René Zeyer, Gastautor / 03.08.2019 / 12:00 / Foto: Pixabay / 0 / Seite ausdrucken

Ist Libra schon am Ende?

Der Nutzer des Euro weiß nicht so recht, was er davon halten soll. Es gibt sogenannte Kryptowährungen wie den Bitcoin, die ebenfalls als Zahlungsmittel weltweit verwendet werden können. Die dahinterstehende Blockchain-Methode ist allerdings für die meisten ein Buch mit sieben Siegeln. Und was der Bauer nicht kennt, das fasst er nicht an.

Außerdem macht nicht nur Bitcoin immer wieder mit gewaltigen Kurssprüngen Schlagzeilen, und obwohl als fälschungssicher angepriesen, werden Handelsplätze geknackt und bestohlen. Außerdem legen natürlich Banken und auch Staaten großen Wert auf die Feststellung, dass nichts über eine ordentliche Währung gehe, und alle Arten von Handelsgeschäften sollten natürlich über Finanzhäuser abgewickelt werden. Nur so sei alles sicher.

Ist das so? Das ist natürlich nicht so. Nicht Bitcoin, aber Blockchain ist "the next big thing", wie Steve Jobs selig gesagt hätte. Die nächste große Erfindung, von der Bedeutung her durchaus mit dem Internet selbst vergleichbar. Warum? Ganz einfach, weil Blockchain, ohne hier in technische Einzelheiten zu gehen, den Mittelsmann, den Garanten überflüssig macht. Denn nichts anderes ist ein Grundbuchamt, eine Bank, eine Notenbank. Wenn es in zivilisierten Staaten Krach gibt, dann braucht es eine akzeptierte Autorität, die den Streit schlichten kann. Also wem gehört das Grundstück, wurde der Geldbetrag überwiesen oder nicht, wird die Geldnote in ihrem Wirkungsbereich überall akzeptiert? Das leistet der Middle Man.

Dafür schneidet er sich eine größere oder manchmal auch kleinere Scheibe von den Transaktionen ab; er muss ja auch schauen, wo er bleibt. Mit Blockchain wird er aber überflüssig. Wenn es Streit über Besitz, über die Zahlung einer Rechnung gibt, über jede Art von vertraglicher Vereinbarung, garantiert Blockchain die fälschungssichere Korrektheit des Ablaufs. Dafür braucht es kein Grundbuchamt, keine Banken und auch keine Notenbank mehr. Keinen Gewährsmann, keinen Mittelsmann.

Alle vorstellbaren und unvorstellbaren Schweinereien

Das ist überraschungsfrei auch der Grund dafür, dass all diese Mittelsmänner im Chor, lautstark und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln vor der Verwendung von Kryptowährungen warnen, abraten, ja sie teilweise sogar verbieten. Zudem seien virtuelle Bezahlmethoden ein Tummelplatz für Kriminelle, für Geldwäscher, könnten hier Drogengeschäfte abgeschlossen werden, Blutgelder verwendet, Blutdiamanten verkauft werden. Zudem herrsche ungeordneter Wildwest, gäbe es keine Ordnungsmacht.

Das ist alles richtig. Findet aber im realen Geldkreislauf auch statt. Man geht davon aus, dass weltweit mindestens 5 Prozent des Bruttosozialprodukts mit kriminellen Tätigkeiten erwirtschaftet wird. Das wären dann über 4 Billionen Dollar, 4.000 Milliarden. Und all diese Geldströme fließen ja in den existierenden Systemen. Und können nicht abgestellt werden.

Was Wildwest betrifft: Spätestens seit der Finanzkrise eins hat sich gezeigt, dass die bislang existierenden Geldhäuser ungehindert, gar gerettet durch die Staaten, so ziemlich alle vorstellbaren und unvorstellbaren Schweinereien zwecks eigener Profitmaximierung verbrochen haben. Selbst an einem Heiligen Gral wie dem Liborzins, der weltweit die Zinssätze bestimmt, wurde herumgeschraubt und manipuliert. Kriminelle Banker drehen ihren Kunden Schrott an, nehmen gegen üppige Kommissionen Gelder jeder Herkunft an, Staaten wie die USA oder Deutschland oder Frankreich sind bis heute Geldwäscherparadiese. Viele Untersuchungen zeigen: Geldwäsche ist in Deutschland viel einfacher als beispielsweise in Panama, obwohl das zentralamerikanische Land immer den Prügelknaben beim Verstauen von Geldern fragwürdiger Herkunft abgeben muss.

