Die gegenwärtige Teuerungswelle kommt nicht von irgendeiner „Geldpolitik“, sondern von einer Produktivitäts-Zerstörung, die die realen Kosten der gesamten Volkswirtschaft immens steigert.
Zu den elementarsten Dingen, die über die Stabilität eines Landes und den Zusammenhalt seiner Gesellschaft entscheiden, gehören die Preise. Ihre Stetigkeit ist die Grundlage, auf der das Vertrauen, der Fleiß und das Durchhaltevermögen der Menschen gebaut ist. Tritt hier eine radikale Änderung ein, indem das allgemeine Preisniveau plötzlich stark ansteigt, führt das zu einer tiefen Erschütterung der wirtschaftlichen, staatlichen und kulturellen Architektur eines Landes. Andere Krisen, die gerade noch als größte Bedrohung erschienen, erscheinen dann auf einmal seltsam fern. Eine Teuerungswelle berührt die Menschen viel näher, sie greift viel unmittelbarer in ihr Alltagsleben ein. Und sie wirkt viel breiter. Sie entwertet nicht nur das Geld, sondern auch die Arbeit, die Wertschöpfung der Unternehmen, die Leistungsbilanz der staatlichen Infrastrukturen. Und das gilt besonders dann, wenn zu erwarten ist, dass das neue Preisniveau auf Dauer bleibt.
Das alles gilt für die Teuerungswelle, die sich in den vergangenen Jahren allmählich aufgebaut hat, und die nun mit großer Wucht über viele Länder – auch hochentwickelte Länder – hereinbricht. Sie hat ihren Höhepunkt noch nicht erreicht. Viele Preissteigerungen sind in den Rohstoffen und Vorprodukten schon gegeben, aber noch nicht in die Preise der Endprodukte eingegangen. Und schon auf dieser Stufe ist kein Element sichtbar, dass die Preise irgendwann wieder auf ihr altes Niveau zurückführen könnte. Die jetzige Teuerungswelle ist eine tiefgreifende und auf Dauer angelegte Veränderung. Es ist, als würde das ganze Land auf einmal auf einen „schlechteren Boden“ verlegt.
Inflation? Es ist eine Preisrevolution!
Es gibt in unserer Zeit zahlreiche Wieselworte, die durch gedankenlosen Gebrauch alles und nichts bedeuten. Ein solches Wieselwort ist „die Inflation“, mit der die gegenwärtige Teuerungswelle bezeichnet wird. Damit soll jedwede Verteuerung von Gütern erfasst werden – ohne darüber Auskunft zu geben, was dieser Verteuerung zugrunde liegt.
So verschwindet ein wichtiger Unterschied: Es gibt zum einen die Verteuerung, die auf übermäßige Geldvermehrung zurückgeht. Also auf eine veränderte Relation zwischen Geld und Gütern. Zweifellos ist das ein Element in der gegenwärtigen Teuerungswelle, verursacht durch die Politik des billigen Geldes der Zentralbanken. Aber zum anderen kann eine Teuerungswelle auch in Veränderungen der Realwirtschaft begründet sein – also in den Gütern und den Bedingungen ihrer Produktion. Wenn die Bedingungen sich verschlechtern, steigen die Kosten, und das schlägt sich in den Preisen nieder. Wenn sie sich verbessern, sinken die Preise. In beiden Richtungen können die Veränderungen sehr groß sein, und sie können quer durch eine ganze Volkswirtschaft gehen. Eine Preisrevolution, die auf besseren Produktionsbedingungen beruht, erleichtert das Wirtschaftsleben. Aber eine Preisrevolution, die auf einer Verschlechterung der Produktionsbedingungen beruht, erschwert es und kann so weit gehen, dass Betriebe, ganze Branchen und Infrastrukturen in den Ruin getrieben werden. Bestimmte Güter werden dann nicht nur extrem teuer, sondern sind überhaupt nicht mehr verfügbar. Eine Preisrevolution ist dann der Vorbote eines realwirtschaftlichen Substanzverlusts. Eine solche verheerende Preisrevolution findet in unserer Gegenwart statt.
Die Revolution der Energiepreise
Der auffälligste Teil der gegenwärtigen Teuerungswelle sind die Energiepreise. Schon jetzt ist absehbar, dass Haushalte, Unternehmen und staatliche Einrichtungen im laufenden Jahr eine Verdopplung oder gar Verdreifachung ihrer Energiekosten erleben werden. Energiekosten wirken sich in allen Sektoren und Branchen aus – und auf allen Stufen des Wertschöpfungsprozesses. Energie wird als Antriebsenergie in Verkehrsmitteln und mechanischen Maschinen gebraucht, als Prozessenergie in der chemischen Stoffumwandlung und Konservierung (Lebensmittel), als Haushaltsenergie beim Heizen und Kochen, als Beleuchtungsenergie im privaten und öffentlichen Raum. Und die Digitalisierung hat ein ganz neues Feld der medialen Energienutzung eröffnet und den Verbrauch von Energie noch einmal gesteigert. So erfasst eine Verteuerung der Energie die Volkswirtschaft und Staatstätigkeit in ihrer ganzen Breite.
