Marcus Ermler / 03.03.2020 / 06:25 / 132 / Seite ausdrucken

Ist die AfD die Wurzel des Antisemitismus in Deutschland?

Nach dem schrecklichen Terroranschlag in Hanau, bei dem sich der Täter auch explizit antisemitisch positionierte, sehen sich weite Teile des deutschen Politik-, Medien- wie Wissenschaftsbetriebs darin bestätigt, dass die Alleinverantwortliche für den Anstieg von Antisemitismus in Deutschland nur die AfD sein kann. Was ja auch CSU-Chef Markus Söder bereits Ende Januar 2020 in anderem Zusammenhang erklärte. 

Wie unlängst in meinem Achgut.com-Artikel „Ist die AfD pro-jüdisch?“ aufgezeigt, gibt es tatsächlich einen mehr als offenkundigen antijüdischen wie israelfeindlichen Reflex von Parteimitgliedern und Strömungen innerhalb wie außerhalb der AfD, die sich im Wesentlichen um Björn Höcke, dessen Flügel und sein Theorieblatt, Götz Kubitscheks Sezession, scharen. Eine unheilschwangere Kontinuität der radikalen deutschen Rechte, die offensichtlich wenig bis nichts aus Auschwitz gelernt hat beziehungsweise haben will.

Ist also die AfD die Wurzel dieser Geißel der Menschheit und der einzige Quell der Judenfeindlichkeit in Deutschland? Nach Bericht der Jerusalem Post vom Anfang Februar 2020 ist das Institute for Zionist Strategies (IZS) im Auftrag der World Zionist Organization in einer wissenschaftlichen Studie exakt dieser Frage nachgegangen: Ob es nämlich einen Zusammenhang zwischen dem Ausmaß des Antisemitismus in Europa und dem Aufstieg der extremen politischen Rechten gibt. 

Das IZS selbst ist ein unabhängiges israelisches Forschungsinstitut, welches „sich für die Wahrung des jüdischen und demokratischen Charakters des Staates Israel gemäß den Grundsätzen der Unabhängigkeitserklärung einsetzt“ und „den Staat Israel als nationale Heimat des jüdischen Volkes“ stärken will. Die World Zionist Organization ist eine Nichtregierungsorganisation, die auf Initiative von Theodor Herzl auf dem ersten Zionistenkongress im Jahr 1897 gegründet wurde.

Fokus auf Frankreich und Großbritannien und Deutschland 

In der Studie  „עליית הימין הקיצוני והאנטישמיות: שלושה מקרי בוחן אירופאיים“ (Der Aufstieg der extremen Rechten und der Antisemitismus: Drei europäische Fallstudien) des IZS-Forschers Nicolas Nisim Touboul, die Achgut.com auf Hebräisch vorliegt und im Folgenden ins Deutsche übersetzt wiedergegeben wird, lag dabei der Fokus auf den drei europäischen Länder mit den größten jüdischen Gemeinden: neben Frankreich und Großbritannien ist dies auch Deutschland. 

Warum ist die politische Rechte dabei von besonderer Relevanz? In den letzten zehn Jahren, so Touboul, höre man immer mehr Stimmen, die rechte Parteien wie die AfD mit Antisemitismus verbinden, weshalb „viele Juden […] einen Anstieg des Antisemitismus“ befürchten. So habe „der Aufstieg politischer Parteien und rechtsextremer Bewegungen in Europa nicht nur diejenigen beunruhigt, die die anerkannte liberal-demokratische Ordnung verteidigen wollen, sondern auch die Juden in Israel und auf der ganzen Welt“. 

Die Studie attestiert der AfD, dass „trotz des Fehlens bedeutender antisemitischer Elemente“ in ihren Reihen durch sie der „Antisemitismus in vielerlei Hinsicht“ gedeihe. So verharmlose die AfD „die Bedeutung der Rolle des deutschen Volkes für den Holocaust“, ziehe in „ihrem Widerstand gegen die Übernahme der nationalen Verantwortung für die Schrecken des Holocaust und ihrer Weigerung das zerstörerische Potenzial des ungezügelten Nationalismus anzuerkennen […] keine Lehren aus ihrer eigenen Geschichte“ und bereinige „ihre Reihen nicht von Leugnern des Holocaust“.

