Als Europäer fällt es oft schwer, Japans Verständnis von Liebe und Romanzen nachzuvollziehen.
So wie die Flut auf ewig
die blumengetupften Gestade
der Meeresbucht benetzt,
so werde ich immer und ewig
aus ganzem Herzen dich lieben.
(Fujiwara no Michitaka)
Liebe und Lust sind auch in Japan delikate Themen, die allerdings unter Bekannten vergleichsweise locker abgehandelt werden. Meiner Erfahrung nach wird intime Zurückhaltung in engeren Runden bald fallengelassen, wobei die sogenannten Oberen Zehntausend sich hier noch einmal zugeknöpfter geben als ohnedies für Japaner üblich. Sie agieren häufig konträr zu westlichem Gusto und geben sich Fremden gegenüber zwar verschlossen, können aber in der richtigen Gesellschaft, zu passender Gelegenheit auch sehr direkt sein, was einem herkömmlich Reisenden in diesem Land kaum bewusst wird.
Staunenswerte Natürlichkeit offenbart sich jemandem, wenn er denn erst einmal mit lokaler Kultur und ihr innewohnenden Pikanterien heimisch ward. In Japan erscheinen faszinierende Phänomene von Liebe, Lust, Schönheit, Leidenschaft, Innigkeit und Hingabe bis hin zu Erotizismus mit ihren schillernden Aspekten mysteriöser als irgendwo anders, zumal in einem der Länder, die sich dem aufgeklärten Westen zugehörig fühlen. Dieses Land war bis Ende des 19. Jahrhunderts ein von der Außenwelt abgeschotteter, Clan-dominierter Feudalstaat, in dem sich einzigartige Kultur entfaltete. Außenstehenden, die das moderne Japan bereisen, wird ohne ein verfeinertes Einfühlungsvermögen der Zauber hiesiger Liebschaft rätselhaft bleiben. Das große Ziel einer gelungenen Verschmelzung zweier Liebender lässt sich hier mit dem Wort 安泰/Antai – Seelenfrieden – umschreiben.
Hochpreisige Unterhaltungskunst
Fesselnde Sujets erregender Empfindungen mit wunderbaren Werken in Kunst entfaltet uns die Liebe, und es ist sicherlich nicht die Schönheit des Landes allein, die jemanden in Japan verführen kann. Von alters her begeistert die Menschen erotische Dichtkunst, wie sie aus dem vorderasiatischen Hohelied der Liebe in der Bibel oder dem japanischen Kopfkissenbuch der Sei Shōnagon hervorschimmert. Die schönste Sache der Welt, so ihm denn ein solches Glück zuteil werde, mag einem Fremden in abendländischem Unverständnis hier wie von Geheimnissen umwölkt vorkommen, in der Realität aber folgen selbst romantische Affären in Japan pragmatischer Praxis. Hierzulande wird zudem ein im Westen verdrängtes, positives Körpergefühl gepflegt – die Leute achten sehr auf sich und in ihren weltweit einzigartigen, mineraliengesättigten Heißwasserbädern (Onsen) offenbaren sie in purer Nacktheit so fitte wie formschöne Leiber.
Zu offensichtliche Erscheinungen von sexueller Prostitution oder Pornografie werden aus der Öffentlichkeit zumeist verbannt (vgl. Prostitution Prevention Law, 1956; damals auf Druck der amerikanischen Besatzer verabschiedet; traditionell erfahren solche Dinge hier ihre ganz eigene Wertung), wenn auch freilich der Interessent weiß, was er wo finden kann und beispielsweise die japanische Pornografieszene als enorm facettenreich und erfolgsgekrönt bekannt ist. Westliche Sextouristen, wie sie sich in anderen asiatischen Ländern finden (Thailand, Vietnam, Philippinen o.a.), verlaufen sich nicht nach Japan und hätten hier auch kaum Erfolg – eines der Resultate gehobener japanischer Kultur.
Die in Instrument, Gesang, Tanz und der Kunst des Geschichtenerzählens herausragend gelehrten Geishas mögen zwar auch mit ihrer wunderschönen Kostümierung in erotischer Kunst wie Fantasie erscheinen, zeichnen sich aber vor allem in ihrer besonderen Kategorie hochpreisiger Unterhaltungskunst aus und sind keinesfalls mit käuflicher Liebschaft zu verwechseln. Westliche Ehefrauen präsentieren sich dann und wann auf ihren Blogs im teuer geliehenen Geisha-Kostüm, sie wirken dabei allerdings so lächerlich wie in einer Verkleidung als Squaw oder Beduina – von gebildeten Japanern wird ihre Camouflage nur spöttisch belächelt, da diese eher naiven Fantasien wie Karl Mays Beschreibungen von Winnetous Schwester ähnelt.
