Hansjörg Müller / 12.02.2015 / 10:58 / 4 / Seite ausdrucken

„Islamisierung“ als Metapher

Was war das für eine Panik, was für eine Ratlosigkeit: Nachdem im Herbst Dresdner Bürger begonnen hatten, auf dem Theaterplatz der Stadt unter dem Label «Pegida» zu protestieren (ihr erklärtes Ziel war es, eine angebliche Islamisierung des Abendlandes zu verhindern), reagierten einige, als wäre die Bundesrepublik in ihren Grundfesten bedroht. An Weihnachten schaltete sich die deutsche Kanzlerin Angela Merkel persönlich ein und rief – ganz treusorgendes Hausmütterchen – ihre Landsleute auf, denen, die «Hass in ihren Herzen» hätten, nicht nachzulaufen.

Mittlerweile ist der Spuk vorbei, gerade noch 2000 Leute sollen sich diesen Montag in Dresden versammelt haben. Vor allem mangelnde Intelligenz und Professionalität ihrer Anführer waren es, die verhinderten, dass sich Pegida dauerhaft etablieren konnte. Die deutsche Demokratie besteht noch immer, und die Zeitungen schreiben Nachrufe, in denen häufig ein triumphaler Unterton angesichts des langsamen Verläpperns der Dresdner Kleinbürger-Fronde mitschwingt.

Ich selbst bin froh, eine Pegida-Kundgebung mit eigenen Augen gesehen zu haben, habe ich das Phänomen doch erst vor Ort wirklich verstanden. Ausserhalb Ostdeutschlands, dies meine wichtigste Erkenntnis, hätte es Pegida als Massenphänomen nicht geben können: Neonazis hatte es wenige unter den Teilnehmern, dafür zahlreiche DDR-Nostalgiker um die 60 oder älter: Deren antiwestliche Reflexe, antrainiert im Rahmen der staatsbürgerlichen Erziehung des deutschen Arbeiter- und Bauernstaates, waren voll intakt: Noch nie habe ich so viele anti-amerikanische Plakate gesehen wie in Dresden.

Tatsächlich ist durch Umfragen belegt, dass ein Gutteil derer, die sich für Pegida begeistern, der Linkspartei zuneigt, also der Nachfolgeorganisation der DDR-Staatspartei SED. Wladimir Putin, der Herr im Kreml, ist für sie der Weisse Ritter, der sie retten soll vor… ja, wovor eigentlich? Die Angst vor der Islamisierung, die Pegida im Namen führt, schien mir unter den Anliegen der Demonstranten nicht einmal das brennendste zu sein. Vielmehr glaube ich, dass «Islamisierung» hier als Metapher für alles Fremde und Verhasste fungiert, auch für Amerika, Israel, die Nato oder den Kapitalismus. Das mag absurd klingen, doch absurd ist das Weltbild derer, die da aufmarschierten.

Ebenso unschön wie manches, was bei Pegida geäussert wurde, war die Reaktion der Eliten: «Abschaum» und «Mob» nannten Politiker die Demonstranten, Beschimpfungen, die im Volk eine Trotzreaktion auslösten und die Zahl der Teilnehmer von Montag zu Montag anschwellen liess.

Ein Dialog zwischen Bürgern, Politik und Medien konnte so nicht entstehen, was umso bemerkenswerter ist, als deutsche Politiker und Journalisten doch so gerne von «den Menschen» reden, die es «abzuholen» und «mitzunehmen» gelte. Dies ist in Dresden ganz offensichtlich nicht gelungen. Sollte es auch in Zukunft nicht gelingen, ist mit ähnlichen Phänomenen zu rechnen. Die deutsche Demokratie wird es überleben, doch guttun wird es ihr auf Dauer nicht.

Erschienen in der Basler Zeitung.

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Leserpost

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Klaus Weber / 13.02.2015

Es war nicht mangelnde Intelligenz der Organisatoren, die Pegida abebben lässt. Es ist der massive, staatlich finanzierte linke Terror und die linke Propaganda aller Medien, die die Deutschen meschugge macht und ängstlich zuhause bleiben lässt.

Dr. Christian Rother / 12.02.2015

„Islamisierung“ ist nicht nur im Osten Deutschlands eine Metapher, sondern auch im Westen; dort allerdings aus einem anderen Grund: Im Westen gibt es zwar wirklich Islamisierung, diese hat aber nichts mit dem Islam zu tun, und zwar genauso wenig, wie der Islamismus etwas mit dem Islam zu tun hat. Auf der ganzen Welt hat nur eine Sache etwas mit dem Islam zu tun, und das ist der Islam. Allerdings gibt es “den” Islam, wie wir mittlerweile gelernt haben, gar nicht; außer in dem Sinne, dass er mittlerweile zu Deutschland gehört.

Jürgen Rückriem / 12.02.2015

Sehr geehrter Herr Müller, Ihre Beobachtungen decken sich recht gut mit meinen Eindrücken. Als ich vor einigen Wochen einen Pegida Spaziergang besuchte, war ich verblüfft von dem vielen linkspopulistischem (auch DDR- nostalgischem) Gedankengut welches zumindest unter vielen Mitläufern propagiert wurde, das schwenken russischer Fahnen und Antiamerikanismus inclusive. Ich denke die Linkspartei weiss, warum sie sich nur vorsichtig am hysterischen Wettbewerb der Bessermenschen um die Verächtlichmachung der Demonstranten beteiligt. Nach meinem Eindruck könnte neuerdings eine gewisse Politisierung der Bewegung eingesetzt haben - entsprechend gehen die Teilnehmerzahlen zurück. Jürgen Rückriem, Dresden

Bernd Rommelsberg / 12.02.2015

Lieber Herr Müller, bei allem Respekt für Ihre Ansichten; Ihrem Schlußwort kann ich nicht zustimmen - “die deutsche Demokratie wird es überleben”. Ich glaube, dass durch die irrationale Reaktion der Politik auf das Phänomen “Pegida” die Rest-Demokratie in Deutschland erheblichen Schaden erlitten hat. Bei dieser Gelegenheit outeten sich die Regierenden in Dresden, Leipzig und Berlin als vom Volk völlig abgehobene Kaste, die weder willens noch in der Lage war, vernünftig mit den Unmutsäußerungen des Demos umzugehen. Es ist völlig egal, welcher politischen Grundeinstellung Demonstranten angehören, sofern sie ihren Protest friedlich und innerhalb der gesetzlichen Spielregeln äußern. All das hat Pegida getan und für sich nur das grundgesetzlich verankerte Recht auf freie Meinungsäußerung in Anspruch genommen. Diese Menschen als DDR-Nostalgiker oder Anti-Amerikaner zu bezeichnen, ist nur ein weiterer (falscher) Ansatz, mit anderen Meinungen eben “nicht” umzugehen. Selbst wenn die Pegida-Bewegung zahlenmäßig weniger wird, die Probleme, warum die Menschen auf die Straße gehen, verschwinden dadurch nicht. Ich hoffe, dass Pegida sich wieder fängt und durch den politischen Druck der Straße die Politiker dazu zwingt, sich mit den tatsächlichen Problemen in Deutschland zu beschäftigen. Wenn nicht, wird der Leidendruck weiter wachsen und irgendwann bricht sich der Unmut dann Bahn ... derzeit ist die Lösung noch friedlich möglich.

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