Interview / 06.12.2018 / 12:00 / Foto: Mathias Schindler / 56 / Seite ausdrucken

Interview mit Mina Ahadi: Islamisierung? Nein danke! AfD? Nein danke!

Ein Interview mit Mina Ahadi, österreichisch-iranische Menschenrechtlerin und Gründerin des „Zentralrates der Ex-Muslime“. Achgut-Autor Felix Perrefort sprach mit ihr über den zunehmenden Einfluss des Islams in Westeuropa, muslimische Judenfeindlichkeit sowie die Verharmlosung des Kopftuches durch europäische Feministinnen. Und sie erklärt, warum sie gleichzeitig die AfD und den Begriff der "Islamisierung" ablehnt.

Felix Perrefort: Obwohl sich Deutschland als tolerantes und weltoffenes Land versteht, werden Menschen hier verfolgt, was insbesondere für Sie gilt, Frau Ahadi. Sie müssen um Ihr Leben fürchten, weil Sie in ihrer vormaligen Heimat, dem Iran, als Staatsfeind gelten und davon auszugehen ist, dass das Mullah-Regime Sie umbringen möchte. Was erwarten Sie von der Linken und der Bundesregierung?

Mina Ahadi: Mehr Aufmerksamkeit! Ich werde von der islamischen Regierung im Iran und auch einigen islamischen Organisationen und Verbänden bedroht. Anonyme Drohmails erhalte ich auch. Ali Khamenei hat wahrscheinlich eine Terrorwelle gegen Oppositionelle im Ausland erlaubt, wobei ich und meine Arbeit an erster Stelle genannt wurden. In erster Linie verlange ich von der deutschen Regierung, das ernst zu nehmen. Es wurde immer wieder bekannt, dass es hier Agenten des Regimes gibt. Ich verlange deren Abschiebung! Warum dürfen sie hier bleiben und stehen nur unter Beobachtung?

Außerdem verlange ich eine öffentliche Erklärung über meinen Zustand. Als wir 2010 eine weltweite Kampagne gegen Steinigung gemacht hatten und zwei deutsche Journalisten im Iran im Gefängnis saßen, war Guido Westerwelle dort. Angeblich wurde ihm gesagt, dass meine Arbeit hier eingeschränkt werden müsse. Zwar weiß ich nicht, was er geantwortet hat. Natürlich hat die deutsche Regierung nicht zugestimmt, dass ich ausgeliefert werde, weil ich in der Sicht der islamischen Regierung als Terroristin gelte. Doch werde ich immer noch ernsthaft bedroht, als politische Aktivistin, Menschenrechtlerin, die für Frauenrechte und Religionskritik einsteht und in Sicherheit leben sollte. Von Linken und Menschenrechtsorganisationen erwarte ich deshalb ein Statement der Solidarität.

Die EU soll ihre Appeasement-Politik beenden

Was halten Sie als Linke von den Sanktionen der USA, die im Kontrast zum Appeasement der EU und Deutschland stehen?  

Zunächst muss gesagt werden, dass die europäischen und auch andere Regierungen dem islamischen Regime viel geholfen haben. Wenn ich mit deutschen Politikern gesprochen habe, zeigten sie stets Desinteresse, selbst wenn es zu massiven Protesten auf der Straße zum Beispiel gegen Hinrichtungen kam. Die deutsche Politik aber kann mit dem iranischen Regime leben, solange es sich „reformbereit“ darstellt. Die europäischen Regierungen versuchen dann Hassan Rohani, den iranischen Präsidenten, als Reformer darzustellen, wobei wir iranischen Oppositionellen immer der Meinung waren, dass man nicht von Reformen reden kann. Wenn das Gesetz weiterhin die Scharia ist, Frauen gesteinigt werden, ist das keine Reform!

Zu Trump gibt es bei uns eine hitzige Diskussion. Es ist wahr, dass wir immer die Kooperation mit dem islamischen Regime kritisiert haben, und Trump schlägt da nun schon eine andere Richtung ein. Ein Punkt, den die Amerikaner nun sehr klar machen: Sie reden nicht nur über das Regime, sondern über den Nahen Osten, wo das Islamische Regime sehr aktiv ist und Millionen von Menschen geschadet hat. Durch Sanktionen die Revolutionswächter und terroristischen Aktivitäten einzuschränken, ist einerseits gut, andererseits sind sie schlecht, wenn sie das Leben gewöhnlicher Menschen gefährden, und da kann man durchaus Angst bekommen, wie auch meine Familie.