In seiner Fallstudie konzentrierte sich Touboul darauf, ob es demnach eine Korrelation, also Wechselwirkung, zwischen Antisemitismus und extremer Rechte gibt, das heißt, „zu untersuchen und festzustellen, welche Verantwortung die rechtsextremen Parteien für die Verschlechterung der Sicherheit der lokalen jüdischen Gemeinden tragen“. 

Dabei betrachtete Touboul zwei Variablen: den Zuwachs dieser extrem rechten Parteien bei Wahlen und die Entwicklung des Ausmaßes an Antisemitismus im jeweiligen Land. Letzteres akkumuliert durch die Anzahl antisemitischer Vorfälle, durch die Klassifizierung von Vorfällen nach ihrem Schweregrad (beispielsweise Körperverletzung oder Sachschaden) sowie durch den Grad der Übereinstimmung mit antisemitischen Stereotypen. Auf diese Weise soll für die untersuchte Zeitspanne der „Zusammenhang zwischen dem Aufstieg der extremen Rechten und der Veränderung des Grades an Antisemitismus im Land“ bestimmt werden.

Sprunghafter Anstieg des Antisemitismus in 2017 und 2018

Die Auflistung antisemitischer Vorfälle durch das Bundesinnenministerium wie das „Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin“ (RIAS Berlin) zeigen beide zunächst einen eindeutigen Trend auf, nämlich einen sprunghaften Anstieg der Vorfälle in den Jahren 2017 und 2018 im Vergleich zu den Vorjahren. 

So gab es laut Innenministerium zwischen 2012 und 2016 bundesweit zwischen 600 bis 900 Vorfälle, während es in den Jahren 2017 und 2018 bereits 1504 beziehungsweise 1.646 solcher Vorfälle waren. Das RIAS Berlin, welches ebenso Fälle erfasst, die nicht als antisemitische Straftaten in die amtlichen Polizeistatistiken einfließen, kam nur für Berlin im Jahr 2018 bereits auf 1.083 Fälle im Vergleich zu 405 Vorfällen im Jahr 2015.

Laut Touboul zeigen Studien, dass „20% der deutsche Bevölkerung antisemitische Einstellungen“ pflegen und „87,5% der antisemitischen Vorfälle einen rechtsgerichteten ideologischen Hintergrund“ haben. Letzteres wird im wissenschaftlichen Diskurs zum Teil kritisiert, da sowohl antisemitische Vorfälle von Muslimen als auch politisch Linken, die sich hierbei antisemitischer Weltbilder bedienten, zum rechtsextrem motivierten Antisemitismus hinzugezählt werden.

So ist beispielsweise in einem Bericht der Europäischen Union festgestellt worden, dass Opfer von Antisemitismus in 41% der Fälle berichteten, dass „der Angreifer ein extremer Muslim“ war und nur in 25% der Fälle ein „Angreifer mit einer rechtsgerichteten oder radikal christlichen Ausrichtung“. 

Andere Forschungsberichte dokumentieren gar, dass „60% der Fälle antisemitischer Belästigung und etwa 80% der antisemitischen Angriffe ein islamisches Motiv“ haben. Das RIAS bemerkte darüber hinaus, dass „weniger als die Hälfte der Angreifer als rechtsgerichtete Aktivisten identifiziert“ wurden.

Die Anti-Defamation League zeigte in einer Umfrage auf, dass Antisemitismus in den muslimischen Gemeinden in Deutschland weitaus häufiger vorkommt. So sind von 11 Millionen Menschen in Deutschland, die antisemitische Einstellungen teilen, im Jahr 2015 bereits 56% davon Muslime. Andere Studien zeigen, dass „18% der türkischen Einwanderer, die die größte ethnische Minderheit des Landes darstellen, glauben, dass Juden minderwertigere Menschen“ sind. 

Verstärkt wird dieser muslimische Antisemitismus in den letzten Jahren durch die „Einwanderungswelle aus dem Nahen Osten und Zentralasien“ seit dem Sommer 2015, da die Migranten aus Ländern nach Deutschland kommen, die Israel feindlich gegenüberstehen und in denen antisemitische Ansichten üblich sind.

