Vince Ebert / 29.08.2011 / 00:50 / 0 / Seite ausdrucken

Informiert, aber ahnungslos

Das Schöne an meinem Beruf ist, dass ich mich tagsüber mit den Dingen beschäftigen kann, für die andere nur abends Zeit haben: Ich lese Bücher und Tageszeitungen, recherchiere im Internet und informiere mich im öffentlich-rechtlichen Bildungsfernsehen: beim Bergdoktor, im Musikantenstadl und natürlich bei Wetten, dass..?

Im April 2007 gab es dort eine Saalwette, in der die Leute dreihundert Klotüren vor das Freiburger Münster schaffen mussten. Kein Wunder, dass uns die Taliban nicht ernst nehmen.

Es gab mal eine Zeit, da hat man bei Sportübertragungen einfach nur Sport übertragen. Heute erfahre ich ALLES. Haarklein: Der Schlagmann des Deutschland-Achters hatte eine schwere Kindheit, weil sein Bruder bei einem Unfall mit einem Mähdrescher traumatisiert wurde; ein dreiundachzigjähriger Schalke-Fan baut seit fünf Jahren in seinem Hobbykeller die Veltins-Arena maßstabsgetreu mit Salzteig nach, oder einem wird berichtet, wie Boris Becker seine Frau im Schlafzimmer nennt. Warum kann mir eigentlich das ZDF nicht mal unser Finanzsystem mit der Intensität erklären, mit der RTL in ein Formel 1-Wochenende geht?

Es ist paradox. In Nordkorea wissen die Leute nichts, weil es keine freie Presse gibt. In Deutschland wissen die Leute auch nicht viel mehr, weil sie von der freien Presse permanent mit den belanglostesten Informationen zugebombt werden.

Selbstverständlich hat Fernsehen auch durchaus positive Seiten. Der letzte Irakkrieg wurde nur aufgrund des Fernsehens beendet. Und zwar, weil die Einschaltquoten auf CNN so schlecht waren.

Bereits 1891 untersuchte der Soziologe Herbert Spencer, welche Themen in den Medien besonders hysterisch und aufgeregt behandelt wurden und welche Relevanz sie nach dem damaligen Stand der Forschung tatsächlich hatten. Das Ergebnis: Die mediale Aufmerksamkeit eines Problems verhält sich indirekt proportional zu seiner tatsächlichen Dringlichkeit. Oder einfach ausgedrückt: je hysterischer, umso unbedeutender.

Daher regen wir uns nicht deswegen auf, weil irgendetwas gefährlich ist, sondern wir denken, irgendetwas ist gefährlich, weil wir uns aufregen. Am Ende glauben wird nicht das, was wissenschaftlich erwiesen ist, sondern das, was wir überall massenhaft gehört, gelesen oder gesehen haben. Und verplempern unsere Zeit mit Scheindebatten und Pseudoproblemen.

Vor einiger Zeit wurden wir monatelang mit Bildern von depressiven Eisbären terrorisiert, die einsam und alleine auf kleinen Eisschollen in die Abendsonne trieben. Tatsächlich hat sich in den letzten fünfzig Jahren der Eisbärenbestand in der Arktis fast verfünffacht. Im Gegensatz zum Braunbärenbestand in Deutschland. Der lag 2006 bei exakt EINEM Exemplar: Bruno! Ein mickriger Bär in Bayern, und trotzdem kündigte der damalige Ministerpräsident Stoiber an: „Der Bär muss abgeschossen werden, weil er Schaden anrichtet!“ Was ist das nur für ein Argument? Nach der Theorie müsste man das gesamte bayerische Kabinett an die Wand stellen.

„Freiheit ist das Recht, Leuten das zu verkaufen, was sie nicht hören wollen“, sagte einst der Schriftsteller George Orwell. Betrachtet man die deutsche Medienlandschaft, hat man oft den Eindruck, es ist genau umgekehrt. Man versorgt die Leute mit genau der Fülle von Informationen, die sie hören wollen.

Im Kampf um Marktanteile, Quoten und Auflagenzahlen haben viele Medienmacher erkannt, dass es einfacher ist, die Emotionen der Öffentlichkeit zu beeinflussen, als rational über komplexe Fakten und komplizierte Hintergründe aufzuklären.