Ehe ist reine Formalie
Sinnliche Exzentrik wurde und wird hier mehr oder weniger verborgen seit jeher praktiziert und zwar bis in die höchsten Kreise hinein – beispielsweise war Shōwa-tennō († 1989) der erste Tenno, der monogame Ehe mit seiner Gemahlin vorlebte, während davor jeder Herrscher offiziell Konkubinen um sich hatte, deren Kinder ebenfalls anerkannt wurden, wie uns das Beispiel seines Großvaters zeigt, des berühmten Meiji-tennō, der Abkömmling einer solchen Liebesdienerin seines Vaters war und offiziell als Sohn der Kaisergattin sowie später als Kronprinz mit Anrecht auf den Chrysanthementhron bestätigt wurde.
Dies lässt sich Aufzeichnungen des Hofes entnehmen, die eben dort zum Nachweis der jeweils mit wem verbrachten Liebesstunden des Monarchen und der Abstammung daraus entsprungener Kinder sowie Stammhalter geführt wurden. In der davor liegenden und mit der Meiji-Epoche endenden Edo-Periode unter der Oberherrschaft des Tokugawa-Clans war die Anzahl genehmigter Nebenfrauen für den Herrscher mit zwölfen bis hinunter zu den Samurai mit zweien festgeschrieben worden. Heutigentags ist der Unterhalt einer Mätresse – offiziell ist eine Nebenfrau ohnehin illegal, kann also nur in verheimlichter Form existieren – mit einhergehendem, beträchtlichem Kostenaufwand lediglich Wohlhabenden sowie Gutverdienern möglich, allerdings auch mit verschiedensten Abstufungen der Geliebten durch alle Schichten hindurch nicht unüblich.
Bis zur Verabschiedung des japanischen bürgerlichen Gesetzbuches (mehr oder weniger eine Kopie des zwei Jahre zuvor in Kraft getretenen deutschen BGB, zusätzlich mit britischen und französischen Einflüssen) 1898 waren Ehen in Japan grundsätzlich arrangierte Zweckbündnisse zu vermehrtem Nutzen ihrer Familien sowie der Geburt aus solchen Verbindungen stammender Familienträger, und eine solche Tradition schimmert mancherorts bis heute hindurch. Dass ein christliches Treueverständnis (till death us depart), mit welchem die Ehe auf ein Sakrament erhoben wurde, hier nachrangig ist, ergibt sich vor diesem Hintergrund, und eine im Bürgerbüro der jeweiligen Präfektur abgehaltene Sitzung zur Registrierung einer Ehe ist reine Formalie. Die freie Partnerwahl aus Liebe ist kulturhistorisch ohnehin eine recht junge Erscheinung und fasste in Japan erst Mitte des 20. Jahrhunderts Fuß.
„Sie kokettierte mit einer Anmut, die eine Europäerin nie erreicht.“
Im japanischen Kulturkreis wird traditionell ein anderer Zugang zu amourösen Romanzen gepflegt, als es in christlich geprägter Welt üblich ist, und die Aspekte liebevoller Zuneigung sind diffiziler, voll mystischen Zaubers. Japanische Frauen sind nicht nur recht scharfsinnig – sowie bekannt dafür, das, was sie tun, in höchster Qualität zu verrichten – sondern sie sind auch einfallsreich und geduldig im Erreichen ihrer Ziele, und sie sehen dabei nicht selten auch noch umwerfend aus. Ich traf noch keinen Fremden (外国人) hier, der nicht von der Faszination japanischer Frauen in den Bann gezogen würde, deren mandeläugige Attraktivität zusammen mit ihrem abgründigen Zauber in einem Charme kulminiert, an den nur wenige Frauen dieser Welt heranreichen. Mit den Worten Bernhard Kellermanns gesprochen (Ein Spaziergang in Japan, 1910): „Sie kokettierte mit einer Anmut, die eine Europäerin nie erreicht.“ – auf diesem Niveau halten nach meinem Geschmack lediglich israelische oder ungarische Schönheiten mit.
