Gunnar Heinsohn / 01.04.2017 / 10:00 / Foto: Rod Waddington / 6 / Seite ausdrucken

Jemen: Die brutale Sprache des Kriegsindex

Als 1945 endlich Frieden nach Europa kommt, ist Jemen eine Oase von der Größe Frankreichs mit bezaubernder Architektur und nur vier Millionen Menschen. Zählt man seine bewaffneten Konflikte ab 1962, steht die Heimat Osama bin Ladens (1957-2011) momentan im zwölften Krieg (Siehe auch hier). Es soll einmal mehr der letzte sein. Was spricht dagegen?

Keineswegs die Religion, denn die Unterteilung der Bürger in sunnitische und schiitische Muslime gibt es auch in der Zeit vor dem Töten. Beide Richtungen haben sogar in denselben Moscheen gebetet und tun das vielerorts noch heute. Warum sollten sie plötzlich einen Religionskrieg beginnen? Die Konfessionsunterschiede dürften auch dann noch vorhanden sein, wenn einmal Frieden einritt.

Spielt Armut eine Rolle? Reich ist das Land gewiss nicht, gleichwohl steigt das Prokopfeinkommen zwischen 1960 und 2015 von 300 auf 1.400 US-Dollar im Jahr. Allerdings gibt es nebenher noch ein ganz anderes Wachstum. Jemens Kriegsindex steht mit 4 bereits 1960 sehr hoch und erreicht 1990 sogar 7. Auf 1000 Männer von 55 bis 59 Jahren, die alsbald eine Position räumen, folgen dabei 4000 beziehungsweise 7000 Jünglinge zwischen 15 und 19 Jahren, die den Lebenskampf aufnehmen und schnell merken, dass nur eine Minderheit friedlich nach oben kommen kann. Bis 2025 wird Jemens Kriegsindex immer über 5 liegen, 2030 immer noch über 4. Die europäischen Länder dagegen halten seit 1945 weitgehend Frieden und finden schon vor 60 Jahren zu den Römischen Verträgen, weil der Kriegsindex überall auf 1 oder noch tiefer fällt. In Deutschland steht er momentan bei 0,65, so dass nur 650 Junge um die Positionen von 1000 Alten konkurrieren müssen. Auch in Österreich (0,75) und der Schweiz (0,77) kann der Nachwuchs gelassen bleiben.

Heute hat Jemen mit 28 Millionen Einwohnern siebenmal so viele Menschen wie am Ende des Zweiten Weltkriegs. Drei Millionen können als Binnenvertriebene von internationaler Hilfe à la Syrien nur träumen. Nicht einmal die erforderlichen 4,5 Milliarden Dollar für den Schutz von sieben Millionen hungerbedrohten Jemeniten stehen zu Verfügung. Gleichzeitig verkündet Berlin, dass es jährlich 20 bis 30 Milliarden Euro für die Flüchtlinge vor Ort aufbringen kann, ohne auch nur die Staatschulden zu erhöhen.

Weder die Parteien im Kampfgebiet noch die sich einmischenden neun arabischen Staaten mit Helfern in Paris, London und Washington erkennen, dass die Kämpfe weitergehen, weil alle Fraktionen enorme Verluste aushalten können, ohne den Fortbestand der Familien zu gefährden. Als Jemen vor fünfundfünfzig Jahren in seine Kriegsphase eintritt, hat es 450.000 Männer im Kampfalter von 20 bis 29 Jahren. Ungeachtet aller Gefallenen und Geflohenen sind es heute fast 2,8 Millionen. 2050 will das gequälte Land sogar vier Millionen potentielle Krieger zur Verfügung haben. Das entspricht der Gesamtbevölkerung von 1945. Wer ihnen zivile Karrieren nicht bieten kann und sie auch als Wirtschaftsflüchtlinge nicht will, darf auf ein plötzliches Ende der Kämpfe nicht rechnen.

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Klaus Klinner / 01.04.2017

Eine ähnliche Entwicklung haben wir ja auch bei den “Palästinensern” in den Lagern bzw. in Gaza, nur so läßt sich ja auch der Dauerkrieg gegen Israel am Leben erhalten.

