Thomas Rietzschel / 25.04.2019 / 15:30 / 24 / Seite ausdrucken

In jedem Selbstmordattentäter steckt ein kleiner Winnetou

Seit Jahrhunderten bewundert die zivilisierte Welt den „edlen Wilden“. Als einer der ersten lag ihm Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) zu Füßen. Gerade in Phasen der Dekadenz, wie sie der Aufklärer als Zeitgenosse des Rokoko erlebte, in Zeiten also, da sich die besser versorgten Teile der Gesellschaft bis zum Überdruss langweilen, will vielen die Reduktion auf das kreatürliche Dasein verlockend erscheinen. Masochistisch erschauernd, befördern sie das Widersinnige: die Renaissance des Archaischen.

Der ungebändigte Triebtäter fasziniert, weil er alles ist, was man sich nicht mehr zu sein traut: einer, der die anderen mit seiner Selbstverwirklichung in die Knie zwingt, wann immer ihn die Zivilgesellschaft daran hindern will. Die Verbrechen, die er begeht, verdanken sich allemal dem angeborenen oder religiös verinnerlichten Edelmut. In jedem Selbstmordattentäter steckt ein kleiner Winnetou. Kein Terrorist, der nicht in Notwehr handelte. Allemal sind es die Ungläubigen, die die Gotteskrieger des Islam zwingen, Kirchen in die Luft zu jagen – wie jetzt eben wieder auf Sri Lanka. 359 Tote und über 500 Verletzte können gar nicht auf das Konto des Islam gehen, nicht in den Zeiten multikultureller Dekadenz.

Unmittelbar nach den Explosionen an acht verschiedenen Orten ergingen sich denn auch die öffentlich-rechtlichen und andere deutsche Medien zunächst in ablenkenden Mutmaßungen über das Wiedererwachen der tamilischen Befreiungsbewegung. SPIEGEL ONLINE fragte im Zwischentitel eines seiner ersten Berichte gar: „Handelt es sich um Terrorangriffe?“ Dass der Innenminister Sri Lankas bereits zehn Tage zuvor auf Selbstmordpläne einer „radikalislamistischen“ Gruppe hingewiesen hatte, war den Richtkanonieren am „Sturmgeschütz der Demokratie“ vermutlich entgangen.

Dennoch ist dann schnell herausgekommen, was herauskommen musste. Natürlich waren es islamische Gotteskrieger, die die Massaker verübten; und natürlich handelten sie notgedrungen. Ihre Attentate sollen „Racheaktionen“ für das Attentat auf die Moschee im neuseeländischen Christchurch gewesen sein.

Diese perverse Rechtfertigung wird ihnen zwar keinen Freispruch eintragen, wohl aber ein gewisses Verständnis derer, denen die christlich-jüdische Kultur des aufgeklärten Abendlandes längst schon suspekt geworden ist. Als die edlen Wilden unserer Tage genießen die überzeugten Muslime den Respekt der zivilisationsmüden Allesversteher.

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Leserpost

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Stefan Löbel / 25.04.2019

Raffiniert von den Leitmedien ist auch der schnelle und ablenkende Verweis auf ‘Behördenversagen’. Hört man ganz oft und ist sehr clever.

Chris Hofer / 25.04.2019

Der britische Prinz William spendet gerade einigen überlebenden Opfern von Christchurch Trost in Neuseeland. Man kann nur hoffen, dass er nicht vergisst, auf dem Heimweg auch in Sri Lanka vorbei zu schauen und den dortigen Überlebenden ebenfalls Trost zu spenden. Es ist schon extrem, wie unterschiedlich diese beiden Terroranschläge in den Medien und von Politikern bewertet werden. Der “Telegraph” kritisiert zu recht May und Clinton, die sich winden, um das Wort “Christ” nur nicht aussprechen zu müssen. Der “Economist” warnt davor, nun den “Spaltern” in die Hände zu spielen, indem man Rache ruft. BBC hielt es mit den deutschen Medien, und leugnete erst einmal die Tatsache eines Terroranschlags von Muslimen auf Christen. So versuchen alle zu manipulieren. Die faz liess Artikel zu den Morden einfach verschwinden unter “sehr ferner liefen”.

