Von Christian Osthold.
Während Berlin auf dem europäischen Parkett nach Lösungen für die Iran-Krise sucht, platzt das von Teheran in Deutschland errichtete Netzwerk aus allen Nähten und könnte schon bald zu einer Gefahr für die innere Sicherheit werden.
Mit eindringlichen Worten hat sich Heiko Maas am Rande des am vergangenen Freitag erfolgten Sondertreffens der EU-Außenminister in Brüssel an die Presse gewandt. Als Europäer könne man nur durch geschlossenes Auftreten Einfluss nehmen, erklärte Maas gegenüber der Presse. So legitim dieser Vorstoß auch sein mag, erweist er sich doch als leere Sprechblase: Seit Jahren scheitert nämlich vor allem Berlin an der Eindämmung des iranischen Einflusses im eigenen Land.
Dass der deutschen Öffentlichkeit die Aktivitäten iranischer Geistlicher kaum bekannt sind, ändert nichts an ihrer ungleich großen Tragweite. Mit einigem Geschick ist es Teheran in den vergangenen Jahren gelungen, ein weitverzweigtes Netzwerk zu errichten, das sich mittlerweile auf mehrere europäische Staaten erstreckt und vom Islamischen Zentrum Hamburg (IZH) gesteuert wird. Was zunächst wie eine Verschwörungstheorie klingt, ist für deutsche Sicherheitsbehörden längst eine Tatsache. In seinem Bericht für 2018 konstatiert das Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz: „Das IZH hat ein bundesweites Kontaktnetz aufgebaut und übt auf Schiiten unterschiedlicher Nationalität sowie die schiitisch-islamischen Moscheen und Vereine Einfluss aus, bis hin zur vollständigen Kontrolle.“
Zwei Jahre zuvor hatten die Staatsschützer festgestellt: „Nach außen stellt sich das IZH als rein religiöse Einrichtung dar, die keine politischen Aktivitäten gestattet. Üblicherweise wird eine öffentliche Verbindung oder Identifizierung mit der iranischen Staatsführung vermieden. Dennoch ist das Staats- und Gesellschaftsverständnis des IZH vom Primat der Religion gegenüber Demokratie und Rechtsstaat geprägt.“
Dass sich aus diesem Befund eine akute Bedrohung für das säkulare Gemeinwesen ableiten lässt, ist kein Zufall, sondern liegt an jener Ideologie, die das IZH bereits vor 26 Jahren propagierte, als es erstmals unter staatliche Beobachtung geriet. Worin diese im Einzelnen besteht, hat die Bundesregierung am 21. August 2017 in der Antwort auf eine Schriftliche Anfrage erklärt. Darin stellt sie fest: „Die inhaltlichen Positionen des IZH ergeben sich aus der Verbindung des IZH zur Islamischen Republik Iran […] Die Islamische Republik Iran erklärt in ihrer Verfassung den weltweiten ‚Export' der iranischen Revolution zum Staatsziel […] Die Inhalte der Verfassung der Islamischen Republik Iran sind nicht mit den Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland vereinbar.“
Eine mustergültige Referenz für gelungene Integration
Um die komplexen Stränge des iranischen Netzwerks sichtbar zu machen, ist es nötig, die Verbindungen des IZH auf drei Ebenen zu betrachten. Dazu zählt neben der Landes- und der Bundesebene vor allem das europäische Parkett. In Hamburg gehört das IZH, das seit 1966 die an der Außenalster gelegene Imam-Ali-Moschee betreibt, zur SCHURA, dem „Rat der islamischen Glaubensgemeinschaften e.V.“. Dabei handelt es sich um einen jener drei Islamverbände, die am 13. November 2012 einen Staatsvertrag mit dem Hamburger Senat schlossen und seither als dessen offizielle Partner gelten.
Der Staatsvertrag ist für das IZH in zweierlei Hinsicht bedeutsam. Erstens konnte es durch ihn plötzlich Rechte gegenüber dem Staat geltend machen, die bis dahin vor allem Religionsgemeinschaften mit dem Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts vorbehalten waren, wozu in Deutschland traditionsgemäß die Großkirchen zählen. Zweitens erhielt das IZH nun eine mustergültige Referenz für gelungene Integration. Hatte es den alarmierenden Befunden der Sicherheitsbehörden zuvor lediglich beflissene Unschuldsbekundungen entgegensetzen können, war es dem IZH nun möglich, ein staatlich geprüftes Gütesiegel vorzuzeigen, dass ihm lautere Absichten attestierte.
