Mein Frau ist Impfgegnerin, ich habe mich dreimal impfen lassen. Wir leben also in Mischehe. Ich weiß, das Wort ist „vorbelastet“ aus der NS-Zeit wie so viele deutsche Wörter, ohne dass sie etwas dafür können. Aber ich verwende es hier in aller Unschuld: Ich meine eine Ehe zwischen Angehörigen verschiedener Konfessionen.
Man hat dieses Wort früher für Ehen aus einem katholischen und einem protestantischen Partner verwendet. Die Aversionen zwischen den Angehörigen verschiedener christlicher Richtungen waren tief und unerbittlich. Bis in den Tod. Einen von der falschen Religion zu heiraten, bedeutete oft den Bruch mit Familie und Freunden. Vergessen wir nicht, dass der Dreißigjährige Krieg, der Deutschland zerrüttet und weitgehend entvölkert hat, seinen Ausgang nahm im Streit der Konfessionen. Einst erzählte mir ein katholischer Freund aus Bayern, dass er noch Mitte des 20. Jahrhunderts als einziges katholisches Kind in einer sonst durchweg protestantischen Schulklasse in Baden-Württemberg ein ähnliches Martyrium durchlebt hätte, wie man es von jüdischen Kindern wüsste oder heute vom einzigen blonden Bio-Deutschen in einer Schulklasse in Berlin-Neukölln.
Wir leben also in Mischehe. Aus eher pragmatischen Gründen habe ich mich gegen Corona impfen lassen, einmal, zweimal, inzwischen sogar dreimal. „Ich mach mir Sorgen, wie ich Dich wieder von der Spritze weg bekomme“, erklärte meine Frau nach dem dritten Schuss. Abgesehen davon, dass ich beruflich ins Ausland fliegen muss, was inzwischen nur noch für Geimpfte problemlos möglich ist, habe ich auch keine Angst davor. Als ich vor zwanzig Jahren nach einer Gehirn-Operation fast an einer infektiösen Meningitis gestorben wäre und mein Leben von der Wirkung eines bestimmten Antibiotikums abhing – es musste in einer auch befreundete Ärzte erschreckenden Dosis mehrere Tage lang injiziert werden –, habe ich die Furcht vor der Injektionsnadel verloren. Ich betrachte ihr sanftes metallenes Glimmern nicht mehr mit dem Gefühl, als lauere dort der Tod. Meine Frau dagegen meidet jede Berührung mit Kanülen, Produkten der Pharma-Industrie, überhaupt mit konventioneller Medizin. Sie würde sich niemals gegen Grippe impfen lassen, wie ich es jedes Jahr tue. Ein Antibiotikum käme allenfalls bei akuter Lebensgefahr infrage. Lieber liegt sie drei Wochen auf dem Sofa und kuriert sich mit Ingwer-Tee und homöopathischen Mitteln. Es stärke ihr Immunsystem, behauptet sie, außerdem fände sie endlich Zeit zum Lesen.
Das krampfhafte Suchen nach Unterscheidungen
Jeder nach seinem Geschmack. Ich bin für drei Wochen Sofa zu ungeduldig. Meine Frau war von Anfang strikt gegen die Corona-Impfungen, sie hatte Erschreckendes darüber im Internet gelesen. Beim ersten Mal hat sie versucht, es mir auszureden, doch mich haben die Argumente der Impfgegner nicht überzeugt. Auch heute, ein halbes Jahr, nachdem ich meinen ersten Shot bekommen habe, fühle ich mich nicht genetisch manipuliert, auch nicht physisch oder psychisch beeinträchtigt. „Natürlich“, sagt meine Frau dazu, „es ist wie bei Demenz, du selbst wirst es als letzter merken.“ Sie hält Gleichgültigkeit gegenüber der Impfung für ein Zeichen von Nicht-Informiertheit. Von ihr und guten Freunden wurden mir hunderte Links zugesandt, in denen Menschen mit missionarischem Eifer vor der Vergiftung und Verseuchung durch mörderische Impfstoffe warnen.
Das Impfen bei uns war verführerisch einfach: Ich musste in der zehn Minuten Fußweg entfernten Poliklinik ein paar Minuten warten, dann war es geschehen. Ich habe nur noch die Schultern gezuckt angesichts der ungeheuren, an ein Shakespearsches Drama erinnernden, geradezu existenziellen Bedeutung, die der Frage Impfen oder Nicht-Impfen beigemessen wird. Sie ist nur eine der vielen Entscheidungen auf Sein oder Nichtsein, die wir täglich neu erfinden. In Wahrheit ist das, was wir betreiben, die Fragmentierung unserer Gesellschaft. Der zum Überleben nötige Konsens wird zerrüttet und zerspalten durch immer neu erklärte, mit tödlichem Ernst vertretene Alternativen: links gegen rechts, Nichtdenker gegen Querdenker, neocon gegen woke, Corona-Gläubige gegen Leugner, Klima-Aktivisten gegen Autofahrer, Impfgegner gegen Geimpfte. Es ist das krampfhafte Suchen nach Unterscheidungen, die eine vom Globalismus geschaffene Gleichheitsgesellschaft strukturieren sollen.
Auch mein Freundeskreis ist in verschiedene Konfessionen gespalten. Meine Position in der allgemeinen Entzweiung ist eher schwach: Ich mache aus meiner Impfung keine Ideologie, gehöre zu keiner Partei. Bin also zwischen die Fronten geraten – die undankbarste Position. Denn dass ich mich habe impfen lassen, bedeutet nicht, dass ich der Viren-Panik verfallen bin oder der verbreiteten Obsession von einer unser Leben umstürzenden „Pandemie“. Die Anti-Corona-Regimes vieler Regierungen inklusive Lockdown, Begegnungsverbot und Maskenzwang halte ich für maßlos übertrieben und kontraproduktiv. „Wenn du das alles so klar siehst“, fragt meine Frau, „warum hast du dich dann impfen lassen?“ Weil meine Impfung eine Bagatelle ist verglichen mit der Selbstzerstörung einer ganzen Zivilisation. Einer Zivilisation, an der ich hänge. Und die Taliban sind auf dem Marsch...