Gastautor / 08.10.2008 / 18:48 / 0 / Seite ausdrucken

Ingo Langner: Die Schwarze Legende

Am 9. Oktober 2008 jährt sich der 50. Todestag von Papst Pius XII. (Eugenio Pacelli). Der richtige Zeitpunkt also, um endlich mit einer großen Schwarzen Legende vom “Papst,  der geschwiegen hat” aufzuräumen. Die Legende hat sich trotz der schwergewichtigen Gegenbeweise bis heute gehalten, was nur einmal mehr zeigt, daß Erdachtes langlebiger und profitabler ist als historische Folgen.

„Papst Pius XII. hat mit Sicherheit nicht geschwiegen. Er hat sehr vielfältig gesprochen“. Mit zwei kurzen Sätzen hat der Historiker Thomas Brechenmacher eine jahrzehntelange Debatte beendet. Die Wahrheit über Pius XII., die der ausgewiesene Kenner der Vatikanischen Archive in meiner ARD-TV-Dokumentation „Benedikt XVI. – Eine deutsche Geschichte“ aussprach, haben 2007 zwei Millionen Zuschauer gehört.

Worauf Brechenmachers Wahrheitsfindung fußt, ist seriöse wissenschaftliche Forschung. Mithin das exakte Gegenteil von dem, was Autoren vom Schlage eines Daniel Goldhagen oder John Cornwell publizieren. Obwohl man es also inzwischen längst besser wissen könnte, halten immer noch Menschen an der Legende vom schweigenden Papst fest. Einer davon heißt Rolf Hochhuth. Denn er hat diese „Schwarze Legende“ erfunden und 1963 in seinem Theaterstück „Der Stellvertreter“ in die Welt gesetzt. Noch im vergangenen Jahr, als „Der Spiegel“ Hochhuth die Gelegenheit gab, sich zu korrigieren, war Rolf Hochhuth extrem uneinsichtig und argumentierte aggressiv:„Er war ein satanischer Feigling“.

Mit „Er“ ist jener Eugenio Maria Giuseppe Pacelli gemeint, der am 2. März 1876 in Rom geboren und 1899 zum Priester geweiht wurde - der in Theologie und Jura promoviert worden ist - der Professor für Kanonisches Recht und für kirchliche Diplomatie war - der am 13. Mai 1917 zum Bischof geweiht wurde und als Apostolischer Nuntius im Königreich Bayern für einen Frieden im Ersten Weltkrieg eintrat - der 1929 zum Kardinal ernannt und bald darauf im Vatikan das Amt des Kardinalstaatssekretärs übernahm - der schließlich 1939, zum Papst gewählt wurde und das Petrusamt auf eine solche Weise ausübte, daß Millionen Gläubige ihn bis zu seinem Tod am 9. Oktober 1958 für die ideale Verkörperung eines Papstes hielten.

Um so heftiger war der jähe Absturz nur sechs Jahre nach Pacellis Tod. Wie ist das zu erklären? Die Antwort ist kompliziert, weil die Irrungen über die eine große Lüge Menschenherzen erreicht, schwer zu entwirren sind.

Stalin und seine Satrapen haben die Römisch-Katholische Kirche schon immer gehaßt. Denn die hat den Marxismus seit seinen Geburtswehen im 19. Jahrhundert als das verdammt, was er ist: eine menschenfeindliche Irrlehre, die in den Abgrund führt. Daran hielt Pius XII. fest. Das haben ihm Kommunisten nie verziehen - und Linke aller Couleur auch nicht.

Als 1933 in Deutschland dem roten Totalitarismus ein braunes Spiegelbild gegenübertrat, gaben die Bolschewiki die Parole aus: Antikommunismus führt zum Faschismus. Dieser propagandistische Unsinn schloß alle aus, die sich vom Lügengespinst aus dem Totenhaus von Marx, Engels, Lenin und Stalin nicht auf irgendeine Weise hatten kirre machen lassen. Zwar gelang es Stalin nicht, sein Reich über den Eisernen Vorhang hinweg weiter nach Westen auszudehnen, aber westliche Intellektuelle hat er gleichwohl erreicht.