Also sind all diese Argumente vorgeschoben, aus Eigennutz geboren. Was ist eigentlich die wichtigste Eigenschaft einer Währung? Dass sie von einer staatlichen Notenbank herausgegeben und kontrolliert wird? Völlig unerheblich. Dass sie in Form von Banknoten und nicht nur virtuell existiert? Völlig unerheblich, auch aus Plastikkarten sprudeln ja keine Banknoten. Dass sie allgemein als Zahlungsmittel akzeptiert wird? Es wird wärmer. Am allerwichtigsten ist aber – Vertrauen.

Wenn Geldscheine nur noch gewogen werden

Eine Währung funktioniert nur dann, wenn ihre Benützer darauf vertrauen können, dass es ein mehr oder minder festgelegtes, akzeptiertes und verständliches Verhältnis zwischen der zum Erwerb nötigen Anstrengung und den damit käuflichen Dienstleistungen oder Produkten gibt. Banal? Keinesfalls. Das ist höchstens dann banal, wenn es ungestört funktioniert. Kommt es zu Störungen, werden Geldscheine zum Beispiel nicht mehr gezählt, sondern nur noch gewogen, wie aktuell in Venezuela oder Simbabwe, dann ist das Vertrauen weg. Also ist eine Notenbank oder eine Staatsgarantie keinesfalls und amtlich in Stein gemeißelt.

Gerade deutsche Bürger können ein Lied davon singen, wie sich eine Währung zuerst in Heizmaterial für den Ofen, und dann in völlig wertloses Papier verwandelt. Und, ganz unter uns, ob die Fehlkonstruktion Euro noch viele Jahre überleben wird, das kann zumindest begründet bezweifelt werden. Warum wird denn dann so lautstark vor Blockchain-Währungen gewarnt?

Auch hier ist die Antwort einfach: Es geht um Macht, worum sonst. Macht beruht auf Kontrolle. Wer den Geldbeutel seines Untertanen kontrolliert, kontrolliert auch ihn selbst. Wer ihm ins Portemonnaie fassen will, muss wissen, was drin ist. Daher der Feldzug gegen sogenannte Steueroasen, daher die Kontrollkrake Fatca der USA, die jeden US-Bürger weltweit dazu verpflichtet, eine US-Steuererklärung abzugeben. Daher der automatische Informationsaustausch zwischen den OECD-Staaten, der verhindern soll, dass sich Steuerpflichtige dem Zugriff des Fiskus durch ein Ausweichen ins Ausland entziehen können.

Aber wenn eine Parallelwährung Vertrauen schaffen kann, fälschungssicher ist, weitherum akzeptiert wird und auch zu Realwährungen nicht ständig wilde Kurssprünge vollführt, dann haben alle Staaten, die hochverschuldet und am Verlumpen sind und deshalb möglichst eine vollständige Kontrolle über die Besitztümer ihrer Untertanen haben wollen, ein Problem.

Bislang hielt sich die Befürchtung über die zunehmende Verwendung von Kryptowährungen in Grenzen. Neben Kinderkrankheiten haben sie vor allem ein Problem noch nicht gelöst: Es sind jeweils Gelder für kleine Minderheiten, für Insider. Man kann nur sehr selektiv damit zahlen, also sind sie kein Bestandteil der Lebenswirklichkeit.

Hinter allem und jedem herschnüffeln

Aber das wäre bei Libra ganz anders. Deshalb gab es sofort nach der Ankündigung von Facebook, über die Einführung einer virtuellen Währung auf Blockchain-Basis und mit festen Wechselkursen zu Realwährungen nachzudenken, ein Riesengebrüll. Von Staaten und von Finanzhäusern. Es wurde die Stirne gerunzelt, vor Chaos, fehlender Kontrolle und der Schutzlosigkeit des Benützers gewarnt. Angemahnt, dass eine solche neue Währung Banklizenzen brauche, von allen zuständigen Behörden auf Herz und Nieren geprüft werden müsse, natürlich auch in jedem Staat der Welt, wo Libra verwendet werden könnte, alle lokalen Vorschriften zu erfüllen seien. Also kurz: mission impossible.

