Gunnar Heinsohn / 17.09.2019 / 07:53 / Foto: Tasnim News Agency / 57 / Seite ausdrucken

Iran gehen die Krieger aus – warum der Westen klug sein sollte

Wenn einmal eine militärische Antwort auf iranische Aggressionen von den Küsten des Indischen Ozeans bis an die Grenzen Israels gegeben werden muss, könnte die Begründung so lauten:

„Nicht antasten werden wir die Raffinerien und Ölfelder oder die Fabriken und Elektrizitätswerke Irans. Doch die Nuklearanlagen und Raketenbasen machen wir unbrauchbar, weil radikale Führer – nicht die Bevölkerungsmehrheit – Länder des Nahen Ostens mit Krieg und sogar mit Auslöschung bedrohen. Auch Häfen, aus denen Angriffe auf Handelsschiffe erfolgen, werden blockiert. Die reguläre Armee, die Artillerie- und Panzereinheiten hingegen werden nicht angerührt. Denn auch in der Zukunft muss der Iran sich verteidigen oder gar an Friedensmissionen teilnehmen können.“

Sie würde sich an eine Bevölkerung wenden, die überdurchschnittlich gebildet ist und als Demokratie ökonomisch viel erreichen könnte. Bei den International Mathematic Olympiads belegt Iran im Durchschnitt des Jahrzehnts 2010–2019 den elften Platz, während sich etwa Deutschland – mit 83 Millionen Einwohnern gleich stark – mit dem zwanzigsten begnügen muss.

Die Rationalität der Iran-Politik von Präsident Obama und seinem Außenminister John Kerry bestand darin, auf die zivilen und zivilisatorischen Potenzen Irans zu bauen. Unterschätzt hingegen haben sie die Bereitschaft schiitischer Mullahs, für das langersehnte Erscheinen des zwölften, bisher aber verborgenen Imam die erforderlichen katastrophischen Umstände zu schaffen. Dieser Mahdi – dieser Erlöser also – werde eine neue Welt heraufführen. Wie sehr man dabei christlichen Apokalyptikern ähnelt, belegt der Glaube, dass der Mahdi im Tandem mit Isa ibn Maryam (Jesus, dem Sohn Marias) erscheinen werde.

„Leicht trennt nur die Jugend sich vom Leben“

Die Empfänglichkeit für solches Glaubensgut war in der Islamischen Revolution von 1978/79 so ausgeprägt, weil damals die in den 1950er Jahren geborenen Jünglinge den Lebenskampf aufnehmen mussten. Ihre Mütter hatten durchschnittlich sieben Kinder. Der Kriegsindex stand zwischen 4 und 5. Um 1000 freigemachte Positionen konkurrierten 4.000 bis 5.000 zornige junge Männer. Schon die Pubertierenden waren – etwa im Irakkrieg von 1980 bis 1988 – bereit, als lebende Minenräumer vor den feindlichen Stellungen umzukommen. 

Heute stehen die um das Jahr 2000 Geborenen in dem Alter, das am ehesten für einen idealistischen Heldentod taugt. Mit seinem „leicht trennt nur die Jugend sich vom Leben“, weiß das bereits der preußische Infanterielehrer Colmar von der Goltz („Das Volk in Waffen“, 1883). Damals hatten Berlins Mütter Kinderzahlen wie ein Jahrhundert später die Frauen in Teheran.

Die iranischen Mütter von 2000 aber ziehen nicht mehr sieben, sondern nur noch zwei Kinder, also einen einzigen Sohn auf. Für tötungs- und sterbensbereiten Fanatismus fehlt der Nachwuchs. Die Sorge – auch von westlichen Kommandeuren – vor Massen, die nur darauf warten, den ganzen Nahen Osten in Brand zu stecken, lebt von den Bildern der Revolution vor vierzig Jahren. Die ihnen zugrundeliegende Demografie ist überwunden. Einen Nachwuchs, der auf ewig Rache üben könnte, gibt es nicht mehr. Die Jugend will an ihrer Zukunft arbeiten und nicht für vergreisende Weltuntergangs-Priester sterben.

