Bei einer Genderdebatte unter dem Titel „Für eine sanfte Revolution der Sprache“ (siehe unten) sollen wir uns fragen, wie weit wir gekommen sind mit der Entwicklung einer „geschlechter- und gendergerechten Sprache“. Wir sind weit gekommen. Wie haben wir das geschafft? In zwei Schritten.
Der erste Schritt forderte eine „geschlechtergerechte“ Sprache, der zweite eine „gendergerechte“. Das ist nicht dasselbe. Im ersten Schritt haben wir uns abgewöhnt, uns weiterhin eine Zusammengehörigkeit von Frauen und Männern vorzustellen. Stattdessen sollten wir Frauen und Männer als grundsätzlich getrennt voneinander ansehen. Im zweiten Schritt sollen wir das Geschlecht grundsätzlich in Frage stellen und neu denken. Darum geht es in diesem Teil.
Zunächst will ich ein Zitat voranstellen. Die erwähnte Genderdebatte findet im Rahmen des evangelischen Kirchentages im Lutherjahr statt. Da passt das. Bei Paulus (1. Korinther, 14.9) lesen wir: „Also auch ihr, wenn ihr mit Zungen redet, so ihr nicht eine deutliche Rede gebet, wie kann man wissen, was geredet ist? Denn ihr werdet in den Wind reden.“
Wir sollen gendern. Was steckt dahinter?
Das geheimnisvolle „gender“ kam mit der Weltfrauenkonferenz im Jahre 1995 in Peking in die Welt. Da trafen sich Nichtregierungsorganisationen, so genannte NGOs, also non-governmental organisations, die ihre Autorität daraus beziehen, dass sie als unabhängig gelten und so etwas wie das gute Gewissen der Welt verkörpern, weil sie Basisgruppen repräsentieren. Sie haben lediglich Beraterstatus, sie geben Empfehlungen an die Vereinten Nationen. Mehr nicht. Das wirkt harmlos.
Doch sowohl beim Stichwort „unabhängig“ als auch bei den „Empfehlungen“ wurde gemogelt. Die Teilnehmer waren keineswegs unabhängig, sie vertraten keine Bewegungen, die „von unten“ kommen – im Gegenteil: Man nennt sie auch das „gender establishment“. Ihre Vorgaben sollen „top down“ durchgeführt werden, von oben nach unten. Man sollte auch deshalb nicht von einer „Revolution“ sprechen, wie es im Titel der Genderdebatte heißt, sondern von einem Putsch.
Die großen Parteien haben längst Quoten. So ist sichergestellt, dass Aktivistinnen gefördert werden, die zwar als unabhängig gelten, aber der Regierung zuarbeiten. Damit haben sich die Spielregeln der westlichen Demokratien grundlegend verändert. Es gibt keine Diskussion mehr über Frauenthemen, die sind grundsätzlich abgesegnet und werden vom Steuerzahler finanziert. Die Quotenfrauen halten die Türen sperrangelweit auf; ihre Aufgabe ist es, alles, was von weitem so aussieht, als wäre es irgendwie gut für Frauen und schlecht für Männer, besinnungslos durchzuwinken. Wir haben längst eine Allparteien-Frauen-Regierung.
Claudia Nolte von der CDU bezahlte seinerzeit „ihre“ Leute und schickte sie zu einem Luxusurlaub nach Peking, wo sie sich als unabhängige Basisbewegung tarnten. Später wurden bei den Verträgen, die in Amsterdam beschlossen wurden, aus den Empfehlungen „Verpflichtungen“ gemacht, und die Frauen von Rot/Grün übernahmen begeistert, was „ihre“ Leute von langer Hand vorbereitet hatten. Egal von welcher Partei sie waren. Sie waren Frauen.
In Peking fand eine brausende Applaus-Veranstaltung statt. Die Weichen dazu waren schon bei Vorbereitungstreffen in New York gestellt worden. Die Journalistin Dale O’Leary hat an mehreren solcher „PrepComs“ teilgenommen und verraten, wie man da getrickst und getäuscht hat, wie Vereinbarungen gebrochen und wie Vertreter aus armen Ländern erpresst wurden.
Die Weltfrauenkonferenz war eine Halbweltfrauenkonferenz
Die Machtverhältnisse hatten sich verschoben: Ursprünglich sollten NGOs den politischen Vertretern der Vereinten Nationen Hilfestellungen bieten, inzwischen dominieren sie die. Frauenverbände aus reichen, westlichen Ländern sind um ein Vielfaches besser ausgestattet als die Regierungen armer Länder und nutzen schamlos ihren Standortvorteil, um Vertreter aus kleinen Ländern zu bloßen Statisten zu degradieren. Dale O’Leary beschreibt diesen neuen „Kolonialismus der weißen Frau“ in ihrem Buch ‚The Gender Agenda’.