Geradezu putzig war das Argument, dass man angesichts der Datenskandale um Facebook größte Bedenken habe, ob hier mit Kundendaten korrekt umgegangen würde. Ausgerechet Banken sagen das, die bis heute nicht verhindern können, dass ihnen vertrauliche Kundendaten im Multipack abhanden kommen. Ausgerechnet Staaten sagen das, die mit ihren Geheimndiensten, wie bei der NSA nachgewiesen, hinter allem und jedem herschnüffeln, ohne Rücksicht auf Privatsphäre oder Datenschutz.

Libra wird ernst genommen, weil es als erste Kryptowährung zwei Voraussetzungen erfüllen würde: Man könnte Libra vertrauen, und dank 2,6 Milliarden Nutzern von Facebook und seinen Ablegern gäbe es auch genügend große Akzeptanz. Nun hat aber Facebook in seinem aktuellen Quartalsbericht bekanntgegeben, dass sich wegen "erheblicher" regulatorischer Hürden die Einführung von Libra verzögern oder gar nicht erfolgen könne.

Grund für Hurrageschrei, zumindest bei den europäischen Regierungen, die weiterhin die Möglichkeit haben, ihre hochverschuldeten Staaten durch den Griff ins Portemonnaie ihrer Untertanen über Wasser zu halten? Der dann ja alternativlos weiter den Euro benutzen muss. Nun, wenn Libra nicht kommen sollte, ist das bezüglich Facebook und seinem Versuch richtig.

China wird auch diesen Markt abräumen 

Aber dann wird etwas anderes passieren: China wird auch diesen Markt abräumen. Warum? Ganz einfach: Alipay. Das ist genau das, was Facebook mal probieren möchte. Nur funktioniert das schon seit Jahren und ist allen westlichen Versuchen meilenweit voraus. Das ist das Bezahlsystem des Internet-Riesen Alibaba. Wie riesig der ist? So riesig: Er verzeichnet bis zu 256.000 Zahlungen. Pro Sekunde. Alipay, Wepay und Tenpay sind in China längst im Alltag angekommen, über 500 Millionen Chinesen zahlen bereits mit ihrem Smartphone und tragen kein Portemonnaie mehr mit sich herum.

Das Zeitalter der Plastikkarten wurde schlichtweg übersprungen, nun machen sich die chinesischen Riesen auf, den Rest der Welt zu erobern. Noch liegt das Internet-Warenhaus Amazon mit einem Umsatz von 233 Milliarden Dollar deutlich vor Alibaba mit 56 Milliarden. Aber diesen Umsatz erzielt Alibaba in erster Linie mit dem durchschnittlich nicht sehr kaufkräftigen chinesischen Publikum. Und im Internet gilt über kurz oder lang immer: the winner takes it all. Also bei Handelsplattformen entscheidet, wer die größte hat. Alle anderen werden früher oder später ein Nischendasein pflegen oder eingehen.

Regierungen und Banken freuen sich darüber, dass sie Facebook genügend Knüppel zwischen die Beine werfen konnten, assistiert von Bedenkenträgern beim Datenschutz. Dieser weitere Angriff von Mark Zuckerberg auf unsere Daten, auf die Kontrolle über finanzielle Transaktionen, scheint abgewehrt. Die Kontrolle des Staates über seinen Staatsbürger via Geldbeutel bleibt gewährleistet. Aber das ist nur ein Pyrrhus-Sieg. Dieses staatliche Herrschaftsinstrument wird früher oder später fallen.

Denn wie immer kann man zwar versuchen, einen Fortschritt oder eine neue Entwicklung zu behindern, zu verbieten, sie als Teufelszeug zu diskreditieren. Aber aufhalten lassen sich solche Entwicklungen nie. Wenn es für Finanztransaktionen keinen Mittelsmann mehr braucht, dann bricht den Banken eine weitere Einnahmequelle weg. Wenn der Euro-Bürger eine Alternative zum Euro hat, der er ebenso sehr (oder zumindest ebenso wenig) vertraut, die nicht nur als Zahlungsmittel, sondern auch als Wertaufbewahrungsmittel dient, zudem die Identifikation des Nutznießers erschwert oder gar verunmöglicht werden kann, dann verliert der über sein Währungsterritorium herrschende Staat ein wesentliches Machtmittel.

Foto: Pixabay

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