Jamaika: die lebende Totgeburt

Was wäre eigentlich der Nutzen, wenn Jamaika klappt? Mit dieser Frage beschäftigen sich Zeitgeisterjäger Matthias Heitmann und Radio- und Fernsehmoderator Tim Lauth in der aktuellen Folge ihrer Radiokolumne „Der Wochen-Wahnsinn“. Für Heitmann ist die Sache klar:

„Es wäre gut, wenn Jamaika scheitert. Denn wir bekämen nichts als eine Koalition der Notgedrungenen und Glattgeriebenen, eine politische Totgeburt. Kooperation, Koalition und Konsens gelten in Deutschland immer noch als oberste Demokratenpflicht. Dabei haben funktionierende und lebendige Demokratien eher schwache Regierungen. Man könnte auch sagen: Wer stabile und effiziente Regierungen will, der sollte sich das mit den Wahlen noch einmal genau überlegen.“

Zum Podcast geht es hier entlang.

Tim Lauth: Herzlich Willkommen zu einer neuen Ausgabe des WochenWahnsinns! Mein Name ist Tim Lauth, und ich gehe wieder auf Zeitgeisterjagd mit dem Mann, der das gleichnamige Hardcoverbuch und E-Book geschrieben hat: Matthias Heitmann. Matthias, die Sondierungsgespräche zwischen CDU, CSU, FDP und den Grünen gehen ja nun in die Verlängerung: Glaubst du, dass Jamaika jetzt noch scheitern kann?

Matthias Heitmann: Was wäre denn der Nutzen, wenn Jamaika klappt? Die Frage ist doch viel spannender! Wir bekämen eine Koalition der Notgedrungenen und Glattgeriebenen, eine politische Totgeburt. Was wäre denn dadurch gewonnen? Dagegen wirkt ja die gerade abgewählte Große Koalition richtig zielorientiert.

Lauth: Naja, zumindest würde uns Jamaika eine stabile Regierung bescheren, oder?

Heitmann: Stabil wären vielleicht die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag, aber ein griffiges Fundament existiert deswegen doch noch lange nicht. Man merkt ja auch, dass die eigentlich nicht miteinander arbeiten wollen, sie glauben aber, es zu müssen. Es wäre gut, wenn Jamaika scheitert. Wenn jemand davon profitiert, dann wohl die Demokratie.

Lauth: Inwiefern nutzt denn das der Demokratie, Matthias?

Heitmann: Es nutzt der Demokratie, weil deutlich wird, dass sie eben nicht nur dafür da ist, möglichst breite Regierungen zu produzieren. Ich weiß, dass gerade bei uns dieses Denken besonders tief verankert ist: Kooperation, Koalition und Konsens gelten als oberste Demokratenpflicht. Dabei ist dies alles andere als der Normalfall: Funktionierende und lebendige Demokratien haben eigentlich eher schwache Regierungen, weil es immer viel Widerspruch gibt und sich Stimmungen und Mehrheitsverhältnisse verändern, es ist das Wesen der Demokratie, dass man sich nicht so schnell einig wird, wenn überhaupt. Man könnte auch sagen: Wer stabile und effiziente Regierungen will, der sollte sich das mit den Wahlen noch mal genau überlegen.

Lauth: Aber warum ist in Deutschland dieser Wunsch nach stabilen politischen Verhältnissen so ausgeprägt?

Heitmann: In Deutschland galt Instabilität immer als Vorstufe zum Weltuntergang. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Demokratie daher immer besonders ängstlich und elitär betrieben, und sie ist auch heute noch so konzipiert, dass einfache Bürger möglichst wenig direkt damit zu schaffen haben. Lieber wünschte man sich klare Verhältnisse und Stabilität. Aber genau diese Friedhofsruhe ist von den Bürgern jetzt abgewählt worden.

Lauth: Die Politiker behaupten, es gäbe einen Wählerauftrag für Jamaika …

Heitmann: Nein, die Wahl wurde gemeinhin als Denkzettel charakterisiert, man wollte die Parteien zum Um- und Neudenken zwingen. Das zeigt sich auch an der jetzt wachsenden Ablehnung von Jamaika: Zuerst fanden die Menschen die Idee interessant, weil da Politiker an einen Tisch rückten, die so noch nie zusammensaßen. Nun aber macht sich Ernüchterung breit, weil klar wird: Das sind genau dieselben Typen wie bisher, und von denen kann man Veränderung nicht wirklich erwarten. Wenn Jamaika gelingt, gibt es außer den Linken und der AfD keine Partei mehr im Bundestag, die nicht unter Angela Merkel regiert hat. Was soll man da von wem noch erwarten?

