Die Auswahl der US-Vizepräsidentschaftskanditaten sagt über die eigentlichen Kandidaten viel aus. Mit James David Vance signalisiert Trump, dass er sich seines Sieges sicher ist. Er suchte nicht nur seinen Vize aus, sondern seinen Nachfolger.
Nachdem Joe Bidens Demokraten in den letzten Tagen eher unfreiwillig die Schlagzeilen bestimmten, ist spätestens mit dem Attentat auf Trump die Aufmerksamkeit in die andere Richtung gezogen. Die Administration Bidens ist beschäftigt, die Scherben ihrer Politik aufzusammeln. Heimatschutzminister Mayorcas verkündete kleinlaut, den Schutz des Secret Service nun doch auf Robert F. Kennedy jr. auszudehnen, was er bisher stets abgelehnt hatte. Die Leiterin des für Personenschutz hochrangiger Regierungsmitglieder zuständigen Dienstes, Kimberley Cheatle, muss sich vorwerfen lassen, mit der „Diversifizierung“ durch Programme wie "30x30" (in dem bis 2030 Frauen 30 Prozent der Stellen besetzen sollen) die Einsatzfähigkeit des Dienstes zu gefährden.
Biden selbst muss sich unangenehme Fragen zu seiner „put a bullseye on Trump“-Rhetorik gefallen lassen und an der Front „Justiz vsersus Trump“ sieht es auch nicht besser aus: Gerade hat die Richterin Aileen Cannon in Miami den Geheimdokumente-Fall gegen Trump mit der Begründung abgewiesen, die Ernennung von Sonderermittler Smith verstoße gegen die Ernennungsklausel der Verfassung. Eine Konsequenz der neulich vom Supreme Court festgestellten Immunität der Amtshandlungen eines Präsidenten war ja bereits die Verschiebung der Verhängung des Strafmaßes gegen Trump in New York, weshalb dieser als streng genommen noch nicht „verurteilter Verbrecher“ zum Nominierungsparteitag nach Milwaukee reisen konnte, um seine einstimmige Nominierung entgegen zu nehmen und seinen Vizepräsidentschaftskandidaten vorzustellen: J.D. Vance, den Senator von Ohio.
Wie immer sagt die Auswahl des Vizes einiges aus über die Stärken und Schwächen des Präsidentschaftskandidaten. Gilt es, Parteiflügel zu besänftigen? Müssen Wählergruppen umgarnt werden? Bidens Wahl fiel 2020 aus zwei Gründen auf Kamala Harris. Erstens brauchte er als alter weißer Mann mit (aus Sicht der Parteilinken) zweifelhafter legislativer Vergangenheit, dringend Diversity-Punkte. Und zweitens hielt ihm Harris innerparteiliche Konkurrenten vom Leib, die es gern gesehen hätten, dass er, wie einmal angedeutet, nach ein oder zwei Jahren freiwillig das Feld räumen würde. Doch bevor man es mit Harris zu tun bekam, machte man dann doch lieber mit good old Joe weiter.
Auf der Liste der engeren Kandidaten für Trumps Running Mate 2024 standen Namen wie Tim Scott, Senator aus South Carolina, der im pastoralen Ton besonders schwarze Wähler hätte ansprechen sollen, bei denen die Reps traditionell schwach abschneiden. Auch Doug Burgum, Gouverneur von Nord Dakota war genannt, der Trump mit dem Establishment der Republikaner hätte versöhnen können. Doch all das meint Trump nun nicht mehr nötig zu haben und er entschied sich für James David Vance, den Senator aus Ohio und sagt damit ganz deutlich: ich umgarne niemanden mehr, ich habe bereits gewonnen. Ich suche nicht nur meinen Ersatzmann aus, sondern meinen Nachfolger. Und in der Tat vergrößert Vance die Wählerbasis Trumps kein Bisschen, wenn er sie auch stärkt. Zumindest auf den ersten Blick. Ohio ist tiefrot, das haben die Republikaner in der Tasche. Allerdings ist Vance ein glaubwürdiger Protagonist, wenn es um die Sympathien der Wähler in Rust Belt Swing States wie Pennsylvania oder Michigan geht.
Die moderate Seite
Viel nützlicher ist „JD“ als glaubhaftes Beispiel einer Wandlung vom Saulus zum Paulus, denn im Wahlkampf 2016 – Vance war noch nicht in der Politik und Geschäftsführer in Peter Thiels Firma „Mithril Capital“ – gehörte er noch zum Lager der „Never-Trumper“, wo man Trump, diesen Außenseiter mit der Fernsehserie kaum ernst nahm. Er hielt ihn für verwerflich, einen Idioten, ein zynisches Arschloch und „Amerikas Hitler“. Was man halt so redete auf Twitter und manche bis heute als ewiges Tourette von sich geben. Doch Vance ist das beste Beispiel dafür, dass ein Standpunkt kein Stehpunkt sein muss. Er änderte seine Meinung und verdankt letztlich seine Wahl zum Senator von Ohio Trumps ausdrücklicher Unterstützung. Jenen, die selbst acht Jahre später noch mühevoll um neue Injurien ringen, um Trump zu zeichnen, gibt er zu verstehen, dass er nicht nachtragend ist. Oder doch wenigstens nicht immer.
