Italien: Zwischen Impfzwang und Rebellion

Von Hermann Schulte-Vennbur.

In Italien geht es hoch her: Die Politik will eine allgemeine Impfpflicht, während große Teile der Bevölkerung rebellieren. Ein Land zwischen Extremen.

Die Tische vor dem kleinen Restaurant im historischen Zentrum Veronas sind belegt und wir entscheiden uns, im Gastraum zu essen. Das Impfzertifikat meiner Frau akzeptiert die Kontrollapp des Wirtes, meinen frischen deutschen Negativ-Test nicht; schön, dass jetzt ein Tisch frei wird. Wir nehmen gerne an und sitzen nun zwischen je zwei Gästen rechts und links im Abstand von einem guten Meter unter dem Sonnenschirm, bei Windstille. Um Gesundheit ging es also eher nicht, sondern um den Besitz des Grünen Pass.

Streng kontrolliert wird in den Zentren; in den Bars im Hinterland hingegen trägt allenfalls der Barista noch eine Maske, die Gäste eher unter dem Kinn. Nach dem Grünen Pass wird wenig gefragt und wenn, in einem Tonfall, der klarstellt, dass man einer lästigen Pflicht nachkommt und die Selbst-Auskunft des Gastes gern akzeptiert.

Gente come noi … Leute wie wir …

Die Proteste gegen den GP nehmen an Schärfe zu, seitdem ihn seit dem 15. Oktober auch Arbeitnehmer am Arbeitsplatz vorweisen müssen. Nunzia Schiliro, eine hohe Polizeibeamtin in Rom, hielt auf dem „No Paura Day“ (Keine Furcht Tag) eine leidenschaftliche Rede und betonte, der Pass sei mit der Verfassung nicht vereinbar. Ein Disziplinarverfahren ist eingeleitet …

Die Hafenarbeiter in Triest verlangen freien und ungehinderten Zugang zur Arbeit. Ihr Sprecher Stefano Puzzer hat weitere Proteste angekündigt bis die Forderungen des „coordinamento 15 ottobre“, der betont nicht-parteilichen Bewegung der Hafenarbeiter, erfüllt werden. Gente come noi non molla mai – Leute wie wir geben niemals auf … skandierten die Menschen auf der vollen Piazza Unita d'Italia in Triest und von dort hat sich die Protestbewegung über viele Plätze in Italien ausgebreitet. Die Demonstrationen sollen in Triest verboten werden, wegen gestiegener Inzidenzen. Die sind, wie man den Schlagzeilen der italienischen Lokalpresse entnehmen kann, allerdings in ganz Italien gestiegen, bei Geimpften wie Ungeimpften. An Demonstrationsverbote hat im Übrigen bei gewerkschaftlichen oder linken Veranstaltungen der letzten Monate niemand gedacht.

Welches Kalkül leitet Draghi, in Italien die nahezu weltweit schärfsten Corona-Regeln durchsetzen zu wollen? Den Machtkampf gegen ein gutes Drittel der Italiener, die den GP, Umfragen zufolge, ablehnen, kann er zunächst gewinnen. Die Mehrheit seiner Unterstützungs-Koalition hat er hinter sich. Und auch Berlusconis sich zum centrodestra zählende Forza Italia, einst als liberale Partei gegründet, befürwortet eine allgemeine Impfpflicht. Die Lega hat den innergouvermentalen Kampf in diesem Punkt anscheinend aufgegeben.

König Draghi

Draghi hat seine Wurzeln im Bankenwesen und Finanzkapital, weniger bei den Unternehmen und noch weniger im Bereich der „Piccole e medie imprese“ den italienischen KMU, die das wirtschaftliche Rückgrat Italiens bilden und unter Corona-Regeln und Lockdown leiden. Seine Stärke bezieht er auch aus seiner europäischen Vernetzung und der loyalen Umsetzung des Recovery Plan, die ihn aus Brüsseler Sicht zum Garanten der EU-Stabilität machen und die Zahlungen an Italien insofern als gute politische Investition erscheinen lassen. Draghis Brüsseler Mission ist es, eine Regierung des centrodestra und insbesondere einen Ministerpräsidenten Salvini zu verhindern. Dem berühmten Diktum Andreottis folgend „Die Macht verbraucht nur den, der sie nicht hat“ verfolgt Draghi eine harte Linie in der Corona-Politik und lässt seiner Innenministerin freie Hand für eine unkontrollierte Migration. So wird die Lega und Salvini auf zwei politisch zentralen Feldern vorgeführt.