Die Verantwortung der AfD für den deutschen Antisemitismus

Jedoch befördern die Einwanderungswellen auch den Antisemitismus der extremen Rechten. So beschuldige man Juden, der „Förderung der Einwanderung als Instrument zur Zerstörung des weißen Europas“, wodurch „antisemitische Stereotypen und Vorurteile hinsichtlich der Macht der Juden im politischen, finanziellen und medialen System“ im rechten politisch Diskurs geschürt werden. So habe die AfD hierdurch, insbesondere in den Jahren 2017 und 2018, „indirekt dazu beigetragen, dass die Zahl der antisemitischen Vorfälle im Land gestiegen ist“, indem sie die „globalen Eliten“ attackiert, die „traditionell mit den Juden identifiziert“ würden.

Nichtsdestotrotz ist anhand der Wahlergebnisse der AfD zu konstatieren, dass die Jahre von 2013 bis 2016, die den Aufstieg der AfD im politischen Spektrum dokumentieren, „nicht durch einen Anstieg der Anzahl antisemitischer Vorfälle gekennzeichnet“ sind. Der Anstieg der Gewalt gegen Juden in den Jahren 2017 und 2018 hat in vielen Fällen eine andere Ursache. So wurden meistenteils „Angriffe eindeutig von Einwanderern durchgeführt, die ab 2015 aus israelfeindlichen Ländern des Nahen Ostens kamen“.

So klärt Studienmacher Touboul auf, dass der Aufstieg der AfD sich „teilweise mit der Zunahme antisemitischer Vorfälle im untersuchten Zeitraum“ überschneidet. Jedoch bestehe „der Anteil der extremen Rechten am Phänomen des Antisemitismus“ in viel geringerem Umfang als es deutsche Behörden veröffentlichen. Daher kommt Touboul auch zu dem Schluss für Westeuropa, und somit auch Deutschland:

Rechtsextremismus ist heutzutage nicht die Hauptmotivation für Antisemitismus in Westeuropa und die Veränderungen im Grad des Antisemitismus hängenfalls vorhanden, nicht notwendigerweise von der politischen Konsolidierung der extremen Rechten ab“.

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Volker Kleinophorst / 03.03.2020

Israel ist der natürliche Verbündete der AfD. Wird doch Israels Regierung von unserer Politmafia ebenfalls als Rechts wahrgenommen.

M. Besler / 03.03.2020

Da den Rechten Parteien immer wieder Antisemitismus attestiert wird, liegt es durchaus auf der Hand, diesen Vorwurf ganz explizit zu untersuchen. Mich überrascht der Schluss der Studie keineswegs. Die AfD hat - soweit ich das Anhand des Pareteiprogramms feststellen konnte - keinen israelfeindlichen oder judenfeindlichen Passus. Dies trifft auch auf die anderen im Bundestag vertretenen Parteien zu.  Die Frage ist, wie verhält es sich mit den Aussagen von Parteimitgliedern, Amts - oder Funktionsträgern, dem Abstimmungs- und Antragsverhalten der jeweiligen Abgeordneten ? Hier gibt es bei der AfD sehr Missverständliche, in mehreren Richtungen interpretierbare Aussagen (180°- Wende, Denkmal der Schande, Vogelschiss u.ä.) Hier hätten die jeweiligen Redner sehr eindeutig sein können. Waren sie aber nicht. Warum ? Mangelndes Sprachverständnis in Deutsch ? Oder bewusstes Kalkül ? Auf der Haben-Seite ist jedoch festzuhalten, dass es auch eindeutig pro-jüdische und pro-israelische Aussagen & Anträge der AfD gibt. Wie eine AfD-spezifische Regierungspolitik ausfallen würde, lässt sich nicht sagen. Was man aber sagen kann ist, wie die spezifische Politik der bisherigen Regierungsparteien gegenüber dem einzigen jüdischem Staat auf diesem Planeten aussieht. Leider schwach. Und was wir ebenfalls haben, sind die Aussagen und Handlungen von Politikern wie S. Gabriel, F-W. Steinmeier, M. Schulz, A. Nahles, H.-C. Ströbele, J.Trittin, J. Möllemann, N. Blüm und vielen weiteren aus den zweiten und dritten Reihen der jeweiligen Parteien. Da kann man zum Schluss kommen: Die AfD scheint eher weniger antisemitisches Personal zu haben. Das Ding mit dem antisemitischen Weltbild ist seine individuelle Anpassungs- und Wandlungsfähigkeit.  Antisemitismus ist keine Frage einer speziellen politischen Richtung, sondern der Rationalisierungsversuch eines paranoiden Mordvorsatzes.