Lauth: Und wofür plädierst du?

Heitmann: Ich halte es mit Phil Conners aus dem Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“, der am Schluss seines Martyriums sagt: „Irgendwas ist anders. Alles, was anders ist, ist gut“. Jamaika wäre nichts anderes, es wäre die Fortsetzung genau der Fehler, für die die Politik gerade abgestraft wurde. Ich fände eine Minderheitsregierung mit wechselnden Mehrheiten spannend, weil das endlich den Raum für kontroverse Debatten eröffnen würde. Oder halt eben Neuwahlen. Wie gesagt: Alles, was anders ist, ist gut.

Lauth: Ok Matthias, und wo in Zukunft noch alles gut wird und wir also hinreichend gute Gründe für Optimismus finden können, das werde ich auch in der nächsten Ausgabe des WochenWahnsinns wieder diskutieren mit Matthias Heitmann. Bis dahin, machen Sie es gut, und besser!

Nach den ausverkauften Vorstellungen im Oktober und November stehen die nächsten Termine für das Bühnenprojekt „Zeitgeisterstunde“ von Matthias Heitmann und Tim Lauth bereits fest. Am 21. Januar und am 11. März 2018 laden die beiden in das Frankfurter Kabarett „Die Schmiere“ und liefern, was man heute kaum noch gewohnt ist: gute Gründe für Optimismus. Karten für diese Vorstellungen gibt es bereits jetzt – und die sind ein tolles Weihnachtsgeschenk! Mehr Infos unter: zeitgeisterstunde.de.

Alte Ausgaben des WochenWahnsinns im Online-Archiv unter http://www.zeitgeisterjagd.de/wochenwahnsinn/.

Foto: Tim Maxeiner

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Leserpost

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Martin Stumpp / 17.11.2017

Ich denke eine Minderheitsregierung aus CDU und FDP wäre eine Lösung, es wäre eine Minderheitsregierung der Mitte. Eine vernünftige Einwanderungspolitik wäre mit der AfD zu machen, bei Verbesserungen im Bereich der Umweltpolitik müssten nolens volens die Grünen zustimmen und soziale Verbesserungen wären mit der SPD zu machen. Nur die Linken bräuchte keiner.

Jaco Sandberg / 17.11.2017

“Jamaika wäre nichts anderes, es wäre die Fortsetzung genau der Fehler, für die die Politik gerade abgestraft wurde.” Es waren und sind keine ‘Fehler’ - hier wird ein Staat bewusst zerstört, die Zukunft einer Nation bewusst unmöglich gemacht und ein Staatsvolk bewusst zerrieben. Keine Fehler, sondern absichtliche Zerstörung.

Rupert Drachtmann / 17.11.2017

Grüß Gott Herr Heitmann ! In einer der letzten Schwätzerrunden der Öffentlichen Einheitsmedien hat doch glatt Herr Deppendorf von sich gegeben: „Der Wähler hat ‚Jamaika‘ gewählt“. Unglaublich dass man einen derartigen Unfug öffentlichkeitswirksam von sich geben kann. Der einzelne Wähler sich eben genau für eine Partei entschieden. Ob schwarz, rot, blau, gelb oder grün. Er hat sich keinesfalls für eine Maximierung von Kompromissen ausgesprochen ! Egal wie das ausgeht, die Quittung kommt. Je später umso heftiger. Grüße

Heiko Stadler / 17.11.2017

In den Jamaika-Verhandlungen gibt es zwei Fronten: Union + FDP und Grüne mit Merkel. Merkel wird ihre Gegner CDU, CSU und FDP so lange mit Maraton-Sitzungen tyrannisieren, bis sie ihren Wählerauftrag vergessen zu allen günen Positionen ja sagen.

Richard Loewe / 17.11.2017

das wirklich Schlimme ist, dass eine Jamaika-Koalition zwar das Ende der Demokratie, aber nicht das Ende der koalierenden Parteien wäre. Die Deutschen sind einfach zu dämlich zu sehen, dass es vollkommen egal ist, ob man FDP oder Grüne wählt, denn am Ende kommt die gleiche Politik heraus. Wenn Deutsche ein wenig Verstand hätten, dann wäre mit SPDCDUGRÜNECSUFDP genau dasselbe passiert wie mit der DC in Italien: sie würden aufgelöst. Der deutsche Souverän ist keiner, er ist dummes Stimmvieh und stimmt für Leute, denen es nur um das eigene Geld geht, welches natürlich aus der Tasche des Stimmviehs kommt. Ich würde wetten, dass das “Dem Deutschen Volke” am Reichstag diese Legislaturperiode weggemeisselt wird.

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