Natürlich herrschte in Peking ein männerfeindliches Klima. Was denn sonst? Es wurden pauschal alle Männer außen vor gelassen: „Männer raus!“, hieß die Parole. Das war die conditio sine qua non (Bedingung, ohne die es nicht geht). Daran hatten wir uns gewöhnt, seit wir die Trennungs-Propaganda-Sprache übernommen hatten, die ich beschrieben habe, als ich von dem ersten Schritt gesprochen habe – dem ersten Schritt in Richtung Geschlechtergerechtigkeit.
Streng genommen gibt es gar keine Frauenthemen, die nicht ebenso für Männer von Belang sind. Doch die Aktivistinnen der Weltfrauenkonferenz entziehen sich jedem Dialog; sie glauben offenbar selbst nicht, dass sich ihre Argumente in einer offenen und fairen Diskussion bewähren würden. Sie sind feige Despoten. Zuerst werden Beschlüsse ohne eine Möglichkeit der Mitwirkung von Männern gefasst, dann wird ihnen das Ergebnis vorgesetzt wie einem Verlierer, der bedingungslos kapituliert hat.
Frauen und Männer – das sagt man heute nur noch so
Die bekannteste Vordenkerin ist Judith Butler, die sich als Lesbin bezeichnet. Sie gehört zur Führungsspitze der IGLHR (International Gay and Lesbian Human Rights Commission), einer internationalen Homosexuellenorganisation und war aktiv an der Vorbereitung für die Weltfrauenkonferenz in Peking beteiligt. Ihr erklärtes Ziel ist die Dekonstruktion, also die Auflösung des Mann- und Frauseins.
Sie behauptet ausdrücklich, dass das soziale Geschlecht und der Körper „diskursiv“ hervorgebracht, also sozial konstruiert seien. Damit wird dem so genannten Diskurs eine überverhältnismäßige Bedeutung verliehen. In ihren Augen ist der Diskus sogar entscheidend. Im Rahmen historisch gewachsener „Sprache“, so meint sie, seien Bezeichnungen herausgebildet worden, welche aufgrund ständiger Wiederholungen den Charakter des „Unhinterfragbaren“ und „Natürlichen“ gewinnen würden.
Erst durch Sprache werde also etwas Natürliches geschaffen, zumindest etwas, das so aussieht und den Charakter des Natürlichen hat. Es sei folglich, so meint sie, nur eine Art Gewöhnung, dass wir unseren Körper und seine Anatomie aus einer zweigeschlechtlichen Perspektive als männlich oder weiblich bezeichnen.
Diese äußerst kühne These, für die es keine Begründung gibt, die aber mit Nachdruck vertreten wird, hat sich erfolgreich durchgesetzt. Nun verstehen wir auch, weshalb die Vertreter der Gender-Theorie so großen Wert auf Sprache legen und darauf bestehen, uns einen Sprachgebrauch vorzuschreiben, der zu der Erschaffung eines neuen Verständnisses von Mann und Frau führen soll.
Der Mensch kommt in die Bio-Tonne
Das Zauberwort „gender“ kommt in einer der Erklärungen von New York mehr als 200 Mal vor, doch kaum einer der angereisten Delegierten konnte damit etwas anfangen. Ihnen ging es nicht besser als uns. Viele dachten, „gender“ sei nur ein vornehmes Wort für „sex“, das man aus Rücksicht auf Teilnehmerinnen, die sich durch das Wort „Sex“ abgeschreckt fühlen könnten, eingeführt habe.
Die Delegierten mussten im Wörterbuch nachschauen. Da stand etwas vom „sozialen“ und vom „grammatischen“ Geschlecht. Sie konnten nicht ahnen, was sich da zusammenbraute: Die Gender-Perspektive sollte nicht etwa an die Stelle eines Blickes auf die Biologie treten; die sozialen Faktoren sollten nicht als Ergänzung, sondern als Ersatz für die natürlichen Einflüsse gesehen werden. Sonst wäre es auch nichts Neues; Soziologie gibt es schon lange. Neu war die vollständige Absage an die Natur, wie wir sie schon früh bei Simone de Beauvoir und – auf die Spitze getrieben – bei Judith Butler formuliert finden. Demnach haben wir nicht etwa ein natürliches und ein soziales Geschlecht, sondern nur noch ein soziales. Das stand so nicht im Wörterbuch. Da stand auch nicht, dass Lesben, Schwule und Transsexuelle neuerdings als eigenständige Geschlechter gelten.
Wie gelähmt haben wir die Ziele dieser „Pekinger Aktionsplattform“ über uns ergehen lassen, vorbei am Bundesrat, abseits jeder öffentlichen Diskussion. Erst so langsam wird deutlich, was wir uns da eingefangen haben und wie sehr es in unser Leben eingreift. Vorgesehen sind die Förderung von Homosexualität sowie die sexuelle Früherziehung in Schulen. Es ist außerdem vorgesehen, dass fünfzig Prozent aller Arbeitsplätze in allen Berufssparten mit Frauen zu besetzen sind, notfalls zwangsweise. Dieser Zwang gilt als die neue Gerechtigkeit.