Doch klar ist, dass das Hauptproblem das Regime ist, unter dem es auch vorher schon Arbeitslosigkeit gab. Wichtig ist auch, dass das Geld unter Barack Obama oder anderen amerikanischen Regierungen nie bei den Menschen angelangt ist, sondern in Syrien, im Jemen, bei Terrororganisationen. Es ist also ein Dilemma. Ich gehöre zu der Strömung in der iranischen Opposition, die Trump innenpolitisch für seine Politik gegen Ausländer, Flüchtlinge oder Frauenrechte kritisiert, verlange aber auch von allen europäischen und westlichen Regierungen, dass sie ihre Appeasement-Politik beenden.

Verstehe ich Sie also dahingehend richtig, dass Sie gegen den Atom-Deal sind?

Ja, auf jeden Fall bin ich das. Bei linken Iranern ist das ein Tabu, das wir brechen. Wir haben immer eine andere Politik gefordert, egal ob sie von Trump oder wem anders kommt. Das Islamische Regime versucht so oder so, an Atomwaffen zu kommen, was durch die europäischen Kontrollen natürlich erschwert wurde. Die europäischen Regierungen haben allerdings auch das Regime stabilisiert, und für das EU-Parlament ist es kein Problem, wenn dieses Regime pro Jahr 800 Menschen hinrichtet oder Frauen als Sklaven behandelt.

"Der Islam hat uns allen enorm geschadet"

Was halten Sie Vorwürfen der Pauschalisierung hinsichtlich Ihrer Islamkritik entgegen, wo doch der Islam angeblich sehr vielfältig sei?

Mir war immer wichtig zu betonen, dass der Islam eine Religion wie die anderen auch ist und ich sie alle kritisiere. Es kann nicht wahr sein, dass Bücher ewige Gültigkeit beanspruchen und man heute noch nach ihnen lebt. Es gibt sehr viele Stellen im Koran gegen Frauen, besonders gegen Kuffar, doch wahr ist auch, dass sehr viele Muslime ein normaler Teil unserer Gesellschaft sind und nicht praktizieren, was der Koran vorschreibt.

Trotzdem kenne ich keinen friedlichen, humanistischen und frauenrechtlichen Islam. Den Koran habe ich übrigens nicht nur gelesen, sondern kenne die Erfahrung mehrerer Frauen, die unter enormen Problemen leiden. Die gibt es dort, wo der Islam an der Macht ist, wie im Iran oder im Sudan, aber auch dort, wo er bloß kulturell herrscht und Rechte verweigert.

Ich könnte hundert Stunden über das Leid reden und sage immer, dass ich keine normale Menschenrechtlerin bin, denn in meinen Ohren können sie die Stimmen von Frauen hören, die gesteinigt worden sind, auch Minderjährige. Es gibt Frauen, die erst vergewaltigt und dann hingerichtet worden sind, die kein Recht haben, sich zuhause zu verteidigen, dazu die Kinderehen und die Polygamie von Männern – kurzum: der Islam hat uns allen enorm geschadet, als Frauen, Homosexuelle, als Juden und auch als Ausländer. Ich kenne keinen friedlichen Islam.

Reformverweigerer mit politischer Agenda

Deshalb wundert es mich, wenn Sie dennoch sagen, der Islam sei wie andere Religionen auch. Denn aus Ihren Schilderungen geht ja hervor, wie unermesslich das islamische Leid ist. Dass man Frauen systematisch vergewaltigt und anschließend hinrichtet, gibt es aktuell weder im Christentum noch im Judentum, die beide auch nicht derart viele Terrororganisationen produzieren. Und wenn man sich die Bibel anschaut, findet man dort nicht – wie Sie es dem Koran attestieren – zu 90 Prozent Hass gegen Andersdenkende. Daher würde ich sagen, dass der Islam qualitativ anders ist.

Ich denke, dass alle Religionen früher auch enorme Probleme verursacht haben, auf die die Menschen jedoch mit Reformprozessen reagiert haben, die der Islam nie akzeptiert hat. Die Unterschiede kann man durchaus sehen: Der Islam war von Anfang an eine gewalttätige politische Religion, zu der auch Vergewaltigungen gehörten. Wichtig ist aber, dass wir im 21. Jahrhundert über eine Bewegung namens politischer Islam reden, die nun unterwegs ist.