Die obigen Implikationen sind zur Erklärung des Erfolgs unabdingbar, den das IZH bei der Durchsetzung seiner politischen Agenda in Hamburg bis heute erzielt hat. Dazu gehört vor allem die beachtliche Leistung, trotz seiner zahlreichen Verstöße gegen die Wertegrundlagen des Staatsvertrags nicht vom Senat sanktioniert worden zu sein. Derlei Verfehlungen bestehen vor allem in der exponierten Stellung des IZH bei der Organisation und Durchführung der antisemitischen Quds-Demonstrationen in Berlin, auf denen jedes Jahr am Ende des muslimischen Fastenmonats Ramadan die Vernichtung des jüdischen Staates gefordert und ostentativ Israel-Flaggen verbrannt werden.
Nicht nur vom Senat, sondern auch von den Kirchen akzeptiert
Diese Akkumulation von politischem Einfluss und sozialer Akzeptanz ist freilich kein Zufall, sondern das Ergebnis der Exekution eines wohl kalkulierten Masterplans, wonach Teheran religiöse Organisationen wie das IZH zur Schaffung eines Netzwerkes in Europa instrumentiert. Hierzu ist festzustellen, dass es die dafür nötige Hürde längst genommen hat. Faktisch wird es heute nämlich nicht nur vom Senat, sondern auch von den Kirchen, als Partner akzeptiert und teilweise sogar öffentlich für eine erfolgreiche Zusammenarbeit bedankt. Die spezifischen Ausprägungen dieser Affirmation zeigten sich zuletzt am 12. Juni 2019, als das IZH zum „Ramadan-Bankett“ einlud, um mit Gästen aus Politik, Medien und Gesellschaft das Brot zu brechen – ganz so, als hätte es den folgenden Passus aus dem Bericht des Hamburger Verfassungsschutzes von 2018 nie gegeben:
„Am 9. Juni 2018 beteiligten sich rund 160 Personen aus Hamburg und der Metropolregion an der von insgesamt gut 1.600 Demonstranten besuchten Veranstaltung, um ihren Protest gegen die Besetzung Jerusalems und ihre Solidarität mit den aus ihrer Sicht unterdrückten Palästinensern auszudrücken. Es liegen eindeutige Belege dafür vor, dass das IZH den Bustransfer (Hin- und Rückreise Hamburg – Berlin) organisiert hat. Zudem gehörten wichtige Aktivisten, auch aus der Führungsebene des IZH, zu den Teilnehmern am Demonstrationszug, darunter der stellvertretende IZH-Leiter sowie der Leiter der IZH-Einrichtung ‚Islamische Akademie Deutschland e.V.‘“
Dass am 12. Juni trotzdem zahlreiche Gäste, darunter auch der religionspolitische Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion, in die Islamische Akademie des IZH kamen, um einem Vortrag über „die Rolle und Verantwortung von Politik und Medien für den Frieden in der Gesellschaft“ beizuwohnen, ist bezeichnend, hat in Hamburg aber ebenso wenig Konsequenzen nach sich gezogen, wie die Tatsache, dass die 2018 erfolgte Teilnahme des IZH an den Quds-Demonstrationen einen Wortbruch darstellte, nachdem dessen Führung den Fraktionen der Bürgerschaft noch ein Jahr zuvor reumütig versprochen hatte, künftig nicht mehr nach Berlin zu fahren.
Während die IZH-Führung mit seinen Partnern in entspannter Atmosphäre also einmütig über den Weltfrieden philosophierte, konnte es in der SCHURA eine bedeutsame Ausdehnung des eigenen Einflusses erzielen. Dazu kam es, als der Islamverband den IZH-Pressesprecher in seinen Vorstand wählte, was in der Presse nicht zufällig als Stärkung konservativer Kräfte wahrgenommen wurde. Insgesamt wird man sagen können, dass es in Hamburg für das IZH bestens läuft; in der Elbmetropole man fühlt sich offenbar so sicher, dass man keine Hemmungen hatte, eine Trauerfeier für den am 3. Januar 2020 durch das US-Militär im Irak liquidierten General Soleimani abzuhalten. Dass sich Jener in den letzten Jahren einen Namen als Kommandeur der berüchtigten Quds-Brigaden gemacht hatte, spielte dabei keine Rolle, bestand doch die beruhigende Gewissheit, dass der Senat auch in Zukunft an einem „Dialog“ festhalten wolle.
