Vera Lengsfeld / 17.11.2024 / 14:00 / Foto: Bundesarciv / 8 / Seite ausdrucken

Inside Stasi

Wie schaffte man es, von einer einfachen inoffiziellen Mitarbeiterin zur hoch dekorierten geheimen hauptamtlichen Mitarbeiterin der Staatssicherheit zu werden? Ein Theaterstück über Monika Haeger gibt Auskunft über diese Frage.

Während der 35. Jahrestag des Mauerfalls in der Bundespolitik nur am Rande und in der FAZ gar keine Erwähnung fand, wurde in Berlin seiner an verschiedenen Orten gedacht. Einer davon war die ehemalige Hauptzentrale der Staatssicherheit in der Magdalenenstraße, heute nach der charmanten Idee des ehemaligen Stasiunterlagenbeauftragten Roland Jahn ein „Campus der Demokratie“. Der Autorin und Regisseurin Nicole Heinrich gelang es, ihr bemerkenswertes Theaterstück über Monika Haeger, die es in der DDR von einer einfachen inoffiziellen Mitarbeiterin durch eifriges Berichterstatten über die DDR-Opposition der 80er Jahre zur hoch dekorierten geheimen hauptamtlichen Mitarbeiterin der Staatssicherheit gebracht hat, hier auf die Bühne zu bringen.

An zwei Tagen wurde das Stück vor Schulklassen gezeigt, an zwei weiteren dem allgemeinen Publikum. Zu sehen war ganz großes Theater. Ein gutes, sorgsam gebautes Stück wurde durch die exzellente Darstellerin Anja Kimmelmann zum Ereignis. Das sprach sich rum. Während am ersten Tag nur 60 Zuschauer im erbärmlich kalten Saal froren, strömten zur nächsten Aufführung mehr als zweihundert Menschen herbei. Bei 220 setzte die Feuerwehr ein Stoppzeichen. Was bringt ein ehemaliges Heimkind dazu, ausgerechnet jene zu denunzieren, die ihm den langersehnten Familienersatz boten? Warum erwies sich entgegengebrachte Freundschaft als zu schwach gegen den Verrat? Wie tief verändert eine Ideologie die Persönlichkeit? Dieser Frage geht Heinrich mit viel Gespür für die Komplexität des Themas nach. Als Kimmelmann auf die Bühne kam, dachte ich spontan: die ist zu hübsch und zu groß für die kleine Monika, die ich leider nur zu gut kannte.

Es ist nicht immer von Vorteil, wenn man die dargestellte Person live erlebt hat. Sofort als Kimmelmann mit dem Spiel begann, war das vergessen. Der Geist von Monika Haeger beherrschte die Bühne. Haegers Berichte und die daraufhin von der Staatsicherheit ergriffenen Maßnahmen hatten zum Teil verheerende Folgen. Am effektivsten wurde eine Person geschädigt, wenn man Haeger das Gerücht streuen ließ, sie wäre ein Stasi-Spitzel. Das kann ich aus eigener, bitterer Erfahrung bestätigen, denn Haeger hat das auch über mich in Umlauf gebracht. Haegers Denunziationen hatten aber auch Berufsverbot oder Haft zur Folge. Sie sah sich als effektivste Denunziantin und hatte damit nicht ganz unrecht, obwohl es harte Konkurrenz bei den Männern gab. Ibrahim Böhme, der es in der Revolutionszeit zum Vorsitzenden der neu gegründeten Sozialdemokratischen Partei brachte, schrieb seine Spitzelberichte, als wären es literarische Miniaturen. IM Notar, der nach der Vereinigung mit dutzenden Prozessen erkämpfte, dass von seiner Stasitätigkeit nicht mehr die Rede sein darf, hinterließ hunderte Berichte in den Akten. Die Liste könnte fortgesetzt werden.

Ein Stück Gegenwart wird sichtbar

Nach drei Jahren Recherche hat Heinrich nicht nur ein absolut stimmiges Charakterbild einer Überzeugungstäterin entworfen, sondern en passant auch ein Bild der DDR in den verschiedenen Jahrzehnten. Für die 50er Jahre gab es ein Schlaglicht auf Sachsenhausen 2, das von den Sowjets auf dem Boden des ehemaligen Nazi-Konzentrationslagers betriebene „Speziallager“.

