Vielleicht liegt es ja daran, dass die Bayern ihr Motto „Leben und leben lassen“ irgendwann Mitte der 90er in „Laptop und Lederhose“ umgewandelt haben… Es scheint da nämlich seit damals ein gewisser Menschenschlag in die bajuvarischen Lande eingewandert zu sein, der das mit dem „Leben und leben lassen“ in einer mimimimosenartigen Interpretation in „Leben und nur mich leben lassen“ umformuliert hat.
Die bayerische Anti-Tabak-Initiative „Pro Rauchfrei“ hat jetzt allerdings vor dem Landgericht München einen für den Fortbestand der bayerischen Bevölkerung – ja, eigentlich der bunten republikanischen und möglicherweise sogar gesamteuropäischen Bevölkerung – immens wichtigen Musterprozess verloren.
Worum ging es? Ein Edeka-Markt hat – ich traue mich fast nicht, es aufzuschreiben – einen Verkaufsautomaten (sollten Sie sensibel sein, so lesen Sie jetzt bitte weg) für Zigaretten direkt an der Kasse stehen. Ja, Sie haben richtig gelesen. ZIGARETTEN! Aber damit nicht genug! Auf dem Automaten selbst waren keine Schockbilder zu sehen. Nichts von wegen geteerten und gefederten Lungen oder bleichen Mittdreißigern an Herz-Lungen-Maschinen. Sie wissen schon: diese Bildchen, die emsige Raucher unter sich immer wieder austauschen, bis man das Sammelalbum mit den Rauchererkrankungen voll hat.
Das jedenfalls hat die Initiative „Pro Rauchfrei“ derart geschockt, dass sie dagegen geklagt hat. Die wohlmeinende Initiative ist der Meinung, dass diese Schockbildchen sehr dringend auf den Automaten und nicht erst auf das Päckchen gehören, das durch Tastendruck aufs Laufband kullert. Die Initiative des Guten meint, Menschen über 18 hätten dann ja schon gedrückt und würden die Bildchen nicht mehr beachten.
Edeka (diese kapitalistischen Menschenfeinde) hingegen steht auf dem Standpunkt, dass der Kaufprozess erst mit dem Bezahlvorgang abgeschlossen wäre und der mündige Bürger bis zum Zücken des Geldbeutels durchaus die Möglichkeit hätte, aufgrund der Schockbilder, die da am Band an ihm vorbeilaufen, dem Erwerb einer Packung von ungesunden Genussmitteln zu widersprechen. Da aber „klein beigeben“ die Sache der Guten nicht ist, hat die Initiative „Pro Hirnfrei“ geklagt – und Unrecht bekommen. Allerdings hat der (rauchende?) Richter eine Revision zugelassen. Und die will die Initiative Anti-Dreckige-Raucherschweine auch nutzen, notfalls bis zum EuGH.
Altöl- und fäkalienverklappende Tanker
Sicher, man könnte jetzt argumentieren, ob es wirklich sein muss, dass an der Kasse bereits Kleinkinder mit den Widrigkeiten des Lebens wie Lungenkarzinomen, Kehlkopfkrebs, Herzinfarkt, dem Tod eines geliebten Menschen und alter Haut konfrontiert werden müssen – aber doch mal im Ernst: Es geht um die Gesundheit von Nichtrauchern, da müssen dann auch mal Opfer von allen Anderen gebracht werden.
Ich persönlich bedauere das bisherige Urteil. Ich hätte gerne gesehen, dass der Edeka am Quengelregal stolz Raucherlungen präsentieren darf. Weil das bestimmt Schule gemacht hätte. Ich träume von einer Welt, in der in der Wein- und Spirituosenabteilung Bilder von vollgekotzten Männern (vorwiegend in Fußballtrikots) oder ausgemergelten Frauen mit ungepflegten Haaren und Katalogtattoos hängen, und von einer Welt, in der mich vor dem Schokoladen- und Tiefkühlpizzenregal sehr dicke und durchgeschwitzte Menschen (gerne auch am Beatmungsgerät) von Postern anmitleiden.
Wäre es nicht schön, wenn ich in der Küchenutensilienabteilung durch einen aggressiv und zornig dreinblickenden Asozialen darauf hingewiesen würde, dass ich das neue Fleischmesser durchaus auch zum Bereinigen diskursiver Unstimmigkeiten verwenden kann? In der Fleischabteilung könnten wunderbare Bilder von abgemagerten und abgeranzten Tieren in erbärmlichen osteuropäischen Ställen hängen, über die Abteilung mit den Eiern und dem Hühnerfleisch brauche ich gar nichts schreiben, und beim Fisch würden sich Bilder von Menschen mit Quecksilbervergiftungen oder Altöl- und fäkalienverklappenden Tankern recht gut machen.
Konterfei eines betroffenen Jürgen Todenhöfer
Bei den Haushaltstextilien könnten Transparente mit kleinen Kindern in bangladeschichen Kleiderfabriken mit der Überschrift „Dies könnte auch Ihr Kind sein“ hängen, und bei den Haushalts- und Reinigungsmitteln kämen Fotos von umgekippten Seen und Flüssen mit ekelhaften toten Fischen (damit schließt sich der Kreis zu den Fischwaren) ganz gut. Bei den Rasierklingen böten sich – nicht in diesem Zusammenhang – hübsche Polizeibilder von Leichen mit aufgeschnittenen Pulsadern und der Telefonseelsorge an.
Ja, selbst über Obst und Gemüse lassen sich herrlich Warnhinweise mit pestizidsprühenden Asiaten ohne Mundschutz anbringen. Und, wer es politisch ganz korrekt haben will: Über den Trauben aus Israel könnten Fotos der berühmten „erschossenen palästinensischen Kinder“ oder das Konterfei eines betroffen und wütend dreinblickenden Jürgen Todenhöfer hängen. Damit dem Konsumenten garantiert der Appetit vergeht. Jürgen Todenhöfer sieht Dich! Und zwar vorwurfsvoll an!
Der Endsieg kann nur sein, dass der unmündige Verbraucher den Edeka verlässt, ohne überhaupt etwas gekauft zu haben, weil alles – aber auch wirklich alles – irgendwie schädlich, umweltfeindlich, moralisch bedenklich oder ungesund ist. Und falls er danach ins Autohaus will – hier wären dann großformatige Plakate von bei Unfällen zerfetzten Autos des jeweiligen Herstellers und Bilder von toten oder verletzten Fußgängern – bei Fahrradläden adäquat zerschrammten und blutigen Radlern – angebracht. Damit jeder mündige Bürger weiß, was auf ihn zukommt, wenn er unvorsichtig konsumiert.
Last but not least hätte ich gerne an der Kasse mit der Quengelware Portraits von Herrn Dipl.-Kfm. Siegfried Ermer und Herrn Dipl.-Jur. (Univ.) Stephan Weinberger, den beiden Vorständen des „Pro Rauchfrei e.V.“ (der auf seiner Homepage Werbung mit Alkoholikern und fettigen Pommes macht) hängen, die den Untertitel „Soll Ihr Kind einmal so werden?“ tragen. Dann gäbe es auch keine Überraschungseier und Kaugummis mehr.
Träumen wird man ja wohl noch dürfen!