 

Gunnar Heinsohn (*1943) hat von 2011 bis 2019 Kriegsdemographie am NATO Defense College (NDC) in Rom gelehrt. In Stavanger hat er 2018 die Grundsatzrede zum 15. Geburtstag des Joint Warfare Center (JWC) der NATO gehalten.

Foto: Tasnim News Agency CC-BY 4.0 via Wikimedia Commons

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m von aberncron / 17.09.2019

Gibt es nur kurdische Frauen an der Waffe? :-D Gehen mit asymmetrischer Kriegsfuehrung, Krieg 4.0, AI, Lethal Autonomous Weapons und sowas nicht personalressourcenschonende Optimierungsgewinne einher? U. dann erst mit einer A-bomb? Weshalb gelten iranische Militaereinheiten als effizient, waehrend man gar nicht laut sagen darf, dass das militaerische “Personal” im Koenigreich der Al Sauds bereits seit Decennien in einem post-vonderLeyenschen Zustand deliriert? :-D Weshalb werden maennliche Mitglieder der “Revolutionsgarden” im syrischen Stellvertreterkrieg “verschlissen”? - In welchem Krieg wurden schon die Muetter befragt, ob sie ihre Kinder sterben sehen moechten ... bejaht wird sowas sicherlich nur mit einer irren Hoffnung auf “martydom” als jenseitigem maximum gain ....

HaJo Wolf / 17.09.2019

Alle, ausnahmslos alle islamischen Staaten sollten sich selbst überlassen werden, wirtschaftlich und politisch isoliert. Keine “Entwicklungshilfe”, keine Studenten an europäischen oder US-Eliteunis, keine Ingenieure oder sonstige Fachkräfte - NICHTS. Keinen Islam in freiheitlich-demokratischen Ländern dulden, denn der Islam bedeutet Hass, Verfolgung, Mord. Sollen die Moslems mit Allah glücklich werden und den Rest der Welt in Frieden lassen. Wir können ohne Islam und auch ohne islamisches Öl.

Michael Fabian / 17.09.2019

Juliane Mertz, die überheblich-infantile Unterschätzung des 45. US-Präsidenten, der unsere Medien seit dem Tag seiner Wahl frönen, findet offenkundig immer noch genügend kindlich-naives Publikum um nicht vor der normativen Kraft des Faktischen die Segel streichen zu müssen. Selbst absoluten Laien in puncto Sicherheitspolitik, Militärtechnik- und taktik sollte klar sein, daß kein einziger US-Soldat seinen Fuß auf iranischen Boden setzen muß (und wird), wenn die Mullahs den dünnen Ast, auf dem sie (noch) sitzen, endlich durchgesägt haben. Und, bevor dieses Argument jetzt kommt, nein, die unzerstörbaren Bunker gibt es nicht und unbesiegbare Wunderwaffen hat bekanntlich nur Putin, der sie aber leider, leider nicht an andere rausrückt.  Infrastruktur und (oder) Atomprogramm sind im Ernstfall Futter fürs ganz normale Standardarsenal von USAF und (oder) IDF, was, ganz nebenbei bemerkt unter der Großen Emailkontenbetreiberin schon längst abgehakt wäre. Aber machen Sie sich bitte keine übergroßenSorgen, momentan stehen die Chancen noch ganz passabel, daß „Trumpi“ (Ho-ho-ho, Witzischkeit kennt keine Grenzen) die Krise so gemanagt kriegt, daß Sie den Tank Ihres Kleinwagens noch gefüllt kriegen, ohne auf den Dispo zurückgreifen zu müssen.