Ganz offensichtlich beruht der starke Anstieg der Energiepreise nicht (oder nur zu einem geringen Teil auf einer Geldentwertung durch „billiges Geld“ und einer Aufblähung der umlaufenden Geldmenge. Nein, er beruht auf fundamentalen Veränderungen in den Bedingungen der Energieproduktion. Die Bedingungen werden erschwert. Aber worin besteht die Erschwernis? Ist ein plötzliches Verhängnis über die Erde und die Menschheit hereingebrochen, das dazu führt, das Energieressourcen weniger verfügbar sind oder Produktionsanlagen ausfallen? Oder geht die Verschlechterung auf bestimmte Entscheidungen zurück? Wird sie bewusst und willentlich in Kauf genommen oder sogar aktiv betrieben? Letzteres ist offenbar der Fall, wenn man an die „Klimarettung“ denkt, die mit der These einer „Klimakrise“ begründet wird, die so gefährlich sein soll, dass sie eine Ausschaltung wesentlicher Energieträger und eine drastische Verteuerung der Energie rechtfertigt. Und nun soll sich in der Ukraine-Krise mit „Putins Russland“ ein so weltbedrohender Feind gezeigt haben, dass eines der größten Energieländer der Erde ausgeschaltet werden soll. Angesichts solcher Begründungen wird klar, dass wir es mit einem tiefen Eingriff in die über Jahrzehnte und Jahrhunderte entwickelten Produktionsbedingungen der Energie zu tun haben. Mit einem Eingriff, der die Produktivität der Energiegewinnung und Verteilung erheblich senkt. Und es ist kein Element sichtbar, das in diesem gesetzten Rahmen eine Rückkehr zum alten Preisniveau ermöglichen könnte.
Sprechen wir über Knappheit
Es ist klar, dass man einer solchen Verschlechterung der Realbedingungen nicht durch Veränderungen in Menge oder Wert des Geldes begegnen kann. Eine Politik des billigen Geldes kann die Verschlechterung höchstens eine Zeit lang überspielen und kaschieren. Aber das fundamentale Problem erreicht sie nicht. Um es zu erreichen, muss man in den „Maschinenraum“ eines Landes, in seine Produktionssphäre hinabsteigen, in der es harte physisch-technische Realitäten gibt. Man muss klären, worin die neue Härte der Bedingungen besteht, die die Kosten treibt.
Ein Gut hat nur dann einen Preis, wenn es knapp ist. Güter, die unbegrenzt verfügbar sind, haben keinen Preis. Die Knappheit bildet den – oft unausgesprochenen – Hintergrund der Bewegungen von Angebot und Nachfrage. Knappheit erscheint zunächst als Konflikt zwischen Natur-Gegebenheiten und menschlichen Bedürfnissen. Aber es gibt einen Faktor, der diese erste, rohe Knappheit mildert und ihre Zwänge lockert: Dieser Faktor ist die Zivilisation. Eine Zivilisation kann (mit Arbeit, Wissen, Kapital, Infrastrukturen…) die ursprüngliche Enge der Welt stark erweitern. Diese Spielräume sind die materielle Grundlage unserer Freiheit. Doch ist dieser mildernde Faktor auch nur begrenzt vorhanden. Es gibt eine Knappheit der Arbeit und Arbeitsmittel, eine zivilisatorische Knappheit. Diese Knappheit ist allerdings erheblich milder als die Knappheit in einer Welt ohne materiell-technische Zivilisation. Das klingt sehr nüchtern, aber es geht hier letztlich um große, kostbare Errungenschaften. Es geht um grundlegende Güter, an denen die Existenz von Menschen hängt – auch ihre Motivation zu Arbeit und Engagement. Es geht um Gedeih und Verderb von Städten und Landschaften, von ganzen Ländern und Gesellschaften. Die Bedeutung eines erreichten zivilisatorischen Niveaus wird in verheerenden Preisrevolutionen schlagartig sichtbar: Auf einmal gerät das, was man stillschweigend als sicher glaubte, ins Wanken.
Die Politik der absoluten Imperative
Jetzt wird der Preis sichtbar, den wir für ein Szenario zahlen müssen, in dem wir maximalen Bedrohungen ausgesetzt sind und es nur eine maximale Rettungspolitik mit drastischen Eingriffen geben kann. In dieses Szenario hat man uns mit der Ausrufung von immer neuen „Großkrisen“ versetzt. Mit ihm gibt es in der Politik keine Abwägungen mehr, sondern nur noch absolute Prioritäten und Imperative. Im Fall der „Klimakrise“ soll ein wesentlicher Teil der Energieproduktion zunächst verteuert und dann stillgelegt werden, um die „Überhitzung des Planeten“ zu verhindern. Das gilt als absolutes Gebot, das wichtiger ist als jede Energieproduktivität. Im Fall der „Ukrainekrise“ soll die Ausschaltung fossiler Energieträger noch beschleunigt werden – auch wenn keine tragfähige Alternative zur Verfügung steht. Alles egal, gegenüber der absolut gesetzten äußeren Gefahr sind die Leistungen der modernen Energieproduktion zweitrangig. Sie müssen geopfert werden. Nach diesem Prinzip wurde schon bei dem deutschen Ausstiegsbeschluss aus der Kernenergie – nach dem Fukushima-Unglück – verfahren. Es gab keinen konkreten Gefahrenzusammenhang zwischen Fukushima und dem Betrieb der deutschen Kernkraftwerke.