Draghi ist nicht gewählt, sondern vom Staatspräsidenten eingesetzt worden, um Italien zu regieren. Das tut er zweifellos und die Italiener honorieren dies mit hohen Zustimmungsraten. Die vorhergehende Parteienkonstellation hatte sich als regierungsunfähig erwiesen und neue Mehrheiten haben sich zwar bei Meinungsumfragen, aber nicht im Parlament gebildet. Die ehemalige Mehrheit der 5 Stelle plus Partito Democratico hat sich aufgelöst. Die 5 Stelle erzielen bei Wahlen mittlerweile oft nur einstellige Ergebnisse; die römische Ex-Bürgermeisterin der 5 Stelle erreichte nicht einmal die Stichwahl. Im Parlament haben an die 100 Abgeordnete die Fraktion mittlerweile verlassen. Eine handlungsfähige neue Regierung könnte nur aus Neuwahlen hervorgehen und die würden, folgt man den Umfragen, gegenwärtig eine Mehrheit für die drei Parteien des Centrodestra ergeben. Neuwahlen entsprächen aber nicht dem Eigeninteresse der Parlamentarier, die ihre Sitze gerne bis zum Frühjahr 2023 behalten wollen. Und natürlich entsprechen sie nicht dem politischen Interesse der Linken, der potentiellen Wahlverlierer. 

Die Parteien beschäftigen sich, damit ihr Dasein nicht in Vergessenheit gerät, mit allen möglichen Themen, mehr oder weniger relevanten. Ihre politische Funktion beschränkt sich darauf, Draghi zuzustimmen. Alle sind für Draghi, alle sind mehr Draghisti als Draghi selbst. Italien ist, jenseits der Verfassungsintentionen, zur Präsidialdemokratie geworden. Den Italienern ist das wohl mehrheitlich recht, an der Parteiendemokratie verzweifeln sie schon lange. „Una banda di mafiosi“ kann einem schon beim Frühstücks-Cappuccino die Bedienung erklären, den Parlamentariern ginge es nur um ihre gut bezahlten Abgeordnetensitze ...

Kommunalwahlen: Es bleibt, wie es war

Die Kommunalwahlen am 3./4. und 17./18. Oktober waren überwiegend eine Niederlage für die Mitte-Rechts Parteien. Deren Kandidaten wurden oft erst spät aufgestellt, führten eher unpolitische Wahlkämpfe und haben es nicht verstanden, die Wahlen zu Entscheidungswahlen über die Zukunft ihrer Städte zu machen. Bei Stichwahlen konnten sie keine zusätzlichen Wähler mobilisieren, zum Teil haben sie sogar Wähler aus dem ersten Wahlgang verloren. Das markantaste Ergebnis der Wahlen in vier großen Städten – Rom, Mailand, Bologna, Turin – und zahlreichen Kommunen war die geringe Wahlbeteiligung, die Hälfte der wahlberechtigten Italiener blieb zu Hause.

Die großen Städte werden traditionell von Links regiert, und dabei ist es geblieben. Interessant ist in diesen Städten das Schwinden der Wahlbeteiligung vom Zentrum hin zur Peripherie: das wohlhabende Bürgertum im Zentrum geht zur Wahl und wählt wie gewohnt links. Die Außenbezirke hingegen haben oft eine Wahlbeteiligung von weniger als 25 Prozent, wählen also im Grunde nicht. Bei nationalen Wahlen wird es für die Mitte-Rechts Parteien darauf ankommen, dieses Potential für sich zu gewinnen und in Bewegung zu setzen. Ein Kandidat für den Stadtrat in Turin, befragt nach den Gründen für sein gutes Ergebnis, gab an, er habe keinen Wahlkampf gemacht! Der neue Weg zum Sieg: Lieber keinen als einen schlechten Wahlkampf machen?

