Gastautor / 03.05.2022 / 16:00 / Foto: Oliver Hihn/ Unsplash / 15 / Seite ausdrucken

Israel und die Araber: Wind of Change

Von Jan Hendrik.

Trotz der Spannungen, die nach wie vor existieren (und mitunter heftig aufflackern), hat sich das Verhältnis zwischen Juden und Arabern im Nahen Osten teilweise auf geradezu erstaunliche Weise verbessert. 

Das Lied der Scorpions weckt bei älteren Semestern wehmütige Erinnerungen an den Mauerfall, Perestroika und das Ende des Kalten Krieges. Die Hoffnungen der damaligen Zeit auf eine bessere Zukunft könnten nicht schmerzhafter zertrümmert werden, als es in diesen Tagen vor unseren Augen stattfindet.

Insofern sollte man sich vor übertriebenen Hoffnungen auch in einem anderen Teil der Welt hüten, wo gegenwärtig eine vielversprechende Brise wahrgenommen werden kann. Bei aller Vorsicht aber sind einige der in Israel und den Nachbarländern stattfindenden Entwicklungen tatsächlich bemerkenswert.

Seit der Unterzeichnung der Abraham-Abkommen, zunächst zwischen Israel, den Vereinigten Staaten, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Bahrain, und den darauffolgenden Normalisierungen mit Sudan und Marokko, hat sich die Region in einer Weise verändert, die bis vor Kurzem kaum jemand für möglich gehalten hätte.

Innerhalb kurzer Zeit entstanden eine Vielzahl von Partnerschaften zwischen Firmen, Universitäten und Forschungseinrichtungen. Delegationen aus Wirtschaft und Politik legten Grundlagen für die enge Zusammenarbeit, die schon jetzt erstaunliche Dimensionen erreicht hat. So kletterte das Handelsvolumen zwischen Israel und den VAE innerhalb eines Jahres auf beachtliche 900 Millionen USD. Auch die Zahlen für den Handel mit Bahrain, Marokko, Ägypten und Jordanien sind seit Abschluss der Verträge in die Höhe geschnellt. Eine Reihe neuer Flugverbindungen erleichtern die Praxis der neuen Beziehungen zwischen Tel Aviv und den arabischen Metropolen der Region.

Araber finden ihren Platz in der israelischen Gesellschaft

Dabei handelt es sich nicht mehr nur um einen kalten Frieden, der sich auf offizielle Termine beschränkt, wie es bei den vorherigen Friedensabkommen der Fall war. Vieles deutet auf eine echte Wandlung und Annäherung hin, vom Umschreiben der Schulbücher über Schüleraustausche bis hin zum kulturellen und sogar religiösen Austausch.

Zum ersten Mal nahm im April 2022 eine Delegation aus den VAE am Marsch der Lebenden in Auschwitz teil, von wo sie gemeinsam mit muslimischen Influencern aus anderen Ländern einem breiten arabischen Publikum den Holocaust erklärten.

Auch in Israel selber sind weitreichende Veränderungen im Verhältnis zwischen Juden und Arabern im Gange. Der Regierungswechsel im Juni 2021 brachte zum ersten Mal in Israels Geschichte eine islamistische und eine nationalreligiöse Partei in eine gemeinsame Koalition. (Außerdem im Kabinett: ein ehemaliger General, eine Feministin, ein russischstämmiger Einwanderer, ein offen homosexueller Progressiver und ein ehemaliger Talkshow-Star.) 

Im Februar wurde der erste muslimische Richter am Obersten Gerichtshof ernannt. Während arabische Israelis vom Wehrdienst freigestellt sind, nimmt die Zahl der freiwillig in der israelischen Armee dienenden Muslime von Jahr zu Jahr weiter zu. 

Als Amnesty International im Februar einen verzerrten Bericht vorlegte, der Israel als Apartheidstaat brandmarkte, waren es nicht zuletzt Araber wie der Israeli Yoseph Haddad und der palästinensische Menschenrechtsaktivist Bassem Eid, die lautstark Protest einlegten. Bei einer der letzten Terrorattacken war es der israelisch-arabische Polizist Amir Khoury, der den Attentäter stellte und von ihm erschossen wurde. Das ganze Land trauerte.

Alte Feindbilder lösen sich auf

Das Fazit ist klar: Trotz der Spannungen, die nach wie vor existieren (und mitunter heftig aufflackern), hat sich das Verhältnis zwischen Juden und Arabern im Nahen Osten teilweise auf geradezu erstaunliche Weise verbessert. 

Dabei spielt der israelisch-palästinensische Konflikt zweifelsohne weiterhin eine Rolle. Aber auch in den arabischen Ländern der Region hat man nur noch wenig Geduld mit den in ihrer Verweigerungshaltung und Opferrolle seit Jahrzehnten feststeckenden Palästinensern. Schon nach dem Scheitern der Verhandlungen von Camp David war es Prinz Bandar, der zu den schärfsten Kritikern der palästinensischen Verhandlungsposition gehörte. Seitdem, und während die palästinensische Führung immer tiefer in der Verhandlungsunfähigkeit versinkt, ist man immer weniger bereit, seine eigenen Interessen zugunsten der palästinensischen Sache zurückzustellen.