Erst nach der Revolution im Iran, als Islamisten Macht bekommen haben, gab es dort Steinigungen. Der politische Islam setzt seine Agenda mit aller Macht durch – und auch das unterscheidet ihn. Vor der Revolution haben die amerikanische Regierung und die westlichen Regierungen geglaubt, man könne mit Islamisten kooperieren und sie unter Kontrolle halten, und am Ende sind sie auch gegen sie selbst vorgegangen. Der Islam ist wie andere Religionen, aber noch brutaler, noch politischer, was jedoch natürlich nicht bedeutet, dass alle Moslems Terroristen seien.

Sie beschreiben den Islam einerseits als Religion, andererseits immer wieder als globale Bewegung, als faschistische, politische Ideologie, die man mit der NS-Bewegung vergleichen könnte. 

Richtig, die Vorgänger dieser politischen Bewegung waren Hitler und Mussolini.

Ja, als regressive Antworten auf die Moderne sind der Islam- und NS-Faschismus vergleichbar. Nun schlagen sie jedoch vor, mittels der Säkularisierung, die zu vollenden sei, gegen ihn vorzugehen, ihn also in erster Linie als Religion zu bekämpfen.

Nein. Ich denke, er ist ein politisches Problem, das eine politische Antwort erfordert. Für uns Menschen im Iran ist der einzige Ausweg und die richtige Antwort, das Regime zu stürzen. Man muss jetzt mit aller Kraft gegen den politischen Islam kämpfen. Auch Aufklärungsarbeit ist dabei wichtig und vor allem auch, in Deutschland gegen den Einfluss von Islamisten vorzugehen. Politisch bedeutet das, die deutsche Regierung unter Druck zu setzen, damit die Zusammenarbeit mit Islamisten in Deutschland sowie mit den Islamischen Regimen im Iran, der Türkei oder in Saudi Arabien beendet wird.

Nicht warten, bis sie mit Messern angreifen

Daneben gibt es das postmodernistische Problem, die Universalität der Menschenrechte in Frage zu stellen, Mord, Hinrichtung oder Kopftuchzwang als Kultur zu definieren und immer eine angebliche Freiwilligkeit in der Kopftuch-, und sogar Kinderkopftuchdebatte zu betonen. Angeblich seien die iranischen oder sudanesischen Frauen anders, sie möchten sich eben verschleiern, während doch diejenigen Frauen Solidarität verdient hätten, die wie die Iranerinnen letztes Jahr auf die Straße gingen und kämpften. Doch europäische Feministinnen verharmlosen lieber das Kopftuch. So viele Linke und Feministinnen haben bis jetzt nicht verstanden, über welche Probleme wir überhaupt reden.

Weitgehend herrscht in Deutschland Einigkeit darüber, dass verfolgten und in Not geratenen Menschen geholfen werden muss. Uneinigkeit besteht darüber, wie viele der Migranten tatsächlich Flüchtlinge sind. Viele von ihnen wollen verständlicherweise ein besseres Leben, sind jedoch nicht bereit, unsere Werte zu adaptieren und bestehen auf ihr angebliches Recht auf Ausübung ihrer repressiven Kultur. Wie wäre mit solchen anti-westlich und frauenfeindlich eingestellten Migranten umzugehen?

Ich finde es sehr gut, wie weit verbreitet humanistische Werte in Deutschland sind. Das Asylrecht ist ein Menschenrecht und muss weiter gelebt werden. Die letzten 27 Jahre meines Lebens verbrachte ich im Ausland und nur in dieser Zeit habe ich gelebt. Der Rest war ein Überlebenskampf. Daher bedanke ich mich bei den Menschen, die die Möglichkeit für Asyl geschaffen haben. Das Asylrecht muss es also weiterhin geben, auch wenn die AfD und viele Rechte nun etwas anderes sagen.

Auf der anderen Seite besteht das Problem darin, dass sehr viele der Flüchtlinge sehr konservative sind und ein Teil der Terroristen es so nach Deutschland geschafft hat. Ich verlange, dass IS-Anhänger präventiv eingesperrt werden und man nicht wartet, bis Leute auf der Straße mit Messern attackiert werden. 

Klare Kante gegen Reaktionäre

Sollten sie auch abgeschoben werden?