„Ein Journalist sollte sich nie mit einer Sache gemein machen. Noch nicht einmal mit einer guten“, lautete das Motto des Journalisten Hanns Joachim Friedrich. Die Realität sieht anscheinend anders aus. Nach der 2005 veröffentlichten repräsentativen Studie „Journalismus in Deutschland“ bezeichnen sich nicht einmal zwanzig Prozent der befragten Journalisten als politisch unabhängig. Fast zwei Drittel fühlen sich dem rot-grünen Spektrum zugehörig. Dürften bei der nächsten Bundestagswahl nur Journalisten wählen, wären die Grünen mit großem Abstand die stärkste Partei. Fast die Hälfte der Journalisten verdient weniger als zweitausend Euro netto im Monat und die meisten haben einen geisteswissenschaftlichen Hintergrund.

Journalisten sind also keineswegs ein Spiegel unserer Gesellschaft, sondern spiegeln nur einen ganz bestimmten Teil der Bevölkerung mit einer sehr ähnlichen Weltanschauung wider: Menschen, die literweise Kaffee trinken, zu wenig Geld verdienen und an die Klimakatastrophe glauben. Kein Wunder, dass die meisten Meldungen in Deutschland so depressiv und negativ sind. Und wenn morgen tatsächlich die Welt untergehen sollte, schreibt die Süddeutsche noch: „Bayern trifft‘s am härtesten!“

In Wirklichkeit ist das Leben in Deutschland viel unspektakulärer und ungefährlicher, als uns die Medien glauben machen wollen. Unterhält man sich mit Deutschen, die ein paar Jahre im Ausland gelebt haben und wieder zurückkommen, sagen die im Prinzip alle das gleiche: „Eigentlich hat sich hier nichts verändert. Seit vierzig Jahren ist es fünf vor zwölf, irgendwas kann nicht entschieden werden, weil irgendwo Landtagswahlen sind – und Carpendale ist immer noch auf Abschiedstour.“

 

Vince Ebert: Machen Sie sich frei

Der Text erscheint in Vince Eberts neuem Buch „Machen Sie sich frei. Sonst tut es keiner für Sie“ Ab jetzt im Handel. Weitere Infos unter www.Facebook.com/Vince.Ebert oder www.vince-ebert.de

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Vince Ebert / 25.02.2016 / 13:00 / 5

Warum unsere Zukunft nicht berechenbar ist

Haben Sie vor zwanzig Jahren die Möglichkeit vermisst, eine SMS zu schreiben? Oder hatten Sie damals das Gefühl, ohne ein Navigationssystem wäre eine Autofahrt von…/ mehr

Vince Ebert / 02.11.2015 / 14:01 / 5

Charisma schlägt Kompetenz

„Wir schaffen das!” versicherte uns vor einigen Wochen die deutsche Regierung in Bezug auf die Flüchtlingskrise. Sollen uns diese Worte beruhigen? Naja, ich bin mir…/ mehr

Vince Ebert / 26.06.2015 / 03:52 / 1

Bleibt alles anders

Neulich war ich auf einem Kongress eingeladen, in der es um das Leben in der Zukunft ging. Viele Fragen wurden erörtert. Was ist ein Olympiateilnehmer…/ mehr

Vince Ebert / 28.05.2015 / 19:00 / 6

Dankeschön Schicksal!

Im Englischen gibt es die schöne Redewendung „don’t complain, don’t explain”. Nöhl’ nicht rum und erkläre der Welt nicht, warum nicht Du, sondern die Flachpfeife…/ mehr

Vince Ebert / 02.05.2015 / 11:13 / 2

Schwarzer oder blauer Schwan?

Vor einigen Jahren schrieb der Autor Nassim Taleb ein höchst bemerkenswertes Buch mit dem Titel „Der Schwarze Schwan”. Taleb ist kein Vogelkundler, sondern Mathematiker. Als…/ mehr

Vince Ebert / 03.04.2015 / 22:16 / 4

I have a plan!

Wer in unserem Land etwas Geniales, Cooles oder Unorthodoxes vorschlägt, aber zu 5 % irrt, den nageln wir gerne bei diesen 5 % fest, anstatt…/ mehr

Vince Ebert / 01.04.2015 / 19:46 / 5

Längste Primzahl der Welt entdeckt

Sensation in Bulgarien! Eine Forschergruppe um den Mathematik-Professor Bogdan Dimitrov fand in der Nacht vom 31.3. auf 1.4. die längste Primzahl der Welt. Der Fund…/ mehr

Vince Ebert / 24.03.2015 / 16:46 / 0

“Wir glauben einfach”

Ein Gespräch mit Jungle World über »Informationswasser«, die Verklärung der Natur und das Imageproblem der Wissenschaft in Deutschland. Hier. / mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com