Ist unser Strom gar nicht so grün, wie er aussieht?

Der Moralgehalt deutschen Stroms ist massiv zurückgegangen. Aber er fließt immerhin noch verlässlich aus der Steckdose.

Petra Pinzler, Redakteurin bei der ZEIT, hat eine Entdeckung gemacht: Ihr Strom ist gar nicht so grün, wie sie dachte. Oder wie er einmal war. Oder wie auch immer.

Was ist geschehen? Frau Pinzler beobachtet einen „ziemlich verblüffenden Ökostromschwund“ und berichtet: „So kennzeichnete beispielsweise E.ON bis vor Kurzem 56 Prozent seines Strommixes als grün, jetzt sind es nur noch zehn Prozent. Bei EnBW waren es bisher 65 Prozent, heute sind es nur noch 23, bei Vattenfall waren es 66 Prozent, heute sind es noch 17 Prozent. Am stärksten schrumpfte der Ökostromanteil bei den Stadtwerken Kiel – von 60 auf vier Prozent.“

Sie scheint verärgert über das „Ausmaß des Greenwashings“ durch die „Lobby der Energiekonzerne“. Die tun also alle nur so grün und sind es gar nicht. Und damit „ist auch ihr CO2-Fußabdruck größer als gedacht.“

Man kann sich fragen: Wo ist das Problem? Solange der Strom weiter aus der Steckdose kommt, braucht man sich als Stromkunde darüber doch keine Gedanken zu machen. Aber man ist ja nicht nur Stromkunde. Man ist ja auch Moralkunde. Man kauft ja nicht nur Energie. Man kauft gutes Gewissen. Und man wurde also reingelegt. Oder?

Muss ich mich jetzt schämen?

Herausgefunden hat den Missstand nicht Frau Pinzler, sondern LichtBlick. Der Ökostromanbieter hatte offenbar einen schlimmen Verdacht und hat deswegen das Hamburg Institut beauftragt, den Strommix der deutschen Energiekonzerne zu analysieren. Die mussten gar nicht viel analysieren, sondern nur nachlesen, da die Stromanbieter laut neuem Gesetz von November 2021 auf ihren Internetseiten ihren tatsächlichen Strommix angeben müssen.

„Die Reform der Stromkennzeichnung ist ein Meilenstein für Verbraucherschutz und Energiewende. Erstmals können Kund*innen erkennen, wie grün die Strombeschaffung ihres Anbieters wirklich ist. Damit wurde die jahrelange Praxis des legalen Greenwashings endlich beendet“, freut sich LichtBlick-Sprecher Ralph Kampwirth, der sich dank echten 100 Prozent Ökostrom jetzt in noch hellerem Licht erstrahlen sieht.

Ich hingegen glimme nur düster vor mich hin. Mein E.ON-Strom besteht nicht mehr zu 56 Prozent, sondern nur noch zu 10 Prozent aus echtem Ökostrom. Muss ich mich jetzt schämen? Muss ich den Stromanbieter wechseln? Wäre ja kein Problem. Ein ZEIT-Leser rät mir: „Beim Strom ist es aber wirklich sehr einfach nachhaltig zu sein: Sie müssen nur einen Vertrag bei einem Anbieter abschließen, der nur Ökostrom im Angebot hat (z.B. Lichtblick, EWS Schönau, Greenpeace).“

Ich weiß gar nicht mehr, was ich glauben soll

Ja, doch, das ist wirklich SEHR einfach. Aber es ist gar nicht notwendig. Denn ich vertrete folgende Auffassung: Beim Ökostrom kommt es moraltechnisch nicht darauf an, wer ihn kauft, sondern wer ihn bezahlt. Und dank EEG-Umlage tragen ja alle Stromkunden gemeinsam und gleichermaßen die knapp 30 Milliarden Euro Mehrkosten pro Jahr, egal ob das Hamburg Institut auf der Website ihres Versorgers nur vier Prozent Ökostrom finden kann, wie bei den Stadtwerken Kiel, oder eben bei den Weltrettern unter den Stromvermarktern die volle Dosis.