Neben Shinto und Buddhismus sowie diversen asiatischen Kulten spielen die Religionen aus anderen Teilen dieser Welt auch in diesem Zusammenhang kaum eine Rolle, denn in Glaubensfragen geben sich die Leute hierzulande recht entspannt. Der auch in dieser Hinsicht liberal lebende Autor dieser Zeilen genoss frei von Obligationen mit seiner japanischen Ehefrau eine hinreißende Hochzeitszeremonie in einem Shintoschrein mit Priester und dessen Gehilfen, während Japaner, die in weniger tolerante Völker und ihre Religionen einheiraten, gewöhnlich deren Glauben annehmen.
Homo- oder Transsexualität droht weder offene Unterdrückung noch Gewalt, doch konzentriert sich auch in Japan, wie schon aus anderen Ländern bekannt, eher in Metropolen. Liebes- wie Erotikthemen gelten gleich religiösen Fragen hierzulande als Privatangelegenheit und werden außerhalb einer kleinen, schillernden Künstlerszene nicht in einer solch exhibitionistischen Art öffentlich zur Schau gestellt, wie es im derzeitigen Deutschland üblich wurde, wo so manche „Prominente“ oder Politiker (die meist in ihrer eigentlichen Tätigkeit wenig auf die Reihe bekommen – vgl. Wowereit, Fester, Ganserer) öffentlich mit ihren sexuellen Ausrichtungen und Vorlieben hausieren gehen beziehungsweise ihren Fetisch propagieren. Japaner registrieren, auch im Zusammenhang mit sexueller Gewalt, sehr genau internationale Ergebnisse politischer Willkür sowie Dummheit und sind dank konsequenter Immigrationspolitik, ihrer Insellage, ihres Konservatismus und ihrer Liebe zur eigenen Kultur imstande, die in Deutschland und Europa ansteigenden, negativen Resultate illegaler Zuwanderung dubioser Gewalttäter (Nötigung, Vergewaltigung, Femizid, Messerstecherei usw.) für Japan niedrig zu halten.
Ein demographisches Problem.
Dieses Land hier ist sicherlich nichts für „progressive“ Feministinnen, und „moderne“ westliche Frauen mit einem Faible für Japan sollten gewisse exotische Romantik rational überdenken, so sie nicht bereit sind, ein mögliches Schattendasein zu akzeptieren, da erfahrungsgemäß japanische Ehemänner recht schnell Zuneigung zu ihren Ehefrauen vernachlässigen und sich eigenen Interessen zuwenden. Es ist in Japan offenes Geheimnis (sicherlich nicht nur hier), dass nach der Geburt von Kindern das Liebesleben der Eltern zueinander verstummt, wenn natürlich auch nicht deren Lust. Japanischen Ehefrauen obliegt traditionell die Finanzkontrolle der Familie, und es ist nicht unüblich, dass sie nach einigen Jahren mit ihren Ehemännern sonst wenig zu teilen haben. Die Scheidungsraten in Japan sind demgegenüber vergleichsweise niedrig und jung verheiratete Paare bekommen auch meistens Nachwuchs, doch da immer weniger der Jüngeren bereit sind, den Bund fürs Leben zu schließen und auch die Geburtenrate mickrig ist, ergibt sich offensichtlich hier ein demographisches Problem.
Das japanische Scheidungsrecht erscheint vergleichsweise fair; beispielsweise in der Konsequenz, dass auch Frauen, die mit einem anderen Mann fremdgehen, im Scheidungsfall eine recht hohe Buße zu zahlen vor Gericht verurteilt werden können – das alte Strafrecht sah noch zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts Zuchthaus und Zwangsarbeit für eine Ehebrecherin und ihren Partner vor, und der Richter konnte nach einer Tötung der Ehebrecherin durch ihren Ehemann über Strafmilderung entscheiden – oder im Falle, dass die Kinder nach Scheidung beim Vater bleiben, auch die Mutter für die in Japan recht hohen Schul-/Uni-Kosten aufzukommen hat.