Zu Gast in Bellevue
Auf Bundesebene sind vor allem die Mitgliedschaften des IZH im „Zentralrat der Muslime“ (ZdM) und in der „Islamischen Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden in Deutschland“ (IGS) bedeutsam. Im Gegensatz zum ZdM, wo IZH-Funktionäre über gute Kontakte verfügen, wird die IGS faktisch von Hamburg aus gesteuert. Nicht nur wurde der Dachverband schiitischer Vereine 2009 vom IZH gegründet, sondern ist dessen Leiter seit jeher auch Vorsitzender des IGS-Gelehrtenrates, während IZH-Funktionäre zusätzlich auch dem Vorstand der IGS angehören – getreu dem Grundsatz, den vor 100 Jahren schon Lenin beherzigt hatte: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“.
Im August 2017 bestätigte die Bundesregierung, neben dem IZH seien sämtliche iranische Zentren in Deutschland als Mitgliedsvereine in der IGS vertreten und erklärte, deren Beeinflussung durch das IZH werde von den Sicherheitsbehörden beobachtet. Die Tatsache, dass dies potentiell bis zu 150 Moscheegemeinden betrifft, lässt erkennen, welcher Aufwand schon damals mit einer Observierung verbunden war. Allein in Berlin gehörten der IGS 2018 insgesamt 24 Vereine an, die gemeinsam 15 Gebetsräume betrieben.
Im Januar 2018 ließ die Bundesregierung wiederum verlauten, es hätten sich bei mehreren Mitgliedern der IGS konkrete Bezüge zur islamistisch-terroristischen „Hizb Allah“ gezeigt. Zu diesem Zeitpunkt war es lediglich acht Monate her gewesen, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier führende Funktionäre der IGS zu Gesprächen in seinem Amtssitz empfing. Wie das IZH ist auch die von ihm gesteuerte IGS trotz all ihrer Verbindungen zu Personen und Institutionen, die nach einhelliger Meinung deutscher Sicherheitsbehörden als verfassungsfeindlich gelten, bislang nicht der sozialen Ächtung anheim gefallen oder gar einem vereinsrechtlichen Verbotsverfahren unterlegen. Stattdessen gilt die IGS nach wie vor als legitime Partnerin der Politik. So hat sie etwa das Recht, einen Vertreter in den Beirat des Islam-Instituts der Humboldt-Universität zu entsenden.
Unter dem Dach der IGS hat das IZH zudem eine bedeutsame Außenstelle in Süddeutschland errichtet, wo die „Islamische Vereinigung in Bayern e.V.“ (IVB) für die Verbreitung seiner Ideologie zuständig ist, die Schiiten kraft der iranischen Verfassung zum Export der Revolution verpflichtet. Hierzu stellt der bayrische Verfassungsschutz fest: „In Bayern übernimmt die IVB diese Aufgabe. Sie soll im Auftrag der iranischen Führung auf schiitische Muslime einwirken und deren politische und religiöse Einstellung beeinflussen. Da der Iran keine Trennung von Staat und Religion kennt, hat die religiöse Arbeit des Vereins auch eine politische Komponente und richtet sich daher gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland.“
283.150 Euro aus dem EU-Fonds „Innere Sicherheit“
Kaum bekannt ist hingegen, dass die IVB als Trägerverein der iranisch-schiitischen Moschee München fungiert, die im April 2017 vorübergehend geschlossen worden war, ihren Betrieb jedoch bereits kurze Zeit später wieder aufnahm. In seinem Bericht von 2018 erläutert der Verfassungsschutz Bayern dazu: „Die Bedeutung der Moschee zeigt sich u. a. darin, dass der Leiter des IZH Veranstaltungen des IZH der Moschee besucht. Insgesamt ist festzustellen, dass die Moschee der IVB nicht nur bei Iranern regen Zulauf hat, sondern als Anlaufstelle für schiitische Gläubige aller Nationalitäten dient, die so einer schiitisch-islamistischen Indoktrination ausgesetzt sind.“
Trotz derartiger Einschätzungen ist neben dem ZdM, dessen theologische Nähe zur Muslimbruderschaft längst als erwiesen gilt, auch die IGS Mitglied der Deutschen Islam Konferenz (DIK). Dadurch ist das IZH in mindestens zwei Verbänden vertreten, die von der Bundesregierung bei der Konzeption ihrer Politik konsultiert werden. Diesem Status dürfte geschuldet sein, dass die IGS zwischen 2017 und 2019 insgesamt 283.150 Euro aus dem EU-Fonds „Innere Sicherheit“ zur Umsetzung des Projekts „Extrem engagiert! Kompetenzprogramm junger Muslime“ erhalten hat.