Walter Elfer / 03.03.2020

a) das Zeigen des Hitlergrußes oder jedes Hakenkreuz wird per se als rechte Straftat eingeordnet. Auch wenn’s vom Linken oder Muslim kommt. So kann man Statistik auch. b) “rechts” ist mittlerweile das Synonym für das Böse und nur von da muss Antisemitismus beleuchtet werden. Nur - woher weiss man, wo eigentlich ein bekennender Jude steht? Vielleicht doch eher rechts als links? Wieso sollte ein geschäftstüchtiger Rechter (Linke sind nicht tüchtig, die fordern und schmarotzen nur) einen geschäftstüchtigen Juden bekämpfen, also quasi hassen? Beide liegen auf der gleichen Linie. Und Linke? Nun, die haben was gegen geschäftstüchtige. Nachtigall?!

WR Götz / 03.03.2020

Sehr geehrter Herr Ermler, ich habe Ihren Artikel leider nicht richtig verstanden. Schön wäre es gewesen, wenn Sie ihn mit aussagestarken Tatsachen unterfüttert hätten.

Wolf Kull / 03.03.2020

zu   Eleonore Weider Dass es bereits vor 13 (wie 33) Antisemitismus in erheblichem Ausmaß in Deutschland gegeben hat, ist durch viele Studien (!) belegt. In Bezug auf die AfD als Urheber dafür ist das Werk von Schwarz-Friesel/Reinharz mit dem Titel Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert bedeutsam, weil es 2013 erschienen ist, 13 (!). Es analysiert die in der deutschen Gesellschaft vor 13 (!) vorhandenen antisemitischen Einstellungen anhand von umfangreichem Material, das z. B. aus Zuschriften/Briefen an den Zentralrat der Juden und an die israelische Botschaft besteht. Dass so mancher dieser Schreiber Mitglied oder Wähler der AfD geworden ist, ist sehr wahrscheinlich. (Grass würde AfD wählen, könnte vielleicht ein Wahlslogan werden.) Im Übrigen wäre eine Analyse der Berichterstattung von ARD und ZDF zu Israel - auf das Thema Antisemitismus bezogen - sehr ergiebig.

Martin Müller / 03.03.2020

Die AfD hetzt jedenfalls nicht gegen Israel, ganz im Gegenteil. Ich habe auf noch keiner AfD-Veranstaltung bisher Antisemitische und oder Anti-Israelische Töne gehört, auch hier kann ich sagen: ganz im Gegenteil.

Karl-Heinz Vonderstein / 03.03.2020

Was ich mich frage, man wirft der AfD vor faschistisches Gedankengut zu haben, ein Experte (Politologe) meinte vor kurzem im Fernsehen, wenn man die Ziele der AfD zuende denkt, würden diese die Fremden im Land vernichten und Björn Höcke darf man nach einem Gerichtsurteil ungestraft Faschist nennen.Wie sieht denn das Parteiprogramm der AfD aus?Habs mir noch nicht angeguckt.Sind das wirklich Ziele von denen und steht das alles dadrin?Wenn ja, müsste da nicht der Verfassungsschutz schon längst eingeschritten sein und müsste die AfD nicht schon längst verboten worden sein?Man macht die AfD mitverantwortlich für rechtsextreme Anschläge, dabei gab es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland schon rechtsextreme Anschläge lange vor der AfD (NSU).Man wirft der AfD vor mitverantwortlich zu sein, dass Büros von Politikern der anderen Parteien Angriffsziele sind, dabei werden Büros von Politikern der AfD am meisten angegriffen.Man wirft der AfD sehr oft Fake News und Lügen vor, dabei scheinen Fake News und Lügen über die AfD auch nicht gerade ne Seltenheit zu sein.Man wirft der AfD vor mitverantwortlich zu sein für steigenden Antisemitismus in Deutschland, dabei ist der unter Deutschen über Jahrzehnte bis heute prozentual nicht mehr geworden.Und was ist z.B. mit der Partei Die Linke?Da stellt man nie ne Verbindung her zwischen ihr und Antisemitismus.Oder man wirft der AfD immer Hetze, Hass und Instrumentalisierung vor, was ist das dann, was andere mit der AfD machen, z.B.nach dem Anschlag in Hanau?

Markus Kranz / 03.03.2020

Schön. Und jetzt bitte eine Studie über Rassismus gegenüber Amis oder Deutschen.

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