Von Marcus Ermler.
Unlängst berichtete Birgit Gärtner in ihrem Artikel „Grüner Hannover-Komplex?“ auf Mena-Watch über das Verhältnis wie die Verbindungen von Belit Onay, des neuen grünen Oberbürgermeisters von Hannover, zu reaktionären Islamverbänden sowie türkischen Rechtsextremen von Erdoğans Gnaden. Gärtner zeigte dabei ein islamistisch geschwängertes Sittengemälde auf, mit bekennenden Israelhassern inklusive.
Bei dieser bedenklichen sozialen Gemengelage handelt es sich jedoch nicht um eine Hannoversche Singularität des Islamismus. Auch in Deutschlands kleinstem Bundesland, der Hansestadt Bremen, spielten sich über die letzten Jahre wiederholt Possen von ähnlicher gesellschaftlicher Relevanz ab.
Mehr noch ist Bremen ein vortreffliches Musterexemplar für das gesellschaftspolitische Wirken lokaler Claqueure des türkischen Präsidenten Erdoğan sowie langjähriger Verquickungen ihm ergebener Islamverbände wie auch türkischer Rechtsextremer rund um die „Grauen Wölfe“ mit der Landes- und Stadtpolitik. Dies von CDU über die SPD bis hin zu den Grünen quer durch alle in Bremen staatstragenden Parteien.
Bremer SPD-Fraktionschef sucht Erdoğans Nähe
So wird Mustafa Güngör, dem seit August 2019 neuen Vorsitzenden der SPD-Bürgerschaftsfraktion, nach Bericht des bremischen Weser-Kuriers „eine ungesunde Nähe zum Regime des türkischen Staatspräsidenten Erdoğan und dessen Partei AKP nachgesagt“. Und weiter:
„Güngör, so die meist hinter vorgehaltener Hand geäußerte Kritik, buhle um die Gunst migrantischer Wähler mit AKP-Sympathien, indem er türkeikritische Bürgerschaftsresolutionen verwässert habe oder bewusst Abstimmungen ferngeblieben sei, in denen es etwa um die ‚Ehe für alle‘ ging.“
Ein aktueller Dringlichkeitsantrag des neuen rot-grün-roten Bremer Senats vom November 2019 dokumentiert, was mit dieser „hinter vorgehaltener Hand geäußerten Kritik“ gemeint ist. Zwar reklamiert der Antrag, der federführend von Güngör verfasst wurde, dass „das türkische Militär völkerrechtswidrig in den Nordosten Syriens einmarschiert“ sei und „die Türkei eine humanitäre Katastrophe“ verursache. Dennoch werden die sich für den Krieg verantwortlich zeichnenden Protagonisten, nämlich Erdoğan, AKP und die mit ihr verbündete rechtsextreme MHP, mit keinem Wort erwähnt.
Verwunderlich ist das nicht. Denn im April 2019, so ein anderer Bericht des Weser-Kuriers, machte in Bremen ein Foto Schlagzeilen, das Güngör gemeinsam mit dem AKP-Politiker Mustafa Sentop zeigt, dem „Architekten der neuen, ganz auf Staatschef Recep Tayyip Erdoğan zugeschnittenen Verfassung“. Im Hintergrund des Fotos, in der Bildmitte, hing zudem ein Portrait des lächelnden Erdoğan.