Als Rolf Hochhuth am Kurfürstendamm seinen „Stellvertreter“ vom Kommunisten Erwin Piscator uraufführen ließ, machten dessen radikale Strichfassung und brillante Regie ein über weite Strecken papierraschelndes Drama in hochfahrender Schillerpose zu einem grandiosen Erfolg, der die westliche Welt erfaßte und an den Theatern des Ostblocks zum Pflichtprogramm wurde.

Trotz Archipel Gulag und Todesstreifen ist die antikatholische kommunistische Saat in Westeuropa geistig so fürchterlich fruchtbar geworden, daß nur noch historisch wirklich Gebildete und standhafte Konservative die Mär vom schweigenden Papst entschieden zurückwiesen. Warum ausgerechnet Rolf Hochhuth, also ein deutscher Lektor, der bisher bloß mit einer Wilhelm-Busch-Gesamtausgabe hervorgetreten war, die deutsche Schuld an der Shoa dem Vatikan in die Schuhe schob, wollte eine kompakten Majorität nicht wirklich wissen. Man hatte für diese seltsame Volte sogar eine klammheimliche Sympathie.

Einer Allianz aus sehr unterschiedlichen Kreisen war der nach 1945 größer gewordene katholische Einfluß erst in den drei Westzonen und später in der Bundesrepublik ein Dorn im Auge. Der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher hielt den Vatikan für die 5. Besatzungsmacht Deutschlands. Einflußreiche protestantische Kirchenmänner dachten ähnlich. In gewissen kulturtragenden Kreisen war der antirömische Effekt so stark, daß Leute wie Günter Grass, dessen eigene Biographie bekanntlich eine SS-Rune ziert, uns bis heute den Unsinn von „Adenauer und der katholische Mief“ auftischen, um ihren Weg aus den angeblich bleiernen Dunkelkammern von Kirche und Religion ins strahlende Licht der atheistischen Aufklärung plausibel zu machen.

Ideologischer Furor und realpolitisches Kalkül war der Boden, auf dem die Legende vom schweigenden Papst wachsen und Frucht tragen konnte. Auf die Seite des Furors gehörten Leute wie Fritz J. Raddatz, damals wichtigster Mann beim Rowohlt-Verlag, der nach seiner Blitzkarriere in Ostberlin nach 1958 in Hamburg eine noch fulminantere zweite hinlegte, und für Hochhuth zum Propagandachef wurde, der den Welterfolg des „Stellvertreters“ organisierte. Auf der Seite des Kalküls standen all jene Staaten, deren Interesse es war, lieber mit einem moralisch angeschlagenen Vatikan zu verhandeln. Aus diesen beiden höchst unterschiedlichen Quellen ergoß sich buchstäblich über Nacht ein mächtiger Fluß, der auch jene Zeitgenossen fortriß, die immer und überall mit dem Strom schwimmen und nicht gegen ihn. So kam es, daß nach Hochhuths „Stellvertreter“ zwei Visionen entstanden sind.

Nach Vision Nr. 1 hätte Papst Pius XII. gleich nach seiner Wahl 1939 auf die Mittelloge des Petersdomes treten und dem an seinem Volksempfänger in der Reichskanzlei atemlos lauschenden Katholiken Adolf Hitler so heftig ins Gewissen reden sollen, daß dem Reichskanzler gar nichts anderes übriggeblieben wäre, als schluchzend seine sofortige Demission zu erklären und sich für immer in ein alpenländisches Benediktinerkloster zurückzuziehen, um dort fürderhin nur noch für ora et labora die Hände zu rühren und nie mehr zum abscheulichen Hitlergruß.

Bekanntlich sind am 20. Februar 1942 hochrangige Nationalsozialisten am Wannsee zusammengekommen, um unter dem Vorsitz von SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich den bereits begonnenen Holocaust nunmehr im Detail zu organisieren - und nach Vision Nr. 2 hätte sich Papst Pius XII. spätestens am darauffolgenden Sonntag in Rom mit einem gelben Stern auf der Brust in die Hände einer Nazi-Soldateska verfügen sollen, um in Auschwitz demonstrativ einen Märtyrertod zu sterben. Das wäre ein Opfer gewesen, das der ganzen Welt Pacellis Lauterkeit vor Augen geführt, aber sicherlich Hitlers Völkermord nicht gestoppt hätte.