In den 60er Jahren war es der Jugendwerkhof Torgau, in den 70ern das Frauengefängnis Hoheneck. Ab Anfang der 80er geht es dann um die sich entwickelnde Opposition, die von Haeger so effektiv ausgespäht wurde, dass sie mit dem höchsten Orden der Staatssicherheit dekoriert wurde, übrigens in dem Saal, in dem das Theaterstück gespielt wurde.

Immer wieder wird auch ein Stück Gegenwart sichtbar: Etwa in einer Diskussion um die aktuellen Denunziationsplattformen. Dienen die wirklich dem Schutz der Demokratie oder bewirken sie das Gegenteil? Das muss der Zuschauer entscheiden. Das Stück sollten möglichst viele Menschen sehen.

Nächste Aufführungen:

Lübeck:

19. November 2024
19–21 Uhr, Einlass: 18:45

Theaterschiff Lübeck
Willy-Brandt-Allee 10k, 23552 Lübeck

Karten: Theateraufführung in Lübeck: Monika Haeger – inside stasi (freiheit.org)
Gefördert von der Friedrich-Naumann-Stiftung Hamburg/Schleswig-Holstein.

Friedberg (Hessen):

6. Dezember 2024
Geschlossene Aufführung
Gefördert von der Landeszentrale für politische Bildung Hessen.

Kontakt/Infos zu Aufführungen: Telefon: 01517-0092344 oder nicnh@web.de
E-Book vom Stück inklusive Gegenwartsszenen gibt es hier: Monika Haeger – inside stasi E-Book/

Erschienen im März 2024 im Drei Masken Verlag München, Bestellbar hier:

Monika Haeger – Inside Stasi  (Drei Masken-Verlag)

Monika Haeger – Inside Stasi  (Amazon)

Vera Lengsfeld, geboren 1952 in Thüringen ist eine Politikerin und Publizistin. Sie war Bürgerrechtlerin und Mitglied der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR. Von 1990 bis 2005 war sie Mitglied des Deutschen Bundestages zunächst bis 1996 für Bündnis 90/Die Grünen, ab 1996 für die CDU. Seitdem betätigt sie sich als freischaffende Autorin. 2008 wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt.

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Horst Jungsbluth / 17.11.2024

In der DDR waren die IM meist widerwärtige Spitzel und Denunzianten, während sie in der Bundesrepblik als Einflussagenten agierten, es teilweise ganz nach “oben” schafften und trotzdem weder straf- noch verögensrechtlich zur Verantwortung gezogen wurden.  Gysi, der noch am 18. Mai 1990 den sowjetischen Funktionär Falin ermuntern wollte, die Einigung der beiden deutschen Staaten militärisch!!! zu verhindern, konnte zusammen mit Bisky sogar den Moderator von “Talk im Turm” Erich Böhme dazu bringen, das SED-Opfer Bärbel Bohley auszuladen, die er als Berliner vor ein Hamburger!!! Gericht gezerrt hatte, weil sie ihn nach Studium ihrer Stasi-Akte als IM bezeichnet hatte. HMB ist damals dieser Sache nachgegangen und hat wie so oft Unglaubliches herausgefunden, was dieser bedauernswerten Frau aber nicht mehr half. Richter können eben tun und lassen, was sie wollen und das nutzen sie schamlos aus. Der Berliner SPD/AL-Senat, der ab 1989 der SED die militärische Besetzung Westberlins “erleichtern” wollte, hat schwere Verbrechen gegen die Stadt und ihre Bewohner begangen. Ich habe bei Wikepedia nur mal die Namen Momper und Limbach eingegeben und habe absolut nichts Negatives gefunden, ganz in Gegenteil, sie sind mit Auszeichnungen überhäuft worden.  Das darf doch alles nicht mehr wahr sein, die Besetzung Westberlins, die 1988 noch in Magdeburg “geübt” wurde, hätte zu einem ungeheuren Blutbad geführt und die Helfershelfer, wie sie Jens Hacke in seinem Buch bezeichnet hatte, verfolgen mit willigen Ämtern und der Justiz dreist ihre Opfer.