Wäre es anders und würden die 30 Milliarden nur auf die Käufer von Ökostrom umgelegt, dann wäre das natürlich moralisch eine ganz andere Sache. Dann gäbe es aber plötzlich nur noch ziemlich wenige Käufer dieses Ökostroms. Ökostrom gäbe es aber immer noch genauso viel. Denn der Ökostrom wird ganz und gar unabhängig davon produziert, wie grün die Namen der Stromtarife sind, aus denen wir wählen können. Wir könnten auch alle bei unserem Versorger „Strom für aus der Steckdose“ bestellen und der Strommix wäre, wie er halt gerade ist. In diesem Jahr waren in Deutschland 42 Prozent öko, im letzten immerhin noch 46 Prozent. Und da man den Strom nicht einfärben kann, hat jeder von uns 42 Prozent Ökostrom bekommen und auch bezahlt. Schuld am Rückgang war nicht, dass Frau Pinzler den falschen Tarif hatte, sondern dass der Wind ein bisschen schwächer wehte.

PS: Nach einem Besuch auf der Website von E.ON weiß ich gar nicht mehr, was ich glauben soll. Da lese ich: „Warum bietet E.ON nur noch Ökotarife an?“ (Antwort: Gemeinsam mit mir möchte man „daran arbeiten, die Energiewende zu verwirklichen.“) Von wegen 10 Prozent! Anscheinend strebt auch mein Anbieter zurück zum Licht.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Novo-Argumente.

Foto: Bidarchiv Pieterman

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Leserpost

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lutzgerke / 30.12.2021

@ Klaus Keller Die Öko-Sache ist vom Steert aufgezäumt. Wären die Grünen öko, hätten sie das lange erkannt. Die Wirtschaft verarbeitet nicht nur liebend gerne Lebensmittel, sie macht sie haltbar mit Chemie, zuckert sie, mischt Geschmacksverstärker oder Hefe unter und komische Farbstoffe. Die Produktion muß billig sein, es geht da um 10tel-Cents im Verkauf. Der normale Weg wäre, einen Totenkopf auf verarbeitete Lebensmittel zu pappen und ein rotes Gefahrenkreuz, denn gerade Obst und Gemüse aus Spanien wird von Sklaven produziert. (Doku 3sat “Warum sind unsere Lebensmittel so billig?”, Doku 3Sat “Gift im Essen”, usw.) Bio sollte gar nicht gekennzeichnet sein, weil das das normale Lebensmittel ist. Statt dessen wird uns der Industrieabfall als normal angedreht. Wir werden belogen und betrogen ..

Klaus Keller / 30.12.2021

Man sollte das Konzept des Ökostroms (was immer das ist) auf die Lebensmittelindustrie übertragen. Der neue Minister und Greenpeace weisen immer wieder auf die suboptimalen Umstände in diesem Sektor hin. Man könnte für alle Lebensmittel eine Bioumlage einführen mit der dann Biobauern direkt gefördert werden. Um die Sache logistisch zu vereinfachen wird die Wahre aller Produzenten immer an den nächstliegenden Supermarkt geliefert der das Zeug als Eigenmarke verkauft. Wie beim Strom ist es eher zufällig wer welche Energieeinheiten (Kalorien) bekommt. Das Bioschnitzel landet dann ggf beim fdp Wähler. Sie finden das absurd? Dann besteht die Möglichkeit das es umgesetzt wird. PS Beim Strom kann man Energie aus einem KKW in Strom aus Wasserkraft (mit einem Pumpspeicherwerk) umwandeln. Wir werden noch herausfinden wie das Umlabeln am besten bei Lebensmitteln funktioniert um nachhaltig an die Kohle der ... das sollte ich vielleicht jetzt nicht schreiben.

Lutz Serwuschok / 30.12.2021

Also ich hab jetzt schon mal bei allen Leitungen, die ich sehen kann, den braunen Draht (Kohle) und den blauen Draht (Atom) abgeknipst. Bleibt nur noch grün-gelb, muss Öko sein. Sollten Sie einen roten Draht sehen, hilft vielleicht die 110 (Tefolon!) weiter. Seit dem funktionieren nur noch Geräte mit Transformator.  Die Idee ist geklaut, äh, zitiert. gelesen hier auf der Achse. Nicht gut mitgeschrieben. Aber für Bundesminister würde es wohl noch genügen. Ja doch, lieb haben mein ich. Ich liebe Euch doch alle. Ne, echt jetzt. Alles Liebe. .

