In Deutschland gilt der Journalist Jakob Augstein als einer der herausragenden Vertreter der politischen Linken. In der Online-Ausgabe des „Spiegels“ hat der 46-Jährige eine regelmässige Kolumne, in der er im Zustand dauernder Empörung all das beklagt, was ihn und Gleichgesinnte in Rage versetzt: soziale Ungleichheit, von der er glaubt, sie werde immer grösser, die angebliche Herrschaft des Finanzkapitals und die vermeintlichen Ungerechtigkeiten der Weltpolitik.
Geboren 1967 als leiblicher Sohn des Romanciers Martin Walser, wuchs Augstein als Ziehsohn von „Spiegel“-Gründer Rudolf Augstein auf. Als dessen Erbe hält er zusammen mit seinen Geschwistern bis heute 24 Prozent der Anteile an dem Nachrichtenmagazin. Ein Portfolio, dass es ihm erlaubt, bar materieller Sorgen seinen Leidenschaften nachzugehen: 2008 kaufte er die Zeitung „Der Freitag“, ein serbelndes Wochenblatt aus den letzten Tagen der DDR. Geld verdienen dürfte er damit kaum: Ganze 15.000 Exemplare seines „Meinungsmediums“ bringt der Jungverleger Woche für Woche unters Volk.
Dennoch: Augsteins Einfluss auf den politischen Diskurs in Deutschland ist nicht zu unterschätzen, und das nicht nur seiner viel gelesenen Online-Kolumne wegen. Augstein beschäftigt die Öffentlichkeit wie nur wenige Publizisten – und seine Ansichten fallen auf fruchtbaren Boden. Gerade eben ist ein neues Buch von ihm erschienen, „Sabotage“, in dem er nicht weniger als das Ende der Marktwirtschaft fordert. „Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen“, heisst es im Untertitel dramatisch.
Nun hat die Weltgeschichte immer wieder gezeigt, dass Demokratie und Marktwirtschaft Voraussetzungen sind, die einander bedingen. Eine Staatsform, in der das eine ohne das andere existierte, hat es bis jetzt nicht gegeben. Ein Einwand, den Augstein, der von Utopien träumt, vermutlich als zynisch zurückweisen würde. Womit die Sache für ihn erledigt wäre. Denn Augstein ist, um es vorsichtig zu sagen, nicht gerade ein Verfechter des Empirismus: Fakten zählen für ihn nicht allzu viel. Und so tritt er seinen Lesern als Mann gegenüber, der mit der Realität auf Kriegsfuss steht. Er selbst bestreitet dies nicht einmal: „Die Tatsachenmenschen“, so schreibt er, „haben abgewirtschaftet: In der Krise wird deutlich, dass Kapitalismus und Neoliberalismus keine Hoffnung bereithalten.“ Warum das aber so ist, begründet er nicht.
Besonders bizarr offenbart er seinen Unwillen, stringent zu argumentieren, in einem Video-Interview, das bis heute auf dem Internetportal Youtube in Umlauf ist. Wie man denn einem Euro-Skeptiker in einer Diskussion entgegentreten könne, wenn der anfange, mit wirtschaftlichen Daten zu argumentieren, fragt dort ein Stichwortgeber den Autor. Für Augstein ganz einfach: „Du mit deinen Zahlen, du bist irgend so’n Spasti, du verstehst aber gar nicht, was los ist“, solle man seinem Gegenüber entgegenhalten. Um dies zu sagen, brauche man allerdings einen gewissen Mut, der den meisten Politikern leider fehle. In der Tat: Man muss wohl schon mit dem Selbstbewusstsein eines Millionenerben ausgestattet sein, um einen Andersdenkenden als „Spasti“ anzupöbeln, ohne selbst ein einziges Argument vorzubringen.
Kann man Augsteins wirtschaftspolitische Ansichten noch als Kuriosität abtun, so sind seine weltpolitischen Betrachtungen geradezu bizarr. Amerika und Israel sind dabei die einzigen Nationen, die ihn beschäftigen. Deren vermeintliche Missetaten anzuprangern, ist seine Obsession. Keine These ist ihm dabei zu abwegig. „Die militärischen Fähigkeiten der USA haben die Welt offensichtlich nicht zu einem sichereren Ort gemacht“, schreibt er. Warum das „offensichtlich“ so ist, ja, warum es überhaupt so sein soll, vermag er nicht darzulegen. Und so bleibt der Leser verwundert zurück: Bezweifelt Augstein ernsthaft, dass beispielsweise der Sieg der USA im Zweiten Weltkrieg die Welt zu einem sichereren Ort gemacht hat?
Worum es Jakob Augstein wirklich geht, wird in seinen Kolumnen zum Abhörskandal um den US-Geheimdienst NSA deutlich. „Wollen sich die Deutschen dem Joch [der USA] mit stiller Lust beugen, wie Heinrich Manns ‹Untertan› sie empfand (…) oder wollen sie dieser Macht eine Gegenmacht entgegensetzen?“, fragt er rhetorisch. „Im neuen ‹Spiegel›“, so fährt er zustimmend fort, „erklärt der Soziologe Heinz Bude in einem Essay, warum dieses Land endlich seine Rolle als eine der mächtigsten Nationen der Welt annehmen muss.“
Deutschland, das ist Augsteins Leitmotiv, soll 68 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges endlich wieder auf den Tisch hauen und der Welt sagen, wo es langgeht. Ein Schlussstrich soll gezogen werden: Heute gehe es „nicht um die Geschichte Deutschlands, sondern um die Gegenwart der Welt“. Nein, wer so daherredet, der ist kein Linker. So redet ein Deutschnationaler. Und wie jeder Deutschnationale ist auch Augstein überzeugt, dass es Amerikaner und Juden sind, mit denen das deutsche Volk offene Rechnungen zu begleichen habe. Denn bei seiner Kritik an Israel geht es ihm in keiner Weise um die Sache. Nicht das Schicksal des jüdischen Staates (oder das der Palästinenser) bewegt ihn, sondern vor allem, welche Rolle Deutschland seiner Meinung nach im Nahen Osten spielt. „Wenn Jerusalem anruft, beugt sich Berlin dessen Willen“, behauptet er, ganz so, als könne er mithören, wenn Merkel und Netanyahu telefonieren. Der Jud’ befiehlt, der Deutsche spurt, so sieht das aus in Jakob Augsteins Fantasie.
Zu den üblichen Verschwörungstheorien über eine angebliche jüdische Weltherrschaft ist es von da nur noch ein kleiner Schritt – und Jakob Augstein macht auch diesen: Die Regierung Netanyahu, so faselt er, führe „die ganze Welt am Gängelband“. Und so entpuppt sich der angebliche Vordenker der Linken als Rechtspopulist. „Im Zweifel links“ heisst Augsteins Kolumne bei „Spiegel-Online“, doch angesichts dessen, was da steht, sollte sie eher „Im Zweifel rechtsradikal“ heissen, ätzt der Publizist Matthias Küntzel. Aussen rot und innen braun, ist dies das wahre Wesen des Jakob Augstein?
Erschienen in der „Basler Zeitung“ vom 14. August 2013