Dr. Ralph Buitoni / 17.11.2024

@Karsten Dörre - sind die linksfaschistischen “Amerikafreunde” mal wieder am projezieren? - “Der Weg heute in eine neue Diktatur - egal von welcher politischen Seite - ist bereits eingeschlagen. Oder glaubt wer, wenn eine rechtspopulistische Partei an die Macht kommt, sitzt diese Opposition und Kritik generös mit der rechten A…backe aus?” -  Wie in den USA gegen Trump - was man ganz offen und konkret gerade selber tut wird als Schreckensszenario auf die gegnerische Seite projeziert - inklusive Erschießungen…. es gibt aber immer nur eine Seite, die den Weg in den Totalitarismus sucht, egal welches Vorzeichen sie sich gerade gibt.

Volker Kleinophorst / 17.11.2024

Delegitimierung des Staates unterhalb der Strafbarkeit: Das Erlaubte ist auch verboten. Wie es Bärbel Bohley vorhersagte: Es wird wiederkommen, effektiver und feiner. Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat. Bohley saß selbstredend nie im Bundestag.

Marc Greiner / 17.11.2024

Danke für diesen Bericht. Wissen Sie, seit dem Corona-Massnahmenmissbrauch kann ich mir keine Filme mehr über die DDR-Diktatur anschauen. Zu nahe an der jetzigen Realität. Früher dachte ich, interessant, wieder was gelernt und vor allem: zum Glück alles vorbei. Jetzt geht es irgendwie nicht mehr. Es bedrückt mich,

Sabine Heinrich / 17.11.2024

Ich möchte nur kurz auf das Foto eingehen - leider kann ich die Aufführung in Lübeck nicht besuchen. Dieses Foto… Ich habe die Fotos eines mir bekannten Menschen nach mehreren Hausdurchsuchungen gesehen. Niemand - wirklich NIEMAND - macht sich eine Vorstellung von dem Vandalismus, den diese von uns zwangsfinanzierten Barbaren angerichtet haben! Wer sich dafür hergibt, kann nur ein Charakterschwein sein, das sich - wie zu allen Zeiten - darauf beruft, nur auf Befehl gehandelt zu haben. Erstens haben Beamte sogar die RemonstrationsPFLICHT, wenn sie meinen, es würde “von oben” Unrechtmäßiges angeordnet. Nun - dass diesen Beamten dann Unbill dräut - logisch in unserem sog. Rechtsstaat. Aber sie hätten immerhin die Möglichkeit des passiven Widerstandes, indem sie sich krank melden - was neuerdings noch leichter geworden ist.

Karsten Dörre / 17.11.2024

Einzelschicksale der Stasi-IMs taugen nicht als moralische Aufarbeitung von regierungstreuer Denunziationspolitik. Marie Haeger suchte lebenslang ein Fundament/Wurzeln, um Zugehörigkeit, Geborgenheit und Anerkennung zu erhalten. In einer freien Gesellschaft wäre zumindest die Chance in sozialen Strukturen anzukommen größer, als in einer Diktatur. Sie entschloss sich dem Staat anzuvertrauen, weil dieser richtig, gut und allgegenwärtig war. Das Theaterstück zeigt, wie Menschen vom Staat missbraucht werden. Der Weg heute in eine neue Diktatur - egal von welcher politischen Seite - ist bereits eingeschlagen. Oder glaubt wer, wenn eine rechtspopulistische Partei an die Macht kommt, sitzt diese Opposition und Kritik generös mit der rechten A…backe aus?

Mario Rocko / 17.11.2024

Sehr geehrte Frau Lengsfeld, mittlerweile braut sich in die- sem Lande ja auch der tota- litäre Ungeist, á la DDR, aus. Wenn Regime- , äh, Regie- rungskritiker justiziabel, ver- folgt werden. Siehe Stephan Niehoff, in Franken, wegen Habeck-Retweet. Früher wurden Regimekritiker im Westen, den sogenannten DEMOKRATIEN, geachtet und hofiert. Heute, werden sie von den selben ,,DEMOKRATEN“, ge- ächtet, verachtet und verfolgt !

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