Eran Yardeni
Er heißt Johan Galtung, ist 81 Jahre alt und er ein norwegischer Friedensforscher, der bereits auf eine mögliche Verbindung zwischen dem Utøya-Massaker und dem Mossad hingewiesen hat. Sein Gespräch mit der SZ (21. Juli 2012) ist eine kostenlose VIP-Eintrittskarte in die verwirrende Welt des politischen und kulturellen Relativismus.
Zuerst aber muss es ganz eindeutlich gesagt werden: Johan Galtung ist kein Pazifist. Das sagt er selbst. Unter bestimmten Umständen kann er Gewalt absolut dulden, z.B: „Wenn es strukturelle Gewalt gibt, also Umstände wie Diskriminierung oder ungleiche Wohlstandverteilung, die den Einzelnen daran hindern, sich zu entfalten und man hat auf friedlichem Weg schon alles dagegen unternommen, dann muss man diese Strukturen ändern – wenn es keine andere Möglichkeit gibt, auch durch Gewalt.“
Wer aber entscheidet, wann die ungleiche Wohlstandverteilung ungleich genug sei, um sich auf die Villen in Grunewald zu stürzen, das verrät uns der Friedensforscher nicht. Genau so bedenklich ist das zweite Kriterium: Die Ausschöpfung der friedlichen Mitteln. Was ist das? Wo verläuft die Grenze des friedlichen Bereiches? Diese Antwort ist eine Einladung zum gesellschaftlichen Chaos, weil jeder nach seinen eigenen Maßstäben bestimmen kann, ob er diskriminiert wird oder nicht und ob er schon alle friedlichen Lösungen zur Beseitigung dieser Diskriminierung ausprobiert hat. Gott sei Dank werden nicht alle Akademiker auch Politiker. Die verbale Odyssee geht aber weiter und wird nur schlimmer und surrealistischer.
Nach Johan Galtung gibt es Konflikte „weil viele Politiker ihre Gegner lieber dämonisieren, statt mit ihnen zu sprechen, um eine Lösung zu finden“. Diese Antwort war höchstwahrscheinlich auch für die gutmenschliche Gesinnung der SZ zu naiv, so dass der Interviewer den Herrn Galtung mit der folgenden Frage konfrontierte: „Allen? Also auch den Diktatoren, Terroristen und Faschisten?“ Die Antwort ist mehr als verblüffend: „Ja, man spricht mit den Taliban, al-Qaida, der Hisbollah, selbst mit dem amerikanischen State-Department.” - Soll ein solcher Typ wirklich ernst genommen werden? Kann man das amerikanische State-Department mit al-Qaida so einfach gleichsetzen? Wie begründet man eine solche Gleichsetzung?
Wer eine Antwort auf diese Frage sucht, der soll das Gespräch mit dem gekrönten Friedensforscher einfach weiterlesen, vor allem seine Aussagen zum Utøya-Massaker. Breivik betrachtet der Forscher zwar als europäisch-westlichen Neofaschisten und Rassisten, aber „verrückt war Breivik nicht, jedenfalls nicht verrückter als die norwegische Regierung. (…) Die norwegische Regierung versucht, den Afghanen ihr Konzept von Demokratie mit Gewalt aufzuzwingen und Breivik wollte uns Norwegern seine Weltsicht aufzwingen“.
Mit dieser Logik gibt es auch keinen Unterschied mehr zwischen einer Grundschullehrerin und Josef Goebbels: Beide versuchen eine bestimmte Weltanschauung zu vermitteln. Dass die Erstere ihre Schülerinnen und Schüler auf das freie Leben in einer demokratischen Gesellschaft vorbereitet während der Letztere sich für eine rassistische und diktatorische gesellschaftliche Ordnung einsetzte, spielt nach diesem Denkmuster keine Rolle.
Die Gleichsetzung von Breivik mit der norwegischen Regierung soll nicht als Entgleisung verstanden werden sondern als Erklärmuster. Später im Gespräch argumentiert der Friedensforscher weiter in dieser Richtung: „Objektiv betrachtet haben sowohl Breivik als auch Norwegen eine Idee, die sie durchsetzen wollen: Breivik wollte uns vor der Islamisierung retten und tötete dafür. Norwegen will den Afghanen die Demokratie bringen und tötet dafür. Beide Seiten glauben das Licht gesehen zu haben und es jetzt allen anderen bringen zu müssen.“
Dieses Erklärmuster ist die Verkörperung des moralischen Relativismus. Es ist egal, welchem Ziel man folgt, ob Demokratie oder kulturellem Chauvinismus, alles ist gleich und alles hat denselben moralischen Wert. Nach diesem Prinzip könnte man auch die Nazideutschland mit USA gleichsetzten – schließlich hatten beide Ideen, die sie mit Gewalt durchsetzen wollten.
Anstatt über Frieden und Gewalt sollte Galtung etwas über die Infantilisierung des öffentlichen Diskurses schreiben. Davon versteht er bestimmt noch weniger.