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Erich Kriegler / 05.11.2021

Gerhard H@tz Der Antpopulist Draghi ist leider auch Antidemokrat. Nicht vom Volke gewählt, nutzt er skrupelfern die geschürte Angst aus und zerstört unter dem Vorwand vermeintlichen Gesundheitsschutzes (würde es darum gehen, würde das insuffiziente ital. Gesundheitswesen krisenfest ausgebaut werden) eine freiheitliche Demokratie. Eine funktionierende Opposition, Meinungsverschiedenheiten und Streit sind Kennzeichen einer Demokratie, Einigkeit und Stillhalten Kennzeichen totalitärer Strukturen. Schnauze halten und Gehorchen kennzeichnen den Untertan. Der legt sich gerne winselnd vor einem “starken Mann” auf den Rücken. Und so wird die Krise von Draghi et alii genutzt und perpetuiert, um ungestört von demokratischen Hürden durchregieren zu können. Im Interesse der Finanzmärkte und des Brüsseler Zentralismus’, für die deren autoritärer und illiberale Statthalter Draghi steht wie kein anderer…

Roland Müller / 05.11.2021

Die Organisatoren der Demonstrationen haben allerdings bereits angekündigt, dass sie mögliche Demonstrationsverbote ignorieren werden und im Zweifelsfall die Behörden nicht einmal mehr, wie bisher üblich, darüber informieren werden, auf welchen Wegen sie zu marschieren gedenken.  Das ist genau das, was mich meinem ehemaligen Heimatland Bella Italia jeden Tag nachtrauern lässt. Die in den italienischen MSM-Medien übliche Verunglimpfung der Demonstranten als Nazis, Faschisten, Krebsgeschwüre und Parasiten zieht übrigens jeden Tag weniger. Stattdessen hört man immer öfter Parolen wie z. B. wir bleiben standhaft oder wir geben niemals auf. Ich denke, es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis der Onkel Draghi einknickt, obwohl seine treuesten Verbündeten ausgerechnet die kommunistischen Gewerkschafter von der CGIL sind.

Fred Burig / 05.11.2021

@Thomas Taterka:”.... Wenn man zum Beispiel mit dem Hund läuft , ist wenigstens einer wirklich glücklich .” Oh ja, da ist was Wahres dran! MfG

Ludwig Luhmann / 05.11.2021

@Gerhard Hotz / 05.11.2021 “Schon erstaunlich: Kaum ist der Antipopulist Draghi als Regierungschef im Amt, verstummt das sonst übliche Parteiengezänk und es herrscht plötzlich Ruhe auf den billigen Plätzen. Wo sind Salvini und Co. eigentlich geblieben?”—-—- Was machen eigentlich die Mafiaunternehmen momentan so?  ETA und IRA haben anscheinend Netflix entdeckt ...

Gerhard Hotz / 05.11.2021

Schon erstaunlich: Kaum ist der Antipopulist Draghi als Regierungschef im Amt, verstummt das sonst übliche Parteiengezänk und es herrscht plötzlich Ruhe auf den billigen Plätzen. Wo sind Salvini und Co. eigentlich geblieben?

Rainer Niersberger / 05.11.2021

Da erinnert doch Einiges an dieses Land, vor allem natuerlich das, was der Autor unter “Praesidialdemokratie” subsummiert hat und den Autokraten, Despoten oder sonstigen Absolutist en derzeit in weiten Teilen des Westens viel Sympathie und Zulauf beschwert. Aber auch der erfolgreiche Nichteahlkampf oder das FDP - bzw lindneraehnliche Verhalten von Salvini zeigen, dass es mit der “Demokratie” in weiten Teilen der EU nicht allzugut aussieht. Zumal in Italien, und nicht nur da, die Rolle des Autokratin und sein Erfolg von “internationalen Geldgebern” abhängt., seien es die EU oder China, unabhängig davon, dass auch die Geldgeber massive Probleme haben. “Gut” schaut es aus, mit Demokratie, Recht und Freiheit, in den failed states, bei allen mehr oder weniger marginalen Unterschieden innerhalb. Aktuell scheint sich nur ein europäisches Land der “Schuldigen” moeglichst rasch mit allen Mitteln selbst vernichten zu willen.  Aber wenn die heilige Greta es befiehlt?

Chr. Kühn / 05.11.2021

Na ja, so lange nicht langsam mal eine Bürgermeisterei oder ein Parteibüro das Brennen anfängt, wird die Politik, hier wie dort, das aussitzen und hin und wieder niederknüppeln lassen. Sprechen wir uns in einem halben Jahr wieder, OK?

Ludwig Luhmann / 05.11.2021

@Dr Stefan Lehnhoff / 05.11.2021 “Auch in Italien hat die Pseudodemokratie längst fertig. Das ist so sicher, wie die Zukunft unsicher ist.”—-—- Meine Perspektive: Wenn wir nichts planen und unternehmen, dann ist die Zukunft sicher, denn sie wurde schon verplant.

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