Von Martin Toden.
Wenn heute die Begriffe „Drohne“ oder „Drohnenkrieg“ fallen, denkt man an den Ukraine-Krieg. In den Händen von Schurken entwickelt diese neue Superwaffe jedoch ein disruptives Potenzial, das weit über Kriegsgeschehen hinausgeht.
Am 2. April 2010 verlor Oberfeldwebel Naef Adebahr in der Nähe des Dorfes Isa Khel im afghanischen Distrikt Char Darah die Kontrolle über seine FPV-Drohne (englisch: first person view, also Sicht aus der Bedienerperspektive) vom Typ „Mikado“. Unkalkulierbare Winde bewegten den nur 1.300 Gramm leichten Quadrocopter des deutschen Herstellers AirRobot aus der Reichweite seiner Steuerung; die Aufklärungsdrohne stürzte mehrere hundert Meter von OFw Adebahr entfernt hinter den Mauern des Dorfes und Baumreihen in ein Weizenfeld ab.
Der Zugführer befahl, die damals immerhin fast 100.000 Euro teure Drohne um jeden Preis zu bergen, obwohl das Dorf sich bereits hinter der Feindlinie befand. Der Suchtrupp geriet dabei unter Feindfeuer. Die folgenden, sich über viele Stunden hinziehenden Kampfhandlungen gingen unter dem Namen Karfreitagsgefecht in die Annalen der Bundeswehr ein. Sie forderten drei Gefallene und mehrere Verletzte – das verlustreichste Gefecht, in das deutsche Soldaten nach dem 2. Weltkrieg je verwickelt waren.
In der Nacht zum 1. Juni 2025 führte der ukrainische Geheimdienst SBU einen koordinierten Drohnenangriff auf vier russische Militärflugplätze tief im russischen Kernland durch, darunter die Stützpunkte Belaya (nahe Irkutsk, über 4.300 km von der Front entfernt) und Olenya (nahe Murmansk, ca. 1.800 km entfernt). Laut Berichten wurden etwa 40 russische Militärflugzeuge, darunter atombombenfähige Langstreckenbomber (z.B. Tu-95), zerstört oder beschädigt.
Die Operation, die monatelang vorbereitet wurde, soll von Präsident Wolodymyr Selenskyj persönlich überwacht worden sein. Die FPV-Drohnen wurden von Lastwagen aus gestartet, teilweise aus versteckten Hohlräumen heraus, die ferngesteuert geöffnet wurden. Die Aktion gilt als der bisher größte ukrainische Drohnenangriff auf russisches Territorium, mit potenziell erheblichen militärischen und politischen Folgen.
Technologisch ein gigantischer Sprung
Zwischen diesen beiden Ereignissen liegen 15 Jahre. Gemessen an den eher langen Zeiträumen, über die hinweg sich historische Entwicklungen gemeinhin abspielen, ist dies nicht mehr als der berühmte Wimpernschlag. Technologisch gesehen sind diese anderthalb Jahrzehnte allerdings ein gigantischer Sprung. Ein weiterer entscheidender Aspekt ist die taktische Bandbreite des Drohnenkrieges, die diese beiden Ereignisse aufspannen: vom Einsatz einer Aufklärungsdrohne im Nahbereich von wenigen hundert Metern bis zum strategischen Angriff auf tausende von Kilometern entfernte Ziele.
Wenn heute die Begriffe „Drohne“ oder „Drohnenkrieg“ fallen, denkt jeder sofort an den Ukraine-Krieg, in dem die russischen Streitkräfte vor allem die Shahed-136 („Geran-2“ im russischen Lizenzbau) einsetzen, eine Kamikaze-Drohne iranischen Ursprungs. Dabei handelt es sich im Grunde um eine dreieinhalb Meter lange, gut 200 kg schwere fliegende Bombe – also um eine ganz andere Kategorie Drohne als die in Isa Khel eingesetzte „Mikado“ (oder die FPV-Drohnen gegen Russland).
Das Thema ist hochkomplex, die Herausforderungen an Militär, Politik und Industrie enorm und die Auswirkungen – besonders die psychologischen – auf die Wahrnehmung der Thematik seitens der Zivilbevölkerung sind schwerwiegend. In den Augen des Autors sind (nicht nur, aber ganz vorn dabei) deutsche Politiker aller Couleur mit dem Thema heillos überfordert. Der stümperhafte Auftritt unseres Bundeskanzlers zur Frage der deutschen TAURUS-Marschflugkörper mag als abschreckendes Beispiel gelten. Aus dieser Gemengelage ergeben sich meiner Meinung nach einige Konsequenzen, die ich versuchen werde, zu beleuchten.
Eine Klärung: Typen und Einsatzzwecke
Zunächst ein Ausflug in die Technik, um eine gewissen Grundkenntnis über die vielfältigen Drohnenarten zu vermitteln.
