Von Piet Runger.
Windkraftskeptiker können vor den Verwaltungsgerichten zwei Einwände geltend machen: Umweltaspekte (hydrologische, geologische, natur- und tierschutzrechtliche oder medizinische Gründe) oder planungs- beziehungsweise baurechtliche Gründe. Meistens haben sie damit keinen Erfolg. Der Verwaltungs- und Verfassungsrechtler Norbert Grosse Hündfeld will Klägern gegen Windkraftanlagen nun ein wirkmächtigeres Instrument an die Hand geben. Die Auswirkungen könnten die Lage grundlegend verändern.
Unter den Windkraft-Investoren herrscht ungebremst ein Klondike-artiger Goldgräberrausch. In vielen Fällen sind die Bürgermeister der betroffenen Gemeinden weniger enthusiastisch, weil sie direkt mit den Folgen und dem Unmut ihrer Bürger konfrontiert sind. Die Landräte neigen jedoch dazu, die Gemeinden zur Ausweisung immer neuer Windvorrangzonen zu drängen – und oft stimmen die Verwaltungsgerichte ihnen zu. Dann rollen die Bagger an…
Norbert Grosse Hündfeld und sein Kollege, Prof. em. Dr. Friedrich Murswick (der Juristen durch seine Kommentare zum Verfassungsrecht bekannt ist), sind der Auffassung, dass diese Praxis gegen das Grundgesetz verstößt. Ihre Begründung:
1994 wurde im Rahmen des Einigungsvertrages der Umweltschutz durch den Paragraphen 20a ins Grundgesetz aufgenommen und zum „Staatsziel“ erklärt. Alle staatlichen Organe müssen sich danach richten und sind verpflichtet, „die natürlichen Lebensgrundlagen dauerhaft zu erhalten“ und sie „gegen durch menschliche Aktivitäten verursachte Beeinträchtigungen zu schützen.“ „Klimaschutz“ wird im GG nicht erwähnt, er ist ein Teil des Umweltschutzes.
Daraus ergibt sich: Der Staat darf die Schädigung/Zerstörung natürlicher Lebensgrundlagen nicht betreiben oder durch Dritte fördern. Es gilt dabei ein „Verschlechterungsverbot“ des Schutzniveaus für staatliche Institutionen, sagen Grosse Hündfeld und Murswick.
Artikel 20a GG verlangt eine Güterabwägung
Da die rund 30.000 Windräder in Deutschland einerseits dem Umweltschutz dienen sollen, andererseits aber selbst die Umwelt schädigen (Vogelschlag, Infraschall, Landschaftszerstörung, etc.), verlangt der Art. 20a GG eine Güterabwägung: Ist der Nutzen für die Umwelt größer als der Schaden? Anders gefragt: Sind die Umweltschäden, die durch die Windkraft abgewendet werden, mindestens genauso groß, wie die Schäden, die durch den Ausbau entstehen?
Das weiß niemand. Im Herbst 2010 hat die Bundesregierung die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängert, mit dem Argument, man benötige noch mindestens 10 bis 12 Jahre, um durch Forschung beurteilen zu können, ob eine Umstellung auf „erneuerbare Energien“ tatsächlich „zieltauglich“ sei. Das Ziel schreibt §1 des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) vor: Die Regierung muss die Energieversorgung preiswert, umweltfreundlich und versorgungssicher organisieren. Zur Finanzierung der Forschung wurde die Kernbrennelementesteuer erhoben. Dann kam Fukushima (März 2011) und alles war vergessen. Über Nacht stellten „Experten“ fest: Eine hundertprotzentige „erneuerbare“ Energieversorgung ist möglich.
Der Sinn der Windkraft ist übrigens nicht die „Abwendung des „Klimawandels“, sondern ihr Beitrag zur Vermeidung von CO2-Emissionen. Was also fehlt, ist die Bilanz des Beitrags deutscher Windräder zur Vermeidung der Erderwärmung in Relation zur Schädigung natürlicher Lebensgrundlagen. Durch den europäischen Handel mit Emissionszertifikaten beträgt diese Bilanz jedoch Null – denn den CO2-Emissionen ist es egal, ob sie in Deutschland, Tschechien oder Polen entstehen…
Klagen können Umweltverbände und Gemeinden
Zumindest unter den Rahmenbedingen des EU-Emissionshandels ist die staatliche Förderung der Windenergie in Deutschland darum verfassungswidrig.
Da der Art. 20a GG nicht dem Schutz individueller Interessen, sondern dem Gemeinwohl dient, kann eine Einzelperson vor Gericht seine Verletzung nicht geltend machen. Klagen können aber Umweltverbände und Gemeinden.
Nicht nur gegen den unmittelbaren Bau lässt sich der Artikel in Stellung bringen, auch gegen die gesetzlichen Grundlagen: Klageberechtigte Naturschutzverbände können zum Beispiel mit dem Instrument der konkreten beziehungsweise. abstrakten Normenkontrolle gegen die aufgeweichten Neufassungen der Artenschutzvorschrift oder des Bundesnaturschutzgesetzes vorgehen. Und natürlich kann auch das EEG (Erneuerbare-Energien-Gesetz) selbst damit angegriffen werden.
Folgt ein Verwaltungsgericht der Argumentation, käme die Sache vor das Bundesverfassungsgericht. Das würde zumindest ein grelles Schlaglicht auf die Problematik werfen. Grosse Hündfeld und Murswick gehen aktuell auf Vortragsreise, um Bürgermeister und Stadträte betroffener Gemeinden über den juristischen Hebel des Art. 20a GG zu informieren, denn die meisten Parlamentarier, so Grosse Hündfeld, haben von dieser verfassungsrechtlichen Problematik leider schlichtweg keine Ahnung.