Exklusiv zivilisiert, mit hohen Lebens- wie Bildungsstandards, ist Japan alles andere als ein Land, in welchem Feminismus eine wichtige Rolle spielte, (was nebenbei auch in Bezug auf Vegetarismus/Veganismus oder „Klimaschutz“ gilt). Junge Leute haben hier weiten Spielraum beim Erkunden ihrer Vorlieben in prickelnd erotischer Sphäre erwachenden Lustempfindens, die doch so umfassend unser Leben dominiert. Anders als in rückständigen, Clan-dominierten, islamischen oder christlichen Gegenden dieser Welt genießen Mädchen ihre Sexualität in Japan verhältnismäßig liberal und eigenständig. Age of consent ist hier mit 13, das niedrigste in der westlichen Welt, was selbstverständlich nur bei altersgerechten Paaren akzeptiert wird (zum Lolita-Komplex). Kulturhistorisch verständlich, doch etwas skurril, erscheint in diesem Zusammenhang, dass Japaner ihren traditionellen Feiertag zur Einführung in die Welt der Erwachsenen (成人の日, Seijin no Hi) in ihrem zwanzigsten Geburtsjahr feiern.
Lustbetonte Gemütsregung
Nicht wenige Japaner mögen durchaus Hentai (変態, so viel wie frivol, obszön) und offenbaren dies im Privaten untereinander auch freimütiger, als man es im Westen gewohnt sein mag. Mit Bezug auf Affektionen der Liebe ist Großzügigkeit in Japan vergleichsweise hoch; Affären scheinen im modernen Japan allgegenwärtig zu sein und latente Anzeichen erotischer Präsenz dringen dem kulturell aufmerksamen Beobachter in den Geist – in der Realität allerdings, das ist hier nicht so viel anders als im Westen, passiert häufig viel weniger, als es die Fantasie auszumalen vermag. Besonnenheit sei dann und wann geboten – Obacht während alkoholgetränkter Nächte. Zärtlichkeiten werden nicht in der Öffentlichkeit ausgetauscht, und erotisches Beisammensein ist nur in sehr verschlossener Privatheit üblich. Liebesdramen sind hierzulande ein häufig bespieltes Sujet, und jeder kann eine Fülle davon aus engsten Bekannten- und Verwandtenkreisen berichten – Happy End ist in japanischer Literatur und Filmkunst selten.
Kulturelle Artefakte erotischen Lustempfindens, wie ich sie im Wakasa Jomon Museum in der Fukui Präfektur in Augenschein nehmen konnte, sind schon aus frühen Epochen dieses Landes überliefert – natürlich divergieren auch hier die Interpretationen von Archäologen und Historikern – bevor die vom asiatischen Festland vor über 2.000 Jahren herkommende Yayoi-Kultur mit ihrem Nassfeld-Reisanbau begann, Yamato, dann ganz Honshu und Japan zu dominieren. Aus jenen Zeiten antiker Jōmon–Kultur zeugen überlieferte Worte wie 夜這い (yobai, so viel wie [nächtliches] herumkriechen) von lustbetontem Suchen und Finden mit Treffen in abgelegenen Hütten, wofür sich im heutigen Japan die Kultur der Lovehotels etablierte, in denen Affären und Paare in abgeschiedener Privatheit Zeit und Raum sowie vieles von dem zu finden vermögen, was Liebesherz und Lüste begehren.
In diesem Land wird schlussendlich nicht nur herausragend Liebes-Ästhetik sowie Schönheitsempfinden gepflegt, sondern ebenso lustbetonte Gemütsregung stimuliert. Es ist erstaunlich, welche Höhen die Liebeskunst in einem solchen Land erklimmen kann, in dem nebst emotionaler Kühle nach außen doch so viel inneres Liebesfeuer erstrahlen kann. Um es einmal mit begrifflicher Entlehnung aus der Star Trek Szene anzureichern: Japanische Liebe changiert zwischen vulkanisch kühler Emotionskontrolle und klingonisch hitziger Hysterie. Auch wenn der Aufbau eigenständiger Existenz in Japan für ihn alles andere als einfach sein mag, so kann doch ein unabhängiger Freigeist hier in einzigartig erfrischender Weise Liebe, Lust und Schönheit mit faszinierenden Impressionen neu entdecken. Japan überwältigt mit seiner Fülle an Liebreiz, und wie ich freien, westlichen Männern versichern möchte, gibt es nichts Angenehmeres als eine offenherzig anmutige Japanerin an seiner Seite …
Bernd Hoenig ist Religionswissenschaftler, Jahrgang 1966, lebte in Berlin, traf seine heutige Ehefrau Mayu 2016 in Deutschland und lebt mit ihr in Japan, wo sie ihre Firma (mittejapan.com) gründeten. Dieser Beitrag erschien zuerst in seinem Blog Japoneseliberty. Dort beleuchtet er bevorzugt nichtalltägliche Themen, beurteilt aus der liberalen Sicht eines abendländisch freien Geistes.