Eine Stellungnahme der Bundesregierung vom 5. Oktober 2018 besagt, dass die bewilligte Summe im Jahr 2019 mit 137.617 Euro am höchsten ausfiel. Daraus folgt, dass die EU trotz aller Bedenken deutscher Sicherheitsbehörden die der IGS bewilligten Fördermittel innerhalb von drei Jahren um 595 Prozent angehoben hat. Da die Laufzeit des Projekts am 31. Dezember 2019 endete, ist dieser Geldhahn mittlerweile geschlossen. Darüber hinaus hat die IGS in der Vergangenheit auch Mittel aus dem Bundeshaushalt erhalten. Im Rahmen des Modellprojekts „Demokratie leben!“, das als Präventionsnetzwerk gegen religiös begründeten Extremismus konzipiert war und der Kofinanzierung diente, gestand der Bund der IGS zwischen 2016 und 2019 insgesamt 127.680 Euro zu.
Aber auch auf europäischer Ebene, wo die IGS in der „Islamisch-Europäischen Union der Scharia-Gelehrten und Theologen“ (IEUS) aktiv ist, zieht das IZH die Fäden. Als ich der dänischen Tageszeitung „Jyllands-Posten“ im März 2019 ein Interview gab, kam auch zur Sprache, dass sämtliche mit der Kopenhagener Imam-Ali-Moschee assoziierten Immobilien im Falle einer Schließung in den Besitz des IZH übergehen. Ich halte diese Information für authentisch, da dieselbe Praxis auch in Deutschland Anwendung findet. Gemäß der Satzung des IVB ist bei einer Schließung nämlich auch hier das gesamte Vereinsvermögen an das IZH zu übertragen. Da die Kopenhagener Moschee zudem erst am 1. Oktober 2015 eröffnet wurde, wird deutlich, dass der Iran sein Netzwerk in Europa bis heute ausweitet und dass Hamburg nach wie vor im Zentrum dieses Geflechts steht.
Zur Bedeutung des IZH auf europäischer Ebene stellt die Bundesregierung fest: „Das IZH ist neben der Botschaft die wichtigste Vertretung der Islamischen Republik Iran in Deutschland und eines ihrer wichtigsten Propagandazentren in Europa. Mit Hilfe des IZH versucht das Regime der Islamischen Republik Iran, Schiiten verschiedener Nationalitäten an sich zu binden und die gesellschaftlichen, politischen und religiösen Grundwerte der Islamischen Revolution in Europa zu verbreiten.“
Berlin hofiert iranische Exekutoren als Bundesgenossen
In der Gesamtschau wird man nicht umhinkommen, der deutschen Politik gegenüber Teheran eine strukturelle Inkohärenz zu attestieren. Während sich Berlin in der Außenpolitik als Partner zur Lösung der Iran-Krise empfehlen will, scheitert es innenpolitisch nicht nur daran, Teherans Aktivitäten Einhalt zu gebieten, sondern hofiert deren Exekutoren sogar als Bundesgenossen. Welch verhängnisvolle Verwerfungen dies zufolge hat, tritt nirgends so deutlich zutage wie in Hamburg, wo es antisemitischen Verfassungsfeinden gelungen ist, Politik und Gesellschaft über ihre wahren Absichten hinwegzutäuschen und ihnen das Gaukelbild eines sui generis unpolitischen Islam zu verkaufen.
Dass das IZH trotz der eindeutigen Erkenntnislage, die sich mittlerweile aus einem Vierteljahrhundert intensiver staatlicher Beobachtung ergibt, noch immer als Zentrale des iranischen Netzwerks in Europa fungiert, ist zudem alles andere als ein Ausweis für die operative Handlungsfähigkeit deutscher Politik. Bevor sich die Bundesregierung daran macht, die Iran-Krise zu lösen, täte sie also gut daran, erst einmal im Inneren für klare Verhältnisse zu sorgen. Dies würde erheblich dazu beitragen, endlich zu einer stringenten Außenpolitik gegenüber Teheran zu finden und die vom Grundgesetz aufgerichtete Werteordnung nicht nur dann zu vertreten, wenn es um die Wahrung der Interessen von Menschen geht, die selbst gar nicht aus Europa stammen.
Noch bedeutsamer aber wird sein, dass die politische Klasse endlich umsetzt, was der deutsche Staatsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde 2009 in der FAZ mit folgenden Worten gefordert hatte, als er auf die Gefahr reaktionärer islamischer Kräfte für das säkulare Gemeinwesen einging – eine Selbstverteidigung, die der freiheitliche Verfassungsstaat sich schuldig ist.
Christian Osthold berät als Experte für den Islam und Russland seit Jahren politische Parteien und staatliche Einrichtungen. Er schreibt Gastbeiträge u.a. für Focus-Online.