Hansjörg Müller / 12.04.2015 / 15:15 / 4 / Seite ausdrucken

Jakobs Wahn

Manche Leute möchte man nicht ernst nehmen, doch man muss, wegen der Bedeutung, die ihnen von der Gesellschaft beigemessen wird. Hiesse Jakob nicht Augstein, er würde sich wohl auf obskuren Blogs austoben oder als Wutbürger in den Kommentarspalten der Online-Medien. Doch als Sohn des «Spiegel»-Gründers Rudolf Augstein darf er seine Gedanken auf dem Online-Portal des deutschen Nachrichtenmagazins ausbreiten.

Seine Kolumne dort heisst «Im Zweifel links». Als ehemaliger Linker ärgert mich das ein wenig. Links zu sein hiess für mich, für gesellschaftlichen Fortschritt einzustehen. Für Jakob Augstein bedeutet es, sich darüber zu freuen, dass schon bald ein Regime in den Besitz der Atombombe kommen könnte, das Frauen systematisch diskriminiert und Leute hinrichtet, weil sie dem Islam entsagen. «Die iranische Bombe kommt sowieso», verkündete er am Donnerstag, um nonchalant zu fragen: «Na und?» Schliesslich würde damit doch nur eine «alte Anomalie» beseitigt, nämlich dass Israel die einzige Atommacht im Nahen Osten sei.

Zwischen einer theokratisch grundierten Diktatur und westlichen Demokratien mag Augstein keinen grossen Unterschied machen: Es gebe keinen Anlass, die Machthaber in Teheran für verrückter zu halten als jene in Washington und Jerusalem, behauptet er, um auf seinen üblichen Watschenmann einzudreschen, den israelischen Premier Benjamin Netanyahu. Dessen Politik habe etwas Unernsthaftes: Wenn er die iranische Bombe wirklich so sehr fürchte, warum provoziere er dann in einer solchen Situation US-Präsident Obama und Israels europäische Partner?
Nun kann man Netanyahu vieles vorwerfen, doch wenn Augstein halbwegs aufmerksam Zeitung lesen würde, müsste er wissen, dass die Angst vor einem nuklear bewaffneten Iran in Israel vom gesamten politischen Spektrum geteilt wird, auch von linken Netanyahu-Gegnern.

Doch das Problem liegt nicht bei Jakob Augstein. Es liegt beim «Spiegel». Gibt es bei Europas grösstem Nachrichtenmagazin denn wirklich niemanden, der es wagt, solch einem unbedarften Schwätzer in den Arm zu fallen?

Erschienen in der Basler Zeitung

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Leserpost

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Thomas Schmied / 13.04.2015

“Hiesse Jakob nicht Augstein, er würde sich wohl auf obskuren Blogs austoben oder als Wutbürger in den Kommentarspalten der Online-Medien.” Es wäre auch möglich, dass er dann näher an der Realität leben müßte und im Zweifel nicht “links” oder “rechts” wäre, sondern im Zweifel seinen Verstand benutzen würde.

Valerie Bolzano / 13.04.2015

Sehr geehrter Herr Müller! Danke, daß Sie das Kind beim Namen nennen. Herr Augstein ist ein Schwätzer, ein Verrückter, ein Salonlinker, der viel zu viel Gehör und Anklang findet. Es ist eine Schande, daß er durch den Spiegel eine derart breite Öffentlichkeit findet mit seinen kruden, antidemokratischen, ultralinken Thesen. Auch viele meiner Bekannten verehren ihn und seine pseudo-menschenfreundlichen Auswürfe. Der Name Augstein scheint Synonym für journalistische Qualität zu sein und wird nicht lang hinterfragt. Daß Jakob Augstein durchaus gefährlichen und antiliberalen Schwachsinn von sich gibt, stört leider viel zu wenige.

Julian S. Bielicki / 12.04.2015

Jakob Augstein wurde von Martin Walser gezeugt, nicht von Rudolf Augstein.

Andreas Gerlach / 12.04.2015

Der SWC-Chart-Stürmer Augstein möchte der Welt beweisen, dass er keine antisemitische Eintagsfliege ist und erneut in die TOP 10. Er machte nach seiner 9. Platz vor wenigen Jahren munter weiter, wahrscheinlich auch weil er von vielen seiner Journalisten-Kollegen in Schutz genommen worden war. Ich erinnere mich auch noch an den Fall Hohmann. Dieser hat einmalig antisemitischen Unsinn geschwätzt, aber seine Karriere war beendet. Wäre Hohmann links gewesen, er säße wohl heute noch im Bundestag. Inge Höger ist der Beweis. Und Augstein nutzt seine wirtschaftliche Situation aus; er ist der Gerhard Frey der Linken.

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