Die taz berichtete im Dezember 2018 von Kontakten Güngörs zur Union europäisch-türkischer Demokraten (kurz: UETD), einer Lobbyorganisation Erdoğans wie dessen AKP. So habe Güngör im Wahlkampf 2015 „das Forum der UETD für einen türkischen Wahlaufruf an potenzielle WählerInnen genutzt“ und sich im Oktober 2016 bei einer UETD-Veranstaltung mit Erdoğans internationalem Cheflobbyisten Metin „Külünk und dem Regionalvorsitzenden des UETD-Bremen, Burak Çaylı“ ablichten lassen. Külünk ist nach Darstellung der taz dabei eine schillernde Persönlichkeit:
„Der Erdoğan-Vertraute Külünk sei eine Art Mittelsmann, der den [Osmanen-]Rockern zu Geld und Waffen verholfen haben soll. Von Külünk gibt es beides: Fotos mit Erdoğan und Fotos mit den Chefs der Osmanen Germania. Der Verfassungsschutz interpretiert letztere Treffen als öffentliches Bekenntnis der Erdoğan-Politik zum gewalttätigen Rockerklub. Külunk hat laut [ZDF-Magazin] Frontal21 sogar konkret dazu aufgefordert, Gewalt gegen hier lebende KurdInnen auszuüben, davon Filmaufnahmen zu machen und diese in die Türkei zu schicken.“
Auch Burak Çaylı, der Regionalvorsitzende der UETD-Bremen, ist kein unbeschriebenes Blatt. Im September 2018 erfuhr die taz auf Nachfrage beim Bremer Landesamt für Verfassungsschutz, dass „Caylı, sich mit dem Vorsitzenden der Türkischen Familien Union in Bremen, Recep Haciömeroglu, im März dieses Jahres getroffen hat“. Die „Türkische Familien Union e.V.“ ist hierbei ein Verein der türkisch-rechtsextremen Partei MHP, dem politischen Arm der „Grauen Wölfe“.
Nähe zu Erdoğans Lobbyorganisationen als eingeübtes Bremer Ritual
Aufgrund dieser Vorkommnisse lief die Wahl Güngörs zum Fraktionschef nicht völlig geräuschlos in der Bremer SPD ab. Die langjährige Bürgerschaftsabgeordnete Ulrike Hövelmann erklärte nach der Wahl ihren Parteiaustritt und begründete dies, so der Weser-Kurier, dass sie nicht „damit umgehen [könne], dass jemand mit Nähe zu Erdoğan und der AKP [in der SPD] mehrheitsfähig ist“.
Klaus Möhle, nahezu zwanzig Jahre für Grüne und SPD als Parlamentarier in der Bremischen Bürgerschaft wirkend, äußerte im Interview mit buten un binnen, dass er „entsetzt sei“ und es „für einen riesengroßen Fehler“ halte, da in seinen Augen die Nähe Güngörs zur AKP „nicht endgültig widerlegt“ sei. Güngör selbst distanziert sich in einem Statement bei buten un binnen nur halbherzig von Erdoğan und der AKP, indem er einzig davon spricht, dass er weder „AKP-Anhänger noch Erdoğan-Anhänger sei“, vielmehr sei er „überzeugter Sozialdemokrat“.
Die Causa Güngör ist in Bremen jedoch kein Sonderfall. In den letzten Jahren häuften sich derlei Vorfälle, in denen die öffentlichkeitswirksame Nähe zu lokalen Stellvertretern und Verbänden Erdoğans, dessen AKP sowie der rechtsextremen MHP beziehungsweise den ihr nahestehenden Grauen Wölfen sich als eingeübtes Ritual der Bremer Landespolitik herauskristallisiert. So sind mehrere ehemalige und aktuelle Abgeordnete der Bremischen Bürgerschaft zu Werbezwecken im Vorfeld der Bürgerschaftswahlen 2015 beziehungsweise 2019 bei der UETD aufgetreten.
Die UETD wird im Verfassungsschutzbericht 2017 als „regierungsnahe Vorfeldorganisation der AKP“ bezeichnet, „die im Sinne ihrer Mutterorganisation auf politischer und gesellschaftlicher Ebene Lobbyismus für Interessen der AKP betreibt“. Der damalige Verfassungsschutzpräsident Maaßen erklärte, laut t-online.de, ihre Beobachtung durch den Verfassungsschutz dadurch, dass „sie eine ‚nationalistische‘ Organisation sei und daher nicht mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinbar“.
Diese verfassungsrechtlichen Bedenken hielten jedoch weder den CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Oğuzhan Yazıcı noch die SPD-Bürgerschaftskandidatin und spätere Abgeordnete Jasmina Abo-El-Hemam Heritani davon ab, jeweils für sich kurz vor der Bürgerschaftswahl 2019 in zwei UETD-Veranstaltungen zu werben. Vor der Bürgerschaftswahl 2015 nutzte, so die taz, nicht nur der heutige SPD-Fraktionschef Mustafa Güngör die UETD „für einen türkischen Wahlaufruf an potenzielle WählerInnen“, sondern ebenso der spätere SPD-Abgeordnete Mehmet Acar sowie der Grünen-Parlamentarier Mustafa Öztürk. Auch der CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Oğuzhan Yazıcı griff bereits 2015 auf die Webpräsenz der UETD für einen Wahlaufruf zurück.