Stattdessen erkennt man die Chancen, die die Zusammenarbeit mit dem wirtschaftlichen Powerhouse der Region und seinem technologischen, akademischen und wirtschaftlichen Know-How bieten können. Dass der jüdische Staat trotz unbestrittener Probleme in vielerlei Hinsicht eine Erfolgsgeschichte ist, dessen Bevölkerung einen zunehmend hohen Lebensstandard genießt und mit zu den zufriedensten Gesellschaften der Welt gehört, hat sich herumgesprochen. 

Nicht zuletzt hat auch die Furcht vor dem gemeinsamen Feind Iran zur Annäherung beigetragen.

Pikanterweise hat Europa bei den stattfindenden historischen Veränderungen der Region so gut wie keine Rolle gespielt. Für die sich als Diplomatie- und Friedensmacht sehenden europäischen Länder sollte das Anlass zum Nachdenken bieten. Während im Nahen Osten alte Feindbilder in verblüffend kurzer Zeit verschwunden sind und sich historische Aussöhnungen vollziehen, hält man in Europa unbeirrt an den seit Jahrzehnten vergeblich angewandten Formeln und Denkmustern fest. Organisationen wie UNWRA, Amnesty International und die Palästinensische Autonomiebehörde mögen glauben, im Interesse der Palästinenser zu handeln. Dabei perpetuieren sie das Problem, indem sie Opferrolle, Kompromisslosigkeit und Militanz immer tiefer im Bewusstsein der Bevölkerung verankern.

Zukunftsorientierte Kooperation statt Verharren in alten Mustern

Dabei könnte z.B. in Gaza in kürzester Zeit ein Kleinstaat entstehen, der in unmittelbarer Nachbarschaft zu Israel zum Singapur des Nahen Osten werden könnte. Israel würde dem nicht entgegenstehen, sondern im Gegenteil ein friedliches Nebeneinander mit voller Kraft unterstützen. Nicht, weil Israelis besonders edle Menschen sind. Es liegt schlicht im eigenen Interesse. Das buchstäblich Einzige, was einem solchen Szenario im Wege steht, ist der fehlende Wille der dortigen Hamas-Führung sowie der indoktrinierten Bevölkerung. Die fortlaufende Aufwiegelung wird auch von der UNWRA ermöglicht und von westlichen Ländern finanziert. Angesichts des Leids, das der eiternde Konflikt in Gaza beiden Seiten seit Jahren beschert, ist das eine schmerzliche Einsicht. 

Auch in der alten – und inzwischen wieder neuen – Garde des US-Außenministeriums hat man die historischen Chancen eines Neuanfangs in der Region partout nicht sehen wollen. Vom früheren Außenminister und heutigen Klimabeauftragten John Kerry ist folgende besonders vehement vertretene Fehleinschätzung aus dem Jahre 2016 überliefert:

„Lassen Sie mich Ihnen ein paar Dinge sagen, die ich in den letzten Jahren mit Sicherheit gelernt habe. Es wird keinen separaten Frieden zwischen Israel und der arabischen Welt geben. Das möchte ich euch allen ganz klar sagen. Ich habe einige prominente Politiker in Israel manchmal sagen hören, nun, die arabische Welt befindet sich jetzt an einem anderen Ort, wir müssen uns nur an sie wenden und wir können einige Dinge mit der arabischen Welt regeln und uns danach um die Palästinenser kümmern. Nein, nein, nein und nein. Ich kann Ihnen das sogar in der letzten Woche bekräftigen, als ich mit Führern der arabischen Gemeinschaft gesprochen habe. Ohne den palästinensischen Prozess und den palästinensischen Frieden wird es keinen Fortschritts- und Separatfrieden mit der arabischen Welt geben. Das müssen alle verstehen.“

Vier Jahre später wurden die Abraham-Abkommen unterzeichnet. Es ist nicht die einzige Grundüberzeugung, die in diesen Tagen revidiert werden muss. Die Entwicklungen der letzten Jahre beweisen aber, wie weit man mit frischen Ideen, zukunftsorientierter Zusammenarbeit und dem Loslösen von alten Ressentiments kommen kann. Es bleibt zu hoffen, dass man auch in Europa dieses Potenzial erkennt und zu unterstützen beginnt.

Dieser Beitrag erschien zuerst hier.

 

Jan Hendrik ist ein in Deutschland geborener Israeli. Nach Zwischenstationen u.a. in Cambridge und San Francisco übersiedelte er 2010 nach Israel. Er lebt und arbeitet als Software-Ingenieur in Tel Aviv.