Ja, man sollte auch abschieben. Hinzu kommt, dass viele Ex-Musliminnen große Probleme in den Flüchtlingsheimen bekommen, insofern sie kein Kopftuch tragen. Weil der politische Islam dort ein aggressives Klima erzeugt, in dem viele sogar in Deutschland Todesdrohungen ausgesetzt sind, fordere ich eine klare Kante gegen Reaktionäre: „Hier ist Deutschland, so was darfst du hier nicht!“

Die Polizei und die Behörden sollten auch nicht warten, bis etwas passiert, nein! Von der Öffentlichkeit und den Medien verlange ich eine viel klarere Haltung. Nicht zuletzt auch deshalb, weil es eine Stimmung salonfähig macht, die sich gegen alle Ausländer richtet, wenn solche Dinge durchgehend zugelassen werden – was ich nicht gut finde.

Sehr gute Menschen, mit denen ich im Rahmen meiner Arbeit zu tun habe, sind für Frauenrechte, für Menschenrechte und könnten uns dabei helfen, die reaktionären Tendenzen zu bekämpfen – doch werden sie hier nicht anerkannt. Es funktioniert nicht, weil sich die islamischen Verbände, auch die Kirchen, einmischen. In der jetzigen problematischen Lage hilft es aber einzig, klare Kante zu zeigen.

Sie sagen, dass der Islam nicht reformierbar, sondern eine faschistische Ideologie ist, weshalb sich mir die Frage stellt, warum überhaupt auf die islamischen Bedürfnisse vieler Zuwanderer einzugehen wäre. Sollte der Staat überhaupt Geld für den Bau von Moscheen, für die Ausbildung von Imamen bereitstellen?

Ich halte das für falsch. Vor 70 Jahren gab es die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die klarstellte, dass die Menschen unabhängig von Hautfarbe oder Religion gleich sind und unter guten Bedingungen leben sollen. Doch mittlerweile wird anders definiert. Religion sei sehr wichtig, sagt der politische Islam, und die Politik macht auch noch mit.

In Deutschland islamisierte Migranten?

Während wir früher als Ausländer galten, sind wir nun Moslems – und diese Politik ist grundfalsch. All diese Moscheebauten und Imame, es kotzt mich wirklich an. Ich kenne sogar Menschen, die erst in Deutschland islamisch geworden sind! Wenn emanzipierte Frauen ein Kopftuch tragen, ist das ein politisches Statement, mit dem sie sagen, dass sie, als Moslems, anders und besser seien als Juden oder Deutsche. Ein Vater einer aus dem Iran geflüchteten Familie, in der beide Eltern Kommunisten waren, erzählte mir, dass ihr Kind über Kontakt zu islamischen Verbänden und die Moschee Islamist geworden ist. Als Siebzehnjähriger ist er durch die eine Tür rein, und als Neunzehnjähriger aus einer anderen als IS-Anhänger wieder herausgekommen!

Zu glauben, dass die Moslems ihre eigene Identität brauchen, war falsch und hat uns sehr geschadet. Auch die Islamkonferenz war ein Fehler, denn mit dem Islam kann man keine Menschen, sondern nur Radikalisierung und die islamische Bewegung integrieren. Ich habe viel mit Politikern und Islamwissenschaftlern geredet, die ihr Geld kriegen, den Unterricht mit dem Imam organisieren, aber kein Herz haben für unterdrückte Frauen, Homosexuelle oder Ex-Muslime. So eine Politik ist gefährlich und ich möchte, dass Deutschland damit aufhört.

Fakt ist leider, dass sich durch die derzeitige Einwanderungspolitik das Land weiter islamisiert. Für Mädchen und Frauen, die westlich leben wollen, erhöht sich der Druck in ihren Communities zunehmend. Die Sicherheit der Frau im öffentlichen Raum hat abgenommen, was empirisch durch die polizeiliche Kriminalstatistik belegt ist. Man denke auch an die Gruppenvergewaltigungen, die es in der Häufigkeit und im öffentlichen Raum früher nicht gegeben hat. Hinzu kommen noch die Zustände in deutschen Klassenzimmern, wo sehr viele jüdische Schüler meist von muslimischen Schülern verfolgt werden oder Lehrer Schwierigkeiten haben, sich noch durchzusetzen. Folgt aus Ihrer Islamkritik auch eine Kritik der deutschen Einwanderungspolitik in dem Sinne, dass im Vorfeld nicht genug reguliert, also auch abgewiesen wird?