In Bremens Politik heulen die Grauen Wölfe
Nach einem Bericht der „AntifaRecherche Bremen“ vom 31. Oktober 2017 pflegt Oğuzhan Yazıcı auch Kontakte zur ATIB (Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e.V.), einem nationalistisch-islamistischen Kulturverein, der selbst zwar eine Verbindung zu den Grauen Wölfen zurückweist, jedoch laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion vom Mai 2016 „eine hundertprozentige Abspaltung der Föderation der türkischen Idealistenvereine in Deutschland – ADÜTDF“ sei; ADÜTDF ist laut des Bundesamts für Verfassungsschutz der größte Dachverband der rechtsextremen Grauen Wölfe in Deutschland.
Ein Bericht des Weser-Kuriers vom Mai 2016, der einen Besuch Yazıcı in einer Bremer ATIB-Moschee dokumentiert, unterstreicht diese Einschätzung. Auf Facebook berichtet zudem eine weitere ATIB-Moschee von einem Treffen der ATIB-Jugend mit Yazıcı im Oktober 2018. Selbst im Bremer Senat gibt es wenig Berührungsängste zur letztgenannten ATIB-Moschee: Der ehemalige SPD-Bürgermeister Carsten Sieling lud im Juni 2018 zwei Vorstandsmitglieder zu einem Empfang ins Rathaus ein.
Auch der für die Grünen in die Bürgerschaft gewählte und später zur CDU gewechselte Parlamentarier Turhal Özdal pflegt eine offenkundige Nähe zu den Grauen Wölfen beziehungsweise ihnen nahestehenden Organisationen wie der MHP. Die taz berichtete im September 2018 hierzu:
„Mindestens ein Abgeordneter in der Bürgerschaft steht dem Denken der rechtsextremen Grauen Wölfe sehr nahe: Turhal Özdal vertritt die CDU und demonstrierte Anfang des Jahres noch zusammen mit Anhängern der MHP für den Krieg gegen die Kurden. Zunächst war er bei den Grünen, bis er zur Union überlief. Auffällig ist auch, dass er politisch eine einseitige Anfrage zu Kurden und der PKK stellte.“
In besagter Anfrage vom Mai 2018 wird der Krieg der Türkei in Nordsyrien als „Militäreinsatz“ dargestellt und die Protestkundgebungen in Bremen als „Sicherheitsrisiko“, weil, so weiter, „der Konflikt auf türkischer Seite mehrheitlich anders bewertet wird“. Die taz kommentierte die Anfrage seinerzeit als „Ergebenheitsadresse an das Regime Erdoğan“ sowie als „einseitig auf die Aktivitäten der kurdischen Separatistenpartei PKK fokussiert“. Bereits zwei Jahre zuvor hatte der mit AKP und Grauen Wölfen anbandelnde CDU-Abgeordnete Oğuzhan Yazıcı in einer Anfrage an den Bremer Senat einzig eine „Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Bremen durch PKK Anhänger“ angemahnt. Von Grauen Wölfen und Erdoğans Anhängern hingegen kein Wort.
Hass von Erdoğans Bremer Jüngern gegen jede Opposition
Den Israelhass von Grauen Wölfen und Erdoğans Bremer Gefolgsleuten bewarb im Juli 2014 die „Antikapitalistische Linke“, eine Parteiströmung der Linkspartei. In einem Demoaufruf „Frieden und Gerechtigkeit für Palästina“, den bezeichnenderweise auch die Antwort auf die kleine Anfrage der Linksfraktion erwähnte (siehe oben), versammelte sie neben der ATIB wie der UETD auch die aus meinem Achgut-Artikel „Der israelfeindliche Narrensaum der Bremer Linkspartei“ bereits bekannte Bremer israelfeindliche Prominenz rund um das „Nahost-Forum Bremen“ wie das „Bremer Friedensforum“.