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Leserpost

netiquette:

Wolfgang Richter / 03.05.2022

@ Ahmed Khammas - “Ach ja, und die Besetzung der Golan-Höhen müßte natürlich auch enden…” Immerhin haben verletzte / kranke Syrer während des Bürgerkriegs die Möglichkeit gehabt, nächtens nach Israel durch die dortigen Zäune geschleust, in dortigen Hospitälern ihre Verletzungen behandeln zu lassen. Auch nicht ganz normal für ansonsten Kriegsgegner, die sich angeblich spinnefeind sind.  Es hätte den Israelis völlig egal sein können, was auf der syrischen Seite passiert. Wenn die Hetzer auf den diversen Seiten, nicht nur in Nahost, eingesammelt und ins Zentrum der Antarktis deportiert würden, ohne Option einer Rückkehr oder Kontaktaufnahme nach außen, könnten sie sich dort die Köpfe einschlagen, und die Zurückgebliebenen hätten die Chance, sich zusammen zu raufen.

Achmed Khammas / 03.05.2022

Kooperative Zukunftsvisionen gab es sogar im Umfeld der syrischen Baath-Partei - und schon vor vielen Jahrzehnten. Als Damaszener wünsche ich mir schon lange, über offene Grenzen kurz mal nach Haifa fahren und dort am Strand einen Cappuccino trinken zu können. Ganz friedlich. Leider stellte sich diesen Utopien stets dasselbe Verhalten Israels entgegen: Sich an keine einzige UN-Resolution zu halten, die Palästina betrifft. Ach ja, und die Besetzung der Golan-Höhen müßte natürlich auch enden…

W. Renner / 03.05.2022

In erster Verdienst von Donald Trump, für den ihm der Friedensnobelpreis gebührte und den die debile Sprechblase von Obama wieder nach Kräften gefährdet.

Yehudit de Toledo Gruber / 03.05.2022

Kol haKavod, Herr Hendrik, für Ihre sehr bemerkenswerte Einschätzung. Aber mir Gaza als künftiges Singapur des Nahen Ostens vorzustellen fällt extrem schwer. Da müßten sich auch in Brüssel endlich viele Spitzenpolitiker bewegen. Denn sie mit-finanzieren wissentlich nicht nur die hochstilisierten “Palästinenser”-Legenden sondern vor allem auch den Terror deren fanatischen Anführer .

Volker Kleinophorst / 03.05.2022

Träum weiter. Das Ende des kalten Krieges war der Anfang des heißen. Nicht so überraschend. PS.: In D lebte es sich im kalten besser zumindest im Westen, man war halt Schaufensterrepublik. Allen anderen Kommentatoren stimme ich ausdrücklich zu. Islam bleibt Islam. Da helfen keine Pillen und auch nicht kurzfristige Allianzen. Doch wenn es um Ungläubiege geht und den weltweiten Machtanspruch dieses sogenannten Allah ziehen alle am selben Strang. Wer wohl am anderen Ende hãngt?

Marc Blenk / 03.05.2022

Lieber Herr Hendrik, jija, jija, immer der böse Trump. Das kann natürlich nichts sein, was der eingefädelt hat. Da kann es plötzlich noch so friedlich zugehen zwischen Juden und Arabern. Keiner weiß das so gut wie der weltrettende deutsche Moraledelmensch, der aber nur leider leider auch nicht ein einziges mal irgendwo auf der Welt was gerettet und zum besseren gewendet hat. Trump hätte den Friedensnobelpreis verdient. Allerdings komme ich da gleich wieder ins Zweifeln, wenn ich bedenke, welche Pappnasen den schon bekommen haben.

Bernhard Büter / 03.05.2022

Fällt bestimmt schwer, aber der Name Trump gehört bei dem Abkommen erwähnt.

Arne Ausländer / 03.05.2022

@Ludwig Luhmann: Vielleicht nutzen Sie das wieder leichtere Reisen, um sich mal einen eigenen Eindruck von Sarajevo zu verschaffen. Dort mischt sich Mitteleuropäisches und Islamisches wie wohl nirgends sonst auf der Welt, wohl wesentlich entspannter als Sie es (vermutlich) erwarten. Dies um fruchtlose theoretische Erörterungen des Themas zu umgehen. Ich war dreimal dort, u.a. um das Jahr 2000 zu beginnen bzw. das 20.Jh. europäisch-passend zu verabschieden. Und aufgrund dieser und ähnlicher Erfahrungen bin ich mir recht sicher, daß es auch im Islam ein weites Spektrum von aggressiv-dogmatisch bis entspannt-menschenfreundlich gibt, kaum anders als im Christentum. Und selbst Buddhisten haben ja in den letzten Jahren gezeigt, das andere Theorie nicht andere Praxis bedeuten muß. Aber eben, manches glaubt man erst, wenn man es selbst gesehen hat. Im Guten wie im Bösen. Und abgesehen davon: Sarajevo hat viel Sehenswertes, auch sonst Bosnien, von der kroatischen Adriaküste ganz zu schweigen. Wer die nie gesehen hat, hat wirklich viel verpaßt.

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