M. Sachse / 25.04.2019

Kurz und punktgenau. Diese Beiträge mag ich.

Wolfgang Kaufmann / 25.04.2019

Wir verbringen immer mehr Zeit in der Schule und lernen immer weniger; vielleicht gerade deshalb? Das Gefühl der Überforderung gewinnt die Oberhand, dank retardierter Pubertät und verschleppter Infantilität, mangels Arbeit und daraus resultierendem Selbstwertgefühl. – Was ist also die bequemste Lösung der Abgehängten dieser Erde? Man gibt die Schuld dem Kapitalismus mit seiner Notwendigkeit zu lernen und zu arbeiten. Loser aller Länder vereinigt euch! – Der edle Wilde als Verbündeter? Leider ein fataler Fehlschluss…

Joachim Neander / 25.04.2019

Es ist Unsinn, den Relativierern die Geschichte abzunehmen, der moslemische Terror in Sri Lanka sei eine Antwort auf Christchurch. Eine derartige Großaktion braucht Planung und logistische Vorbereitung. Diese musste außerdem noch im Geheimen geschehen. In fünf Wochen lässt sich so etwas nicht durchführen.

P.Steigert / 25.04.2019

Ich glaube, dass gerade große Teile des “christlichen” Milieus bei uns einiges Verständnis für die Gotteskrieger aufbringen. Gerade auch die Palästinenser werden von christlichen Verbänden gehätschelt und verteidigt. Die (linken) Christen suchen nach Brüdern bei der Abkehr von Kapitalismus und Aufgeklärtheit. Dabei sehen sie die Muslime auf ihrer Seite.

Wilfried Sander / 25.04.2019

Es ist bezeichnend für einen rechten Blog Wahrheiten ironisierend abzuwerten, quod errat expectandum. Krieg ist der Terror der GROSSEN, Terror eben der KLEINEN, beide also Kombattanten . Viele bedeutende Dichter, Denker und Promis haben das längst erkannt. Die bedauernswerten betroffenen Menschen NOTWEHREN sich halt mit ihren bescheidenen Mitteln gegen Hass, Ausbeutung,  Demütigungen, Beleidigungen etc. ....SCHNITT….. Es gibt tatsächlich SCHLIMMERES als diese MÖRDER: Exkremente   , quatsch, Elemente muss es heißen, immer diese Fremdwörter, zwischen A(ugstein) und Z(amparoni) die diese Grausamkeiten relativierend veröffentlichen. Meinen HERZLICHSTEN DANK an Sie H.Dr. Rietschel, H. Broder, dass Achgutteam, ja, auch Sie H. Schneider,  die Lesergemeinde natürlich auch. HELLE Lichter ALLE, in einer DUNKELEN Zeit.

Werner Arning / 25.04.2019

Ja, man scheint ein gewisses Verständnis für die Motive des „edlen Wilden“ zu haben. Dem „edlen Wilden“ kann man dessen Taten nicht so wirklich übel nehmen. Das heißt, übel nehmen schon, aber man zeigt Verständnis. Alles so wie damals beim Indianer in Amerika. Eigentlich verteidigt er sich. Eigentlich ist er gar nicht böse. Man muss die Dinge mal aus seiner Warte betrachten. Sich mal in seine Haut versetzen. Wären wir, an seiner Stelle, nicht auch verdammt wütend? Auf den Westen, auf die Christen. Was haben wir ihm nicht alles für Leid angetan. Kann man da nicht mal sauer werden? So richtig sauer? Erst neulich haben wir ein Attentat auf seine Glaubensbrüder verübt. Während des Freitagsgebetes. So eine Sauerei. Sind die nicht zu recht sauer auf uns? Haben wir die Explosionen nicht verdient? Wir sind so schlecht. Und der „edle Wilde“ meint es doch im Grunde gut. Lieber „Wilder“, heirate mich.

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