Bei Veranstaltungen vom „Zentralrat der Ex-Muslime“ sind auch schon sehr merkwürdige Leute aufgetaucht, die von „Islamisierung“ reden: Es ist ein Wort, bei dem man aufpassen muss, weil es von Rechtsextremisten benutzt wird. Nun haben diese merkwürdigen Leute mit der AfD eine Plattform, eine Sammelbewegung, und ich fragte mich schon damals, warum wir islamkritischen Humanisten, die pauschale Hetze gegen Ausländer ablehnen, nicht ebenfalls eine Bewegung haben sollten.

Auch Rassisten sind ein Problem

Besonders in Deutschland muss man weiterhin auch über die Rechtsextremisten reden. Wir haben nicht nur Probleme mit Islamisten, sondern auch mit Rassisten, die uns als Ausländer identifizieren. Auf der anderen Seite stimmt es, dass Vergewaltigungen zugenommen haben, viele Frauen berechtigterweise Angst haben, und doch spricht die deutsche Politik dieses Thema nicht an, weil das angeblich Hass gegen alle Migranten schüren würde. Richtig wäre es, lautstark gegen solche Täter vorzugehen. Man muss aber auch sehen, dass von Rechten diese Probleme größer gemacht werden, als sie sind, auch durch Fake-News. 

Sie plädieren also dafür, die Probleme nicht grenzpolitisch zu lösen: Wer ins Land will, sollte dies tun können, und wenn auch Täter dabei sind, wären sie zivilgesellschaftlich und politisch in die Schranken zu weisen.

Bezüglich der Grenzübertritte: Das Asylrecht sollte es weiter geben. 96 Millionen Menschen sind auf der Flucht, von denen ein großer Teil außereuropäischen Schutz sucht und nur ein kleiner nach Europa kommt. Natürlich ist es nicht mein Plan, 96 Millionen Menschen aufzunehmen, aber die Rede davon, die Grenzen dicht zu machen, ruhig so weiterzuleben, komme was wolle, lehne ich ab. Dazu gehört auch, dass die europäische Politik diktatorischen Regierungen hilft, vor denen Menschen dann fliehen.

Und es sterben auch so viele aufgrund der schlechten Reisebedingungen. Ich fand Merkels Entscheidung, diese Menschen hineinzulassen, sehr gut, auch wenn sie viele Probleme haben und auch verursachen. Ein unsolidarisches Europa allerdings, in dem wegen letztlich wenigen Vergewaltigungen gegen diese Menschen gehetzt wird, lehne ich strikt ab.

Der Begriff der „Islamisierung“ ist von rechts vereinnahmt und mit einem Tabu belegt, wobei er, nüchtern betrachtet, ja nur den zunehmenden Einfluss des Islams im öffentlichen und politischen Raum bezeichnet.

Richtig, das finde ich auch.

Das Versagen der Linken

Würden sie sagen, dass man diesen Begriff enttabuisieren und den Rechten entziehen sollte? Könnte man ihn als einen Begriff besetzen, der – ohne rechte Ideologie und Panikmache zu bedienen – einen realen Prozess beschreibt, um somit gegen ihn auch intervenieren zu können?

Ich vermeide das Wort, weil man nicht immer die Zeit hat, alles ausführlich zu erklären. Wenn ich diesen Begriff benutze und die AfD auch, ist das keine gute Sache. Es gibt nicht nur den Einfluss der islamischen Verbände, auch sieht man heutzutage viel mehr verschleierte Frauen, sogar Kinder; der Druck in den Schulen steigt, Geschäfte, die ihre Speisen als „halal“ ausweisen, mehren sich, islamische Regierungen wie die türkische oder die iranische haben durchaus Einfluss.

Das alles gilt für alle westeuropäischen Länder, weshalb wir ein Konzept brauchen. Doch die Regierungen weigern sich lieber und verharmlosen. Nur so kommt das Dilemma zustande, dass die AfD von einer ganz kleinen Partei zu einer großen Bewegung wachsen konnte. Wir könnten als linksorientierte Humanisten eine Gegenbewegung haben. Stattdessen sehe ich die traditionellen Linken mit dem „Zentralrat der Muslime“ und nicht mit Ex-Muslimen. In Köln war ich sogar mal bei einer Demo gegen die AfD, wo ich ausgeschlossen wurde.

Von Linken wurden Sie ausgeschlossen?