Dieses israelfeindliche Zweckbündnis täuscht jedoch über die tatsächlichen Verwerfungen hinweg, die zwischen Bremer Linkspartei und Erdoğans Bremer Stellvertretern bestehen. Cindi Tuncel, ein exponierter Landespolitiker der Linkspartei, dessen yezidische Familie 1985 aus der Türkei floh, ist wiederholt ins Visier von islamistischen Stoßtruppen geraten, da er in seiner parlamentarischen Arbeit sowohl Erdoğans Vasallen als auch den Islamischen Staat in Anfragen kritisch aufgreift. Der taz erzählte Tuncel hierzu:
„Er selbst bekomme täglich Drohanrufe. Im Hintergrund laufe dann oft militärische Musik, die Anrufer beschimpften ihn auf Türkisch und Deutsch, ohne jedoch konkrete und justiziable Drohungen auszusprechen.“
Doch auch Tuncels Erfahrungen sind kein Einzelfall. Nach Bericht des „Weser Reports“ vom Dezember 2016 verhinderte mutmaßlich der Bremer DITIB-Ableger die Veranstaltung „Ditib – die Marionetten Erdoğans?“ des „Vereins Kurdischer Studierender in Bremen“ an der Hochschule Bremen. Und im Vorfeld des Verfassungsreferendums 2017 in der Türkei berichtete das „anatolische Bildungs- und Beratungszentrum“, das in der Selbstbeschreibung „hauptsächlich in der Intergrationsarbeit tätig“ ist, von Beschimpfungen und Bedrohungen durch Erdoğan-Befürworter, da es „gegen Erdoğan und die Verfassungsreform“ warb. Der Verein berichtete weiter über die Aktivitäten von Erdoğans Bremer Jüngern:
„Diese seien vermehrt in Moscheen, türkischen Cafés und Jugendgruppen unterwegs. Dort würden sie dafür werben, dass Erdoğan für Stabilität, Sicherheit und Vaterlandsliebe steht – und ihnen anschließend eine Busreise für den 16. April nach Hannover ins Generalkonsulat anbieten, wo sie ihre Stimme in der Entscheidung über die Verfassungsreform abgeben können.“
Nach dem Putschversuch im Juli 2016 wurden Anhänger der Gülen-Bewegung das Ziel von Einschüchterungen durch Erdoğan-Anhänger. So berichtete die Gülen-nahe „Stiftung Forum Dialog“ davon, dass „in den Moscheen der DITIB-Gemeinde in Huckelriede [ein Bremer Ortsteil, Anm. des Autors] von den Imamen gegen uns gehetzt“ werde und sie dort als „Terroristen“ bezeichnet würden. Weiteren Angriffen waren die Gülen-Anhänger „bei Facebook und anderen sozialen Medien ausgesetzt“.
Politvasallen an den Schaltzentralen der Macht
Halten wir also abschließend fest: In Bremen sind langjährige Verbindungen von Landes- beziehungsweise Stadtpolitik mit Repräsentanten und Islamverbänden des türkischen Präsidenten Erdoğan wie den ihm nahestehenden Grauen Wölfen evident. Hieran beteiligt sind alle in Bremen etablierten demokratischen Parteien, die auch über langjährige Regierungsverantwortung verfügen: von CDU über die SPD bis hin zu den Grünen.
Bedenklich hieran ist, dass die Verbindungen zu Islamisten und türkischen Rechtsextremen sich eben gerade nicht auf Erdoğan-nahe deutsche Kleinstparteien wie das Bündnis für Innovation & Gerechtigkeit und die Allianz Deutscher Demokraten beschränken, sondern sich im Umfeld der in Bremen staatstragenden Parteien zeitigen. Diese Netzwerke begrenzen sich demnach – quasi als zeitlicher Vorbote der Hannoverschen Causa Onay – dabei jedoch nicht auf Hinterbänkler der Lokalpolitik, sondern drängen mehr noch an die parlamentarischen Schaltzentralen der Macht vor. Ein Netzwerk, aufgespannt von einfachen Abgeordneten über Fraktionsvorsitzende bis hin zum Bürgermeister.
Dieses Muster, welches uns in Hannover und Bremen in Bezug auf die etablierten Parteien auf Kommunal- wie Landesebene begegnet ist, wird in seinem permanenten Auflodern also zunehmend zu einem eingeübten bundesdeutschen Ritual.