Henryk M. Broder / 04.09.2007 / 15:47 / 0 / Seite ausdrucken

Jeder wichst für sich allein

Es ist schon einige Jahre her, ich saß mit meinem Freund Jamil, einem der klügsten Menschen westlich des Jordan, in einem Cafe in der Saladin St. in Ost-Jerusalem, wir tranken Tee nana, aßen Knafi und überlegten uns, wie man den Nahostkonflikt lösen könnte. Ich war für den einseitigen Rückzug aus den besetzten Gebieten (mit Ausnahme der Golanhöhen), Jamil hatte sich einen radikaleren Plan ausgedacht. Er wollte einen “Theme Park” einrichten, an dem Israelis und Palästinenser zu gleichen Teilen beteiligt sein würden, eine Art Disney-Land aus Israel, Gaza und Westbank. Die Touristen könnten Touren wie im Wilden Westen buchen: Vormittags Besuch in einer Siedlung der “Gusch Emunim” bei Hebron, nachmittags Besuch bei einer Jihad-Gruppe in Gaza, dazwischen Mittagessen in Jericho und abends eine Party am Strand von Tel Aviv. “Beliebe me, my friend”, sagte Jamil, “the conflict would be over in sex months”. Ich war skeptisch. Ging es nicht um Unabhängigkeit, Selbstbestimmung, Souveränität, Würde und die Frage, welche Fahne über dem Tempelberg wehen sollte? “Nonsense”, sagte Jamil, “it’s not about the occupation, it’s about the girls on the beach”.
Wie Recht Jamil hatte, wurde mir erst später klar, nachdem ich mitbekommen hatte, wie frustriert und verklemmt die palästinensische Gesellschaft ist, die ihrerseits zu den fortschrittlichsten in Arabien zählt. Vollkommen oversexed und total underfucked. Schon sechsjährige Jungs machen sich einen Spass daraus, Besucherinnen der Altstadt an den Busen zu springen und kreischend davonzulaufen. Nie kämen sie auf die Idee, so etwas bei der Schwester eines Freundes auch nur zu versuchen.

Jetzt ist in der Al-Ahram-Weekly ein Bericht über die sexuellen Probleme einer Gesellschaft erschienen,  die sich dem dekadenten Westen auch deswegen überlegen fühlt, weil sie so viel Wert auf Anstand und Moral legt. Die Wirklichkeit sieht anders aus:

“Considering that marriage—an extremely expensive procedure—remains the only legitimate means to having sex, the figures might as well speak for themselves: seven million unemployed, nine million unmarried over 30, and 40 per cent of marriages between cousins (something that is particularly true of the provinces). No wonder sexual frustration is rife: a marriage based on family interests—to appease the elders or keep wealth within the family—as opposed to genuine affection and understanding, is unlikely to sustain a healthy sex life. For men, masturbating to porn or indeed Arab video clips—it costs no more than LE20 a month to have private access to satellite television or, as Mustafa puts it, “marry the TV”—is a convenient alternative to both the hassles and expenses of matrimony, which are absurdly exhausting by any standards, and the moral agony of engaging in premarital sex: “add to this the fact that the religious establishment in Egypt has often professed that masturbation is the lesser evil compared to sex out of wedlock.” Masturbation may be perfectly harmless in its own right, but the fact that, abetted by pornography, it has come to replace sex in Egypt Mustafa finds alarming; and with the ever rising marriage age in this society, people grow up and grow older knowing only one sex partner—themselves. Mustafa pointed out that, while masturbation is about satisfaction, sex is about a lot more: understanding, affection, excitement, pleasure. Masturbation kills intimacy, he says; in the absence of intimacy even married couples become sexually frustrated and the men prefer masturbation to the disappointment of sex.”
http://weekly.ahram.org.eg/2007/860/fe1.htm

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