Genau, von Linken, das ist das Problem. Nun hatten wir vor Kurzem die säkulare Woche der Menschenrechte: Das sind Weltbürger gegen Islamisten und Nationalisten zugleich. In Marburg habe ich diesbezüglich eine Rede gehalten und habe gegen den Islamismus gesprochen, was vorher ein Tabuthema war.

Ich wünsche mir also eine Bewegung gegen die islamischen Verbände, die von Verboten flankiert wird. Obwohl sie so wichtig sind, muss ich immer mit Humanisten und Feministinnen, die sie ablehnen, darüber streiten. Und ich sage ihnen, dass auch sonst Dinge verboten werden, zum Beispiel Kinder zu schlagen und Alkohol am Steuer zu trinken. Gegen die aggressive Bewegung des politischen Islam helfen uns einige Verbote, wie das Kopftuchverbot oder das Burkaverbot, und auch der Religionsunterricht sollte abgeschafft werden.

Propaganda mit dem Feindbild Israel

In einem Interview bezeichnen Sie die Politik der israelischen Regierung als unmenschlich, ohne allerdings Beispiele anzuführen. Ich halte die israelische Politik für die notwendige Defensivmaßnahme gegen den Aggressor in diesem Konflikt, und der besteht in den islamistischen Akteuren und der antisemitisch verhetzten palästinensischen Zivilgesellschaft. Weil es kein Zufall sein kann, dass der gewalttätige Hass gegen den jüdischen Staat dort am größten ist, wo der Islam herrscht, stellt sich mir diese Frage: Schließt eine grundsätzliche Islamkritik, wie Sie sie formulieren, nicht Israelsolidarität in dem Sinne ein, dass diesem Staat in der islamischen Ideologie eigentlich keine Existenzberechtigung zukommt, dass er als zionistischer Feind wahrgenommen wird und dass Israel als künstlich-moderner Fremdkörper aus einer zukünftig islamischen Welt zu tilgen sei?

Ein sehr wichtiges Thema, das auch bei uns intensiv diskutiert wird. Einerseits: Es gab den Israel-Palästina-Konflikt auch schon vor der islamischen Bewegung, auch beobachte ich, dass es eine israelische Rechte gibt, die versucht, alle Auswege aus dem Konflikt wie zum Beispiel die Zweistaatenlösung inakzeptabel zu machen. Dazu hat es schon Bombardements gegen Flüchtlingslager gegeben, also gegen gewöhnliche Menschen. Solche Dinge kritisiere ich auf israelischer Seite.

Andererseits kann ich die seit etwa vierzig Jahren andauernde Vernichtungsdrohung, die von der iranischen Regierung ausgeht, als sehr realen Grund zur Furcht natürlich nachvollziehen. Man kann deshalb den Konflikt nicht mehr so wie vor 50 Jahren betrachten; mit der Machtübernahme der Islamisten ist die islamistische Bewegung Teil des Konflikts geworden und versucht, ihn immer weiter anzuheizen, mit der Propaganda, die Palästinenser würden unterdrückt, Israel mache dies, Israel mache das, der zionistische Feind und so weiter. Die islamische Bewegung konnte damit sehr viel Sympathie in der arabischen Welt für sich wecken, gerade auch unter jungen Leuten. Aber auch das hat sich geändert: Die Kritik der islamischen Bewegung ist enorm, weshalb ich meine, dass Khomeini und andere Islamisten und Nationalisten in der arabischen Welt wenige Chancen haben.

Würde Sie also behaupten, dass der Hass und die Gewalt gegen Israel genuin islamisch sind, weil im Islam der jüdische Staat als Fremdkörper erscheint?  

Ja, Islamisten verwenden diesen Begriff in ihrer Propaganda. Wenn Rohani Reden hält, wie unterdrückt die Muslime dort seien und den Zusammenhalt aller Muslime beschwört, hetzt er auch immer gegen Israel und bezeichnet es als „Fremdkörper“.

Gemeinsamkeit zwischen Islamisten und Rechten

Allerdings gibt es auch viel Kritik daran, mittlerweile finden auch viele Intellektuelle diesen Hass auf Israel nicht okay. Das anzusprechen, war vorher in islamischen Ländern ein Tabu. Wenn ich in persischen Medien die Zweistaatenlösung verteidige und die islamische Bewegung kritisiere, werde ich von Linken kritisiert. Ich habe fast den Eindruck, die Tendenz gegen Israel ist unter Moslems genetisch (lacht). Aber es gibt auch antisemitische Extremisten auf deutscher und europäischer Seite, was ja auch eine Gemeinsamkeit zwischen Islamisten und Rechten darstellt.

