Richard Wagner / 10.09.2008 / 07:02 / 0 / Seite ausdrucken

In der Schule der Anonymität

Die Berliner CDU ist in Deutschland ungefähr so bekannt wie ihre litauischen und zypriotischen Schwesterparteien. Oder haben Sie schon mal von Ingo Schmitt gehört? Das ist der Landesvorsitzende.

So anonym wie er ist seine gesamte Partei. Das Rathaus zu beherrschen war ihre Sache praktisch nie. Dort saßen gut und gerne die Sozialdemokraten. Mit ihrem Willy Brandt, und auch ohne diesen. Die CDU aber blieb Nischenorganisation: Verein der Schrebergärtner, Elektrofachhändler und Wilmersdorfer Witwen. Die paar Zehlendorfer Betuchten und Belesenen änderten daran auch nicht viel.

Irgendwie war sie die Partei der Rechtschaffenen, die weder auffällig wurden noch sonst weiter auffielen. So repräsentierte sie immer schon das Kleinbürgertum, das die Tugenden hochhielt und sich in Straßenumfragen gelegentlich in markigen Worten übte. Den Studenten die langen Haare von Amts wegen schneiden und die Junkies vom Bahnhof Zoo durch Arbeit heilen. So etwas brachte in den einschlägigen Zeiten seltener einen guten Ruf ein als eine höhnische Schlagzeile.

Der Ruf dieser CDU war etwa so gut wie jener der Vertriebenenverbände. Die ungeteilte Macht aber hatte die SPD. Sie war sogar für die Bauskandale der Stadt zuständig. Die Frontstadt Berlin war fest in sozialdemokratischer Hand, und das bis zu der von Helmut Kohls Entourage ausgerufenen Wende. In Berlin allerdings brauchte diese einen besonderen Schub. Um sie in Gang zu bringen, setzte man die Wunderwaffe Richard von Weizsäcker ein. Er, dem es gelang die CDU auf den Schöneberger Regierungsbalkon zu führen, ist bis heute eine Legende. Dass dieses Ziel um den Preis der Zusammenarbeit mit einem Heinrich Lummer erreicht wurde, hat man vergessen.


Was aber hat Weizsäcker nach seinem Aufstieg in weitere höhere Ämter mit größter Symbolik in Berlin hinterlassen? Einen glücklosen Diepgen und Landowsky, den Zeremonienmeister des späteren konzertierten Bankenskandals der Volksparteien, die von der Vereinigung der Stadt in die Verlegenheit und Mauschelei einer großen Koalition getrieben worden sind.

Nach dem koordinierten Zwischenspiel, quasi einer dramatischen Szene fürs Theater am Kurfürstendamm, wurde es wieder gewohnt still um die biedere Partei. Bis sich vor einigen Jahren ein weiterer Retter nach Berlin aufmachte, Friedbert Pflüger, ehemals Mitarbeiter von Sonntagsredenpräsident Weizsäcker. Eine moderne liberale Großstadtpartei wollte er aus der Berliner CDU machen. Allein schon bei dieser Ankündigung dürften vom Savignyplatz bis zum Roten Rathaus die Hühner gelacht haben.

Pflüger gab sich unbeirrt und scheiterte erwartungsgemäß an allen Fronten. Seine Modernisierung beschränkte sich notgedrungen bald auf den Machtkampf mit einem Ingo Schmitt. Im Moment geht es um die Kandidatur für den Vorsitz. Ob er diesen Kampf nun verliert oder nicht, ist eigentlich nur noch eine Fußnote zum Problem. Verloren hat Pflüger schon lange.

Der Plan ist wohl, ihn als Fraktionschef abzusetzen. Auch sein Nachfolger im Amt soll bereits feststehen. Es soll sich um den Geschäftsführer handeln, um einen Mann namens Frank Henkel. Nie gehört? Perfekt. Damit wäre die Berliner CDU wieder bei sich selbst angekommen. Fragt sich nur, was soll der liberale Bürger in Berlin eigentlich wählen? Oder kommt es auf ihn in Wowereits Erlebnisrepublik gar nicht mehr an?


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