Neben Kamikaze-Drohnen sind Aufklärungsdrohnen, bewaffnete Kampfdrohnen, Drohnen für elektronische Kriegsführung, Logistikdrohnen und maritime Drohnen die wichtigsten, aktuellen Typen in Arsenalen der verschiedenen Streitkräfte. Besonders im Ukrainekrieg zeigt sich die Vielfalt und strategische Bedeutung solcher UAV (englisch: Unmanned Aerial Vehicle).
Aufklärungsdrohnen dienen in erster Linie der Überwachung, der Zielerfassung und der Informationssammlung. Im Normalfall sind sie nur leicht oder unbewaffnet.
Bewaffnete Drohnen oder Kampfdrohnen sind für wiederholte Einsätze konzipiert, sind waffentragend (Raketen oder Bomben/Bomblets) und oft fähig zu kombinierten Missionen (Aufklärung mit Angriffskapazitäten). Taktisch-technisch gibt es hier Überschneidungen mit Marschflugkörpern.
Drohnen für elektronische Kriegsführung sind darauf spezialisiert und ausgerüstet, Kommunikationssysteme, Radare oder auch Drohnen des Gegners zu stören oder ganz auszuschalten.
Logistik- und Transportdrohnen sind eine oft übersehen Kategorie. Sie dienen der Versorgung von Truppen oder dem Transport von Ausrüstung, besonders in schwer zugänglichen Gebieten.
Schwarmdrohnen operieren in koordinierten, KI-unterstützten Gruppen („Schwärmen“) und werden für kombinierte Operationen (Aufklärung, Angriffe oder Störaktionen) eingesetzt.
Marine- bzw. Unterwasserdrohnen spielen im Krieg der Ukraine gegen Russland auch eine Rolle, insbesondere im Schwarzen Meer, werden hier aber nicht betrachtet.
Keine Domäne der Supermächte mehr
Der oben erwähnte, jüngste Schlag der Ukraine gegen die strategische Bomberflotte der Russen (der zweifellos in die Militärgeschichte eingehen wird) nährt den Eindruck, den nicht nur der eher unbeteiligte Zivilist hat – auch in zunehmendem Maße teilen diesen Eindruck echte Militärfachleute: Die Abwehr von Angriffen mit zeitlich und räumlich koordinierten, kleinen, ferngesteuerten Drohnen ist nach Lage der Dinge auch für eine Supermacht wie Russland derzeit schwierig bis unmöglich. Neben den militärisch-taktisch-strategischen Aspekten wie der Einsatzlogistik (der Transport der Drohnen erfolgte offenbar in ganz normalen zivilen LKW) tut sich hier noch ein weiteres Feld auf, das in den Betrachtungen des klassischen „Schlachtfeld-Geschehens“ bisher gar keine Rolle spielte (zumindest nicht im Ukrainekrieg): Drohnenkrieg ist keine Domäne der Supermächte mehr, sondern vielmehr ein Mittel, das von kriegsbeteiligten Parteien nach eigenem Belieben und Willen eingesetzt werden kann. Dies ist ein weiteres Korn Salz in der Wunde der Angst vor Drohnenangriffen.
Der US-amerikanische Ex-General Mike Flynn postete am 2. Juni 2025 auf X eine Sicht der Dinge, die meinen Punkt auch im Hinblick auf die Rolle der USA bestätigt. Er schreibt, dass es so aussähe, dass Selenskyj den Angriff auf die russischen nuklearfähigen Bomber genehmigt habe, ohne Präsident Trump zu informieren. Falls es zuträfe, dass Präsident Trump weder konsultiert noch informiert wurde, sei dies nicht nur ein Verstoß gegen das Protokoll, sondern eine geopolitische Beleidigung und ein Warnsignal. Wenn die Ukraine bereit und in der Lage sei, Angriffe mit solchen strategischen Konsequenzen durchzuführen, ohne das Weiße Haus zu benachrichtigen, werfe das ein Schlaglicht auf die Frage, ob man sich denn noch als Verbündete bezeichnen könne.
Superwaffe in den Händen von Schurken
Kriegsparteien oder ganz allgemein aggressionswillige Staaten oder Organisationen sind also inzwischen in der Lage, bei hinreichender Qualifikation seines Personals und solider klandestiner Vorbereitung solche verheerenden Angriffe völlig unabhängig von ihrer Einbindung in Bündnisse oder andere politische Zwänge durchzuführen.
Und natürlich beschränkt sich das Zielspektrum solcher Aktionen nicht auf militärische Anlagen oder Geräte. Dass die Ukraine sich darauf konzentrierte, ausschließlich militärisch-strategische Ziele (nämlich die Bomberflotte) anzugreifen und schwer zu beschädigen, spricht immerhin für sie und kann auch als Kontrapunkt zu den gezielten Angriffen der Russen gegen ukrainische Städte gesehen werden, die in erster Linie (wenn nicht ausschließlich) gegen die ukrainische Zivilbevölkerung gerichtet sind. Ein Rest von zivilisatorischer Würde und Respekt vor dem Kriegsvölkerrecht (Artikel 48 des Zusatzprotokolls I zu den Genfer Konventionen von 1949).
