Vera Lengsfeld / 28.07.2024 / 14:00 / Foto: Montage achgut.com / 16 / Seite ausdrucken

Jans Attentat

Der Übersetzer und Autor Oliver Zimski hat einen Roman vorgelegt, der sich an ein heikles Thema wagt: Wie hätte ich mich in der Nazidiktatur verhalten?

Die Frage ist natürlich am brisantesten für alle, deren Vorfahren Täter gewesen sind. Es ist wahrlich ein hartes Schicksal, von einem SS-Kommandeurs-Vater oder einem Gestapo-Opa abzustammen. Nach meiner Überzeugung haben diese Leute die Kollektivschuld-These erfunden. Wenn sich alle schuldig gemacht haben, wiegt die familiäre Belastung weniger schwer. Die Aufarbeitung des Nationalsozialismus, um die uns angeblich alle beneiden, hat nicht die Erkenntnis befördert, dass es die Methoden der Totalitären sind, die man scheuen muss wie der Teufel das Weihwasser. Eine queere Journalistin hat auf X verkündet, Nazis könne man nur mit Nazimethoden bekämpfen.

Nazi ist heute jeder, der die Regierung kritisiert. Diese Kritik wird tatsächlich mit Mitteln zum Verstummen gebracht, die auch im Dritten Reich angewendet wurden: Denunziantentum, Einschüchterung, Anprangerung, Justizwillkür. Gleichzeitig sind sich die Vertreter des Wokismus weitgehend einig, dass sie in der Nazi-Diktatur natürlich zu den Widerständlern gehört hätten. Es gab sogar mal einen Tweet, in dem behauptet wurde, der Schreiber hätte Hitler ganz bestimmt umgebracht.Der Journalist Johannes Gross spottete bereits vor Jahrzehnten: „Je länger das Dritte Reich tot ist, umso stärker wird der Widerstand gegen Hitler und die Seinen.“

Zimskis Romanheld Jan gehört zu denen, die sich selbstverständlich für Widerständler halten. Er wirft seinem Vater, der bei Kriegsende sieben Jahre alt war, im Ernst vor, ein Nazi gewesen zu sein. Er hat u.a. eine NS-Paranoia, die dringend behandelt werden muss. Auf einer Geburtstagsfeier trifft er einen Therapeuten, der mit einer ganz neuen Methode Zeitreisen ermöglichen kann. Jan lässt sich von ihm in das Deutschland vom Juli 1944 transferieren.

In Berlin, das zwar schon täglich bombardiert wird, aber noch viel von seiner Schönheit bewahrt hat, hört er in einem Luftschutzbunker, dass es Stimmen gibt, die über die Gräuel hinter der Ostfront berichten und sich gegen den Krieg aussprechen. Die Bevölkerung hat keineswegs nur den Mund gehalten und begeistert mitgemacht. Im Gegenteil, weil sie nicht bereit war, dem Führer in den Untergang zu folgen, erließ der im März 1945 die sogenannten Nero-Befehle, die den Menschen in Deutschland durch die Vernichtung von Infrastruktur und anderen Lebensgrundlagen die Fortexistenz unmöglich machen sollten. „Nie wieder Deutschland“ ist ein Hitler-Befehl, den die Antifa und die Antideutschen heute noch befolgen wollen.

Der literarische Kniff der Zeitmaschine

Besonders eindrücklich wird der Roman, als Jan in Königsberg ankommt, wenige Wochen bevor die Stadt zum ersten Mal durch alliierte Bomber dem Erdboden gleichgemacht wird. Königsberg muss wunderschön gewesen sein. Nach der Rekonstruktion einer Häuserzeile am Pregel mit Blick auf die Dominsel bekommt man heute einen Eindruck davon, was die Stadt einmal war. Jan trifft auf dem Gut von Erich Koch, dem berüchtigten Gauleiter Ostpreußens, auf Adolf Hitler, den er nicht umbringt. Später ist er bei der legendären Besprechung in der Wolfsschanze dabei. Bis heute wird gerätselt, wer die Aktentasche mit der Bombe von Stauffenberg um jenen fatalen halben Meter hinter das Tischbein verrückt hat, was Hitler das Leben gerettet hat. Im Roman ist es Jan.

Im Nachwort schreibt der Autor, dass der literarische Kniff der Zeitmaschine für ihn das geeignete Mittel war, um „einen spezifischen ‘Clash of Cultures’ abzubilden… Mit Jans Reise aus unserer Gegenwart des Jahres 2022 ins Kriegsjahr 1944 prallt eine besonders auf Seiten der politischen Linken verbreitete Mentalität, geprägt von dichotomischen Beurteilungsrastern, dem inflationären Gebrauch von NS-Vergleichen und der leichtfertigen Schmähung von politischen Gegnern als Nazis oder Faschisten – auf die konkreten Lebensbedingungen einer Diktatur, welche ihre Macht nicht nur auf Unterdrückung und Terror stützte, sondern auch kollektive Sehnsüchte bediente, etwa die nach Gleichheit und Zusammenhalt (Volksgemeinschaft).“ Der Satz: „Wir sind Sozialisten, wir sind Feinde des kapitalistischen Wirtschaftssystems…“ stammt aus einer Hitler-Rede vom 1. Mai 1927. Der Zusatz: „Schon immer ist mir nichts verhasster als das Besitzbürgertum“, ist von Goebbels, 1931.

„Die Geschichte lehrt dauernd, aber sie findet keine Schüler“, diese Erkenntnis von Ingeborg Bachmann fasst das Buch von Zimski gut zusammen.

