Die Entscheidung mehrerer europäischer Staaten, die Impfungen mit AstraZeneca auszusetzen, hat nichts mit begründeter Vorsicht zu tun – sie ist selbst äußerst gefährlich. Ein britischer Blick auf das EU-Impfstoff-Debakel.
Von Rob Lyons
Die EU scheint entschlossen zu sein, die Einführung der Impfungen gegen Covid-19 komplett zu vermasseln. Der jüngste Ausbruch von Dummheit ist die Entscheidung mehrerer Länder, die Impfungen mit dem Oxford / AstraZeneca (AZ) Impfstoff auszusetzten.
Eine kurze Zusammenfassung: Letzten Sommer beschlossen mehrere EU-Mitgliedsstaaten, zwecks Sicherung von Impfvorräten Verhandlungen mit AZ und Pfizer aufzunehmen. Dieser „can-do“-Ansatz wurde jedoch schnell zugunsten eines EU-geführten Ansatzes erstickt. Nach monatelangem Gerangel wurden die Verträge mit AZ und Pfizer viel zu spät geschlossen. Zudem brauchten die EU-Arzneimittelbehörden viel länger für die Zulassung der Impfstoffe als anderswo und gaben Pfizer erst Ende Dezember und AZ Ende Januar grünes Licht.
Dann kam es zu einem gewaltigen Streit zwischen der EU und AZ über die Lieferungen. Während Großbritannien sein Impfprogramm hochfuhr, kochte die EU vor Wut, weil AZ mitgeteilt hatte, dass es Produktionsprobleme gäbe, die zu einem vorübergehenden Engpass führen würden. Die Dinge wurden so schlimm, dass die Kommission einseitig beschloss, das Nordirland-Protokoll über den Haufen zu werfen, falls einige Impfstoffdosen über Irland nach Großbritannien gelangen sollten – eine Entscheidung, die schnell wieder rückgängig gemacht wurde.
Im Januar sorgte das deutsche Handelsblatt für Aufruhr, als es behauptete, dass „der AZ-Impfstoff offenbar nur eine Wirksamkeit von acht Prozent bei älteren Menschen hat“. „Die Impfstrategie der Regierung steht auf wackligen Beinen“, hieß es weiter. Die Zahl von acht Prozent stammte offenbar aus dem deutschen Gesundheitsministerium, obwohl einige behaupteten, dies sei nur ein Missverständnis. Das hielt den französischen Präsidenten Emmanuel Macron allerdings nicht davon ab, zu behaupten, der Impfstoff sei bei den über 65-Jährigen nur „quasi-ineffektiv“. Es half auch nicht, dass fälschlicherweise berichtet wurde, Angela Merkel habe persönlich eine Impfung mit AZ verweigert. (Mit 67 Jahren war sie einfach in der falschen Altersgruppe.)
Nach all dieser Aufregung konnte es kaum jemanden überraschen, dass eine große Anzahl von Europäern den AZ-Impfstoff ablehnte. In Fortsetzung des schizophrenen Ansatzes blockierte dann Italien den Export von 250.000 Dosen des AZ-Impfstoffs, die für Australien bestimmt waren. Dieses „ich liebe dich, ich hasse dich“-Verhalten hat mehr mit einer Schulhofromanze zu tun als mit ernsthafter Pandemiebekämpfung.
Nicht mit Ruhm bekleckert
Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, haben mehrere EU-Länder kürzlich beschlossen, die Verwendung des AZ-Impfstoffs auszusetzen, da er mit einem erhöhten Risiko von Blutgerinnseln in Verbindung gebracht werden könnte. Die deutschen Gesundheitsbehörden haben sich in dieser Angelegenheit nicht mit Ruhm bekleckert. So sagte Gesundheitsminister Jens Spahn: „Ich bedauere, dass […] einige Länder in der Europäischen Union die Impfung mit AstraZeneca ausgesetzt haben. Nach allem, was wir bisher wissen, ist der Nutzen […] weit größer als das Risiko.“ Im Folgenden hatte die Regierung beschlossen, den Einsatz des Impfstoffs zu stoppen.
Erstaunlich ist der Mangel an Beweisen für ein erhöhtes Risiko von Blutgerinnseln nach Einnahme des Impfstoffs. Es scheint sich um ein klassisches Beispiel für den post hoc ergo propter hoc Fehlschluss zu handeln. Grundsätzlich gilt: Nur weil B auf A folgt, heißt das nicht, dass A B verursacht hat. In diesem Fall war Dänemark das erste Land, das letzte Woche die Verwendung des AZ-Impfstoffs aufgrund von Berichten über Blutgerinnsel, darunter ein tödlicher Fall, aussetzte. Andere Länder, darunter Norwegen und Island, folgten schnell diesem Beispiel.