Die gegenwärtige Energie-Preiswelle ist die logische Konsequenz einer Politik, die mit extremen Drohkulissen arbeitet. Gleich drei „größtmögliche Gefahren“ sind nun präsent: eine atomare Kraftwerkskatastrophe, eine drohende Überhitzung des Planeten, eine Weltkriegsgefahr durch einen „wahnsinnigen“ Diktator. Doch der Extremismus der beschworenen Gefahren hat wenig mit den Tatsachen und viel mit Gefühlen und Vermutungen zu tun. Die so erzeugten Maximalgefahren sind einer sachlichen Abwägung nicht zugänglich.
So hat jede Politik der absolute Imperative auch ihren Umschlagspunkt: Je mehr sich ihre verheerenden Konsequenzen für Volkswirtschaft und Zivilisation zeigen, wächst die Neigung, doch abzuwägen: Stehen die Opfer und Verluste wirklich in einem vernünftigen Verhältnis zu den Gefahren? So wird auch diesmal die Erkenntnis wachsen, dass die Teuerungswelle die Folge einer völlig einseitigen Wahrnehmung und Prioritätensetzung ist. Ein Fall von politischem Extremismus.
Die Wiederkehr der abwägenden Vernunft
In einer solchen Situation entwickeln sich ganz unvermeidlich Gegenkräfte. Mit jedem neuen Preisschub und mit jeder neuen Branche, die von ihm erfasst wird, erheben sich mehr kritische Fragen. Wohin soll das immer weitere Steigern der Bedrohungs-Szenarien noch führen? Wie sind wir überhaupt auf diesen Weg gekommen? Und wie konnte es so weit kommen, dass wir unsere Industrien, die einmal so gut funktionierten und Europa so einen wichtigen Halt gaben, ruinieren?
So könnte es zu einem spannenden Wettstreit kommen. Natürlich werden die Versuche nicht weniger werden, die Menschen mit Schreckensmeldungen und rosigen Rettungsgeschichten zum Hinnehmen von wachsenden Kosten und Opfern zu veranlassen. Man merkt den politischen Statements und Nachrichten inzwischen an, wie sehr sie bemüht sind, das Publikum mit einer täglichen Schau aus Bedrohungen und Rettungen, aus Bösem und Guten in Atem zu halten. Demgegenüber muss sich das Lager der abwägenden Vernunft nicht an so einem Steigerungslauf beteiligen. Sie muss nichts gewaltsam vorwärtstreiben und nichts überspielen. Sie kann darauf vertrauen, dass der Punkt kommt, an dem die Politik der absoluten Imperative immer hohler wird und zugleich so gravierende Folgen hat, dass immer mehr Menschen zum Lager der Abwägenden wechseln.
Mehrheit der Deutschen will Kernkraftwerke weiter laufen lassen
In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 13. April wird über die Ergebnisse der monatlichen repräsentativen Stimmungsumfrage berichtet, die das Institut für Demoskopie Allensbach für die FAZ durchführt. Die März-Umfrage befasst sich besonders mit energiepolitischen Fragen vor dem Hintergrund der Teuerungswelle. Dies Thema ist inzwischen zum wichtigsten Sorgenthema der Deutschen geworden. Die Umfrage zeigt, wie stark die Skepsis gewachsen ist, ob die fossilen Energieträger in absehbarer Zeit durch alternative Energieträger wie Sonne und Wind zu ersetzen sind. 86 Prozent der Befragten sagen, dass es in den nächsten Jahren Schwierigkeiten bei der Energieversorgung geben werde. 2019 hatte dieser Anteil nur 26 Prozent betragen. Jetzt glauben nur noch 26 Prozent, dass die Versorgung bis 2050 vollständig auf alternative Energien umgestellt werden könnte. In der Beurteilung der Rolle der Kernenergie gibt es einen regelrechten Stimmungsumschwung: Noch im Februar 2022 war 42 Prozent der Befragten dafür, die Kernkraftwerke wie geplant abzuschalten. 35 Prozent sprachen sich für einen Weiterbetrieb aus. Im März 2022 waren die Stimmen für einen Weiterbetrieb auf 57 Prozent der Befragten angestiegen, während nur noch 25 Prozent beim Abschalten bleiben wollten. Und die Ukraine-Krise? 57 Prozent der Befragten traten dafür ein, weiterhin Öl und Gas von Russland zu kaufen, nur 30 Prozent waren für ein sofortiges Embargo.