheit der Spahn’schen „Reform“ noch deutlicher, indem er in seinem Leserbrief sinngemäß schreibt, man könne dann ja offenbar auch die Wohnungsnot in einer Großstadt dadurch bekämpfen, indem der Oberbürgermeister mehr Sprechzeiten bei Maklern und Wohnungsgesellschaften anordnet.

Eine physikalische Lösung für Jens Spahn

Nun ist es ja nicht so, dass ich kein Verständnis hätte für Politiker. Gesundheits-Jens hat ziemlich sicher auch eine Fünfundfünzigstundenwoche, von Bundeswehr-Uschi und meiner geliebten Kanzlerin ganz zu schweigen, es kann ja schließlich nicht jeder, der vorläufig noch in Amt und Würden ist, so viel Freizeit haben wie Martin Schulz oder soviel Asche wie Gerhard Schröder im politischen Ruhestand. Das alles verstehe ich sogar sehr gut, nur hält sich mein Mitleid in Grenzen: Wer eine Menge Probleme erzeugt, der muss eben nachsitzen, das war schon zu meiner Schulzeit so. Oder in die Wirtschaft gehen, am besten in die russische, die kennen sich mit Planwirtschaft wenigstens noch aus, und dann passiert hier weniger autoritärer Mist.

Ich habe allerdings auch eine physikalische Lösung für Jens Spahn, denn offensichtlich ist das alles ja auch nach meiner Argumentation eine relative Sache:

Man muss sich nur schneller bewegen, dann hat man viel mehr Zeit! Albert Einstein hat das schon vor über hundert Jahren bewiesen. Den Effekt nennt man Zeitdilatation. Jens Spahn kann daher mit seinem Reformhaus gern in der schnellen Umlaufbahn bleiben und seinen Zeitgewinn genießen, während ich mich hier unten schon auf den nächsten, langsamen Spaziergang zur Wahlurne in der hiesigen Grundschule freue. An einem Sonntag nehme ich mir dann auch für Jens Spahn sehr gern die nötige Zeit.

Foto: Aatu Itkonen CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Joachim Lucas / 28.07.2018

Politik trifft Realität, so wie immer, wenn in Ministerbüros versucht wird nachzudenken. Aber es stehen doch nach ganz andere Möglichkeiten offen. Die vielen Flüchtlings”ärzte” aus Syrien und Afrika, außerdem gibt es noch so viele Leute mit irgendwelchen Bescheinigungen aus den Bereicherungsländern, die auch gerne hier Arzt werden wollen (fehlen dann dann bei denen). Vielleicht gibt es, ähnlich “Juniorprofessuren” demnächst “Juniorärzte” mit Blitzausbildung. Wer aber am Ende und jetzt schon all die vielen “Goldstücke” der Flüchtlingsindustrie hier noch dauerhaft mitversorgen und grundsanieren darf sind Sie und bezahlen tun wir Steuerzahlenden das alles. Wer sich wundert, dass Steuern, KK-Beiträge (Finanzamt II) und Pflegeversicherung dauerhaft markant steigen werden, ist naiv. Die dauerhafte Kinderlosigkeit seit den 70-iger Jahren erledigt den Rest. Die Zeitbomben sind seit langem scharf, nur die Lunte wird immer kürzer.

Bernhard Krug-Fischer / 28.07.2018

Sehr geehrter Herr Matthes,  eine sehr gute Beschreibung Ihres Berufslebens und ich keine andere Ärzte, da sieht es ähnlich aus. Das Problem ist bei Vorschlägen von Ministern oder “wichtigen"Politikern, dass sie keine Ahnung mehr haben, wie es in der Realität abläuft. Da werden ohne Sinn, Zweck und Verstand Entscheidungen getroffen und wundern sich dann, dass dann nichts mehr funktioniert. In großen Behörden läuft es genau so. Von den Arbeitsabläufen keine Ahnung, Entscheidungen treffen und nicht berücksichtigen, was das für einen Rattenschwanz nach sich zieht. So werden funktionierende Strukturen vernichtet. Ich habe seit einiger Zeit die Einstellung, das ist politisch gewollt und damit Pasta.  Warum sich noch aufregen.

Stefan Hofmeister / 28.07.2018

Warum meckern? Stimmen Sie doch mit den Füßen ab. Habe ich auch gemacht, wenngleich in einer gänzlich anderen Branche tätig ...

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Jesko Matthes / 16.02.2024 / 11:00 / 39

Wie man eine potemkinsche Landesverteidigung aufbaut

Deutschland erreicht das Zwei-Prozent-Ziel der NATO auf wundersame Weise ganz von alleine, und Boris Pistorius ist ein Genie. Boris Pistorius sieht Deutschland als militärisch-„logistische Drehscheibe in…/ mehr

Jesko Matthes / 24.11.2023 / 16:00 / 52

EMA: Niemand hatte die Absicht, eine Massenimpfung zuzulassen

Die EMA gibt gegenüber EU-Parlamentariern zu, dass die Covid-Impfstoffe nicht für die epidemiologische Verwendung zugelassen wurden. Die Impfkampagnen hätten auf einem "Missverständnis" beruht. Impfzwänge und…/ mehr

Jesko Matthes / 15.11.2023 / 16:00 / 7

Auf zu den Sternen! – Der Kosmonaut Igor Wolk

Heute vor 35 Jahren startete zum ersten und letzten Mal „Buran“, das sowjetische Space Shuttle. Was dem Kosmonauten und Testpiloten Igor Wolk widerfuhr, hat bleibende…/ mehr

Jesko Matthes / 29.08.2023 / 10:00 / 17

Fabio De Masi gegen Olaf Scholz: Der Trank des Vergessens

Im Gedächtnis bleibt uns immer nur das Entscheidende. Das Unwichtige, wie ein paar Millionen oder Milliarden ergaunerte Steuergelder, vergessen wir im Angesicht des Schönen, wie…/ mehr

Jesko Matthes / 23.08.2023 / 09:30 / 30

Kurzkommentar: Arbeiterlieder sind jetzt rechts

Der Erfolg des US-Liedermachers Oliver Anthony macht den Linienpolizisten schwer zu schaffen. n-tv wirft Anthony sogar vor, er sei gar kein Arbeiter mehr, sondern Bauer.…/ mehr

Jesko Matthes / 25.07.2023 / 14:00 / 7

Hauptsache, die Brandmauer steht!

In Hintertupfenheim an der Wirra soll eine Brandmauer den Bürgermeister und seinen Möchtegern-Nachfolger vor politischen Zündlern schützen. Auch die Feuerwehr steht bereit. Doch dann wird…/ mehr

Jesko Matthes / 20.07.2023 / 13:00 / 37

Kurzkommentar: Einen Wodka-Söder, bitte!

Söder beruft sich wieder einmal auf seinen großen Vorgänger Franz Josef Strauß. Dabei kann man dem nun wirklich nicht nachsagen, die eigene Haltung nach Söder-Art immer wieder…/ mehr

Jesko Matthes / 13.07.2023 / 11:00 / 8

Milan Kundera, oder: Die Banalität des Guten

Mit dem Roman „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ wurde Milan Kundera weltberühmt. Nun ist der tschechisch-französische Schriftsteller im Alter von 94 Jahren gestorben. Irgendwann im Herbst 1988 saß ich…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com