Möglicherweise hätte ein solcher Ablauf aber einen anderen Dramatiker dazu herausgefordert, ein anderes antikatholisches Lügendrama zu schreiben. Diesmal hätte die Anklage nicht auf „Schweigen“ gelautet, sondern diesmal wäre die „nutzlose päpstliche Eitelkeitsshow“ an den Pranger gestellt worden, die vom „satanischen“ Eugenio Pacelli nur deshalb inszeniert worden sei, um sich und seine ganze elende Katholische Kirche im Lichte der Nachwelt gut aussehen zu lassen.

Fazit: Einem Mann wie Rolf Hochhuth und allen, die auf Teufel komm raus so denken wollen wie er, kann es ein Papst niemals Recht machen. Solche Leute wollen nicht begreifen, daß es seit Jesu Kreuzestod und Auferstehung die vordringlichste Aufgabe eines christlichen Papstes und seiner Kirche ist, den Menschen die heiligen Sakramente zu spenden und ihnen jenseits der Hölle den rechten Weg in den Himmel zu weisen. „Wenn es sich darum handeln würde, auch nur eine einzige Seele zu retten, einen größeren Schaden von den Seelen abzuwenden, so würden wir den Mut aufbringen, sogar mit dem Teufel in Person zu verhandeln.“ Diese Worte stammen von Papst Pius XI., aber sein Nachfolger, Eugenio Pacelli, hätte sie ebenso gut aussprechen können. Denn er hat genau so gedacht.

Um Seelen zu retten hat Pacelli mit Benito Mussolini, Josef Stalin und Adolf Hitler verhandelt. „Dabei ging es dem Stellvertreter Christi auf Erden“, wie der Historiker Hubert Wolf schreibt, „stets primär um das Seelenheil der Gläubigen und um Garantien für die ungehinderte Seelsorge der Katholischen Kirche.“ Mir ist wohl bewußt, daß solche Sätze all jenen ein Stachel im Fleisch sein müssen, die in der Katholischen Kirche und Ihren Priestern nichts anderes sehen können, als eine politische Partei und ein Machtinstrument der Reaktion zur Verdummung der Menschen. Doch wer so denkt, wer Vernunft und Glauben nicht als unauflösbare Einheit begreift, bei dem sind ohnehin alle vernünftigen Argumente in den Wind gesprochen. Oder um es mit dem Apostel Johannes zu sagen: „Und das Licht leuchtete in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfaßt.“ 
Aber weil ein Christ bekanntlich die Hoffnung nie aufgeben sollte, sei hier zum Schluß eine Grundsatzerklärung erwähnt, die kürzlich veröffentlicht worden ist. „Pius XII. war ein mutiger Papst, der viele Juden rettete.“ Mit diesem Satz wird das Ergebnis einer Tagung zusammengefaßt, die im September 2008 eine Woche lang in Rom stattfand und die Rolle zum Thema hatte, die Pius XII. bei der Verteidigung und Rettung von Tausenden von Juden vor dem sicheren Tod einnahm. Organisiert wurde das Unternehmen von der jüdischen Stiftung „Pave the Way“. Der Präsident der Stiftung Garry L. Krupp hatte im Vorfeld der Tagung erklärt, daß er in der Meinung aufgewachsen sei, daß Pius XII. ein Kollaborateur der Nationalsozialisten und ein antisemitischer Papst gewesen sei. Er sei schockiert gewesen, als er durch Dokumentationen und aus dem Mund von Überlebenden erfahren hatte, daß die Wirklichkeit völlig anders war. An dem römischen Kongreß nahmen viele Gelehrte aus den Vereinigten Staaten teil. Es ist das erste Mal seit Jahrzehnten, daß eine jüdische Organisation ihre Stimme gegen die „Schwarze Legende“ über den „Papst Hitlers“ und „Antisemiten Pius XII.“ erhebt.

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