Rainer Bonhorst / 10.03.2016 / 11:00 / 1 / Seite ausdrucken

Irregulär strömendes Obergrenzen-Kontingent

Die Integration der Reisenden aus dem Zweistromland muss vor allem sprachlich geschafft haben. Das kann allerdings verwirrend sein. Ganz besonders dann, wenn sich Politiker der Sprache annehmen.

Nehmen wir als erstes Beispiel das Obergrenzen-Kontingente-Kontinuum. Wie soll man das einem Migranten erklären? Das Wort „Grenze“ geht ja noch. Die ist entweder offen oder geschlossen. Oder, noch einfacher, wie man es etwa im Ruhrgebiet formuliert: Die Grenze ist auf oder zu. So weit, so simpel. Aber mit der „Obergrenze“ geht es schon los. Da schaut der Migrant verblüfft in die Höhe und fragt sich: Du lieber Himmel, ist da oben auch eine Grenze? Und wenn ja: Ist sie offen oder geschlossen beziehungsweise auf oder zu? Und es liegt auf der Hand, dass dem verblüfften Blick nach oben ein ängstlicher Blick nach unten folgt. Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn es nicht auch eine Untergrenze gäbe. Hoffentlich ist die nicht offen sondern fest verschlossen.

Nun soll aber die Obergrenze durch „Kontingente“ ersetzt werden. Kontingent ist politisches Vulgärlatein für Obergrenze. Das Wort Kontingent wird verwendet, wenn die Obergrenze untendurch ist, und das gleiche mit einem weniger allgemeinverständlichen Begriff gesagt werden soll. Das ist sprachpolitisch nicht unproblematisch, weil in diesem Fall der Bundesobergrenzschutz durch einen Bundeskontingentschutz ersetzt werden muss. Zwar bietet Bayerns böser Bube, Horst Seehofer, der lieben Angela Merkel an, selber seine Obergrenze zu schützen. Die aber bleibt in der Flüchtlingsfrage eisern: Der Kontingentschutz ist Bundessache.

Und der Migrant? Er wird nicht nur mit den Grenzfragen der deutschen Sprache konfrontiert sondern auch mit den Grenzwerten des deutschen Föderalismus. Vor allem aber wird er – und dies ist das zweite Beispiel - mit den geschlossenen Grenzen der Balkanländer konfrontiert. Auch in dieser Frage bleibt die Kanzlerin eisern. Mit sichtlicher Abneigung reagiert sie auf die Formulierung: „Die Balkanroute ist geschlossen“. Für sie kommt eine solche Grenzhärte nicht in Frage. Es ist ja eine doppelte Härte: nicht nur harte Tatsachen sondern obendrein auch noch harte Worte. Nun kann man harte Tatsachen nicht immer tatsächlich aufweichen. Aber an den harten Worten lässt sich etwas tun. Und ein paar aufgeweichte Worte sind das Mindeste, was man von einem Politiker erwarten kann.

In dieser Pflicht sieht sich auch die standhafte Kanzlerin. Aus voller Überzeugung ersetzt sie die knochenharte Grenzschließungen der Balkanländer durch eine deutlich sanftere, wenn auch etwas längere Formulierung: „Irreguläre Ströme von Migranten entlang der Route des westlichen Balkans müssen nun enden.“

Na, also, das klingt doch schon ganz anders. Jedem ordentlichen Deutschen leuchtet ein, dass irreguläre Ströme enden müssen. Wo kämen wir hin, wenn jeder einfach irregulär strömen würde. Reguläre Ströme können schon ein Problem sein. Aber irreguläre Ströme? In unserem regulären Land? Das geht gar nicht.

Aber wie bringt man das den irregulär strömenden Migranten bei? Die strömen einfach so vor sich hin, bis sie an die geschlossenen Grenzen der Balkanroute stoßen. Wenn sie trotzdem weiter strömen, ist das höchst irregulär. Aber was sollen sie tun? Wenn sie aufhören zu strömen, ist das zwar regulär, doch es ist kein Strömen mehr sondern ein Stoppen.

Ein solches reguläres Stoppen ist vom Stehenbleiben vor den geschlossenen Balkangrenzen kaum zu unterscheiden. Das schafft selbst ein Biodeutscher nicht ohne sprachdidaktische Unterstützung. Wie soll ein Migrant, ob er nun irregulär strömt oder regulär stoppt, diese feinen Unterschiede sprachlich verkraften?

Und es wird noch feiner. Denn die irregulär strömenden Migranten können sich demnächst in der Türkei in regulär Strömende umwandeln lassen. Sie können sich also regularisieren lassen. Auch das ist sprachlich und faktisch ziemlich mühsam, aber es geht. Und zwar so: Der irregulär Strömende verzichtet auf die Irregularität indem er stoppt und sich hinten anstellt. Dann arbeitet er sich in der Warteschlange allmählich nach vorne. Je weiter er nach vorne kommt, desto regulärer wird er. Wenn er eines Tages ganz vorne angekommen ist, hat er die volle Regularisierung geschafft und kann nun endlich wieder los strömen, ohne der Irregularität bezichtigt zu werden.

Es sei denn, die Grenzen der Balkanroute bleiben weiterhin geschlossen. Dann bleibt dem regulär Strömenden nichts anderes übrig, als zu versuchen, nun doch wieder irregulär weiter zu strömen. Wir sehen: Hier stößt der Einheimische wie auch der Migrant an die Grenze der Problemlösung durch sprachliche Virtuosität. Aber ganz ohne Grenzen geht es nun mal nicht.

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Hans Michel / 10.03.2016

Hallo Herr Bornhorstdanke für die Kommentierung eines gängigen Schwachsinns. Sind ja nicht nur die Obergrenzen! Als in der ehemaligen DDR geborener darf ich mir erlauben zu bemerken, dass hier Frau Merkel, wenn sie es denn tatsächlich persönlich war, sich auch? hier als gelernte DDR-Dame äußert. Den damaligen Genossen musste bei "unheimlichen" Erscheinungen in der Gesellschaft oder Weltpolitik, die nicht ins ideologische Konzept passten, ebenfalls immer ein ideologiekonformer Begriff einfallen.Da ich schon etwas älter bin, fällt mir im Moment kein gängiges Beispiel ein. Leider!!Allerdings fielen die meisten DDR-Bürger auf solchen Schmus nicht rein. Sie wussten schon was gemeint war. Letztlich führte der Widerspruch zwischen Begrifflichkeit und Wirklichkeit im weiteren Sinne zur friedlichen Revolution.Leider musste ich die Erfahrung machen, dass diese Beobachtungsgabe zwischen den Zeilen zu lesen und sich nicht verdummen zu lassen, vielen Alt-BRD-Bürgern nicht anerzogen ist. Herzlichen Dank und viele GrüßeHans Michel

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