Haben Sie viele Freunde? Falls ja, dann können Sie sich glücklich schätzen. Sie besitzen eine hohe Sozialkompetenz und liegen auf der Beliebtheitsskala ganz weit oben. Die schlechte Nachricht: Sie gehören vermutlich zu den weniger intelligenten Menschen. Denn Menschen mit hohem IQ haben kaum Freunde.
Der Evolutionspsychologe Satoshi Kanazawa von der London School of Economics hat vergangenes Jahr den Zufriedenheits-Level von 15 000 Menschen mit verschiedenen IQ's und im Alter von 18 bis 28 Jahren gemessen. Erstaunliches kam zutage: Während bei Menschen mit durchschnittlichem IQ-Level das empfundene Glück höher ist, je mehr soziale Beziehungen sie haben, traf genau das Gegenteil bei Hochintelligenten zu – sie empfanden beim Alleinsein eine grössere Zufriedenheit. In Gesellschaft fühlen sie sich sogar bedeutend weniger glücklich.
Der Wissenschaftler erklärt diesen Unterschied mit der "Savanna Evolutionstheorie": Schon unsere Vorfahren, die Sammler und Jäger, lebten in kleinen Gruppen, lebenslange Freundschaften waren zum Überleben und für die Reproduktion unerlässlich. Weil die Welt sich aber durch Digitalisierung und technischen Fortschritt verändert habe und ein harmonischer Kontakt zu seinem Umfeld nicht mehr lebenswichtig ist, sei das menschliche Hirn hin- und hergerissen zwischen der ursprünglichen Aufgabe und der heutigen Realität. Mit dieser Diskrepanz können hochintelligente Menschen besser umgehen.
Nun ist es ja so, dass wir alle gerne aussergewöhnlich klug wären. Das Problem ist, die meisten von uns zählen zur durchschnittlich intelligenten Gruppe. Diese zeichnet sich etwa dadurch aus, dass sie bei Starbucks "Tall" und "Grande" auch nach der 100. Bestellung verwechselt. Ihren Pass kramt sie am Flughafen nach halbstündigem Schlange stehen erst dann umständlich hervor, wenn sie an der Reihe ist. Ihre kreativste Leistung der Woche ist ein Selfie.
Rowenta mahnt, die Kleider nicht am Körper zu bügeln
Kein Wunder also, dass uns die Superklugen ständig unter die Arme greifen müssen. So erfinden sie Produkte für uns, die uns das Denken vollständig abnehmen. Etwa den LED-Schnuller, falls wir mal die Kinder im Dunkeln verlegen. Oder den Golfball "Polara", der selbst seine Flugbahn korrigiert. Die "Taschen-Kettensäge", eine 70 Zentimeter langes Gerät in einer Dose - zweckmässig, wenn wir spontan einen Baum fällen wollen, aber gerade keine Säge zur Hand haben.
Die Gescheiten warnen uns dankbarerweise auch vor unserer eigenen Unachtsamkeit: McDonald's teilt uns ständig mit, dass der Kaffee heiss ist. Rowenta mahnt, die Kleider nicht am Körper zu bügeln. Ein Kinderwagenhersteller empfiehlt, vor dem Zusammenklappen das Kind zu entfernen. Und weil wir nicht wissen, dass Brokkoli weniger Kalorien hat als Sachertorte, zwingt das schweizer Bundesamt für Lebensmittelsicherheit alle Restaurants, die Nährwerte für uns haargenau zu deklarieren.
Das Dilemma offenbart sich: Weil wir Unscharfsinnigen demografisch gesehen in der Überzahl sind, müssen sich die Superklugen ständig anpassen. Da das aber auf die Dauer anstrengend ist, vermischen sie sich gar nicht erst mit dem Rest der Gesellschaft. Das würde das Studienresultat am besten erklären. Pech nur für die menschliche Spezies, dass sich dadurch die Klugen weniger vermehren als die Dummen.
Wenn Sie also, liebe Leser, des Öfteren alleine sind, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder gehören Sie zur Gruppe der Genies, oder aber Sie sind eben ein totales… ach, lassen wir das.
Der Beitrag erschien zuerst in der Basler Zeitung.
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Tamara Wernli arbeitet als freischaffende News-Moderatorin und Kolumnistin bei der Basler Zeitung. Dort erschien dieser Beitrag auch zuerst. In ihrer Rubrik „Tamaras Welt“ schreibt sie wöchentlich über Gender- und Gesellschaftsthemen.