Martin Wessner / 01.04.2017

Sehr geehrter Herr Prof. Heinsohn, leider wird es wohl niemand -und wenn auch nur zurückhaltend- wagen wollen, den Versuch zu unternehmen die Menschen in den bürgerkriegs- und krisengefährdeten Ländern davon zu überzeugen Familienplanung zu betreiben, um zu verhindern, dass diese ansonsten zu potentiellen Opfern ihres selbst gezeugten Unglücks werden. Die Angst davor, als Reaktion darauf irgendeines “-ismus” beschuldigt zu werden, ist, so scheint’s mir, einfach zu groß. Zudem steckt es -kulturell unanhängig- ganz ganz tief in uns allen drin, dass wir uns als Homo Sapiens großer Gruppen und Gemeinschaften versichern wollen, weil diese uns mehr Macht und Einfluss und mehr Sicherheit vor vermeintlichen und tatsächlichen Feinden versprechen. Ein zukünftiges Jemen im Jahr 2067 mit 125 Millionen Einwohner(3% Wachstum/Anno) hat eben mehr Gewicht in der Region und in der Welt, als ein Jemen im Jahr 1945 mit nur 4 Millionen Einwohner. Betrachten wir uns selbst: Rational gesehen ist es völlig unerheblich, ob Deutschland in den nächsten Jahrzehnten seinen Bevölkerungbestand auf über 80 Millionen Einwohner (er)-halten kann, oder ob das Land im gleichen Zeitraum Einwohner in einstelliger oder zweistelliger Millionenzahl verliert, denn an Wohlstand, Prosperität, Lebensqualität und Glück muss es bei einer parallel dazu durchgeführten klugen Politik mitnichten missen lassen. Eher im Gegenteil. Siehe Norwegen, dass mit seinen nur 5 Millionen Bürgern bei 2/3 der Landfläche der Bundesrepublik zur zufriedensten Nation der Welt gekürt wurde. Emotional gesehen wird ein signifikanter Verlust an Gruppenzugehörigen aber natürlich nicht! als etwas gänzlich unerhebliches betrachtet, da man sich mit 80 Millionen Einwohnern selbstverständlich mächtiger und stärker fühlt, als mit bsw. 60 Millionen Einwohnern. Und zudem, dieses Gefühl trügt in den Fall auch ganz gewiss nicht. Und so lässt es sich auch erklären, warum speziell Politiker in Ländern mit einem negativen Geburten/Sterbe-Saldo an zusätzlicher Einwanderung so ungemein interessiert sind. Jeder Neuankömmling, woher er auch immer kommen mag, verbreitert seine Machtbasis. Ob Frau Merkel diese profane Überlegung bewusst oder unbewusst im Kopf hatte, als sie die Grenzen im September 2015 scheunentorweit öffnete, dass weiß ich nicht. Für möglich halte es es aber schon. Noch ein schönes Wochenende MW

Marco Holter / 01.04.2017

Vor nicht allzu langer Zeit hat der Fernsehsender “BBC World News” ausführlich in seinen Hauptnachrichten über die humanitäre Katastrophe im Jemen berichtet. Das Reporter-Team hatte schwer zu ertragene Bilder mitgebracht. Selbst mir, einem durch die Berichterstattung von Aleppo abgehärteten Zuschauer, viel es schwer diese Bilder zu ertragen. Gleichzeitig sagen führende Politiker der Bundesregierung seit Beginn der deutschen “Flüchtlingskrise” nahezu bei jedem TV-Auftritt, in dem es um das Thema “Flüchtlinge” geht, man werde Fluchtursachen hart bekämpfen. Leider habe ich bis jetzt von keiner Initiative der Bundesregierug zum Jemen Konflikt gehört. Das stimmt nachdenklich. Gleichzeitig wird in den deutschen TV Medien so gut wie gar nichts über den Jemen berichtet. Vergleicht man damit die Berichterstattung über Aleppo, stellt sich mir die Frage, ob es hier nicht ein gewisses Ungleichgewicht gibt.

Th.F. Brommelcamp / 01.04.2017

In einem Land wo seit Jahrhunderten Clankriege, Entführung mit Lösegeld Forderungen und innere Gewalt herrschen, ist es ein leichtes von Iran und den Saudis ein Stellvertreterkrieg zu entfesseln. Auch für die EU ergibt sich ein weites Feld um sich als Gutmensch geben zu können.

Th.F. Brommelcamp / 01.04.2017

Die Bäuche unserer Frauen werdenuns den Sieg schenken. Diese 1974 an die westliche Welt gerichteten Worten könnten auch nach hinten losgehen. Wenn es nicht immer Retter geben würde die mit“ Mitleid und/oder grüner Ideologie“zum Sieg verhelfen.

Wilfried Cremer / 01.04.2017

Jemen bildet seit Jahrtausenden kulturhistorisch eine Einheit mit den südwestlichen Regionen des heutigen Saudi Arabien. Der Zaun des reichen Nachbarn ist das Hauptproblem.

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