Oliver Zimski: Jans Attentat, 2024

 

Vera Lengsfeld, geboren 1952 in Thüringen ist eine Politikerin und Publizistin. Sie war Bürgerrechtlerin und Mitglied der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR. Von 1990 bis 2005 war sie Mitglied des Deutschen Bundestages zunächst bis 1996 für Bündnis 90/Die Grünen, ab 1996 für die CDU. Seitdem betätigt sie sich als freischaffende Autorin. 2008 wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt. Dieser Beitrag erschien zuerst auf ihrem Blog Vera-Lengsfeld.de

Foto: Gemeinfrei, via Wikimedia Commons

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Johannes Schuster / 28.07.2024

@Thomas Szabó: Ihr Kommentar ist der beste Stoff, den ich hier bisher gelesen habe. Weiter so, und vergesst Max Max: Die Haarer - Zombies sind schlimmer.

Ben Goldstein / 28.07.2024

“Nach meiner Überzeugung haben diese Leute die Kollektivschuld-These erfunden.” Da könnten Sie recht haben, Frau Lengsfeld. Neulich las ich auf Wikipedia, dass Louis Klamroths Urgroßvater “Widerstandskämpfer” (wörtlich) Hans Georg Klamroth gewesen sei. Klickt man auf den Link zum Namen wird der Kämpfer nur noch als Mitwisser vorgestellt. Im weiteren Text erfährt man dann, dass er hingerichtet wurde, weil er seinen Schwiegersohn nicht verpetzte. Seine Frau Else Klamroth und die Tochter Ursula wurden danach aus der NSDAP und der NS-Frauenschaft ausgeschlossen, was bedeutet, dass sie dort Mitglied waren. Hans Georg selbst war früh schon 1933 in die NSDAP eingetreten. Verteidigt hat er sich vor Gericht mit einer Berufung auf die Nazi-Ideologie, die so klang: “Was der nächste Vorgesetzte befiehlt, wird gemacht, und was er nicht befiehlt, geht mich nichts an.” Ob Louis Klamroth weiß, dass sein Wikipediaeintrag seinen Urgroßvater zum Widerstandskämpfer erklärt hat?

Thomas Szabó / 28.07.2024

Jans Attentat Teil 4: Mit nagendem Gewissen und schweren Herzens verpfeift Jan die Attentäter vom 20. Juli 1944 an die Gestapo, weil er zur Überzeugung gelangt ist, dass nur die totale Niederlage des Dritten Reiches dem Nationalsozialismus ein Ende setzen kann. Hitler heftet seinem zweimaligen Lebensretter Jan persönlich das goldene NSDAP-Abzeichen an die Brust. Jan wird nach dem Krieg (Dank dankbarer Nazirichter) rasch entnazifiziert und als ein harmloser Mitläufer eingestuft. Er bekommt bis zu seinem Lebensende schwärmerische Liebesbriefe von “alten Kameraden” und Neonazis.

Gerdlin Friedrich / 28.07.2024

“Nazi kann man nur mit Nazi-Methode bekämpfen” zeigt, dass Nazi “beerbt” wird, von Leuten,in welchem Gewand auch immer, die behaupten, sie hätten mit Nazi nichts zu tun, sie gerade, die Dummen.

Rolf Mainz / 28.07.2024

“Eine queere Journalistin hat auf X verkündet, Nazis könne man nur mit Nazimethoden bekämpfen.” Diese Dame kennt sich mit “Nazis” aus, sieht sie sich doch laufend von ihnen umgeben - beim Blick in den Spiegel.

Helmut Driesel / 28.07.2024

  Welcher “literarische Kniff mit der Zeitmaschine”? Das war einmal originell, heute ein alter Hut. Man kann Unmögliches schreiben, unmögliche Welten, unmögliche Leute, unmögliche Ereignisse, und man kann so tun, als hätte man in all diesen Unmöglichkeiten etwas erlebt. Dann wird es ein unmögliches Buch. Das kann man zwar lesen, sollte sich aber hüten, Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Die Geschichte lehrt nichts, aber sie liefert fortlaufend Vorwände, etwas zu tun oder zu unterlassen. Das Unmögliche lehrt auch nichts und liefert auch keine Vorwände. Also am besten, man schreibt sowas nicht.

Thomas Szabó / 28.07.2024

Jans Attentat Teil 3: 1000 Jahre später: Deutsche Ingenieure haben die Spiralarme der Galaxie in exakten rechten Winkeln hakenkreuzförmig ausgerichtet. Die Mondnazis unterzeichnen den Friedensvertrag mit dem galaktischen Imperator der Nachbargalaxie. Der Kampf für die arische Rasse geht unvermindert weiter. Als arisch gelten diejenigen Außerirdische die dem arischen Ideal entsprechen: blond, blauäugig, transgender, 3 klebrige Greifarme. (Im Jahre 2445 verbot der Mondführer Adolf XIV. die Zweigeschlechtlichkeit (Mann und Frau), weil sie die Gesellschaft spaltet.) Ganze Planeten werden in Konzentrationslager und Sonnen in Krematorien umgebaut. Im Jahre 1969 im Chaos des Weltunterganges des letzten Weltkriegs zwischen Ozeanien, Eurasien, Ostasien gelingt Jan die Flucht aus dem KZ Mallorca. Es gelingt ihm sich zu seiner vom Winterhilfswerk als Altmetallspende beschlagnahmte Zeitmaschine durchzukämpfen und sie in Betrieb zu setzen. Er reist zurück ins Jahr 1939, um dem Führer das Leben zu retten. Es gelingt ihm nicht seinen bei seiner ersten Zeitreise im Jahre 1939 angekommenen Ich vom Attentat abzuhalten und erschießt ihn notgedrungen. Der gequält lächelnde Jan wird vom Führer persönlich als der große Held des Nationalsozialismus ausgezeichnet.

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