Die Medien befinden sich in einer argumentativen Zwickmühle, die ihnen noch nicht ganz klar ist. Denn während sie Vance zum harthirnigen Erfüllungsgehilfen von Trump framen, betonen sie reflexhaft immer wieder dessen frühere Totalopposition zu ihm. Man attackiert also jemanden, der mal so dachte, wie man selbst. Wohin also die Attacke richten? Dahin, dass er Trump einst als Idioten bezeichnet hat? Das tun die Medien als Morgenroutine noch vor dem ersten Kaffee. Oder doch dafür, dass er von dieser Meinung letztlich abgerückt ist und das auch gut begründen kann? Doch dann müsste man sich mit den Ursachen von Vance‘ Sinneswandel befassen, ihm Fragen stellen und erführe womöglich unschöne Dinge über die eigene Harthirnigkeit.
Auch das Thema Abtreibung, welches die Demokraten 2022 über die erwartete „rote Welle“ bei den Midtherm-Wahlen trug, könnte sich als Bumerang herausstellen, wenn man Vance im Wahlkampf zu sehr damit konfrontiert. Vance, ein ehemals strikter Gegner jeder Form, Frist oder Ausnahme, ließ sich nämlich von Trump überzeugen, dass dieses Thema besser bei den Bundesstaaten aufgehoben sei, statt wie bisher über einen verfassungsrechtlich seit Jahrzehnten umstrittenen Kniff (Roe v. Wade) geregelt zu werden. Trump ist hier auf der moderaten Seite, was sich mit dem linken Narrativ schlecht verträgt, er beschneide in böser rechter Absicht die Frauenrechte. Im Kontrast zu Vance, einem wirklich konservativen Republikaner, erscheint Trump plötzlich so liberal, wie er es aufgrund seiner New Yorker Herkunft und seinen über Jahrzehnte gepflegten Freundschaften zum demokratischen Juste Milieu der Stadt eigentlich auch ist.
Versagen des Secret Service ist Versagen der Regierung Biden
Auch im direkten Vergleich des VP-Personals punktet JD Vance gegenüber Kamala Harris. Keine Skandale, keine verbrannte Erde aus früheren Tätigkeiten, intakte Familie. Keine peinlichen Videoschnipsel von Schulbussen, dem „Weltall, das wirklich sehr groß ist“ und Dingen, die sein können, „unburdened by what has been“. Natürlich fände dieses „Duell der VPs“ nur dann statt, wenn die Demokraten ihren Spitzenkandidaten nicht doch noch austauschen. Es ist wohl noch zu früh, die Auswirkungen des Anschlags von Butler Pennsylvania auf diese Personalie zu beurteilen. Die aktuell vergleichsweise Ruhe um den Präsidenten ist vielleicht trügerisch und im Hintergrund wird weiter fleißig an Biden gesägt. Oder ist die Einschätzung zutreffend, dass die Dems nach einem „Black Swan Event“ wie dem Mordanschlag eigentlich aufgegeben haben und man sich sagt, es lohne die Mühe nicht, eilig noch einen anderen Kandidaten in den Ring zu stellen, jetzt, da die Fehler der Biden-Administration sich für Trump als vorteilhaft erweisen.
Denn betrachtet man die nun ikonischen Bilder von Trump, blutend und umringt von Agenten, die Flagge über der Szene, die viele an „Iwojima“ denken lassen, mit den Augen eines Experten für Personenschutz, wird eines klar: selbst wenn es einem Schützen gelingt, eine Kugel auf den Präsidenten zu feuern, dürfte es Bilder wie diese eigentlich nicht geben. So ikonisch das Bild auch ist, illustriert es doch zuallererst Behördenversagen: sobald sich der Secret Service in dieser Weise über eine Schutzperson wirft, ist diese nichts anderes mehr als ein Paket, das so schnell und gedeckt wie möglich ins Auto verfrachtet werden muss. Da ist kein Aufstehen, kein Kopf recken, keine Faust und kein „kämpft, kämpft!“ vorgesehen. Das Versagen des Secret Service ist das Versagen der Regierung Biden – und sie weiß es und wartet auf die Einschläge in den Umfragen.
„Ich hätte da noch eine Frage“ würde Inspektor Columbo jetzt sagen und sich umdrehen. „Halten denn wenigstens die medialen Narrative gegen Trump? Sie wissen schon: Verbrecher, Vergewaltiger, Betrüger, russischer Agent, nette Leute unter den Neonazis…?“ Auf letztere „Äußerung“ Trumps in Charlottesville im Jahr 2017 stützte Jo Biden seine Entscheidung, seinen Ruhestand zu unterbrechen, um die „amerikanische Demokratie vor einem Rassisten und Nazi“ zu retten. Es hat nur sieben Jahre gedauert, bis die Faktenchecker bei Snopes zerknirscht einräumten: „No, Trump Did Not Call Neo-Nazis and White Supremacists 'Very Fine People'“ – Bidens ganzer Wahlkampf 2020 war auf der Empörung über eine selbst fabrizierte Lüge aufgebaut. Da tun ein paar ehrliche Rückschlage im Jahr 2024 vielleicht mal ganz gut.
Roger Letsch, Jahrgang1967, aufgewachsen in Sachsen-Anhalt, als dieses noch in der DDR lag und nicht so hieß. Lebt in der Nähe von und arbeitet in Hannover als Webdesigner, Fotograf und Texter. Sortiert seine Gedanken in der Öffentlichkeit auf seinem Blog unbesorgt.de.