Wegen diesem weitverbreiteten Hass befürworte ich derzeit nicht die Zweistaatenlösung. Es müsste erst sehr viel Reformarbeit und Konfrontation des eigenen Antisemitismus geben, Schulbücher erneuert werden und so weiter. Solange die palästinensische Seite so aggressiv ist, kann ich mir diese Lösung nicht vorstellen.

Nein, sie ist die richtige Antwort und hilft beiden Seiten. Man darf auch nicht vergessen, dass es in Israel eine Bewegung gegen die israelische Regierung gibt, bei der Araber und Juden solidarisch sind.

Sie wehren sich entschieden gegen Vereinnahmungen von rechts, was sehr sympathisch ist. Nur ist es ja derzeit so, dass nach jeder Gewalttat von Muslimen vor Pauschalisierungen und Instrumentalisierungen gewarnt wird, was dazu führt, dass der eigentliche Anlass in den Hintergrund gerät. Es wird nicht mehr über das Problem islamischer und migrantischer Gewalt geredet, sondern über die rechte Gefahr. Wie wäre diesbezüglich ein sinnvoller Kampf gegen rechts zu führen?

Sehr wichtig wäre, das Problem genau zu benennen. Linkspartei und Grüne versuchen  es immer zu verharmlosen oder zu vertuschen. Zum Beispiel gab es in Köln eine Demonstration gegen die Silvesterausschreitungen, an der ich teilgenommen habe. Oft hieß es ja: Auch in Deutschland gibt es Vergewaltigungen, häusliche Gewalt und so weiter. Ich entgegnete: „Hören Sie auf! Wir reden hier über ein ganz anderes Phänomen, auf der Straße wurden Frauen vergewaltigt, aus Gruppen heraus!“ Die Leute klatschten dort zu meinem Beitrag, aber der entspricht hier nicht der Politik.

Hand in Hand mit Islamisten auch bei Linken

Auch wenn die AfD-Demos nur Hetze sind, bleibt das Problem nun einmal bestehen. Warum können wir Humanisten, Feministinnen nicht auf die Straße gehen und erklären, dass diese Kultur, in der die Frau als Ware gilt, die man auf der Straße begrapschen kann, schlimm ist? Wir können Demos organisieren, Gesicht zeigen, zu Tausenden auf die Straße gehen und auch Frauen aus islamischen Ländern Reden halten lassen. Denn in Teheran oder Kairo gibt es das Problem zum Beispiel auch.

In Deutschland wird das dann alles unter dem Begriff sexualisierte Gewalt" zusammengefasst. Da fällt dann die Kölner Silvesternacht, das Oktoberfest und häusliche Gewalt zusammen, dabei müsste man begrifflich viel schärfer trennen.

Richtig. Die Islamverteidiger, diejenigen, die bei Moscheebauten gejubelt haben, mit den Verbänden kooperieren, die uns weismachen wollen, dass Moslems nun mal Moslems sind und ihre Moscheen brauchen und dafür auch Geld bereitgestellt werden muss, diese Leute verteidigen nun diesen angeblichen Kampf gegen Gewalt. Ja, auch deutsche Frauen werden zu Hause vergewaltigt, doch alles unter einen Begriff zu fassen, bedeutet, dass letztlich gar nichts geschehen soll.

Ich bin einmal zu einer linken Veranstaltung gegangen mit einem Schild, auf dem stand: „Ausländerfeindlichkeit ist unmenschlich, Islamkritik ist legitim.“ Damit wurde ich abgewiesen. Einige unserer Leute wurden dort geschlagen und die Schläger kamen von islamischen Verbänden. Hand in Hand mit dem „Zentralrat der Muslime" auf die Straße gehen, das ist ein Skandal. Mein Punkt ist der: Als Moslems müssen wir auf die Straße gehen und eine gesellschaftliche Bewegung haben. Gegen Rechtsextremisten und Islamisten, sonst haben wir keine Chance. Das ist mein letztes Wort.

Und ein sehr schönes dazu! Ich bedanke mich herzlich, Frau Ahadi.

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Volker Kleinophorst / 06.12.2018

Ich fasse zusammen: Frau Ahadi ist gegen Islamisierung und gegen Alle die ebenfalls gegen Islamisierung auftreten.

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