Michael Schweitzer / 30.12.2021

Herr Spahl,bei mir hat ein Jahr Fachschule Elektrotechnik in den 70ern gereicht(Rutherford,Periodensystem)um zu wissen, daß nur Scheinheilige 100% Ökostrom anbieten.Es ist immer ein Mix,aber ich bin mir sicher das Frau Pinzler von der Zeit, demnächst auch blackouts oder brownouts kennen,erleben,entdecken und damit leben lernen muß.

Helmut Bühler / 30.12.2021

Sie haben damals nicht aufgepasst bei Herrn Loewensterns denkwürdigem Artikel zum Ökostrom: Selbstverständlich können Sie erkennen, wo der Strom in Ihrer Steckdose herkommt: aus dem braunen Draht kommt schmutziger Kohlestrom, aus dem blauen böser Atomstrom und nur aus dem grün-gelben, da fließt moralisch einwandfreier Ökostrom. Also Steckdose auf und die falschen Drähte abgeklemmt - und schon sind Sie auf der richtigen Seite.

Petra Wilhelmi / 30.12.2021

Man muss nur aus dem Fenster schauen, dann weiß man, warum der Strom nicht grün sein kann. Was sieht man? Keine Sonne und in der letzten Zeit kaum Wind.  Und wenn wirklich mal die Sonne scheint, dann nur vorübergehend, ab 16:00 etwa ist Schluss mit den kärglichen Sonnenstunden. Das beantwortet eigentlich die Frage.

M. Kulla / 30.12.2021

Frau Pinzler hat doch Recht: Wer Ökostrom bestellt, soll auch Ökostrom geliefert bekommen. Und wer 100 % Ökostrom bestellt, soll auch 100 % erhalten. Z. B. von 14. 30 Uhr bis 15.15 Uhr, oder so ähnlich, wenn halt der Wind gerade weht und die Sonne scheint. Der Kühlschrank und die Glotze gehen dann auch wieder an, sofern der Nachbar seine Elektrokarre fertig geladen hat. Ich verstehe gar nicht, warum das nicht umgesetzt wird. Und zahlen darf Frau Pinzler natürlich für Strom 24/7, weil die Windmüller natürlich auch von was leben müssen. Frau Pinzler soll Gerechtigkeit widerfahren, ich bin dafür.

Thomas Brox / 30.12.2021

Die Stromversorgung in Deutschland ist de facto schiere Planwirtschaft. Dem Kunden wird Wahlfreiheit und Marktwirtschaft vorgegaukelt, in Wirklichkeit ist alles bis zum keinsten Pups durch eine riesige staatliche Bürokratie vorgeschrieben und überwacht. Hierzu sind Heerscharen von Beamten notwendig. Bezüglich der Bürokratiekosten herrscht tiefes Schweigen, ebenso bezüglich der Billionen Schäden an der Volkswirtschaft. ++ Das “neue Gesetz” vom November 2021 ist vermutlich die “Verordnung zur Anpassung der Stromgrundversorgungsverordnung und der Gasgrundversorgungsverordnung an unionsrechtliche Vorgaben” Satte 30 Seiten. Schon am Titel des Monstrums kann man erkennen, wie krank der deutsche Staat ist. ++ Im Juli 2021 wurde das EEG novelliert. Satte 155 Seiten. Hiermit soll u.a. der Anteil der erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch auf 65 Prozent im Jahr 2030 zu steigern. Das wird richtig teuer. ++ Das alles interessiert die Öffentlichkeit nicht sonderlich. Große Teile der Bevölkerung leben in einer Scheinwelt, finanziert durch die noch funktionierenden Restbestände der Marktwirtschaft und durch das staatliche Ausplündern vorhandener Substanzwerte. Die Realität wird die Gesellschaft bald einholen. ++ In einer echten Marktwirtschaft könnte ich mir Atomstrom zu 15 Cent/kWh kaufen, während für einen Ökostrom-Vertrag die realen Produktionskosten bezahlt werden müssten,  geschätzt mindestens 50 Cent/kWh. Die idiotische Energiewende hätte es dann nie gegeben.

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