Doch was, wenn nicht ein halbwegs zivilisierter, eher westlich orientierter Staat wie die Ukraine sich dieser neuen Waffentechnologie bedient, sondern ein sogenannter „Schurkenstaat“, das Regime eines „Failed States“ oder auch eine Terrororganisation? Die logistische Vorbereitung etwa wäre in einem Land wie Deutschland, welches sich seiner quasi offenen Grenzen rühmt, ein Kinderspiel, und die räumlich-zeitliche Vorbereitung würde vom Großteil unserer Sicherheitsapparate eher freundlich begleitet denn konsequent verhindert werden. Da für die Entdeckung und Enttarnung solcher Aktionen ein funktionierender Geheimdienst unverzichtbar ist, dürften zumindest in Deutschland eher Zweifel angesagt sein, ob wir da am Puls der Zeit stehen – besonders eingedenk der Tatsache, dass wir in den vergangenen Jahren in hohem Maße von den Briten und Amerikanern abhängig waren.
Angriff auf dem Territorium der Bundesrepublik
Eine neue Bedrohungslage tut sich hier auf. Nicht nur ist der „Feind“ nicht mehr klar definierbar und seine Ziele nicht offen erkennbar, die Gefährdung existiert nun auch gleichermaßen für die innere wie für die äußere Sicherheit. Für die Bediener eines FPV-Drohnen-Schwarms, die aus dem Inneren eines unauffälligen 20-Fuß-Seecontainers heraus einen Angriff auf dem Territorium der Bundesrepublik durchführen, macht es keinen Unterschied, ob er denn einen Fliegerhorst oder ein Heeresdepot angreift, zivile kritische Infrastruktur wie Umspann- oder Kraftwerke aufs Korn nimmt, oder schlicht und ergreifend die Einkaufspassagen einiger deutscher Großstädte (oder zum Beispiel gut gefüllte Fußballstadien am Samstagnachmittag um 16:00 Uhr).
In Zeiten, in denen deutsche Polizeibehörden sich vorzugsweise um Hass-Botschaften in den sozialen Medien kümmern (wenn ihre Vollzugsbeamten nicht schon von sich aus das dienstliche Handtuch werfen) und die Bundeswehr sich mit Hingabe ihren transidenten Stabsoffizieren widmet, währenddessen aber die Meldedaten von Millionen wehrfähiger Reservisten verliert, darf schon der eine oder andere Zweifel geäußert werden. Nämlich daran, ob sich Deutschlands Organe der Exekutive auch nur annäherungsweise darüber im Klaren sind, wie existenzbedrohend die Lage inzwischen geworden ist.
Zivilschutz: eine Frage der Drohnenabwehr
Die größte Herausforderung liegt meiner Auffassung nach kurz- bis mittelfristig darin, sich seitens der Politik, der Wirtschaft und der medialen Öffentlichkeit dem Thema Drohnen und Drohnenkrieg ernsthaft, ohne Scheuklappen und vor allem aus der Perspektive des verteidigungswilligen und -fähigen Staates zu widmen.
Die Loslösung von China, vor allem im Hinblick auf die elektronischen Komponenten beim Drohnenbau, dürfte für die deutsche Wehrindustrie hier der wichtigste und erste Schritt sein. Ein positives Beispiel hierfür ist die Donaustahl GmbH, die nicht nur im Komponentenbau, sondern auch bei der Entwicklung eigener FPV-Drohnen inzwischen eine gewichtige Rolle spielt, auch auf internationalem Parkett.
Auch die Frage der Drohnenabwehr muss die deutsche Rüstungsindustrie sehr zeitnah intensiv bearbeiten. Ein System, das radargestützt, ähnlich wie der „Iron Dome“ der Israelis, auch auf die Bedrohung durch Drohnen reagieren kann, dürfte hier der erwartbare nächste Schritt sein. Gegen größere Drohnen hat der Iron Dome seine Fähigkeiten bereits unter Beweis gestellt. Bei kleinen (FPV-) Drohnen gibt es hier noch einiges Entwicklungspotenzial.
Unabdingbarer Bestandteil solcher Systeme ist die Erkennung von Kleindrohnen. Die erforderliche Sensorik und KI-gestützte Software sind ein weiteres Feld, auf dem sich viel tun wird. Das deutsche Unternehmen Hensoldt spielt hier ziemlich weit vorne mit.
Wie allerdings die Zivilbevölkerung gegen die asymmetrische Bedrohung durch Drohnenangriffe geschützt werden soll, ist ein weitgehend unbeschriebenes Blatt. Universale Lösungsansätze und rasche Abhilfe gibt es nicht. Hier tut vor allem Aufklärung Not – dieser Text hat dazu vielleicht ein wenig beigetragen. Derweil muss sich der Bürger im Notfall selbst helfen.
Martin Toden (60) ist studierter Personalentwickler, Reserveoffizier der Bundeswehr und blickt auf 40 Jahre zivile und militärische Führungserfahrung zurück. Er schreibt hier unter Pseudonym.