AstraZeneca hat jedoch schnell darauf hingewiesen, dass es keine Beweise für ein Problem gibt. Ja, es gab Fälle von Blutgerinnseln, aber es scheint nicht mehr zu geben, als man erwarten würde. Wie der Statistiker und Risikoforscher David Spiegelhalter aufzeigt, gibt die Europäische Arzneimittelagentur an, dass es 30 „thromboembolische Ereignisse“ nach etwa fünf Millionen Impfungen gegeben hat. Aber, so bemerkt er, „tiefe Venenthrombosen“ (TVT) treten bei etwa einer Person pro 1.000 pro Jahr auf, und wahrscheinlich mehr in der älteren Bevölkerung, die geimpft wird“.
Mit Blick auf die Nebenwirkungen der Impfstoffe kommt Spiegelhalter zu dem Schluss, dass „diese Impfstoffe sich als außerordentlich sicher erwiesen haben“. Er vergleicht die Logik hinter den Impfstopps mit den unangebrachten Ängsten um MMR und Autismus, die dazu geführt haben, dass viele Eltern einen anderen sicheren Impfstoff ablehnen. Natürlich sollten wir die Daten überwachen, für den Fall, dass ein Risiko auftritt – weshalb wir ein Meldesystem für Nebenwirkungen haben –, aber die bisherigen Daten rechtfertigen keine solch extremen Maßnahmen.
Seit Jahrzehnten dominiert das Vorsorgeprinzip
Was hat es also mit dem Wahnsinn auf sich? Die EU-Länder hinken bei der Impfung ihrer Bevölkerung fast alle weit hinter Großbritannien und den USA zurück. Die Vorräte sind dünn gesät, jede Dosis wird dringend benötigt. Dennoch haben sie sich entschieden, zumindest vorübergehend einen wirksamen und sicheren Impfstoff abzulehnen.
Der Schlüssel liegt in einer Idee, die die EU-Politik seit Jahrzehnten dominiert: das Vorsorgeprinzip. Dieses besagt, dass vorbeugende Maßnahmen in Betracht gezogen werden sollten, „noch bevor ein kausaler Zusammenhang durch absolut eindeutige wissenschaftliche Beweise nachgewiesen wurde“. Das ist in Ordnung, solange die ergriffenen Maßnahmen keine Nachteile haben. Aber es ist verrückt, wenn von der Maßnahme selbst eine eindeutige und unmittelbare Gefahr ausgeht. In aktuellen Fall wäre die Weigerung, eine bestimmte Art von Impfstoff zu verwenden, in Ordnung, wenn es reichlich Alternativen gäbe oder kein Gesundheitsnotstand bestünde. Aber die Beweise für die Schädlichkeit des Impfstoffs sind immer noch dünn, um nicht zu sagen nicht-existent, während Covid-19 immer noch viel zu viele Menschen tötet.
Irlands stellvertretender Chief Medical Officer sagte am Sonntag: „Es wurde nicht festgestellt, dass es irgendeinen Zusammenhang zwischen dem [AstraZeneca-Impfstoff] und diesen Fällen gibt. Nach dem Vorsorgeprinzip und bis zum Erhalt weiterer Informationen hat das NIAC [National Immunisation Advisory Committee] jedoch empfohlen, das […] AstraZeneca-Impfprogramm in Irland vorübergehend auszusetzen.“
Selbst wenn diese Anordnungen aufgehoben werden und der AZ-Impfstoff wieder zum Einsatz kommt, sollte sich niemand wundern, wenn sich die Akzeptanzprobleme in der Bevölkerung vergrößern. Das gesamte Impfprogramm wird ausgebremst werden, mehr Menschen werden sterben und die Lockdowns werden länger bestehen bleiben. Man fragt sich zwangsläufig, ob hinter all dem ein politisches Kalkül steckt – ein Versuch in einigen Kreisen, das Versagen der EU bei der Impfstoffbeschaffung zu rechtfertigen, indem man einen Fehler bei einem Impfstoff findet, der anderswo entwickelt wurde. Aber selbst auf den ersten Blick ist die Entscheidung, den AZ-Impfstoff nicht mehr zu verwenden, verrückt.
Man muss kein Union Jack schwenkender Patriot sein, der stolz die Vorzüge eines in Großbritannien entwickelten Impfstoffs preist, um das alles für durchgeknallt zu halten. In der Tat war die überschwängliche Diskussion im letzten Jahr um die Entwicklung des „Oxford-Impfstoffs“, wie er routinemäßig genannt wurde, ein wenig nervtötend. Hier geht es nicht um Nationalstolz – es geht darum, zum Kontinent hinüberzuschauen, den Kopf zu schütteln und sich zu fragen, was in aller Welt sich die dortigen Behörden denken.
Ausnahmsweise hat es Großbritannien geschafft, sich diesem Unsinn zu entziehen. Fast 46 Prozent aller Erwachsenen haben bislang mindestens eine Dosis des AZ- oder Pfizer-Impfstoffs erhalten. (Drei Prozent haben bereits beide Dosen erhalten.) Angesichts des Chaos auf dem Kontinent ist das ein weiterer guter Grund, für den Brexit dankbar zu sein.
Dieser Beitrag erscheint mit Genehmigung des britischen Online-Magazins Spiked, wo der Autor regelmäßiger Kolumnist ist. Aus dem Englischen übersetzt von Kolja Zydatiss.