Karl Eduard / 17.09.2019

Wer hat noch einmal die islamische Revolution im Iran ermöglicht? Der Westen. Das waren davor in der Regel westlich orientierte Menschen. Die durch die Schuld des Westens unter die Diktatur kamen. Wer droht dem Iran ständig das Schicksal des Irak an? Wen treffen die Sanktionen zuerst? Herr Heinsohn tut so, als würden die Mullahs ihre Truppen in alle Welt schicken, um ihre Lebensvorstellungen zu verbreiten. Haben die den “arabischen Frühling” initiiert? Haben die Libyen zerstört? Haben die versucht, mittels ausländischer Kämpfer die syrische Regierung zu stürzen? Haben die 9/11 verursacht? Bauen die in Deutschland eine Moschee nach der anderen? Haben die die Völkerwanderung verursacht, bei der die Wandernden mit Kreditkarten der EU ausgestattet werden? Aber schön, daß es einen Popanz gibt, auf den man einschlagen kann.

Friedrich Neureich / 17.09.2019

Wie bei einer Kneipenschlägerei ist in einem Krieg das seelische Durchhaltevermögen entscheidend. Die Vietnamesen hatten die mindestens zehnfachen Verluste und gewannen am Ende doch gegen die Amerikaner. Die Chinesen wissen das und haben eine ganze Schiffsklasse ausschließlich als billige Startrampen für überschwere Schiffsabwehrraketen entwickelt… wenn im Kriegsfall fünfzig der chinesischen Katamarane zerstört würden, aber dafür auch nur ein amerikanischer Flugzeugträger versenkt würde, müssten die USA den Kampf aufgeben, da wie seinerzeit Vietnam der Krieg nicht mehr “den Wählern vermittelbar” wäre. Ein President Trump, der über eine so vollkommen zerrissene Nation präsidiert, wie es die USA heute sind, hat keinerlei Raum zum Zuschlagen mehr - sobald der erste schwarze, schwule, weibliche oder islamische Soldat gefallen wäre, würden die Demokraten, die vier Furien von “The Squad” an der Spitze, daraus einen Anlass für ein Impeachment konstruieren. (Und wenn er, um das zu vermeiden, nur weiße Hetero-Männer in den Tod schickte, würde man ihn wegen Benachteiligung der Minderheiten schon vor dem ersten Schuss impeachen.) Und ganz ohne eigene Verluste wurde noch nicht einmal die Schlacht von Agincourt gewonnen…

Gereon Stupp / 17.09.2019

Dieser Index ist ein Kriterium unter vielen, um die Bellizität eines Staates einzuschätzen. Für die Konflikte im Nahen und Mittleren Osten spielt er eine untergeordnete Rolle. Zur Destabilisierung und Politik der Nadelstiche braucht es keine Massenheere. Zumal die angesichts der Feuerkraft amerikanischer Fernwaffen nur Kanonenfutter wären. Solange Geld und Technologie von außen praktisch unbegrenzt zufließen, werden die dortigen Konflikte fortbestehen. Daran etwas zu ändern ist aussichtslos wenn es nicht aus den Gesellschaften selbst heraus geschieht.

Stefan Franke / 17.09.2019

Genau das waren die Geschichten, die man uns auch vor dem ersten Irakkrieg aufgetischt hat. Man würde id euS Soldaten mit Salz & Brot empfangen, hieß es. Das Ergebnis war ein Alptraum aus Bürgerkrieg, Gewalt und Terror. Haben wir denn wirklich immer noch nichts gelernt? Wie viele Demokratiexportkriege wollen wir noch führen? Wie viel Blut muss noch fließen?  Ich hätte gerade Gunnar Heinsohn mehr Realismus zugetraut

Wolfgang Nirada / 17.09.2019

Wenn ich mir diese bärtigen, mit der Kalaschnikov herumfuchtelnden und im grönemeyerstil die große Fresse aufreissenden, israelhassenden Hinterwäldler immer wieder im TV ansehen muss, dann bin ich mir ganz sicher dass denen eine Begegnung mit ein paar US Marines sämtliche Flausen gründlich austreiben würde. Bis die es jedoch so weit treiben dass es soweit kommt, habe ich immer noch die große Hoffnung dass denen ihre Bastelei an der Atombombe um die Turbane fliegt. Und die Welt wäre wieder sehr viel besser und friedlicher.

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