Diese „Geschlechtergerechtigkeit“ sollen wir in der Sprache zum Ausdruck bringen. Was kommt dabei heraus? Die Sprache wird undeutlich. Sie ist an einem modischen Ideal orientiert, das wir morgen oder spätestens übermorgen als falsches Ideal ansehen werden. Sie ist in den Wind gesprochen.
Dieses war der zweite Streich. Eine kleine Zusammenfassung und ein paar Tipps:
Teil 2: Gender und das Ende der Geschlechter, wie wir sie kennen
Nach dem ersten Schritt kommt der zweite. Wir haben A gesagt, nun sollen wir B sagen. Die Stimme im Navi, die uns unablässig ermahnt hatte „Bei der nächsten Gelegenheit, bitte wenden“, haben wir überhört. Wir sind weiter gefahren, die geschlechtergerechte Sprache war eine Zwischenstation. Nun geht es weiter in Richtung gendergerechte Sprache.
Nun soll gegendert werden mit Rücksicht auf diejenigen, die sich nicht eindeutig dem einen oder anderen Geschlecht zuordnen können und die sich unwohl fühlen, wenn sie als männlich oder weiblich angesprochen werden. Diese Entwicklung wurde von der Weltfrauenkonferenz eingeleitet, bei der die Trennung von Frauen und Männern schon vorausgesetzt war; sie steht im Zusammenhang mit dem Kampf gegen Homophobie und Transphobie und der Einführung von sexueller Vielfalt in die Bildungspläne für die Schulen.
Die Sprachvorgaben des zweiten Schritts fordern das Partizip als – angeblich – neutrale Form, also zum Beispiel die Umbenennung des Studentenheims in „Studierendenheim“, sie verlangen den Unterstrich, der symbolisch Platz bieten soll für die, die sich nicht als weiblich oder männlich verstehen, oder das Gender-Sternchen. Also: „Schriftsteller_innen“, „Schriftsteller*innen“ oder „Schreibende“.
Die Doppelnennungen, die im ersten Schritt gefordert wurden, sind nicht mehr nötig. Das macht die Forderung nach gerechter Sprache unglaubwürdig und erklärt die Forderungen des Sprachfeminismus im Nachhinein für ungültig. Kaum haben wir uns an die Formulierung „Studentinnen und Studenten“ gewöhnt, kommt die neue Parole: Es soll jetzt „Studierende“ heißen. Hier offenbart sich, wie zeitgebunden und unzuverlässig das Ideal der Gerechtigkeit ist, hinter dem alle herlaufen sollen.
Als wir „Studentinnen und Studenten“ sagten, sind wir den Frauen gerecht geworden (besser gesagt den Feministen), aber nicht denen, die sich keinem Geschlecht zuordnen können. Denen sollen wir jetzt gerecht werden. Aber: Wenn wir nun „Studierende“ sagen, stellt sich die Frage: Gilt plötzlich das Argument nicht mehr, dass Frauen unterdrückt und ausgegrenzt werden, wenn man nicht die Innen-Form verwendet? Wieso sind die Vertreter der gerechten Sprache einverstanden, wenn man „die Studierenden“ sagt, machen einem aber einen moralisierenden Vorwurf, wenn man „die Studenten“ sagt? Das sollten sie mal erklären.
Hinter den Handreichungen und Ratschlägen stecken offene Drohungen gegen alle, die sich nicht beugen wollen. Es ist längst soweit, dass es als Vorwurf gilt, wenn jemand „bewusst nicht gendert“. Immer mehr Universitäten verweigern inzwischen die Annahme von Arbeiten, die nicht gegendert sind.
Wir sollen alle gendern. Kirchen, Gewerkschaften, Rundfunkanstalten, Parteien, Universitäten, Gemeinden – ja, man hat den Eindruck, dass jeder Alpen- und Tierschutzverein mitmacht – alle geben Anleitungen heraus, wie man gendern soll, wie eine „geschlechtergerechte Sprache“ im Alltag umgesetzt werden kann, um nicht als rechtspopulistisch erkannt und verdammt zu werden. Der Ton ist rau geworden. Wer nicht gendern will, gilt als Nazi. Es drohen Strafen.
Tipp:
Wenn man die Sprachregeln wirklich diskutieren wollte, sollte man die Für- und Gegensprecher zu einer fairen Diskussion einladen.
Wird es so eine Diskussion im Lutherjahr geben? Werden dabei die Argumente von beiden Seiten gleichermaßen gehört werden? Wir werden sehen. Es sieht auf den ersten Blick nicht so aus. Es gibt ein deutliches Ungleichgewicht, das offenbar gewollt ist. Die Genderdebatte der evangelischen Kirche folgt dem Motto: 5 gegen Willi. Ich bin der Willi.
Bernhard Lassahn hat Notizen zur Sprache gesammelt auf seiner Seite Bernhard Lassahn unter ‚Aus der Welt der Literatur’ und speziell zu der so genannten geschlechterechten Sondersprache auf der Seite ‚Frau ohne Welt’ unter ‚Frauenmund’. Den ersten Teil seines Beitrags finden Sie hier.